MM: Sehr
geehrter Herr Pater Nennstiel. Beginnen wir mit einer persönlichen
Frage: Wie und warum haben Sie sich entschieden dem Dominikaner-Orden
beizutreten und katholischer Priester zu werden?
Pater Nennstiel: Ich habe an der
Universität Köln Philosophie und Geschichte studiert. Im Bereich der
mittelalterlichen Philosophie habe ich dann Thomas von Aquin und auch
Albertus Magnus kennengelernt. Ich war fasziniert von ihrem Denken und
auch von ihrer Offenheit im Denken. Albertus Magnus hat sich
mit Aristoteles beschäftigt, aber auch mit Avicenna und Averroes. Er
hat der mittelalterlichen Philosophie und Theologie neue Wege
geöffnet, indem er gezeigt hat, dass Glaube und Vernunft keine
Widersprüche sind, sondern erst zusammen den Menschen in die Wahrheit
führen. Er hatte großen Einfluss auf Thomas von Aquin und war auch
sein Lehrer.
Das Grab des Heiligen Albertus befindet sich in
Köln in der Kirche St. Andreas. Bei einem Besuch habe ich die
Dominikaner kennengelernt. Auch Albertus und Thomas waren Dominikaner.
Ich habe dann dort die Heilige Messe besucht und auch eine Bibelgruppe.
Dann habe ich mich genauer mit dem Ordensleben und besonders mit den
Dominikanern beschäftigt und habe gespürt, dass mich das Ordensleben
immer mehr angezogen hat. „Semper studere“ (immer studieren/lernen) ist
das Motto des Ordens. Immer tiefer einzudringen in die Wahrheit, die
unendliche Wahrheit die Gott ist.
Hinzu kommen das fünfmalige Gebet am Tag, die
Predigt und die Meditation. Ganz für Gott und die Menschen leben. Daher
habe ich mich entschlossen in den Dominikanerorden einzutreten und
Priester zu werden. Nach 3 Jahren der Prüfung habe ich die feierlichen
Ordensgelübde abgelegt und wurde nach Abschluss des Theologiestudiums
zum Priester geweiht.
MM: Was sind Ihre Aufgaben als
Islambeauftragter und wie kamen Sie dazu sich mit dem Islam zu
beschäftigen?
Pater Nennstiel: Als Islambeauftragter
des Erzbistums Hamburg halte ich den Kontakt zu den verschieden
islamischen Moscheen und Organisationen. Ich erkläre die Position der
Katholischen Kirche zu verschieden Fragen und versuche in Gesprächen
auch die Positionen der verschiedenen islamischen Gruppen
kennenzulernen. Auch die Frage nach Problemen der muslimischen
Gläubigen in der Gesellschaft ist notwendig. Gibt es Möglichkeiten
Lösungen zu finden? Wo liegen gemeinsame Interessen? Können wir
voneinander lernen?
Als ich vor ca. 12 Jahren das erste Mal in
Istanbul war, habe ich im Dominikanerkloster in Galata/Beyoglu gewohnt.
Die Dominikaner sind seit 1228 in Istanbul. Ich war sofort begeistert
von der Stadt und den Menschen. Meine Besuche in den Moscheen haben mir
die tiefe religiöse Dimension dieser Bauwerke vermittelt. Orte des
Gebetes, der Meditation und der Hingabe an Gott. Ich wollte mehr über
den Islam erfahren. So habe ich mich mit dem Islam beschäftigt. Die
theologische Tiefe und Ernsthaftigkeit der Suche nach Gott in der
islamischen Theologie fordert mich immer wieder heraus. Gerade der
Sufismus ist der christlichen Mystik ähnlich. Die Versenkung in das
unergründliche Mysterium Gottes, in dem der Mensch seine Geschöpflichkeit, aber auch seine
Begrenztheit kennenlernt, die getragen
wird von der unendlichen Liebe und Zuwendung Gottes zu seinen
Geschöpfen. Theologie führt den Menschen an den Kern seines Wesen und
damit zu Gott. Diese Faszination, die von Gott ausgeht, müssen die
Religionen den Menschen aufzeigen. Und diese Faszination ist auch in der
islamischen Theologie greifbar und daher fruchtbar für Christen.
