MM: Sehr geehrter Herr Prof. Lucke, bevor wir auf
Ihr Fachgebiet Makroökonomie, Ihre Aktuelle Partei und den Euro kommen,
erlauben Sie uns eine Frage zur AFD. Mit Ihnen, Frau Petry und Prof. Methen
sind inzwischen gleich drei Parteivorsitzende aus der Partei herausgedrängt
worden. Haben Sie noch Beziehungen zu der Partei, die Sie einstmals
maßgeblich mitgegründet haben und verstehen Sie diese Entwicklung?
Prof. Lucke: Die Partei, die ich mal gegründet
habe, gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch eine Partei, die unter demselben
Namen auftritt. Aber sie ist inhaltlich völlig anders ausgerichtet.
Sachliche und wissenschaftlich begründete Kritik an der Funktionsweise der
Eurozone spielt keine Rolle mehr. Das Hauptthema der AfD sind Ausländer,
Muslime und "Kulturfremde" sowie deren angeblicher Beitrag zu allen
möglichen Missständen in Deutschland. Maßgeblichen Anteil an dieser
Entwicklung tragen Petry und Meuthen. Dass es noch weitaus schlimmere
Personen in der AfD gibt, denen sie letztlich zum Opfer gefallen sind,
ändert nichts daran, dass beide die AfD stramm nach rechts orientiert haben.
Die AfD ist ursprünglich aber als eine Partei der Mitte gegründet worden.
Eine Rechtsaußenpartei wie die heutige AfD habe ich stets abgelehnt und
deshalb habe ich auch keinerlei Beziehungen mehr zu ihr.
MM: Sie haben unter anderem wegen der
Islamfeindlichkeit und der Feindlichkeit gegen Ausländern die AFD verlassen.
Ist Ihnen das wirklich erst so spät aufgefallen?
Prof. Lucke: Die AfD hat gleich nach ihrer
Gründung einen Beschluss gefasst, dass Islamfeindlichkeit mit einer
Mitgliedschaft in der AfD unvereinbar ist. Das war damals völlig
unumstritten. Wenn es dennoch vorkam, dass Mitglieder sich islamfeindlich
äußerten, sind wir mit Parteiordnungsverfahren dagegen eingeschritten. Es
waren ja in kürzester Zeit 20.000 Mitglieder in die Partei eingetreten und
wir kannten uns alle nicht. Da tritt man natürlich nicht aus, solange man
glaubt, dass man die Situation beherrschen kann. Vielmehr versucht man, die
missliebigen Mitglieder loszuwerden.
In unserem Gründungsjahr, 2013, ging es aber
ohnehin fast ausschließlich um die Eurokrise. Über den Islam redete kaum
jemand. Doch im Laufe der beiden folgenden Jahre änderte sich das. Die
Eurokrise trat in den Hintergrund. Statt dessen berichteten die Medien über
grauenhafte Verbrechen des Islamischen Staates im Irak und in Syrien. Jeder
konnte im Internet Videos sehen, bei denen westliche Geiseln im Sand knieten
und ihnen schließlich vor laufender Kamera die Kehle durchgeschnitten wurde.
Es gab schreckliche Terroranschläge von islamistischen Fanatikern in Europa.
Denken Sie an Charlie Hebdo oder das Bataclan. Dass viele Mitglieder davor
Angst hatten und überlegten, wie man sich vor so etwas schützen könnte, ist
ganz natürlich. Es ist nicht im mindesten islamfeindlich. Aber es fanden
dann auch diejenigen Gehör, die meinten, der Islam sei grundsätzlich mit
einer freien Gesellschaft unvereinbar, weil Allah das Töten von
Nicht-Muslimen befehle. Das halte ich für falsch und für eine unfaire
Wiedergabe des Koran. Aber genau aus solchen Ansichten speist sich
Islamfeindlichkeit. Je schlimmer der Islamismus wütete, desto stärker wurde
die Islamfeindlichkeit in der AfD und Leute wie Frauke Petry, Beatrix von
Storch und Albrecht Glaser förderten das nach Kräften. Als ich dann als
Bundessprecher abgewählt wurde und Frauke Petry an meine Stelle trat, konnte
ich die Islamfeindlichkeit in der AfD nicht mehr bekämpfen. Dass die AfD
damit unverhohlen islamfeindlich wurde, war ein ganz wesentlicher Grund für
meinen Austritt. Denn ich bin der Auffassung, dass der Islam eine große,
ehrfurchtgebietende Religion ist. Und dass die Mörder und Terroristen völlig
unislamisch handeln.
