MM: Sehr
geehrter Herr Lange, in Ihrem bereits 2004 erschienen Buch weisen Sie an
verschiedenen Beispielen nach, wie Muslime in der mittelalterlichen
Kirchenkunst "entmenschlicht" dargestellt wurden. Was war die Motivation
zu Ihrer Forschung?
Dr. Lange: Ich kannte von Abbildungen in Büchern
eine Skulptur, die, wie mir schien, Muslime darstellte. Neugierig
geworden, wollte ich mir alte Kirchen ansehen, was ich noch nie gemacht
hatte. Es gelang auch (1989), die Kulturstiftung von Herrn I. P.
Reemtsma für mein Projekt zu gewinnen. Dann traf ich ganz unvorbereitet
in Südfrankreich und Nordspanien auf diese Skulpturen, fotografierte
sie, ohne noch zu wissen, wen oder was sie darstellten. Meine naive
Suche nach Auskunft in der Fachliteratur sollte bald darauf zeigen,
dass die wissenschaftliche Literatur methodisch Pornographisches und
Gewalttätiges übergeht, somit eine moralisierende, "christliche"
Wissenschaft war. In den Texten wurde manchmal behauptet, an solchen
Skulpturen hätten Anfänger ihr Handwerk gelernt; manchmal sprachen sie
auch vom Karneval oder vom Österlichen Lachen. Konsens blieb jedoch,
diese Skulpturen seien apotropäisch, hätten Dämonen von Christen
fernzuhalten gehabt, obwohl sie kurz nach dem ausgebliebenen
Weltuntergang im Jahr 1000 n.Chr. entstanden waren. Nach drei
Forschungsjahren war jede Fremdfinanzierung zu Ende. Seitdem finanziere
ich das Projekt selbst mit Hilfe von Freunden. Ich habe keine
Professur, habe sie weder angestrebt noch wurde sie mir angeboten. Was
ich sage, ist oft neu und untersteht dem Copyright. Ich versuche, wenig
zu wiederholen. Mein Arbeits- und Forschungsplatz ist ein erweitertes,
unberechenbares Künstleratelier.
Kurz: Motivation für meine Untersuchung war die
Faszination durch diese auch mir rätselhaften Kirchenskulpturen, von
denen die meisten nichts wissen (wollten). Als Religionswissenschaftler
hat mich zudem der desolate Informations- und Forschungszustand
interessiert.
MM: Wo kann ein Besucher deutscher Kirchen
deutliche Beispiele Ihrer Erkenntnisse finden? Worauf muss er beim
Besuch historischer Kirchen achten?
Dr. Lange: Da die Kreuzzüge von französischen
Cluniazensern und deren Päpsten parallel zu einer Kirchenreform
konzipiert wurden - der Erste wurde 1095 in Frankreich ausgerufen -,
entstand konsequenterweise der bildliche Antiislamismus in Frankreich
(Dijon); die gegen den Islam kämpfende spanische Reconquistakirche kam
bald hinzu. In der frühen Skulptur Deutschlands spielt der
bildliche Antiislamismus kaum eine Rolle, obwohl die Ottonik durchaus
eine Avantgarde politisch umfunktionierter religiöser Kunst war. Doch
die in Stein gegen den Islam entwickelte Bilderschrift hatte in
Deutschland eine gewandelte Fortsetzung: Nach dem Prototyp des
Antiislamismus entstehen nun Bilder im Dienst von Anti-Semitismus,
Anti-Slawismus (Ostkreuzzüge, Roland) und Anti-Häresie. Es gibt
Ausnahmen und punktuellen Antiislamismus in Bayern, Sachsen, Österreich
oder der Schweiz. Italien zeigt beides, Polen, Tschechien, Ungarn, dank
der Nähe zu den Ottomanen, zeigen wiederum klarere antiislamische
Kampfbilder.