Bei meinen Besuchen in Kairo konnte ich meine
Kenntnisse über den Islam und seine Geschichte erweitern. Die lange
wechselvolle Geschichte ist hier greifbar. Auch die Gegenwart des
Religiösen, die Gebete der Gläubigen und die Andacht in den Moscheen
haben mich beeindruckt. Geschichte, Gegenwart und Zukunft fließen
zusammen.
MM: Hierzulande ist oft vom Gegensatz
von Muslimen und Christen die Rede. Als praktizierender Muslim in
Deutschland hat man aber das Gefühl, dass es kaum vergleichbar
praktizierende Christen gibt, dass der Anteil der "Kulturchristen" viel
größer ist, als bei Muslimen, dass man es als Muslim also eher selten
mit Christen im eigentlichen Sinne zutun hat. Ist dies nur auf die
Perspektive zurückzuführen oder sehen Sie da auch signifikante
Unterschiede in der Religiösität in Deutschland?
Pater Nennstiel: Ich glaube, dass dies
eher auf die Perspektive zurückzuführen ist. In meiner Zeit in den
katholischen Gemeinden St. Paulus und St. Stephanus in Hamburg habe
ich viele praktizierende Christen kennengelernt. Menschen, die vom
Glauben an Christus erfüllt waren und versucht haben diesen Glauben in
ihren Leben umzusetzen. Allerdings sind auch Katholiken eine
Minderheit in Hamburg. Aber ohne Frage kann man gelegentlich eine
gewisse Scheu bei Katholiken feststellen, ihren Glauben offen zu
bekennen. Das liegt zum Teil am säkularen Umfeld in dem sie leben und
in dem Glauben als etwas Rückständiges gesehen wird. „Wie kann man
heute noch glauben?“ Dies geht oft einher mit dem Lächerlich machen
von religiösen Inhalten. Über Gott und die Religionen zu lästern ist
kein Tabu mehr. Dies schafft ein Klima, in dem das Glaubenszeugnis
nicht immer einfach ist. Papst Benedikt XVI. hat ein Jahr des Glaubens
ausgerufen. Dies sollte uns Katholiken Ansporn sein, den Glauben offen
zu bekennen und sichtbar zu machen.
Mir stellt sich die Frage ob es nicht auch
ähnliche Tendenzen im Islam gibt. Werden nicht auch Muslime von den
Tendenzen einer säkularisierten Gesellschaft erfasst?
MM: Warum scheint Christen in
Deutschland die extreme Beleidigung christlicher Heiligkeiten, ob in
Filmen oder Büchern, nahezu gleichgültig zu sein, oder täuscht das?
Pater Nennstiel: Dies täuscht nicht! Wir
haben uns leider daran gewöhnt, dass unter dem Deckmantel der Kunst
oder der Meinungsfreiheit Beleidigungen des christlichen Glaubens
stattfinden. Man will ja als offen, modern und tolerant erscheinen und
wehrt sich nur bedingt. In der heutigen „Comedy Kultur“ des TVs kann
alles lächerlich gemacht werden, je gröber je besser. Einschaltquote
ist das Wichtigste. Wir merken gar nicht, wie diese Banalisierung und
Kommerzialisierung der Welt die Würde des Menschen unterhöhlt.
Lächerlich machen gehört zum Alltag. Aber wo es keine Grenzen mehr
gibt, steht alles zur Disposition.
MM: Fragt man nach den Unterschiedenen
zwischen den Buchreligionen, und den teils sehr gegensätzlichen
Auffassungen, etwa zur Anerkennung von Propheten, oder zum Monotheismus,
so wird oft auf verschiedene Zuwendungen zu Gott, verschiedene Seiten
von Medaillen à la Ringparabel verwiesen. Aber ist das wirklich ehrlich,
glauben religiöse Menschen nicht eigentlich sie selbst hätten "recht",
würden also die "wahre Religion" tatsächlich befolgen, oder dies
wenigstens versuchen, während die anderen weniger ideale Zugänge gewählt
hätten?
