MM: Sehr
geehrter Elsadek, zunächst die Frage: Wie ist die aktuelle Corona-Lage
im Iran? Elsadek: Die
Infiziertenzahl hatte bis vor dem Aufkommen von Omikron stark
abgenommen, steigt nun stetig wieder an. Zur Einhaltung der
Gesundheitsprotokolle wird zwar aufgerufen, aber sehr strenge Maßnahmen
wurden seitens der Regierung eher nicht getroffen. Die Maßnahmen werden
von etwa 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung eingehalten.
Sie waren bisher in Deutschland kaum bekannt,
wie es viele in Qom studierende deutschsprachige sind. Wie viele
deutschsprachige schätzen Sie studieren an den Seminaren in Qom?
Elsadek: Laut meiner Informationen sind es
ungefähr 50 Brüder, über die Schwestern habe ich so gut wie keine
Informationen, schätze aber, dass diese ebenfalls ca. 50 sind. Außer
drei Brüder haben alle einen Einwanderer-Hintergrund. Die drei
Originaldeutschen sind Konvertiten.
MM: Wie muss man sich das Studium
vorstellen? Können sie uns einige Einblicke dazu geben?
Elsadek: Wird man an der al-Mustafa
Universität akzeptiert, beherrscht aber die persische Sprache nicht, so
muss man zuerst an einem Sprachlehrgang (6-12 Monate, bei Vorkenntnissen
kürzer) für persische Sprache teilnehmen. Ist die Fachrichtung an der
al-Mustafa Universität gewählt, so beginnt man zunächst für zwei
Semester einen Grundstudiengang. Ab dem dritten steigt man dann in
seinen gewählten Fachbereich ein. Ich selbst wählte die
Kalam-Wissenschaft. Wenn man dies abgeschlossen hat, kann man mit dem
Master-Studium beginnen, unter der Voraussetzung, dass man die
Aufnahme-Prüfung besteht. Ich bestand diese im Bereich der
Kalam-Wissenschaft. Hat man das Master-Studium absolviert, so besteht
die Möglichkeit an einer Aufnahmeprüfung für das Doktorstudium
teilzunehmen.
MM: Wie finanzieren die Studenten, deren
Studium teilweise ein Jahrzehnt dauert, ihr Studium in der Regel?
Elsadek: Sie bekommen von der al-Mustafa
Universität ein Gehalt, das allerdings zumeist nicht für die
Finanzierung des Lebensunterhalts ausreicht, entweder sie werden von
ihrer Familie aus ihrem Heimatland finanziert, bringen erspartes Geld
mit sich oder arbeiten nebenbei.
MM: Die ersten deutschsprachigen
Geistlichen kehren nach Deutschland zurück, aber einige bleiben auch im
Iran. Wie kommt das und was machen sie dann im Iran?
Elsadek: Ich lebe schon seit vielen Jahren
hier im Iran, bin mit einer Iranerin verheiratet und habe eine Tochter.
Mit anderen Worten, Iran ist zu meiner Heimat geworden. Zur Zeit
konzentriere ich mich während meines Studiums auf die Übersetzungsarbeit
von Büchern und auf Aktivitäten im Bereich der sozialen Medien.
Ich stellte diese Frage auch einem Bruder,
ebenfalls Deutscher, ich zitiere ihn: „Ich bleibe in Iran, denn auch
ich habe eine iranische Frau und eine Tochter. Aufgrund meiner
Erfahrungen in Tabligh sehe ich in Iran viel Arbeit. Vor allem sollten
sich die Universitäten und die Hauzas näher kommen. Doch das ist ein
weiter Weg, denn es gibt nur wenige Theologen, die die Sprache der
Universitäten sprechen. Auch ich sehe mich als Deutscher bei Tabligh in
einer besonderen Funktion, denn die Iraner hatten stets eine sehr gute
Beziehung zu Deutschen, was mir die Möglichkeit gibt die Herzen der
Iraner zu gewinnen und so den Islam im Iran zu stärken.“
MM: Welche Gelehrten gehören zu den
beliebtesten in Qom?