Man findet in Deutschland also originelle
Fortbildungen der antiislamischen Bilderschrift, ob antihäretisch
(Doppelwesen = Dualisten), antisemitisch (Obszönes, Judensau), in den
Domen von Brandenburg, Quedlinburg, Halberstadt und deren Museen.
Beispiel für abgeleiteten Anti-Slawismus sind die Rolandstatuen in
Norddeutschland. Roland, in den Rolandsliedern (seit 1100) Held im Kampf
Karls des Großen in Spanien gegen den Islam, wurde zwar von heidnischen
Basken getötet, gilt aber als christliches Opfer im Krieg gegen die
Muslime. Der Roland von Bremen steht nun, ganz nach antiislamischer,
triumphaler Manier, auf einem Menschen: einem unterworfenen Slawen (oder
Sachsen).
MM: Gibt es so etwas auch in Museen?
Dr. Lange: Ja, in deutschen Museen finden sich
zahlreiche gemalte Bilder mit der klassischen antiislamischen Message, ob in
Köln, München oder Berlin. Hässliche Figuren mit Oberlippenbart, anderer
Hautfarbe, Krummsäbeln, Turbanen, arabisch beschriebenen Fahnen; bei
Auferstehungs-, Höllenfahrt-, Geißelungs- und Anbetungsszenen. Der
Islam, seit 1187 wieder Herr über Jerusalem, dem christlichen Nabel der
Welt, wird entweder als besiegter, als besiegbarer Peiniger des
Christentums, als unterworfen oder als missioniert dargestellt.
Da die zeitgenössische Literatur häufig Juden
und Muslime zusammenwirft, Muslime andrerseits als Heiden oder Ketzer
bezeichnet, wird man manchmal Antisemitisches, -ketzerisches oder
-heidnisches antiislamisch deuten können und umgekehrt. Mehr Tipps kann
ich nicht geben, man muss sich die Sachen anschauen und in ihrem
konkreten Zusammenhang deuten. Ein Turban mag einen Muslim, einen
Muslimfreund, einen, der einer Turbanmode folgt oder einen militanten
Feind der Muslime, der den Turban als Trophäe trägt, kennzeichnen.
Türken und Wikinger wurden mit Oberlippenbart dargestellt. Fernando de
Aragon, der antisemitische, antiislamische spanische König, trug selbst einen. Zur Deutung hilft, wenn verschiedene Merkmale gehäuft
auftreten: Schnurbart, Krummsäbel, Obszönität etc. Gleichwohl genügt
eine einwöchige Reise durch Kirchen und Museen, um auch dem abgehärtetsten Publikum die Augen zu öffnen. Anschließend wird es sich
dann mit der Deutung dieser Skulpturen selbst einigermaßen
zurechtfinden.
MM: Welchen aktuellen Bezug sehen Sie in
Ihrer Forschung? Wenn damals die Kultur zum "Heiligen Krieg" der
Kreuzzügler missbraucht wurde, was können wir für heute daraus lernen?
Dr. Lange: Uns allen steht heute radikales
Umdenken bevor, bisher identitätsbildende Geschichten müssen neu und
anders erzählt werden. Alle betroffenen Seiten werden sich
"umprogrammieren" müssen oder das Ding (oder den Widerstand gegen das Ding)
gegen die Wand fahren.
Man muss hier zweierlei sehen. Erstens habe ich
neue Interpretationsansätze zu Phänomenen und dem daraus folgenden
Selbst- und Fremdmissverständnis entwickelt, die die offizielle
Wissenschaft bisher nicht in den Blick bekam. Mein Verständnisbeitrag
zur Frage, was im 11. Jahrhundert im Westen passiert, führte und
führt mich noch heute zu spannenden neuen Lösungen auf vielen Gebieten.
