MM: Sehr
geehrter Herr Duschner, was will und macht Ihr Verein „Freundschaft mit
Valjevo?
Duschner: Wir sind ein lokaler Verein in
der oberbayerischen Kreisstadt Pfaffenhofen. Wir setzen uns für Frieden,
Völkerverständigung und gegen Ausländerfeindlichkeit ein. Als in unserer
Stadt im vergangenen Jahr beispielsweise gegen den Bau einer Moschee
gehetzt wurde, haben wir öffentlich dagegen Stellung bezogen und eine
gut besuchte Informationsveranstaltung mit der islamischen Theologin
Rabeya Müller durchgeführt. Diese Arbeit verbinden wir mit humanitärer
Hilfe für die Opfer von Militärinterventionen und Kriegen. Wir haben
zahlreiche Hilfstransporte durchgeführt, mehrfach Kindern aus dem Irak
eine Operation in bayerischen Krankenhäusern ermöglicht, ehemalige
Zwangsarbeiter unterstützt. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Hilfe
für Flüchtlinge, die bei uns Asyl suchen und in unserer Region
untergebracht sind.
MM: Wie kam es zur Gründung Ihres
Vereins und diesem Engagement?
Duschner: 1999 bombardierten USA und
Nato über mehrere Monate hinweg Jugoslawien. Obwohl unsere Verfassung
und das Völkerrecht Angriffskriege ausdrücklich verbieten, beteiligte
sich die deutsche Regierung an dieser Aggression. Es ging ihr um die
Vormachtstellung auf dem Balkan.Große Teile der Industrie und
Infrastruktur Jugoslawiens wurden zerstört.
Wir waren darüber entsetzt. Wir wollten nicht,
dass Gewaltandrohung und Krieg wieder zu „normalen“ Mitteln deutscher
Außenpolitik werden. Deshalb haben wir 1999 unseren Verein gegründet.
Wir haben beharrlich gegen die Bombardierung Jugoslawiens protestiert
und für die betroffenen Bevölkerung humanitäre Hilfe geleistet. Über
mehrere Jahre hinweg brachten wir in die besonders stark bombardierte
Stadt Valjevo Lebensmitteln, Medikamente, Krankenhausbetten und
medizinische Geräte. Bis heute laden wir jedes Jahr im Sommer eine
Schülergruppe aus Valjevo für eine Woche in unsere Stadt ein.
MM: Und wie
kommt man von Valjevo nach Damaskus?
Duschner:
Der Krieg gegen Jugoslawien war ein „Dammbruch“ für die Nato: Es folgte
2001 die Invasion und Besetzung Afghanistans, 2003 Irak und 2011 Libyen.
Heute ist Syrien in Visier von USA und Nato, möglicherweise anschließend
der Iran. Wir halten diese aggressive Politik der USA und Nato-Staaten
für eine Gefahr für die ganze Menschheit. Sie muss dringend beendet
werden. Unsere Medien behaupten, es ginge USA und Nato in Syrien um mehr
Demokratie, Menschenrechte und bessere Lebensbedingungen für seine
Bevölkerung. Ein Blick auf Saudi-Arabien und Katar, mit denen sich USA
und Nato unter dem verlogenen Namen „Freunde Syriens“ zum Sturz der
syrischen Regierung zusammengeschlossen haben, zeigt, dass dies nicht
wahr ist. Diese beiden Staaten werden von mittelalterlichen Despoten
geführt. Sie kennen im Gegensatz zu Syrien kein frei gewähltes
Parlament, keine Verfassung, keine Versammlungsfreiheit, keine
Frauenrechte, keine Toleranz gegenüber anderen Religionen. Besonders
deutlich wird diese Lüge, wenn wir uns die Wirtschaftssanktionen
ansehen, die USA, EU und die Bundesregierung seit 2011 gegen Syrien
verhängt haben. Mit dieser „Bestrafung“ verfolgen diese „Freunde
Syriens“ erklärtermaßen das Ziel, die Wirtschaft Syriens zum Erliegen zu
bringen, Millionen Syrer arbeitslos zu machen und seine Bevölkerung
auszuhungern. Die Konflikte zwischen den verschiedenen
Bevölkerungsgruppen und religiösen Gemeinschaften sollen auf diese Weise
verschärft werden. Die „Freunde Syriens“ wollen die Not der syrischen
Bevölkerung so lange erhöhen, bis sie sich gegen die eigene Regierung
erhebt und sie stürzt. Das so geschaffene Elend in Syrien soll es zudem
Saudi-Arabien und Katar erleichtern, mit ihren Geldern Kämpfer gegen die
syrische Regierung zu rekrutieren. Die Wahrheit ist: Auch in Syrien geht
es USA und Nato-Staaten ausschließlich um eigene Interessen. Sie möchten
das geostrategisch wichtige Syrien unter die eigene Kontrolle bekommen
und den Zugriff auf seine Bodenschätze erhalten. Russland soll aus dem
Mittelmeer vertrieben, der Iran geschwächt werden. Ihrer Bastion Israel
soll es ermöglicht werden, sich auf Kosten der arabischen Völker weiter
auszudehnen.
