MM: Sehr
geehrter Herr Guilliard, sie sind seit Ihrer Studentenzeit in der
Friedensbewegung aktiv, wie haben Sie Ihre damaligen Ideale, die viele
mit Ihnen geteilt haben, über eine so lange Zeit bewahren, während viele
andere "abgesprungen" sind? Was motiviert Sie heute noch?
Guilliard: Nun, das Engagement gegen die
Kriege, Kriegsvorbereitungen und Interventionen der westlichen Staaten,
allen voran natürlich der USA, war für mich immer selbstverständlich.
Wir hier in Deutschland tragen schließlich eine Mitverantwortung für
das, was unser Land und seine engsten Verbündeten in der Welt anrichten.
Die Zahl der Nationen, die von deren verbrecherischen Politik betroffen
sind, hat seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ja noch stark
zugenommen. In immer schnellerer Folge werden seither Länder
angegriffen. Wenn ich sehe, welches Unheil über die Menschen
Jugoslawiens, Iraks, Libyens etc. gebracht wurde, brauche ich keine
besondere Motivation. Auch wenn es zeitweise sehr deprimierend ist, zu
sehen, wie die Antikriegsbewegung, die Proteste dagegen im gleichen Maß,
wie die Kriege zunehmen, schwächer werden.
MM: Seit 1993 engagieren sie sich im
Verein "Cuba Solidarität Heidelberg" gegen die Hegemonialansprüche der
USA. Was hat sich in den letzten 20 Jahren geändert?
Guilliard: Wir haben den Verein
gegründet, als Kuba in eine extrem schwierige Situation geraden war.
Nach dem Wegfall seiner Handelspartner in Osteuropa und der Sowjetunion
entfaltete das von den USA seit 1961 praktizierte totale Embargo gegen
die Karibikinsel eine verheerende Wirkung. Überall herrschte nun Mangel,
u.a. auch im an sich vorbildlichen Gesundheitssystem oder im
öffentlichen Personenverkehr. Wir konnten ein klein wenig zur
Überwindung der Probleme beitragen, indem wir z.B. rund 100 Container
mit Medikamenten und Krankenhausmaterial beluden, die bei der Auflösung
der Zivilschutzeinrichtungen des Bundes frei wurden oder durch 30
Omnibusse aus den Beständen der ehemaligen Verkehrsbetriebe der DDR die
wir mit Unterstützung der örtlichen Gewerkschaften sehr günstig besorgen
konnte.
Die Situation in Kuba hat sich seither deutlich
entspannt. Hinzu kam die erfreuliche Entwicklung in vielen anderen
lateinamerikanischen Ländern, wo sukzessive fortschrittliche Kräfte die
Regierung übernahmen, allen voran natürlich in Venezuela mit Hugo Chavez
an der Spitze. Das standhaft gebliebene Kuba spielte dabei eine wichtige
Rolle. Indem sich diese Länder mit Kuba zusammenschlossen haben, ist die
Insel nun nicht nur gut in Lateinamerika integriert, es konnte so auch
der Einfluss der USA in ihrem einstigen „Hinterhof“ insgesamt stark
zurückgedrängt werden. Überall zeigt sich, welche
Entwicklungsmöglichkeiten Länder haben, wenn sie sich die
Verfügungsgewalt über ihre Ressourcen zurückholen und einen
eigenständigen, an nationalen Interessen ausgerichteten Weg gehen.
MM: Sie sind Koordinator des deutschen
Zweigs der internationalen Irak-Tribunal-Bewegung. Müsste jenes Tribunal
nicht inzwischen auf fast alle führenden Staatsoberhäupter der
Westlichen Welt ausgeweitet werden angesichts der seither initiierten
und geführten Kriege?
Guilliard: Natürlich, man müsste im
Grunde für jeden dieser Kriege solche Tribunale abhalten. Es gab auch
bereits eine Reihe weiterer. So gab es vor den Irak-Tribunalen schon
internationale Tribunale über den Jugoslawienkrieg, bei dem u.a. Gerhard
Schröder und Joseph Fischer des Führens eines Angriffskrieges schuldig
gesprochen wurden. Es wurden auch Tribunale zu Afghanistan durchgeführt,
allerdings nicht in dem Umfang und der internationalen Breite wie die
zum Irak, und es gab Bestrebungen den Nato-Krieg gegen Libyen in
Tribunalen zu untersuchen. Letztere fanden aber leider keine Resonanz in
der Antikriegsbewegung der Nato-Staaten, obwohl sie in diesem Fall
besonders nötig gewesen wären.
MM: Was ist der Sinn solcher Tribunale?
Guilliard: Sinn und Zweck solcher
Tribunalen ist weniger das Fällen von markigen Schuldsprüchen gegen
Staatsoberhäupter, die letztlich doch nur symbolischen Charakter haben,
sondern eine sorgfältige Aufarbeitung und Dokumentation der Kriege,
ihrer Hintergründe und Motive, wie auch der Verbrechen im Krieg und das
Ausmaß der Zerstörungen, die Zahl der Opfer etc.. Es geht sowohl darum,
durch intensive Recherchen und durch Anhörung von Zeugen und Experten
sich innerhalb der Friedens- und Solidaritätsbewegung selbst Klarheit zu
verschaffen – hier haperte es ja z.B. im Fall Libyen sehr – als auch
Aufklärungsarbeit für eine breitere Öffentlichkeit zu leisten.