Beispiel: Nach meiner Lesart stellt das Jahr 1187, da die Christen
Jerusalem an die Muslime wieder verloren, (die Stadt war nach dem
Massaker von 1099 88 Jahre unter Kreuzzüglerherrschaft), ein
entscheidendes Datum, dabei ein von der Wissenschaft völlig
unterbewertetes Ereignis dar. Es markiert im Westen den Tod seiner
bisherigen Idee Gottes. Um 1187 setzt eine tiefe Krise sowie eine Zeit
ein, die ein neues Gottes- und Kirchenbild erfinden muss. Unterstützt
durch die, aus westlicher Sicht tröstlichen, Plünderung Konstantinopels
(1204) wurde eine neue Jungfrau, neuartige Kirchen, eine neue Kunst,
neue Liturgien und Kirchenhierarchien entworfen und durchgesetzt. Dem
Westen gelang es, seine ungeheure Depression antizyklisch zu einem
Wettrennen zu machen. In der sogenannten Gotik wird es vor allem
darum gehen, die ehemals antiislamischen Kreuzzüge nach innen, gegen
Juden, gegen andere Christen zu führen, und sich in immer neuen
innerchristlichen Bürgerkriegen zu verstricken. Es ging, nach dem
Verlust Jerusalems, wesentlich um die Frage, wer am schnellsten die
höchsten Kirchtürme und –gewölbe baut. Die Gotik ist eine heftige
Reaktion eines tief erschüttertes Selbstbewusstsein. In ihr geht es um
Rekorde, das hat bis heute nicht aufgehört. Was da mitgesagt ist, ist,
dass Europa, durch unterschiedliche Erfahrungen mit dem Islam geprägt,
diese Erfahrungen und Schicksale heute noch polemisch oder
verniedlichend "christlich" interpretiert und dass die Zeit da ist, das
zu korrigieren. Im 2. Viertel des 11. Jahrhunderts hatte im
Westen eine komplexe, auch auf Skulpturenbilder bezogene Revolution
begonnen
(Kirchenreform, Troubadoure, Entwicklung neuer Musikschrift, die zu
Polyphonie führt, weitere neue Technologien, Einführung des
gottgewollten Krieges). Diese Kulturrevolution wissenschaftlich
aufzuarbeiten, deren Teilaspekte eng oder locker miteinander
zusammenhängen, wird das Selbstbild der Christen und das des Islam am
Ende unweigerlich verändern. Dabei spielen die Steinbilder eine große
Rolle. Sie dienten, vor und neben der Feier des Schönen dazu –
triumphalistische Bildertraditionen sind archaisch, kommen dann über
Persien, Rom und Griechenland in den Westen -, den Gotteskrieg gegen den
Islam zu befördern. Und eben diese und Bilder überhaupt werden als
solche von den Betroffenen abgelehnt und nicht zur Kenntnis genommen.
Juden, Häretiker und Muslime sind bilderfeindlich. Sie haben
folgerichtig den Westen, soweit dieser als gigantisch talentierter,
origineller Bilderproduzent auftrat, zum eigenen Schaden nie verstanden.
MM: Sie haben Ihre Erkenntnisse ja nicht
nur in Form eines Buches veröffentlicht, sondern gestalten auch
Ausstellungen und Referate zum Thema in Deutschland. Wie ist die
Resonanz auf ihren nicht unkritischen Vorwurf?
Dr. Lange: Ich sitze, wie Sie gleich noch
besser sehen und verstehen werden, durchaus zwischen allen Stühlen.
Wo mir das aber gelingt, ist mein Künstleratelier. Ich habe einmal
gesagt, das Atelier sei einer der entscheidenden (Zwischen-) Räume, die
der Westen für sich und die Welt geschaffen hat. In einer aufgeheizten,
autoritären, dummen, rückständigen, kommerziellen, korrupten
Weltkulturatmosphäre und islamischen Regimen, die oft genug mit dem
Westen befreundet sind, blutige innerislamische, innersemitische Kriege
und auch solche gegen den Westen führen, inmitten der gnadenlosen
Ölpolitiken hat es zumal eine Kunstgeschichte nicht leicht, wenn sie in
ihrem Gebiet auf den christlich-islamischen Konflikt trifft. Dann kommt
auch sofort von allen Seiten der Vorwurf, dies oder das würde "Öl ins Feuer
gießen", wenn es darum geht, eine Chance zu nutzen, Diskussionen am
Schnittpunkt zwischen Westen und Islam wissenschaftlich neu zu
strukturieren.
