MM: Sehr
geehrter Sayyid Nasser, wie kam es dazu, dass Sie und Ihre Ehefrau
gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten Opfer von Razzien wurden?
Sayyid Nasser: Normalerweise fuhr ich jeden
Donnerstagabend nach Münster, um dort am berühmten wöchentlichen Bittegebet Dua Kumayl teilzunehmen. Dort schlief ich
manchmal eine Nacht, um am
nächsten Tag bei Bedarf zu einigen Gemeinden in der Gegend oder im Ruhrgebiet zu fahren.
Um unnötige Fahrten zu vermeiden, erhielt
ich einen Schlüssel und durfte in einem Hinterraum übernachten. In der
besagten Woche (Mi. 16.3.2022) bin ich einen Tag früher gefahren, da es
einige Vorbereitungen zum Geburtstag des erwarteten Erlösers Imam Mahdi
(möge er bald erscheinen) geben sollte. Zudem gab es einen Trauerfall,
bei dem auch Nichtmuslime in die Moschee eingeladen worden waren, so
dass man mich gebeten hatte, einen Tag früher zu kommen. So schlief ich
ausnahmsweise bereits in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag in der
Moschee und bemerkte in der Frühe am Donnerstag (17.3.2022), wie mit
Bohrmaschinen an der Tür hantiert wurde. Als ich durch das Fenster
erkannt habe, dass die Polizei auf dem Hof stand, bin ich zur Tür
geeilt, um eine Beschädigung der Tür zu verhindern und habe die Tür von
innen geöffnet. Ich wurde sofort am Körper abgetastet, mein Handy wurde
mir entzogen und danach durfte ich nur noch im Hinterzimmer Platz nehmen
und zusehen. Ich durfte niemanden anrufen, nicht einmal einen Anwalt.
Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass auch meine Wohnung in
Norddeutschland durchsucht wurde. Mit blieb nur die Geduldsübung und
Bittgebete, dass meine Frau und meine zwei Töchter, die noch im Haus
wohnen, die Situation gut überstehen.
Umm Husain: Bei uns klingelte es um 6:00 Uhr
morgens. Da meine ältere Tochter bereits für die Fahrt zur Ausbildung
angezogen war, ging sie zur Tür und stand vor vielen Polizisten, die ihr
die Hausdurchsuchung erklärten. Zuerst kamen nur Polizeibeamtinnen ins
Haus, um den noch nicht mit der islamischen Frauenbekleidung bedeckten
Frauen die Gelegenheit zu geben, auf die Schnelle sich etwas
überzuwerfen. Dann kamen auch schon die anderen Polizisten. Zuerst
wurden uns alle elektronischen Geräte abgenommen, alle Handys, mein
Laptop, und niemand hat uns über unsere Rechte aufgeklärt. Selbst den
Kindern wurden ihre elektronischen Geräte entwendet, mit denen sie ihre
Hausaufgaben ausführen und den heutzutage unerlässlichen Kontakt zur
Schule pflegen. Ohne jene Geräte ist die jüngere Tochter in der Schule
und die ältere Tochter in der Berufsschule aufgeschmissen. Auch durften
wir unseren Anwalt nicht anrufen. Es ist unserer in einer unteren
Wohnung wohnenden Schwiegertochter zu verdanken, dass wir dennoch
unseren Anwalt konsultieren konnten, der innerhalb kürzester Zeit
gekommen ist.
MM: Gab es Hunde bei den Durchsuchungen?
Umm Husain: Gott sei Dank, waren die Beamten
respektvoll im Rahmen des Möglichen in solch einer Situation, und es
wurden keine Hunde eingesetzt. Wir haben aber hinterher erfahren, dass
bei einem Vorsitzenden der in Bremen verbotenen Moschee gleich mehrere
Hunde die Wohnung rituell verunreinigt haben, was für einen Muslim ein
enormer Aufwand an Reinigung bedeutet, welche sich über Tage hinziehen
kann.
Sayyid Nasser: Inwieweit Hunde in der
Moschee in Münster eingesetzt wurden, kann ich nicht beurteilen. Ich war
im hinteren Raum festgesetzt und konnte nicht beobachten, wie die
Durchsuchung ablief. Ich habe allerdings Hunde auf dem Hof gesehen.
MM: Was wird Ihnen vorgeworfen?
Sayyid Nasser: Tatsächlich wird uns keine
einzige Straftat vorgeworfen, und schon gar nicht den Kindern. Die Hausdurchsuchung soll im Rahmen der
Verbotsverfügung der Imam Mahdi-Moschee in Münster erfolgt sein.