Schließlich sollten wie die Geschichtsschreibung nicht einfach den
Herrschenden überlassen.
MM: Sie schreiben für "linke" Medien
nebenberuflich als Journalist. Die Linke Bewegung ist die einzige
verbliebene noch zahlenmäßig wahrnehmbare Bewegung im Land, die sich
glaubhaft gegen Kriegseinsätze engagiert. Dennoch muss die Bewegung
bezogen auf ganz Deutschland als Minderheit bezeichnet werden. Wie
erklären Sie sich das. Glauben Sie, dass die deutsche Bevölkerung nach
zwei Weltkriegen nicht dazugelernt hat?
Guilliard: Nun, die deutsche Bevölkerung
zeigt an sich nach wie vor erfreulich wenig Kriegsbegeisterung. Egal ob
es um den Afghanistankrieg, den Irakkrieg oder die Beteiligung an einer
militärischen Intervention in Syrien geht, sprachen oder sprechen sich
gut zwei Drittel dagegen aus – und dies trotz der geballten Propaganda
durch Politik und Medien, die manchmal geradezu gleichgeschaltet wirken.
Was sehr stark nachgelassen hat, ist die Bereitschaft, sich aktiv
dagegen zu engagieren, dafür auf die Straße zu gehen, Veranstaltungen zu
machen, Unterschriften zu sammeln etc..
MM: Wie erklären Sie sich das?
Guilliard: Das hat meines Erachtens
mehrere Gründe. Einer ist sicherlich die Berichterstattung. Auch wenn
man damit nur bei einer Minderheit Zustimmung für Kriegseinsätze
gewinnen kann, so wirken die dadurch geschaffenen – und meist wenig
hinterfragten Feindbilder – doch stark demobilisierend: Hinter der
übergroßen Projektion eines personalisierten „Bösen“ – dem Tyrannen,
Diktator etc. – verschwindet die Bevölkerung und die gesellschaftliche
Vielschichtigkeit des betroffenen Landes. Die meisten Leute wollen zwar
keinen Krieg, möchten aber auch nicht als Sympathisant des jeweiligen
„Schurken“ erscheinen, sei es Milosevic, Gaddafi oder nun Assad.
Hinzu kommt bei Vielen noch ein erstaunlich
kurzes Gedächtnis: Auch wenn die Begründungen der letzten Kriege nur
wenige Jahre zuvor sich als haltlos erwiesen haben, werden die neuen
wieder zu einem guten Teil geglaubt. Gegen jede historische Erfahrung
glauben z.B. auch viele Linke, dass die NATO-Staaten in Syrien
ausnahmsweise auf der richtigen Seite stehen und sich für einen
fortschrittlichen, demokratischen Wandel engagieren.
Zur Bereitschaft für ein Engagement benötigen
die meisten Linken zudem eine „gute Seite“, mit der sie sich
identifizieren können, so wie mit den Befreiungsbewegungen früher in
Vietnam oder Mittelamerika. Das Schicksal der betroffenen Menschen
allein motiviert leider nur Wenige, um solidarisch zu sein, insbesondere
wenn es sich um Länder und Kulturen in Asien und Afrika handelt, die
ihnen fremd und weit weg erscheinen.
Dies umso mehr, als die westlichen Regierungen
und Armeen aus den Indochina-Kriegen der USA gelernt haben und seither
dafür sorgen, dass keine Bilder und Dokumentationen der Folgen des
Krieges, keine Aufnahmen von Bombenopfern, zerstörten Stadtteilen etc.
Mitgefühl und Empörung wecken können. – So sahen wir keine
entsprechenden Bilder oder Filmaufnahmen aus Afghanistan, keine aus dem
Irak und keine aus Libyen. Niemand erhält beispielsweise durch die
Medien den Eindruck, in Afghanistan würde ein richtiger Krieg geführt,
mit umfangreichen Zerstörungen in den betroffenen Gebieten, wie sie
ältere Deutsche noch kennen, und Zigtausenden Toten.
Hinzu kommt vermutlich auch eine gewisse
Abstumpfung, nachdem NATO-Staaten in den letzten 14 Jahren einen Krieg
nach dem anderen begonnen haben sowie das Gefühl der Machtlosigkeit, da
selbst die große weltweite Protestwelle vor dem Überfall auf den Irak
2003 den Krieg keine Sekunde verzögern konnte.
MM: Ja glauben denn die heutigen
"Idealisten", dass es ein Kinderspiel ist, gegen Kriegstreiber zu
agieren?
Guilliard: Es ist für Viele auf jeden
Fall einfacher und wohl auch befriedigender sich gegen greifbarere
Missstände zu engagieren, wie z.B. Atomkraftwerke oder unsinnige
Bauprojekte, wo man direkt vor Ort protestieren und mit Blockaden und
Ähnlichem direkt störend eingreifen kann.