Elsadek: Viele von ihnen sind beliebt, wenn
ich aber ein paar Namen nennen soll, dann beispielsweise Ayatollah
Jawadi Amoli, Ayatollah Misbah Yazdi (vor kurzem gestorben), Ayatollah
Makarem, Sayyid Kamal al-Haidari usw.
MM: Wie kam es zu der Idee des
YouTube-Kanals Herz der Spiritualität?
Elsadek: Ungefähr vor zwei Jahren wurde im
iranischen Fernsehen im Monat Ramadan eine Sendung ausgestrahlt mit dem
Titel, „Das Leben nach dem Leben“, in der Personen mit Nahtoderlebnissen
interviewt wurden. Mich persönlich berührten diese geschilderten
Erlebnisse tiefgehend. So entschied ich mich die Interviews auf Deutsch
zu übersetzen und auf einen dann von mir gegründeten You Tube-Kanal
hochzuladen. Auch aufgrunddessen, weil diese Art von Erfahrungen von
Muslimen bisher so gut wie nie veröffentlicht wurden. Ich wollte sie
unbedingt mit anderen deutschsprachigen teilen. Aber dabei blieb es
nicht, denn es gibt soviel schönes und lehrreiches auf persisch, das man
unbedingt auch deutschsprachigen Muslimen näher bringen sollte.
Grundsätzlich geht es um Inhalte spiritueller islamisch schiitischer
Färbung, mögen dadurch auch Nicht-Muslime angezogen werden, so Gott
will.
MM: Wir sehen immer wieder Ausschnitte aus
Lehrstunden, die Imam Chamenei erteilt. Welche Voraussetzung muss man
erfüllen, um an jenen Lehrstunden teilnehmen zu dürfen?
Elsadek: Um an diesen Lehrstunden
teilnehmen zu dürfen, muss man zumindest die Stufe 10 der Hawzah (Paye-ie
dahom, Kefayatain) absolviert haben, also eine gewisse wissenschaftliche
Kompetenz aufweisen.
MM: Die letzten 40 Jahre war Iran das am
übelsten sanktionierte Land der Erde. Das scheint heutzutage durch
Russland eingeholt zu werden. Wie wird die Ukraine-Krise im Iran und
speziell unter den Studenten diskutiert?
Elsadek: Wie dieses Thema unter den
Studenten diskutiert wird, darüber kann ich im Moment nichts sagen, da
ich zur Zeit in dieser Hinsicht nicht viel Kontakt habe. Aber was die
iranische Gesellschaft betrifft, so denke ich mal, dass es grob gesehen
zwei Hauptrichtungen gibt, einmal jene, welche einerseits die
Auslandspolitik der Islamischen Republik Iran im Mittleren Osten
kritisieren und andererseits ihre antirussische Ansicht wegen der
Syrien-Krise bei der Bewertung der Rolle Russlands in der Ukraine
miteinbeziehen und mit dem ukrainischen Volk sympathisieren. Dann gibt
es aber auch jene Richtung, die die Rolle Russlands in der Syrien-Krise
als positiv bewerten und Russlands Aktion im Ukraine Krieg für notwendig
erachten, um Amerika und der Nato entgegenzuwirken, allerdings dem
ukrainischen Volke vollstes Mitleid entgegenbringen. Es gibt natürlich
auch noch andere Ansichten.
MM: Falls jemand in Deutschland einerseits
gerne die Lehre der islamischen Befreiungstheologie studieren möchte
aber andererseits unsicher ist, ob er in das kalte Wasser Iran springen
soll, was empfehlen Sie ihm?
Elsadek: Er soll ohne nachzudenken
springen. Er wird bestimmt aufgefangen werden.
MM: Herr Elsadek, wir danken für das
Interview.
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