Umm Husain: Das ist eine Rechtskonstruktion,
welche ich mir in meiner Jugend niemals hätte vorstellen können. Es
bedarf keines Richters. Ein Innenminister beschließt die Schließung
einer Moschee, und sie wird geschlossen. Alle Beteiligten und sogar
eher Unbeteiligte müssen
Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen, obwohl nicht einmal die
Vermutung einer Straftat vorliegt. Und ein Opfer dieser offensichtlichen
Willkür sind unter anderem zwei Kinder in der Schule und Berufsschule, denen ihre
Schulmittel entzogen werden!
MM: Wie verlief die Hausdurchsuchung?
Sayyid Nasser: Ich kann sehr wenig dazu
erzählen, da die Durchsuchung der Moschee ohne mich erfolgte und außer
mir gab es keine Augenzeugen. Ich weiß nur, dass mein Auto sehr intensiv
durchsucht worden ist, wobei ich mich bis heute frage, was die Suchenden
dort gesucht haben.
Umm Husain: Die Durchsuchung zog sich über
Stunden. Bereits am Anfang bemerkte meine Schwiegertochter, dass sich ein
Fotograf mit Kamera im Hof aufhielt. Auf ihr beständiges Nachfragen
entfernte sich die Person und verschwand. Offensichtlich handelte es
sich um einen Journalisten. Da er sich ohne Erlaubnis und gegen die
Interessen der Hausbesitzer auf dem Grundstück aufgehalten hat, ist
anzunehmen, dass hier ein Hausfriedensbruch begangen worden ist.
Es ist für mich erschreckend annehmen zu müssen, dass die Polizei einen
Journalisten mitgebracht und seinen möglichen Rechtsbruch gedeckt hat.
Denn andere Personen wurden während der Durchsuchung nicht auf das
Grundstück gelassen.
MM: Wie ging die Hausdurchsuchung zu Ende?
Sayyid Nasser: Ich erhielt die Erlaubnis
wegzufahren. Jeglicher weiterer Aufenthalt in der inzwischen verbotenen
Moschee wurde mir untersagt. Die Kinder der Moschee hatten zum
Geburtstag Imam Mahdis, der am Sonntag groß gefeiert werden sollte, eine
Reihe von Geschenken vorbereitet sowie zahlreiche Kostüme für ein
Theaterstück. Nichts davon durfte ich mitnehmen. Da ich über kein Handy
mehr verfügte, musste ich zu Freunden fahren, um von dort aus Kontakt zu
meiner Familie aufnehmen zu können.
Umm Husain: Eine Beamtin versuchte zum Ende
der Durchsuchung in einer Art Smalltalk die sehr angespannte Stimmung
aufzulockern und fragte meine jüngere Tochter, warum wir denn in eine
neue Stadt gezogen seien.
MM: Was hat sie geantwortet?
Umm Husain: Wir haben unseren Kindern stets
beigebracht die Wahrheit zu sagen, und so hat sie wahrheitsgetreu
geantwortet, dass wir wegen der drei inzwischen verheirateten Kinder
hierher gezogen sind, die alle hier Arbeit gefunden haben.
Obwohl es die Beamtin sicherlich gut meinte, empfand ich die Situation
wie eine unzulässige Befragung einer Minderjährigen, zumal wir weder
über unsere Rechte aufgeklärt worden sind, noch jeglicher Kontakt zur
Außenwelt erlaubt war. Auch hat die Beamtin uns keinen Ratschlag
gegeben, wie die Kinder in der Schule erklären sollten, dass sie
ihre elektronischen Lehrmittel "verloren" hatten, ohne zu lügen. So
müssen beide bis heute herumdrucksen, warum sie alle alten Schuldaten
"verloren" haben.
MM: Sehr geehrter Sayyid Nasser, die Imam
Mahdi Moschee wurde bereits vor zwei Jahren durchsucht, wobei Ihre
Wohnung damals verschont blieb, obwohl sie damals in der Nähe gewohnt
haben. Warum wurden Sie dieses Mal durchsucht, wo sie inzwischen so weit
entfernt wohnen?
Sayyid Nasser: Offensichtlich sind bei der
ersten Durchsuchung der Moschee Dokumente aufgetaucht, in denen mein
Name vorkam, denn schließlich war ich unter anderem bei islamischen
Hochzeiten zugegen. Das
hohe Ansehen, welches Theologen in unseren Gemeinden genießen,
führt dazu, dass bei solchen Feierlichkeiten ein Theologe eingeladen
wird. Ausgehend von jenen Dokumenten bin ich wohl auch ins Visier
der Sicherheitsbehörden geraten, obwohl ich nie im Vorstand der Moschee
war.
