Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Bernd Lucke
 

Muslim-Markt interviewt
Prof. Dr. Bernd Lucke - Professor für Makroökonomie und Politiker

8.2.2022

Bernd Lucke wurde 1962 in Westberlin als Sohn eines Bauingenieurs und einer Schulrektorin geboren. Nach Abitur und Wehrdienst im Stabsmusikkorps der Bundeswehr studierte Lucke Volkswirtschaftslehre, Philosophie und Neuere Geschichte in Bonn. Während des Studiums war er im Rahmen eines Stipendiums ein Jahr an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Nach dem Diplom als Volkswirt im Jahr 1987 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Agrarpolitik, Marktforschung und Wirtschaftssoziologie der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. Parallel dazu studierte er Mathematik an der Fernuniversität in Hagen. Weiter gefördert mit zahlreichen Stipendien wurde er 1991 am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin mit Auszeichnung zum Dr. rer. pol. promoviert.

1991 bis 1992 war er Leitungsreferent beim Senator für Finanzen des Landes Berlin. Zurück in der Wissenschaft der Freien Universität Berlin stieg er bis 1998 auf zum Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Gleichzeitig ist er Geschäftsführender Direktor des Instituts für Wachstum und Konjunktur an der dortigen Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Er war Mitbegründer der AFD als damals Euro-kritische Partei, die er später verlassen hat. 2014 bis 2019 war Lucke Mitglied des Europäischen Parlaments. Aufgrund seiner politischen Verpflichtungen als Abgeordneter des Europäischen Parlaments war er ab 2014 beurlaubt und nahm seine Professur zum Wintersemester 2019/2020 wieder auf. Als Wissenschaftler hat er sich weltweit einen Namen gemacht, wobei er selbst Forschungsprojekte im Zusammenhang mit Jordanien und Syrien geleitet hat.

Prof. Lucke ist verheiratet, hat mit seiner Frau fünf Kinder und die Familie lebt in Winsen an der Luhe.

MM: Sehr geehrter Herr Prof. Lucke, bevor wir auf Ihr Fachgebiet Makroökonomie, Ihre Aktuelle Partei und den Euro kommen, erlauben Sie uns eine Frage zur AFD. Mit Ihnen, Frau Petry und Prof. Methen sind inzwischen gleich drei Parteivorsitzende aus der Partei herausgedrängt worden. Haben Sie noch Beziehungen zu der Partei, die Sie einstmals maßgeblich mitgegründet haben und verstehen Sie diese Entwicklung?

Prof. Lucke: Die Partei, die ich mal gegründet habe, gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch eine Partei, die unter demselben Namen auftritt. Aber sie ist inhaltlich völlig anders ausgerichtet. Sachliche und wissenschaftlich begründete Kritik an der Funktionsweise der Eurozone spielt keine Rolle mehr. Das Hauptthema der AfD sind Ausländer, Muslime und "Kulturfremde" sowie deren angeblicher Beitrag zu allen möglichen Missständen in Deutschland. Maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung tragen Petry und Meuthen. Dass es noch weitaus schlimmere Personen in der AfD gibt, denen sie letztlich zum Opfer gefallen sind, ändert nichts daran, dass beide die AfD stramm nach rechts orientiert haben. Die AfD ist ursprünglich aber als eine Partei der Mitte gegründet worden. Eine Rechtsaußenpartei wie die heutige AfD habe ich stets abgelehnt und deshalb habe ich auch keinerlei Beziehungen mehr zu ihr.

MM: Sie haben unter anderem wegen der Islamfeindlichkeit und der Feindlichkeit gegen Ausländern die AFD verlassen. Ist Ihnen das wirklich erst so spät aufgefallen?

Prof. Lucke: Die AfD hat gleich nach ihrer Gründung einen Beschluss gefasst, dass Islamfeindlichkeit mit einer Mitgliedschaft in der AfD unvereinbar ist. Das war damals völlig unumstritten. Wenn es dennoch vorkam, dass Mitglieder sich islamfeindlich äußerten, sind wir mit Parteiordnungsverfahren dagegen eingeschritten. Es waren ja in kürzester Zeit 20.000 Mitglieder in die Partei eingetreten und wir kannten uns alle nicht. Da tritt man natürlich nicht aus, solange man glaubt, dass man die Situation beherrschen kann. Vielmehr versucht man, die missliebigen Mitglieder loszuwerden.