Pater Nennstiel: In der Religion geht es
um die Wahrheit, die Gott selbst ist. Man kann die Frage nach der
Wahrheit einer Religion also nicht zur Seite schieben und alle
Religionen gleich machen. Hätte Gott gewollt, dass es nur eine
Religion gäbe, hätte er nur eine „geschaffen“. Also liegt auch in der
Verschiedenheit etwas, dem man nachgehen muss und das einen Sinn hat.
Wir Christen glauben, dass Gott in Jesus Mensch
geworden ist und wir glauben an den Dreieinen Gott Vater, Sohn und
Heiliger Geist. Die Vorstellung der Inkarnation und der Trinität (aber
auch andere Inhalte) sind für Muslime Glaubensinhalte, die sie nicht
teilen können. Das Gottesbild ist unterschiedlich.
Aber wie offenbart sich Gott in seiner
Hinwendung zu den Menschen? Sowohl im Islam wie im Christentum offenbart
er sich als barmherziger Schöpfer, der sich den Menschen in Liebe
zuwendet. Die Menschen sind seine Geschöpfe und haben damit eine Würde,
die nicht aus ihnen selbst stammt, sondern von Gott kommt. Gott zeigt im
Menschen, in jedem Menschen unabhängig von Religion, Nation oder
Geschlecht seinen liebenden Schöpfungswillen. Dass der Mensch Geschöpf
Gottes ist vereint Christen und Muslime! Und uns vereint der Glaube an
die von Gott geschenkte menschliche Würde. Glaubhafte Zeugen der
Religion werden wir durch die Glaubens- und Lebenspraxis. Respektieren
wir diese Würde des Menschen?
Ich glaube, dass wir diesen Aspekt in den Blick
nehmen sollten. Die Frage nach der Wahrheit der Religion ist
unabdingbar, aber sie sollte uns nicht trennen. Ziel des
christich-islamischen Dialoges kann es nicht sein, eine Religion zu
schaffen oder die Unterschiede zu leugnen. Es gibt grundlegende
Unterschiede. Aber suchen wir nicht alle den Weg zum Schöpfer? Und ehren
wir nicht den Schöpfer indem wir seine Geschöpfe ehren?
Christen und Muslime müssen trotz der
Glaubensunterschiede zusammenarbeiten für eine Welt, in der die
menschliche Würde kein leeres Wort ist. Da haben wir beide Defizite und
sollten uns gegenseitig anspornen.
Papst Benedikt XVI. hat von den Muslimen als
unseren Geschwistern gesprochen. Er verweist auf die gemeinsame Aufgabe,
die wir Gläubigen haben.
Respekt vor der anderen Religion, setzt voraus,
dass man sich mit der anderen Religion beschäftigt. Aber man entdeckt
zugleich das eigene neu, gereinigt. Wenn wir die Religion reinigen,
befreien von falschen Vorstellungen, sind wir auf einem Weg, der uns
nicht trennt, sondern in der Sorge um Gott und die Menschen verbindet.
Wir neigen dazu, nur das zu sehen, was uns
trennt. Wir müssen sehen was uns auch in der Geschichte verbunden hat.
Für den Hl. Thomas von Aquin war Averroes der Kommentator, den er für
unablässig hielt, um Aristoteles zu verstehen. Wir müssen die Furcht
voreinander überwinden und erkennen, dass wir voneinander lernen können.
Ich hatte vor einem Jahr Gäste aus der heiligen
Stadt (Qom) Ghom (Iran). Professoren und Studenten der Theologie und
Religionswissenschaften. Bei ihnen habe ich die Neugier, diese Suche
nach Gott und der Wahrheit gespürt. Die lange Geschichte und Tradition
der Gelehrsamkeit des Iran war greifbar. Der Wunsch das Christentum
kennenzulernen, um in einen fruchtbaren Dialog zu treten.
Ohne Berührungsängste gegenseitig voneinander
lernen, das ist mein Wunsch. Kein Verschweigen von dem, was uns trennt.
Aber versuchen, Brücken zu bauen zu Ehren unseres Schöpfers.
MM: Pater Nennstiel, vielen Dank für das
Interview!
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