Umm Husain: Ein Problem der
Hausdurchsuchung bestand darin, dass sämtliche Gelder aus dem Haus
mitgenommen worden sind. Ich habe die verschiedenen Gelder stets in
Umschläge aufbewahrt, auf die ich jeweils notiert habe, um was für
Gelder es sich handelt. Darunter befand sich unser tägliches
Haushaltsgeld, das Geld, das meine Tochter für ihren Führerschein
gesammelt hat und anderes.
MM: Haben Sie etwas zurückerhalten?
Sayyid Nasser: Uns sind sämtliche Privatbargelder entzogen worden, und
ich habe auch fast vier Wochen nach der Durchsuchung nichts zurückerhalten.
Umm Husain: Wir haben auch weder Handys noch
meinen Laptop zurückerhalten, und das, obwohl wir den Behörden alle
Passwörter verraten haben. Auf meinem Laptop befanden sich Materialien
für Kinderbücher und Bastelarbeiten. Es sei daran erinnert, dass uns
strafrechtlich bis heute nichts vorgeworfen wird! Dennoch können wir auf
unseren eigenen elektronischen Besitz nicht zugreifen. Es ist wohl davon
auszugehen, dass innerhalb von vier Wochen hinreichend viele Kopien
aller unserer Handy-Daten und meines Laptops angefertigt werden konnten.
Besonders die Verweigerung der Herausgabe der elektronischen Geräte von
unschuldigen Schülerinnen in einem Haushalt, bei dem nicht einmal den
Eltern strafrechtlich irgendetwas vorgeworfen wird, ist meines Erachtens
unerklärbar. So empfinde ich die Verweigerung der Herausgabe als reine
Schikane, die mit Ermittlungstaktiken nicht zu erklären sind, sondern
lediglich ein Versuch zur Demütigung darstellen. Gott sein Dank, haben
andere Glaubensgeschwister zumindest für meine Tochter gesammelt, damit
sie ihr Geld für den Führerschein erhalten hat. Für durch die verlorenen
Schuldaten zu ertragenden Nachteile der Schülerinnen sind allein die
Behörden verantwortlich.
MM: Welche Gedanken beschäftigen Sie seit
der Hausdurchsuchung und den Moscheeverboten?
Sayyid Nasser: In der mir vorgelegten
Verbotsverfügung für die Imam Mahdi Moschee in Münster wird unter
anderem die Anbindung der Schiiten an die Großayatollahs als
problematisch dargestellt. Namentlich genannt sind ausgerechnet die drei
größten Großayatollahs unserer Zeit mit der mit Abstand größten
Anhängerschaft: Imam Chamenei (Iran), Großayatollah Sistani (Irak) und
Großayatollah Fadhlullah (Libanon) sowie zahlreiche weitere große
Ayatollahs. Es gehört zu der unabdingbaren
Religionsausübung eines Schiiten, dass er einen Großayatollah zum
Vorbild der Nachahmung (Mardscha) hat. Vereinfacht dargestellt handelt
es sich um eine Autorität, wie ihn der Papst für Katholiken personifiziert.
Der Unterschied liegt vor allem darin begründet, dass jeder Schiit sich
selbst seinen eingeen Quasi-Papst wählt. Wird jene Anbindung verboten,
wird ein Grundpfeiler der Religionsausübung verboten. Die mir vorliegende Verbotsverfügung
kommt faktisch einem Religionsverbot der Schia in Deutschland gleich.
Das ist schockierend und zeigt, wie sehr die deutschen Behörden z.B.
ihren britischen Kollegen hinterherhinken. In England ist man sich der
Bedeutung der Großayatollahs bewusst und geht entsprechend viel
respektvoller damit um.
Umm Husain: Es gehört meiner Meinung nach
schon eine gehörige Portion Respektlosigkeit dazu, eine Moschee mit dem
Namen Imam Mahdi ausgerechnet zum Geburtstag Imam Mahdis - möge er bald
erscheinen - zu stürmen und zu schließen. Unsere Kinder sind
jahrzehntelang in der Moschee groß geworden. Umso mehr schmerzte es uns
zu sehen, wie das Namenschild abmontiert wurde, was auf einigen
Pressefotos gezeigt worden ist. Wenige Tage vor dem Monat Ramadan wurde
der gesamten Gemeinde die Chance zum gemeinsamen Iftar (Fastenbrechen)
genommen. Doch wem soll das nützen?
MM: Zum ersten Mal seit dem Zweiten
Weltkrieg sind zwei Gotteshäuser dieser Größe in Deutschland gewaltsam
behördlich geschlossen worden, ohne dass irgendeinem Beteiligten
irgendeine Straftat vorgeworfen wird, wie wirkt das auf Sie?