MM: Wie reagieren Muslime?
Dr. Lange: Moderne islamische Gelehrte
entbehren meist Eigenschaften, die jemanden zu einer erneuernden
Kunstgeschichte geeignet machen. Nicht nur haben sie kaum Wissen und
Erfahrung von der Existenz jener Skulpturen, noch von der Rolle von
Kunst und Bildern in der Geschichte. Sie teilen darüber hinaus einfach
die falschen Überzeugungen über Religion und Kunst, wie sie im Westen im
Schwange sind.
Ein prinzipielles Wort dazu sei erlaubt.
Während im Islam im 7. bis 12. Jahrhundert (christlicher Zeitrechnung)
schriftliche Quellen der griechischen Antike mehr oder minder unbefangen
gelesen und übersetzt wurden, hat der Islam die Bilder und
Skulpturen (und das Theater) der Antike für sich tabuisiert. Das Beerben samt
Bäder und Architektur der Antike blieb, was die bildende Kunst angeht,
"einäugig". Das hat für den Islam, dem größten Erben antiker Schriften,
noch vor Rom und dem Christentum, bis heute Folgen. Eine von den
Bildvitaminen entleerte Antike konnte im Islam nicht dauerhaft Fuß
fassen. Einer auf Texte kaprizierten Erbschaft der Antike entgeht die
innerste Funktionsweise dieser und jeder anderen Kultur, besonders hier,
wo neben außergewöhnlichen Bildnissen Wissenschaft, Demokratie,
Philosophie und Einsichten in die Triebschicksale von Matriarchat und
Patriarchat möglich wurden.
Wie skulpturelle Nacktheit, in Griechenland
seit dem 5. Jahrhundert an männlichen Athleten orientiert, den
innergriechischen Säkularisierungsprozess vorantrieb, ist ohne Kunst und
deren Geschichte nicht vorstellbar. Griechische Säkularisation
funktionierte unter anderem nicht einfach durch Entmachtung von
Göttinnen durch den einen Gott, sondern indem etwa Kunst ihren neuen
Schönheitsschleier (und Riegel) über mächtige heidnischen Göttinnen
warf, ästhetisch-triebhafte Ergriffenheit an die Stelle der heiligen
trat.
Ist die Bedeutung der Frage nach der
historischen Energie von Kunst in der Menschheitsgeschichte deutlich,
wird das Trennen von Denken und Bilden zur Ideologie. Das gilt besonders
bei einer Kultur, wo derart hervorragend in Marmor gebildhauert und auf
Vasen gemalt wurde, was das gesamte Mittelmeer damals und uns heutige
ebenso begeistert hat.
MM: Sie ziehen also eine direkte
Verbindungslinie zwischen Kunst und Philosophie?
Dr. Lange: Sokrates selbst hat als Bildhauer
angefangen, besuchte dann Künstlerateliers (s. Xenophon). Platon dachte
über Poesie und Schattenbilder, Aristoteles über das Theater nach.
Euripides entdeckt in seinen Stücken die "weibliche Psyche", der
Bildhauer Praxiteles hat mit der ersten vollständig unbekleideten
Aphrodite, die das meistkopierte Götterbild des Altertums wurde, das
Porträt der Hetäre Phryne, seiner Geliebten, Modell und Auftraggeberin,
zu ewiger Berühmtheit verholfen. Schon in Griechenland passierte in der
Bildproduktion zivilisationsgeschichtlich Entscheidendes, was mit der
Erosion der Götter zu tun hatte.
