Im Namen des Erhabenen  

  Interview mit Prof. von Stosch

 

Muslim-Markt interviewt
Prof. Dr. Klaus von Stosch, Professor für Systematische Theologie und Autor des Buches "Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen"
19.1.2017

Prof. Dr. Klaus von Stosch (Jahrgang 1971) ist in Köln geboren, hat Katholische Theologie, Philosophie und Volkswirtschaft in Bonn und Fribourg studiert. In seiner Promotion an der Universität Bonn 2001 hat er sich mit dem Verhältnis von Glaube und Vernunft in der Spätphilosophie Wittgensteins auseinandergesetzt, in der Habilitation an der Universität Münster 2005 mit dem Handeln Gottes in der Welt. Seit 2008 ist er Professor für Systematische Theologie und Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn, an dessen Gründung er maßgeblich beteiligt war.

Seit etwa 10 Jahren hat er einen Forschungsschwerpunkt in der christlichen Auseinandersetzung mit der islamischen Theologie entwickelt. Er betreut muslimische Doktorandinnen und Doktoranden in der Komparativen Theologie und ist viel in muslimischen Ländern unterwegs, darunter auch ein Forschungsaufenthalt an der University of Religions and Denominations in der iranischen Stadt Qom. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen zählen: Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen (2016), Theodizee (2013) und Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen (2012).

Prof. Stosch ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt in Bonn.

MM: Sehr geehrter Prof. Stosch, worin besteht die Herausforderung Islam für einen Katholiken?

Prof. Stosch: Der Islam konfrontiert Katholiken mit Seiten der eigenen Religion und Spiritualität, die sie gerade in Deutschland gerne vergessen. Er zeigt, dass Glaube nicht nur für den Kopf da ist, sondern mit allen Sinnen gelebt werden will. Glaube hat eben nicht nur mit Innerlichkeit und Gesinnung zu tun, sondern sucht auch eine konkrete Gestalt. Die Ernsthaftigkeit, mit der viele Muslime fasten, beten und pilgern erinnert Katholiken daran, wie sehr auch ihre eigene Spiritualität konkrete rituelle Praxis braucht. Die Schönheit der Rezitation des Korans macht sie darauf aufmerksam, wie wichtig Ästhetik auch in den eigenen sakramentalen Vollzügen ist.

MM: Seit dem Werk "Korankunde für Christen: ein Zugang zum heiligen Buch" von Prof. Paul Schwarzenau und den Bemühungen von Prof. Annemarie Schimmel hat sich kaum ein christlicher Theologe bzw. Theologiewissenschaftler so intensiv mit der Ästhetik des Heiligen Koran beschäftigt wie Sie. Was war Ihre Motivation dazu?

Prof. Stosch: Ich durfte schon früh in meinem Leben Muslime kennen lernen, die ihren Glauben mit großer Aufrichtigkeit und überzeugender Spiritualität leben. Auch in meinem Arbeitsumfeld in Paderborn kooperiere ich mit muslimischen Theologinnen und Theologen, die einfach durch ihre ganze Lebensart Lust auf den Islam machen und zeigen, dass mehr in dieser Religion steckt, als wir durch die gegenwärtige mediale Vermittlung merken. Immer wieder habe ich bei diesen Begegnungen erfahren, wie sehr die Rezitation des Korans im Mittelpunkt muslimischer Spiritualität steht. Der Koran fasziniert auch mich durch seine Schönheit. Als Christ kann ich dieser Schönheitserfahrung Wertschätzung zukommen lassen, ohne damit meinen eigenen Glauben zu relativieren.

MM: Sie werfen die Frage auf, ob nicht auch Christen den Propheten Muhammad als Gesandten Gottes in Betracht ziehen könnten. Wäre das nicht eine Überforderung für Christen?

Prof. Stosch: Letztlich hängt das stark von der Frage ab, wie man den Koran versteht. Denn die Sendung Muhammads hat aus muslimischer Sicht ja erst einmal die Herabsendung des Korans zum Ziel. Ich habe durch intensive Lektüre des Korans immer mehr den Eindruck, dass man ihn auch christlicherseits durchaus als Wort Gottes verstehen kann, also als ein Wort des Gottes Jesu Christi, das auch Christen Entscheidendes zu sagen hat. Wenn man das ernst nimmt, kann man auch Muhammad in einer apostolischen Sendung sehen. Sicher werde ich diese Sendung als Christ dann immer von Christus her lesen und auf ihn hin. Und ich werde von daher auch nicht den Endgültigkeitsanspruch akzeptieren können, der gewöhnlich muslimischerseits mit der Sendung Muhammads verbunden wird. Aber auch als Christ kann ich im Koran und der Sendung Muhammads eine Bereicherung meines Glaubens sehen, wenn ich beide in einer Weise interpretiere, die meinen eigenen Glauben nicht kompromitiert. Und nach vielen Jahren intensiver Forschung habe ich den Eindruck, dass das möglich ist – zumindest wenn man den Wortlaut des Korans ernst nimmt.