Sayyid Nasser: Es ist schockierend, wie
Deutschland hier mehreren hundert Familien in Münster und bis zu tausend
Familien in Bremen das Sozialleben von einem Tag auf den anderen
entzogen hat. Die Moscheen waren Treffpunkte für die Jugend, Orte des
gemeinsamen Teetrinkens. Die Moscheen haben ihren Mitgliedern Halt
gegeben, problematische Jugendliche vom Abdriften in Kriminalität
abgehalten und die Integration gefördert. Die Vorstände einer solchen
Moschee haben ihre Mitglieder stets zur Gesetzestreue aufgerufen und
viele Konfliktfälle gelöst, ohne dass diese irgendwelche Behörden
belasten. All das wurde mit einem Schlag vernichtet.
Offensichtlich ist den Verantwortungsträgern überhaupt nicht bewusst,
welchen extremen Schaden sie damit angerichtet haben. Zudem dürfte das
einstmals vorzügliche Ansehen Deutschlands im Orient dramatische Risse
erhalten, deren Auswirkungen wir alle tragen müssen.
Umm Husain: Es geht hier offensichtlich
weder um Ausländerfeindlichkeit - schließlich ist mein Geburtsname Müller
- noch um irgendeine Straftat. Es geht vielmehr darum, den Islam aus der
Gesellschaft zu verbannen. Diese Islamfeindlichkeit, angeführt von den
höchsten Politikern im Land, ist schon seit vielen Jahren zu beobachten
und hat jetzt wohl einen neuen Höhepunkt erreicht. Deutschland verliert
dadurch auch zunehmend das Recht, sich als Verteidiger von
Menschenrechten oder Religionsfreiheit aufzuspielen. Ich denke nur
daran, was geschehen wäre, wenn eine jahrzehntelang gut funktionierende
Kirche in der Türkei oder im Iran geschlossen worden wäre, ohne dass
irgendeine Straftat vorliegt. Einmal abgesehen davon, dass die Behörden
dort so etwas niemals getan hätten, weil der Respekt vor einem
Gotteshaus viel größer ist als hier, wären auch viele Nachbarn auf die
Straße gegangen, um zu protestieren. Einige der heutigen Deutschen scheinen aber
die Fehler wiederholen zu wollen, welche ihre Urgroßeltern mit
Gotteshäusern begangen haben.
MM: Welche Hoffnung haben Sie für die
Zukunft?
Sayyid Nasser: Es wäre falsch, jegliche
Hoffnung auf einen Staat zu setzen, der seine eigene Rechtsstaatlichkeit
offensichtlich aufgegeben hat. Aktuell wird mit dem Islam und den
Muslimen auf Basis von Willkür agiert. Ohnehin setzt ein Muslim alle
seine Hoffnung allein auf den erhabenen Schöpfer. Was die Moscheen
angeht, so befürchte ich, dass sie in absehbarer Zeit nicht wieder
geöffnet werden. Entsprechend befürchte ich auch soziale Verwerfungen
unter den Familien, die die Sicherheitsbehörden vor viel größere
Probleme stellen werden als die Beobachtung einer Moschee. Es kommt
selten vor, dass ein Staat so extrem gegen die eigenen Interessen und
die Interessen der eigenen Bürger agiert. Die Moscheebesucher waren
schließlich mehrheitlich Deutsche mit sehr unterschiedlichem Migrationshintergrund. Ich gehe fest davon aus, dass der Tag kommen
wird, an dem die heutigen Entscheidungsträger sich schämen werden für
das, was sie hier angerichtet haben.
Umm Husain: Ich hoffe, dass beide
verbotenen Moscheen eines Tages wieder geöffnet werden können. Der Islam
lehrt uns denen zu vergeben, die uns Unrecht tun, wenn damit ein höheres
Ziel angestrebt werden kann. Aber ich gebe zu, es fällt mir schwer bei
so viel Unrecht, das so vielen Familien angetan wurde, zu vergeben. Den
Beamten, die unsere Wohnung durchsucht haben, kann ich vergeben, denn
sie
können wenig dafür. Aber die Entscheidungsträger, die die Wohnung von
Menschen durchsuchen lassen, denen nichts - aber auch gar nichts -
vorgeworfen wird, außer in der Vergangenheit in einer Moschee gewirkt zu
haben, die ohne richterlichen Beschluss verboten wird, sind in meinen
Augen unterdrückerische Menschen. Und Verantwortungsträger, die
Schulkindern ihre für die Schule so notwendigen Handys entziehen lassen
und diese auch nach vier Wochen nicht zurückgeben lassen, erachte ich
für unmenschlich. Ich hoffe, dass sie eines Tages ihren eigenen
schweren Fehler erkennen, es bereuen und versuchen wieder gutzumachen,
so weit das dann noch möglich ist.
MM: Sehr geehrter Sayyid Nasser, sehr
geehrte Umm Husain, wir danken für das Interview.
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