MM: Wie
funktionieren diese Wirtschaftssanktionen?
Duschner:
Syrien ist noch ein Entwicklungsland. Den größten Teil seiner Devisen
verdient es durch den Verkauf von Rohöl an Deutschland und die EU. Um
dem Land diese Einkommensmöglichkeit zu nehmen, wurde von EU und der
Bundesregierung 2011 der Import von Rohöl aus Syrien verboten. Zugleich
wurden die Konten des syrischen Staates und der syrischen Unternehmen
„eingefroren“, so dass das Land nicht mehr über sein eigenes Geld
verfügen kann. Syrien hat nur zwei eigene Raffinerien zur Verarbeitung
von Rohöl. Es ist darauf angewiesen, Treibstoff und Heizöl einzukaufen.
Für seine Stromerzeugung braucht es Maschinen und Ersatzteile aus den
Industriestaaten. Ohne Treibstoff und Strom kommen Traktoren und die
Bewässerungsanlagen in der Landwirtschaft, die Lebensmittelversorgung,
Industrie, Handwerk, Handel und Transportwesen zum Erliegen. Genau aus
diesem Grund haben EU und Bundesregierung wie auch die anderen „Freunde
Syriens“ den Verkauf von Treibstoff und Heizöl, von Ausrüstungen und
Technologie zur Förderung von Erdgas und Erdöl und für Kraftwerke zur
Stromgewinnung an Syrien ausdrücklich verboten.
MM: Wie
wirken sich diese Wirtschaftssanktionen aus?
Duschner: In einem Kommentar mit dem
Titel „Wie hart treffen die Sanktionen Syrien“ hat die ARD bereits am
30.8.2011 (!) erläutert, welche Ziele die „Freunde Syriens“
einschließlich der Bundesregierung mit ihren Sanktionen verfolgen. Ich
zitiere: „So treffen die Sanktionen zunächst kleine Leute. Syriens
Handel mit Ländern der Region ist seit Beginn der Krise um 30 bis 40
Prozent gesunken. Ein zumindest zeitweiliger Stopp der bisher rund
eineinhalb Milliarden Euro Einnahmen jährlich aus dem Öl lässt den Staat
aber nicht unberührt. Er muss möglicherweise Leistungen für öffentlich
Beschäftigte kürzen – immerhin 30 Prozent aller Syrer. Und ebenfalls 30
Prozent lebten bereits vor den Protesten unter der Armutsgrenze von
weniger als zwei Dollar am Tag. Öl bleibt da neben Überweisungen von
Auslands-Syrern die wichtigste Einnahme für ein zunehmend isoliertes
Regime. Der kurzfristige Effekt von Sanktionen mag gering ausfallen.
Langfristig könnten fehlende Einnahmen aus dem Verkauf der wichtigsten
syrischen Ressource auch Menschen zum Protest treiben, die bislang loyal
zum System Assad standen oder schwiegen – staatlich Beschäftigte und
erfolgreiche Geschäftsleute.“
MM: Was
bedeutet das für Syrien?
Duschner:
Mittlerweile ist das Sozialprodukt Syriens um weit über 60 Prozent
geschrumpft. Die Hälfte der Syrer sind arbeitslos, ihre Familien ohne
Einkommen. Die Preise sind um über 200 Prozent gestiegen. Im Winter
droht jetzt eine Hungerkatastrophe. Es fehlt an Medikamenten und
medizinischen Geräten. Wegen des Mangels an Treibstoff und Strom,
behandeln viele Krankenhäuser nur noch Notfälle. Bis zu 200.000 Menschen
sollen seit Ausbruch der Kämpfe 2011 durch mangelhafte medizinische
Versorgung gestorben sein. Syrische Wissenschaftler, Ärzte und
Ingenieure, die noch genügend die finanziellen Mittel haben, fliehen ins
Ausland. Syrien blutet aus. Die Sanktionen sind ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. Sie sind ein besonders infames Instrument der
Kriegsführung. Im Irak haben sie in den 90er Jahren nach UN-Angaben
einer Million (!) Menschen das Leben gekostet. Es ist höchste Zeit, dass
wir Druck auf die Parteien und Abgeordneten im Bundestag ausüben und
fordern, die Sanktionen gegen Syrien bedingungslos aufzuheben. Das wäre
ein entscheidender Schritt, die Leiden des syrischen Volkes zu beenden
und ein wichtiger Beitrag für den Frieden.
MM: Die einstmals sehr lautstarke
Friedensbewegung in Deutschland ist trotz der deutschen Unterstützung
für Angriffskriege mehr oder minder verstummt. Welche Ursachen hat das?