MM: Sie haben einmal in einem interessanten Interview zurecht gefordert die Auslegung der Scharia nicht Terroristen zu überlassen. Das ist vor allem Aufgabe der Muslime! Was aber kann die deutsche Wissenschaftslandschaft tun, um eine extrem diskreditierende Missinterpretation des Islam nicht Islamhassern unter Wissenschaftlern zu überlassen?

Prof. Stosch: Die deutsche Wissenschaftslandschaft muss einfach zeigen, wie komplex die Scharia im Islam diskutiert wird. Je mehr wir zeigen, wie vielfältig Muslime denken und wie unterschiedlich die Scharia schon immer verstanden wird, desto deutlicher wird, wie unangebracht es ist, dem Islam mit Pauschalvorwürfen entgegenzutreten.

MM: Sie schreiben in Ihrem Buch: "wenn auch Jesus Christus die einzige Mensch gewordene Gestalt des Logos Gottes ist, schließt das nicht aus, dass im Koran die Schönheit dieses Logos hörbare Wirklichkeit wird". Tatsächlich glauben manche Muslime, wie Sie es in Qom erlebt haben, dass Muhammad die Vollendung dieses Logos ist und der Prophet den Heiligen Koran bestätigt, aber ist Ihre Aussage unabhängig von dem Dialogansatz nicht auch eine Absage an die Dreieinigkeit in ihrer klassischen Form?

Prof. Stosch: Nein, die christliche Lehre von der Dreieinigkeit Gottes setzt ja nicht den Menschen Jesus von Nazaret unvermittelt mit Gott gleich. Vielmehr geht es ihr darum, dass Gott sich in seinem Wort sagt und uns dabei mit seinem Heiligen Geist erfüllt und so die Erkenntnis des Wortes ermöglicht. Christen bekennen, dass dieses Wort in Jesus Christus eine unüberholbare und unüberbietbare Gestalt gefunden hat. Aber dieses Bekenntnis schließt keineswegs die Möglichkeit aus, dass das dasselbe Wort, das in Jesus Christus Mensch geworden ist, auch in der Rezitation des Korans erfahrbare Wirklichkeit wird.

MM: Nach schiitischer Lehre ist Muhammad als bester Mensch absolut fehlerfrei, sündfrei und eben idealer Mensch, sozusagen der ecce home aus der Bibel. Jeder Atemzug, den er atmet, vollzieht er im Namen Gottes und jeder Gedanke ist Gedanke Gottes. Jedes Wort, das er sagt - auch außerhalb des Heiligen Koran - ist ein Wort Gottes. Denn als ultimativer Mensch sieht er mit den Augen Gottes, hört mit den Ohren Gottes, spricht mit der Zunge Gottes usw., selbst wenn Gott erhaben ist über unsere körperlich begrenzte Schilderung. Jeder Mensch ist Träger des ausgeschütteten Geistes Gottes, der sich in der Person von Muhammad vollständig entfaltet, weil dieser sich vollständig hingegeben hat (arabische Stichworte: taslim/islam). In der Lehre der Schia gilt das aber auch für Jesus und für Maria! Wenn man einmal den Aspekt ausklammert, wer der "höher" stehende sei, worin unterscheidet sich dann das Jesusbild, an das Sie glauben von demjenigen dieser Muslime?

Prof. Stosch: Jesus ist für mich nicht nur ein vollkommener Mensch, sondern auch die Selbstaussage Gottes. In ihm erfahre ich definitiv und unüberholbar, wer Gott ist. Durch ihn weiß ich im Leben und im Sterben, dass ich mich definitiv auf die Menschlichkeit von Gottes Liebe verlassen darf. Eine solche Gewähr kann mir kein Mensch geben – auch dann nicht, wenn er noch so vollkommen ist. Letzte Gewissheit, dass Gott uns rettet, kann mir die Begegnung mit Jesus nur geben, wenn er nicht nur ein Geschöpf ist. Für Schiiten sind Jesus, Muhammad und der Koran aber alle nur geschaffener Ausdruck des göttlichen Willens. Das ist mir als Christ zu wenig. In Jesus begegnet mir die ungeschaffene Wirklichkeit Gottes selbst, eben sein schöpferisches Wort und seine vergebende Barmherzigkeit. Das scheint mir eine bleibende Differenz zwischen Islam und Christentum zu sein.