MM: Nach Ihrem Austritt aus der AFD haben Sie
die Partei Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA) gegründet, die sich
später in Liberal-Konservative Reformer (LKR) umbenannte hat und Sie waren
viele Jahre Bundesvorsitzender. Warum fällt es so schwer wirtschaftlich so
bedeutsame Themen, für die Sie stehen, und die sicherlich erheblich größere
Auswirkungen auf die Bürger haben als Probleme mit Islam, Migranten und
Kriminalität, in Wahlstimmen umzuwandeln?
Prof. Lucke: Das mit den größeren Auswirkungen würde ich vorsichtiger
formulieren. Der islamistische Terror hat viele Menschenleben gefordert und
er tötet wahllos. Jeden von uns kann es jederzeit treffen, wenn auch zum
Glück mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit. Dennoch haben viele Menschen
Angst und würden gerne auf jedes Wirtschaftswachstum verzichten, wenn sie
dadurch vor Mord und Terror sicher wären.
Davon abgesehen aber gibt es im wesentlichen zwei
Gründe, warum meine zweite Parteigründung keinen Erfolg hatte: Zum einen
sind Wirtschaftsthemen nicht einfach zu verstehen. Die meisten Menschen
haben sehr wenig Kenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge. Man kann das
auch nicht ohne Weiteres erklären, wenn man bei null anfangen muss und einem
der Talkshowmoderator schon nach dem zweiten Satz ins Wort fällt. Die
politische Kommunikation in Deutschland ist sehr kurzatmig und reduziert
sich meist auf Worthülsen und Schlagworte. Da ist schwer gegen anzukommen.
Zum zweiten hat eine Partei natürlich keinen
Erfolg, wenn die Medien nicht auch über sie berichten. Und wir waren mit
unserer Sachlichkeit natürlich langweilig im Vergleich zur AfD, die die
Medien stets skandalisieren konnten. Also wurde über die AfD berichtet und
nicht über uns. Wir hatten keinen Erfolg, weil nicht über uns berichtet
wurde und die Medien berichteten nicht über uns, weil wir keinen Erfolg
hatten. Das ist ein Teufelskreis, aus dem man praktisch nicht herauskommt.
MM: Kommen wir zu Ihrem Fachgebiet, bei dem
selbst die Gelehrten miteinander streiten, wie man es sonst nur bei
Geisteswissenschaften kennt. Wir fragen direkt frei heraus: Liegt das
Kernproblem der Deutschen Mark, Euro und Dollar nicht im einem Geldsystem
begründet, bei dem mehr oder minder private Machthaber wie die FED
unterstützt durch militärische Macht Geld drucken können, so viel sie
wollen, ohne dass ein Wert dahinter stehen muss?
Prof. Lucke: Nein. Das behauptet auch kein
ernstzunehmender Gelehrter. Geld hat nichts mit militärischer Macht zu tun
und hängt nicht davon ab, ob es von einer staatlichen Institution
herausgegeben wird oder von einer privaten Institution unter strikter
staatlicher Regulierung. Der Wert des Geldes hängt allein davon ab, wieviel
Vertrauen die Bürger in das Geld haben. Vereinfacht gesagt: Wenn die Bürger
darauf vertrauen, dass das Geld wertstabil ist und dass es jederzeit als
Zahlungsmittel für alle Arten von Waren und Dienstleistungen eingesetzt
werden kann, dann hat das Geld aus diesem Vertrauen heraus einen Wert. Es
braucht dann nicht durch irgendwelche Sachwerte gedeckt zu werden.
MM: Als Mitglied einer reformierten Kirche
haben Sie einstmals die Schrift mit dem Titel „Bekenntnis des Glaubens im
Angesicht von wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und ökologischer Zerstörung“
herausgebracht. Müsste solch ein Glaube nicht den Reichen das Geld wegnehmen
und es den Armen und Bedürftigen geben? Oder anders gefragt: Was müsste sich
ändern, damit die Superreichen Spekulanten und Multimilliardäre nicht
weniger Steuern zahlen als der anständige Kleinunternehmer?