Duschner:
In der Tat gibt es bis heute viel zu wenig Protest und Widerstand gegen
die aggressive Politik der NATO. Ich sehe dafür vor allem folgende
Gründe : Einige einflussreiche Vertreter der Friedensbewegung vertreten
die überhebliche Auffassung, alle Völker und Staaten der Welt müssten
die gesellschaftlichen und politische Ordnung Westeuropas übernehmen und
dürften keine eigene Wege gehen. Sie werfen Syrien zudem autoritäre
Strukturen vor, wollen aber nicht sehen, dass solche Strukturen auch
eine Folge der ständigen Bedrohungen und Angriffe durch die USA und
Israel sind. Demokratie und eine breite Mitwirkung der Bürger am
politischen Leben erfordern Sicherheit und Frieden. Statt für eine
Beendigung der aggressiven Politik gegen Syrien, für eine bedingungslose
Rückgabe der Golanhöhen und Sicherheitsgarantien für das Land zu
kämpfen, propagieren sie Seite an Seite von USA und NATO den politischen
Umsturz in Damaskus. Sie lehnen die Militärinterventionen ab, aber nur,
weil sie den Umsturz mit anderen Mittel erreichen möchten. Diese Leute
lähmen die Friedensbewegung. Wer dagegen ehrlich für ein friedliches
Zusammenleben ist, der muss das Selbstbestimmungsrecht anderer Völker
respektieren und jede Form der Erpressung und Kriegsdrohung konsequent
ablehnen und bekämpfen. Dabei wäre es möglich, eine Solidaritätsbewegung
für das syrische Volk aufzubauen.
MM: .. und wie ..?
Duschner:
Die breite Mehrheit unserer Bevölkerung ist unverändert entschieden
gegen militärische Interventionen und Kriege. Ihr ist nur nicht bewusst,
dass die Bundesregierung an der Seite der USA, der Kolonialmächte
Großbritannien und Frankreich, der Türkei, von Saudi-Arabien und Katar
versteckt Krieg gegen Syrien führt. Die „Freunde Syriens“ betreiben in
ihrem Kampf gegen Syrien eine Art Arbeitsteilung: Während Länder wie
Katar und Saudi-Arabien fanatisierte Aufständische und Söldner
finanzieren, bewaffnen und nach Syrien einschleusen, konzentrieren sich
Bundesregierung und EU auf die Wirtschaftssanktionen. Viele unserer
Bürger würden gegen eine direkte Militärintervention auf die Straßen
gehen. Ihnen ist noch nicht bewusst, dass die Sanktionen der
Bundesregierung und der EU auf das Aushungern des syrischen Volkes
zielen und eine mindestens genauso grausame Form der Kriegsführung
darstellen. Wenn es uns gelingt, der deutschen Bevölkerung das zu
erläutern, werden wir ihre Unterstützung bekommen. Eine bundesweite
Unterschriftensammlung für die Aufhebung der Sanktionen wäre dafür ein
gutes Mittel.
MM: Haben Sie ein aktuelles Projekt?
Duschner: Ja.. Aktuell sammeln wir Spenden, um
einem 18 Monate alten Kind aus der syrischenStadt Almeida die notwendige
Behandlung in Deutschland zu ermöglichen. Verwandte haben uns um Hilfe
gebeten. Der Junge heißt Ayaz und leidet seit seiner Geburt an einem
lebensbedrohenden Herzfehler, der Fallotschen Tetralogie. Er bekommt
nicht genug Sauerstoff. Um sein Leben zu retten, muss Ayaz dringend
operiert werden. Das ist heute wegen der Sanktionen und Kämpfe in Syrien
nicht möglich. Wir haben in der ganzen Stadt Pfaffenhofen Plakate mit
dem Spendenaufruf aufgestellt, in vielen unserer Kindergärten und
Geschäften wird für das Kind gesammelt. Mittlerweile haben wir rund die
Hälfte der benötigten 24.000 EUR zusammen, brauchen also noch Spenden.
Wir wollen mit dieser humanitären Hilfe aber nicht nur diesem einen Kind
und seiner Familie helfen, sondern auch ein Zeichen unserer
Verbundenheit mit dem syrischen Volk und für den Frieden setzen. Gerade
die Kinder leiden bekanntlich am meisten unter dem Krieg und den
Auswirkungen der unmenschlichen Sanktionen. Diese Aktion ermöglicht es
uns, mit vielen Bürgern über die Situation in Syrien ins Gespräch zu
kommen und die Mitverantwortung der deutschen Regierung an dieser
humanitären Katastrophe deutlich zu machen. Die Sanktionen müssen
fallen, damit alle Kinder in Syrien wieder wieder die notwendige
Versorgung erhalten können. Das wollen wir mit unserer Hilfe für Ayaz in
der Öffentlichkeit deutlich machen. Euere Leser bitten wir, mitzuhelfen,
damit wir Ayaz bald geholt und operiert werden kann. (Spendenkonto siehe
www.Freundschaft mit Valjevo e.V. oder Freundschaft mit Valjevo
8011991, BLZ 721 516 50, Stichwort "Hilfe für Ayaz")
MM: Herr Duschner, wir danken für das
Interview. |