MM: Aus islamischer Sicht sind sowohl Jesus als auch Muhammad gekommen, um den Weg zur unermesslichen Liebe Gottes aufzuzeigen, der sich in der Nächstenliebe widerspiegelt. Das beinhaltete vor allem die Verbrüderung aller Menschen. Welche Verantwortung kann die Theologie in Deutschland in einer Zeit übernehmen, in der offensichtlich viel zu viele Kräfte und Mächte die Menschheit zu spalten suchen?

Prof. Stosch: Die Theologien beider Religionen sollten nach Wegen suchen, die zeigen, wie wir eine Wertschätzung der je anderen Religion gerade da entwickeln können, wo diese anders ist als die eigene. Sicher gibt es auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen. Aber gerade die Unterschiede werden derzeit von fundamentalistischen Kräften genutzt, um die Religionen gegeneinander auszuspielen und einen Kampf der Kulturen zu beschwören. Gerade die Unterschiede sind es, die Islamkritiker nutzen, um zu zeigen, dass der Islam nicht zu Europa gehört, und die der IS benutzt, um zum Mord an Christen aufzurufen. Hier ist es wichtig, dass wir diese Unterschiede nicht kleinreden, aber zugleich zu zeigen versuchen, dass diese Unterschiede einen Wert haben, der uns bereichert. Eben das versuche ich auch in meinem Buch zu zeigen. Und genau so verstehe ich es, wenn der Koran in Sure al-Maida Vers 48 andeutet, dass die Vielfalt unterschiedlicher Glaubenswege im Heilsratschluss Gottes begründet ist.

MM: Was bedeutet das praktisch? Wie wäre es mit einer gemeinsamen christlich-muslimischen Pilgerfahrt nach Fatima in Portugal und Weiterflug von dort zum Arba'in-Marsch von Nadschaf nach Kerbela; Fatima ist immerhin der heiligste muslimische Frauenname und in Kerbela ist auch ein ehemaliger Christ an der Seite der Heiligen zum Märtyrer geworden?

Prof. Stosch: Ich halte nichts davon die Frömmigkeitstraditionen beider Religionen miteinander zu vermischen. Ich kann das, was Muslime tun, auch wertschätzen, ohne es als mein Eigenes zu tun. Aber natürlich ist es möglich, in zeichenhafter Weise durch eine gemeinsame Pilgerfahrt zu zeigen, dass wir gemeinsam unterwegs sind und uns in unserer Sehnsucht nach dem einen Gott gegenseitig begleiten und bereichern können. Von daher könnte die von Ihnen vorgeschlagene Aktion als Zeichenhandlung durchaus sinnvoll sein, nicht aber als regelmäßige Veränderung der Frömmigkeitspraxis.

MM: Auf unserem letzten Arba'in Marsch von Nadschaf nach Kerbela hat ein muslimischer Theologie aus dem Iran uns dazu aufgefordert, dass wir der Minderheit der Christen in Deutschland helfen müssen, Weihnachten wieder als Geburtstag Jesu zu verstehen und nicht als Pilgerfahrt zu einem Konsumtempel oder Geburtstag des Weihnachtsmannes. Was halten sie von der Idee eines gemeinsamen christlich-muslimischen Weihnachtsfestes?

Prof. Stosch: Ein gemeinsames Weihnachtsfest wäre mir wieder zu viel Vermischung. Aber natürlich freue ich mich, wenn Muslime uns Christen helfen, den eigentlichen Wert von Weihnachten zu verteidigen. Und ich finde ich es bereichernd, wenn auch Muslime in ihrer Weise den Geburtstag von Jesus feiern. Das rührt mich – genauso wie mich etwa die Sure Maryam rührt und bewegt. Zeichenhaft kann es auch hier gut tun, unserer gemeinsamen Liebe zu Jesus auch in einer gemeinsamen Feier Ausdruck zu verleihen. Aber letztlich wird Jesus für Christen immer eine viel größere Bedeutung haben als für Muslime, so dass die für sie an Weihnachten Wirklichkeit werdende Menschenfreundlichkeit Gottes etwas bleibt, das sich nur begrenzt interreligiös darstellen lässt.

MM: Welche Projekte planen Sie in naher Zukunft?

Prof. Stosch: Ich arbeite zusammen mit muslimischen Kollegen an einem Buch über Jesus im Koran. Außerdem fahre ich Ende Februar nach Maschhad und Teheran, um dort über muslimische und christliche Wege der Schrifthermeneutik zu diskutieren. Schließlich versuche ich mehr junge Leute auf muslimischer, jüdischer und christlicher Seite zu finden, die mit meinem Team und mir zu komparativen theologischen Themen forschen wollen.

MM: Herr Prof. Stosch, wir danken für das Interview.

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