In unserem Gründungsjahr, 2013, ging es aber ohnehin fast ausschließlich um die Eurokrise. Über den Islam redete kaum jemand. Doch im Laufe der beiden folgenden Jahre änderte sich das. Die Eurokrise trat in den Hintergrund. Statt dessen berichteten die Medien über grauenhafte Verbrechen des Islamischen Staates im Irak und in Syrien. Jeder konnte im Internet Videos sehen, bei denen westliche Geiseln im Sand knieten und ihnen schließlich vor laufender Kamera die Kehle durchgeschnitten wurde. Es gab schreckliche Terroranschläge von islamistischen Fanatikern in Europa. Denken Sie an Charlie Hebdo oder das Bataclan. Dass viele Mitglieder davor Angst hatten und überlegten, wie man sich vor so etwas schützen könnte, ist ganz natürlich. Es ist nicht im mindesten islamfeindlich. Aber es fanden dann auch diejenigen Gehör, die meinten, der Islam sei grundsätzlich mit einer freien Gesellschaft unvereinbar, weil Allah das Töten von Nicht-Muslimen befehle. Das halte ich für falsch und für eine unfaire Wiedergabe des Koran. Aber genau aus solchen Ansichten speist sich Islamfeindlichkeit. Je schlimmer der Islamismus wütete, desto stärker wurde die Islamfeindlichkeit in der AfD und Leute wie Frauke Petry, Beatrix von Storch und Albrecht Glaser förderten das nach Kräften. Als ich dann als Bundessprecher abgewählt wurde und Frauke Petry an meine Stelle trat, konnte ich die Islamfeindlichkeit in der AfD nicht mehr bekämpfen. Dass die AfD damit unverhohlen islamfeindlich wurde, war ein ganz wesentlicher Grund für meinen Austritt. Denn ich bin der Auffassung, dass der Islam eine große, ehrfurchtgebietende Religion ist. Und dass die Mörder und Terroristen völlig unislamisch handeln.

MM: Nach Ihrem Austritt aus der AFD haben Sie die Partei Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA) gegründet, die sich später in Liberal-Konservative Reformer (LKR) umbenannte hat und Sie waren viele Jahre Bundesvorsitzender. Warum fällt es so schwer wirtschaftlich so bedeutsame Themen, für die Sie stehen, und die sicherlich erheblich größere Auswirkungen auf die Bürger haben als Probleme mit Islam, Migranten und Kriminalität, in Wahlstimmen umzuwandeln?

Prof. Lucke: Das mit den größeren Auswirkungen würde ich vorsichtiger formulieren. Der islamistische Terror hat viele Menschenleben gefordert und er tötet wahllos. Jeden von uns kann es jederzeit treffen, wenn auch zum Glück mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit. Dennoch haben viele Menschen Angst und würden gerne auf jedes Wirtschaftswachstum verzichten, wenn sie dadurch vor Mord und Terror sicher wären.

Davon abgesehen aber gibt es im wesentlichen zwei Gründe, warum meine zweite Parteigründung keinen Erfolg hatte: Zum einen sind Wirtschaftsthemen nicht einfach zu verstehen. Die meisten Menschen haben sehr wenig Kenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge. Man kann das auch nicht ohne Weiteres erklären, wenn man bei null anfangen muss und einem der Talkshowmoderator schon nach dem zweiten Satz ins Wort fällt. Die politische Kommunikation in Deutschland ist sehr kurzatmig und reduziert sich meist auf Worthülsen und Schlagworte. Da ist schwer gegen anzukommen.

Zum zweiten hat eine Partei natürlich keinen Erfolg, wenn die Medien nicht auch über sie berichten. Und wir waren mit unserer Sachlichkeit natürlich langweilig im Vergleich zur AfD, die die Medien stets skandalisieren konnten. Also wurde über die AfD berichtet und nicht über uns. Wir hatten keinen Erfolg, weil nicht über uns berichtet wurde und die Medien berichteten nicht über uns, weil wir keinen Erfolg hatten. Das ist ein Teufelskreis, aus dem man praktisch nicht herauskommt.

MM: Kommen wir zu Ihrem Fachgebiet, bei dem selbst die Gelehrten miteinander streiten, wie man es sonst nur bei Geisteswissenschaften kennt. Wir fragen direkt frei heraus: Liegt das Kernproblem der Deutschen Mark, Euro und Dollar nicht im einem Geldsystem begründet, bei dem mehr oder minder private Machthaber wie die FED unterstützt durch militärische Macht Geld drucken können, so viel sie wollen, ohne dass ein Wert dahinter stehen muss?

Prof. Lucke: Nein. Das behauptet auch kein ernstzunehmender Gelehrter. Geld hat nichts mit militärischer Macht zu tun und hängt nicht davon ab, ob es von einer staatlichen Institution herausgegeben wird oder von einer privaten Institution unter strikter staatlicher Regulierung. Der Wert des Geldes hängt allein davon ab, wieviel Vertrauen die Bürger in das Geld haben. Vereinfacht gesagt: Wenn die Bürger darauf vertrauen, dass das Geld wertstabil ist und dass es jederzeit als Zahlungsmittel für alle Arten von Waren und Dienstleistungen eingesetzt werden kann, dann hat das Geld aus diesem Vertrauen heraus einen Wert. Es braucht dann nicht durch irgendwelche Sachwerte gedeckt zu werden.