MM: Zurück zu Syrien: Wenn die heutige
Linke schon nicht erkennt, welches die "gute Seite" ist, warum erkennt
sie denn zumindest nicht, dass ein Bündnis aus USA, Israel, Saudis und
Qataris in jedem Fall die verbrecherische Seite ist?
Guilliard: Eine gute Frage. Es beginnt
wohl schon damit, dass die Linken und Linksliberalen hierzulande, die
den Teil der syrischen Opposition unterstützen, der für einen Umsturz
kämpft, eine ganz andere Wahrnehmung der Situation haben. Wer Beiträge
dieser Leute in Zeitschriften wie marx21 oder der taz über
Syrien liest, der hat den Eindruck, es muss noch ein zweites Land mit
dem Namen geben. Geradezu trotzig werden die unterstützten Gruppierungen
zur dominierenden Kraft auf Seiten der Assad-Gegner stilisiert, die
wacker ihre „Revolution“ vorantreiben. Die Rolle der bewaffneten
radikalen und sektiererischen islamistischen Gruppen, der Anteil
ausländischer Kämpfer und deren Terror werden klein geredet, wie auch
die des von Ihnen erwähnten Aggressionsbündnisses.
Falls die Intervention der Nato-Staaten –
besonders zu erwähnen sind hier ja noch Frankreich, England und die
Türkei – überhaupt kritisiert wird, dann weit weniger als die gegen
diese Intervention gerichtete Politik Russlands. Dabei handelt die
russische Regierung, auch wenn sie natürlich auch ihre nationalen
Interessen verfolgt, völlig im Einklang mit dem internationalem Recht
und dem ursprünglichen Geist der UNO und engagierte sich von Anfang an
ernsthaft für eine Verhandlungslösung – ganz im Gegensatz zum westlichen
Bündnis.
Andere sehen zwar die verbrecherische Rolle der
Nato-Staaten und der Golfmonarchen deutlicher, machen aber dennoch
hauptsächlich die Assad-Regierung für den Krieg und die Not im Lande
verantwortlich. Sie glauben, man könne auch in einer solch zugespitzten
Situation, mitten in einem mörderischen Krieg einen dritten Weg gehen –
die Änderung der Machtverhältnisse durch eine gewaltfreie Opposition.
Und dies parallel zur „Regime Change“-Agenda der bewaffneten
Regierungsgegnern und deren ausländische Sponsoren. Diese Haltung, sich
gleichzeitig gegen die imperialistische Aggression wie auch gegen die
Regierung des angegriffen Landes zu engagieren, ist nicht neu. Sie war
unter anderem auch im Falle des Iraks sehr präsent, wo einige Linken,
angetrieben von der dubiosen irakischen „kommunistischen Partei“, selbst
die Forderung nach einem bedingungslosen Ende des mörderischen Embargos
zu weit ging, da man damit Saddam Hussein unterstütze.
MM: Seit 2009 betreiben Sie ihren Blog
"Nachgetragen". Was hat Sie dazu bewegt, einen eigenen Bog zu eröffnen?
Guilliard: Ich habe auch zuvor schon
Zusammenfassungen von Artikeln oder sonstige Informationen, Kommentare,
Anmerkungen etc. über Email-Verteiler verschickt oder anderen Webseiten
zur Verfügung gestellt. Aus manchem, was ich mir so oder auch nur für
mich notiert hatte, wurden später richtige Artikel, anderes blieb
liegen. Der Blog ist für mich eine gute Möglichkeit Gedanken,
Informationen schneller unter die Leute zu bringen, ohne den Anspruch an
Form, Vollständigkeit etc., den man an einen richtigen Artikel hat.
Durch die Möglichkeit per Links auf Quellen zu
verweisen kann man durch Blog-Einträge, Leute animieren selbst weiter
nachzurecherchieren. Niemand ist genötigt das geschriebene zu glauben
oder nicht, sondern sich ein eigenes Urteil zu bilden – das finde ich
das Gute an Blogs.
MM: Schließen wir den Kreis: Was
motiviert Sie heute noch - trotz schwierigerem Umfeld - weiterzumachen
im Widerstand gegen Unterdrückung?
Guilliard: Man kann sich das Umfeld ja
nicht raussuchen, sondern muss schauen, wo und wie man jeweils am
sinnvollsten und wirksamsten etwas tun kann. Wenn ich z.B. sehe, mit
welch dreisten Lügen im Fall Syrien der Krieg immer weiter eskaliert
wird, wie Israel weiterhin aus Deutschland Unterstützung für seine
aggressive Besatzungs- und Apartheidpolitik erhält oder wie auf Druck
der deutsche Regierung die Menschen in Griechenland, Spanien und
Portugal ins Elend gestürzt werden, so brauche ich mir um Motivation
keine Gedanken zu machen.
Es gibt ja durchaus auch immer wieder kleinere
Erfolge und wenn auch die direkten Erfolge selten sind, so können wir,
nicht zuletzt auch mit Hilfe der neuen Medien, durchaus korrigierend
wirken.
MM: Herr Guillard, vielen Dank für das
Interview. |