Prof. Lucke: Nein, das ist falsch. Diese
Schrift, das sog. Accra-Bekenntnis des Reformierten Weltbundes, habe ich
nicht herausgegeben, sondern heftig kritisiert. Es ist in großen Teilen
einfach von Unkenntnis über wirtschaftliche Zusammenhänge geprägt. Da sind
viele gutmeinende Theologen zusammengekommen und haben über Dinge geredet,
von denen sie nichts verstehen. Aber danach haben sie sich wohler gefühlt.
Im übrigen fordert der christliche Glaube auch
keineswegs, dass man den Anderen etwas wegnimmt. Sondern dass man selbst
etwas gibt, um den Bedürftigen zu helfen. In den zehn Geboten heißt es
ausdrücklich, dass man nicht seines Nachbarn Hab und Gut begehren soll. Und
das ist auch aus moderner wirtschaftswissenschaftlicher Sicht richtig: Das
Privateigentum soll man achten und schützen. Denn die Menschen werden sich
nur dann anstrengen und Leistung zeigen, wenn sie sicher sind, dass sie die
Früchte ihrer Arbeit behalten dürfen. Deshalb darf man es auch mit der
Besteuerung nicht übertreiben, denn Steuern sind natürlich ein Eingriff in
das Eigentum. Wenn es da mal Missstände gibt wie Sie sie beschreiben, muss
man das natürlich korrigieren. Aber im Allgemeinen zahlen in unserem
Steuersystem die Menschen umso mehr Steuern, je mehr Einkommen sie haben.
Der größte Teil der Steuereinnahmen unseres Staates stammt von
Großunternehmen und einigen, wenigen sehr reichen Personen.
MM: Sie galten einst als großer Fan der USA,
hat sich dieses Bild in den letzten Jahren verändert?
Prof. Lucke: Ich weiß nicht, ob "Fan" das
richtige Wort ist. Aber, ja, ich bin ein großer Freund der Vereinigten
Staaten und kenne viele wundervolle Menschen dort. Das hindert mich
allerdings nicht, auch manche Sachen kritisch zu sehen, die idiotischen
Fernsehprogramme zum Beispiel, das ewige Toastbrot oder die leichte
Verfügbarkeit von Waffen und Drogen. Dem muss man entgegenstellen die
Freundlichkeit der Amerikaner, ihre Offenheit und Integrationsfähigkeit, das
unübersehbare Wachstum einer schwarzen Mittelklasse, die exzellenten
Universitäten, ihre innovativen Unternehmen, ihre Technikaffinität, ihre
vielen und praktischen Erfindungen. Und wenn Sie nun fragen, ob sich mein
Bild der USA durch Trump verändert hat: Im Vergleich zum Toastbrot halte ich
ihn für eine vorübergehende Erscheinung.
MM: Alle Ihre Befürchtungen im Rahmen der
sogenannten Bankenrettung wurden jetzt im Rahmen der Corona-Krise bei Weitem
übertroffen. Was muss konkret in Deutschland ökonomisch geschehen, damit die
Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter auseinander reißt?
Prof. Lucke: Ich sehe nicht, dass sich die
Einkommensverteilung in Deutschland irgendwie besorgniserregend verändert.
Auch halte ich es für richtig, dass man in der Corona-Krise Unternehmen und
Arbeitnehmer mit Subventionen unterstützt hat. Denn das war ja ein Ereignis,
was uns alle unverschuldet getroffen hat. Bei der Bankenkrise war das
anders. Da haben sich manche Banken aus eigener Entscheidung in zu
risikoreiche Engagements gestürzt. Dann muss man auch selbst dafür haften
und kann nicht erwarten, dass die Steuerzahler die Zeche zahlen.
MM: Aus der Politik haben Sie sich wieder in
die Wissenschaft zurückgezogen. Was haben wir von Prof. Lucke in Zukunft
noch zu erwarten?
Prof. Lucke: Vielleicht ab und zu ein
Interview.
MM: Abschließende Frage: Leiten Sie eigentlich
immer noch Kindergottesdienste?
Prof. Lucke: Nein. In meiner Gemeinde sind
die früheren Kindergottesdienste durch Familiengottesdienste ersetzt worden,
die unsere Pastoren leiten.
MM: Prof. Lucke wir danken für das Interview. |