MM: Als Mitglied einer reformierten Kirche haben Sie einstmals die Schrift mit dem Titel „Bekenntnis des Glaubens im Angesicht von wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und ökologischer Zerstörung“ herausgebracht. Müsste solch ein Glaube nicht den Reichen das Geld wegnehmen und es den Armen und Bedürftigen geben? Oder anders gefragt: Was müsste sich ändern, damit die Superreichen Spekulanten und Multimilliardäre nicht weniger Steuern zahlen als der anständige Kleinunternehmer?

Prof. Lucke: Nein, das ist falsch. Diese Schrift, das sog. Accra-Bekenntnis des Reformierten Weltbundes, habe ich nicht herausgegeben, sondern heftig kritisiert. Es ist in großen Teilen einfach von Unkenntnis über wirtschaftliche Zusammenhänge geprägt. Da sind viele gutmeinende Theologen zusammengekommen und haben über Dinge geredet, von denen sie nichts verstehen. Aber danach haben sie sich wohler gefühlt.

Im übrigen fordert der christliche Glaube auch keineswegs, dass man den Anderen etwas wegnimmt. Sondern dass man selbst etwas gibt, um den Bedürftigen zu helfen. In den zehn Geboten heißt es ausdrücklich, dass man nicht seines Nachbarn Hab und Gut begehren soll. Und das ist auch aus moderner wirtschaftswissenschaftlicher Sicht richtig: Das Privateigentum soll man achten und schützen. Denn die Menschen werden sich nur dann anstrengen und Leistung zeigen, wenn sie sicher sind, dass sie die Früchte ihrer Arbeit behalten dürfen. Deshalb darf man es auch mit der Besteuerung nicht übertreiben, denn Steuern sind natürlich ein Eingriff in das Eigentum. Wenn es da mal Missstände gibt wie Sie sie beschreiben, muss man das natürlich korrigieren. Aber im Allgemeinen zahlen in unserem Steuersystem die Menschen umso mehr Steuern, je mehr Einkommen sie haben. Der größte Teil der Steuereinnahmen unseres Staates stammt von Großunternehmen und einigen, wenigen sehr reichen Personen.

MM: Sie galten einst als großer Fan der USA, hat sich dieses Bild in den letzten Jahren verändert?

Prof. Lucke: Ich weiß nicht, ob "Fan" das richtige Wort ist. Aber, ja, ich bin ein großer Freund der Vereinigten Staaten und kenne viele wundervolle Menschen dort. Das hindert mich allerdings nicht, auch manche Sachen kritisch zu sehen, die idiotischen Fernsehprogramme zum Beispiel, das ewige Toastbrot oder die leichte Verfügbarkeit von Waffen und Drogen. Dem muss man entgegenstellen die Freundlichkeit der Amerikaner, ihre Offenheit und Integrationsfähigkeit, das unübersehbare Wachstum einer schwarzen Mittelklasse, die exzellenten Universitäten, ihre innovativen Unternehmen, ihre Technikaffinität, ihre vielen und praktischen Erfindungen. Und wenn Sie nun fragen, ob sich mein Bild der USA durch Trump verändert hat: Im Vergleich zum Toastbrot halte ich ihn für eine vorübergehende Erscheinung.

MM: Alle Ihre Befürchtungen im Rahmen der sogenannten Bankenrettung wurden jetzt im Rahmen der Corona-Krise bei Weitem übertroffen. Was muss konkret in Deutschland ökonomisch geschehen, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter auseinander reißt?

Prof. Lucke: Ich sehe nicht, dass sich die Einkommensverteilung in Deutschland irgendwie besorgniserregend verändert. Auch halte ich es für richtig, dass man in der Corona-Krise Unternehmen und Arbeitnehmer mit Subventionen unterstützt hat. Denn das war ja ein Ereignis, was uns alle unverschuldet getroffen hat. Bei der Bankenkrise war das anders. Da haben sich manche Banken aus eigener Entscheidung in zu risikoreiche Engagements gestürzt. Dann muss man auch selbst dafür haften und kann nicht erwarten, dass die Steuerzahler die Zeche zahlen.

MM: Aus der Politik haben Sie sich wieder in die Wissenschaft zurückgezogen. Was haben wir von Prof. Lucke in Zukunft noch zu erwarten?

Prof. Lucke: Vielleicht ab und zu ein Interview.

MM: Abschließende Frage: Leiten Sie eigentlich immer noch Kindergottesdienste?

Prof. Lucke: Nein. In meiner Gemeinde sind die früheren Kindergottesdienste durch Familiengottesdienste ersetzt worden, die unsere Pastoren leiten.

MM: Prof. Lucke wir danken für das Interview.

Senden Sie e-Mails mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: info@muslim-markt.de 
Copyright © seit 1999 Muslim-Markt