Hitlers Kampagne gegen "Entartete Kunst" ist
heute wieder offen oder heimlich populär, entspringt sie doch
deformiertem, wenn nicht inexistentem Geschichtsverständnis. Diesem zu
begegnen, ist ohne freie Kunst nicht möglich. Konflikte um Bilder haben
eine bemerkenswerte Energie. Man geht damit nicht ungestraft um, indem
man sie verbieten will.
Eine Kunstgeschichte, die den Islam weder im
Guten noch im Bösen nicht ausgrenzt, trifft, bei der, wie dargelegt, auf
allen Seiten herrschenden Bilderblindheit, auf folgende Schwierigkeit.
Da sind schon mal terminologische Verwirrungen. Ein Name wie
"Mittelalter" ist irreführend – und er wird wohl darum auch weiter
verwendet. Er kam in der Hochrenaissance (um 1500) auf, um eine
zurückliegende Zeit neutralistisch zu bezeichnen. Nämlich die, zwischen
dem Erscheinen Mohammeds und dem 13. Jahrhundert, als das gelungene
antizyklische Experiment Gotik einer anderen Renaissance zuneigte
(Giotto, Petrarca). Richtig für jene sechs Jahrhunderte (vom 7. zum 13.)
wäre eine Bezeichnung wie "Erstes christlich-islamisches Zeitalter".
Antiislamische Kreuzzüge begleiteten und
beförderten die innere Befriedung christlicher Länder bei großen
kirchlichen Reformvorhaben. War der Islam als äußerer Feind Nr. 1 – wer
hätte sonst dazu dienen können? - ausgemacht und deutlich plakatiert,
waren die inneren Konflikte abgefedert. So erscheinen seit 1030 nach und
nach in französischen Kirchen, an Kapitellen, später Kragsteinen,
Konsolen, später noch an Wasserspeiern und Chorstühlen seltsam
archaische, unglaubliche Steinskulpturen.
Unglaublich ist da Mehreres: Vor allem, dass
diese Bilder keine Scham- und Gewaltgrenzen kennen. Das macht sie, vor
aller Erklärung oder Einschätzung, zum kunsthistorischen Ereignis ersten
Ranges. Beim zweiten Hinsehen wird jede solch extrem politisierte
"Kunst" oft als Kunsthandwerk und Kunstgewerbe erscheinen, und nicht als
Kunst.
Unglaublich ist aber weiterhin etwas anderes.
Diese Skulpturen – ihre Zahl geht in die Hunderttausende in Dutzenden
von Ländern - , die man im 19. Jahrhundert "Romanik" taufte, weil sie
angeblich an Rom anknüpften, sind von keinem einzigen schriftlichen Text
jemals legitimiert oder erklärt worden. Wir besitzen wie zum Hohn nur
einen berühmten Brief von Bernard de Clairvaux, einem der mächtigsten
und bilderfeindlichsten Männer seiner Zeit, der fragt, was diese
merkwürdigen Skulpturen in Kirchen und Klöstern zu suchen und zu
bedeuten hätten. Wäre die im 11. und 12. Jahrhundert entstandene Kunst
ganz untergegangen, könnte keiner auf sie aus schriftlichen Quellen
schließen. So muss die Frage nach der Bedeutung der Skulpturen erweitert
werden zu der nach der Beschaffenheit einer Gesellschaft, die Millionen
von gewalttätigen, obszönen Bildern an ihren heiligen Gebäuden anbringen
lässt, ohne dabei ein Sterbenswörtchen der Rechtfertigung zu verlieren.
MM: Was ist Ihre These als Antwort auf
die Frage der Bedeutung jener Skulpturen?
Dr. Lange: Ich behaupte, dass die Kirchen sich
darum und ohne Angabe von Gründen mit diesen auffälligen Figuren
bevölkerten, weil Kirchen damals, von römischen Triumphbogenportalen bis
zur letzten Skulptur, der Agitation gegen einen "erfundenen" äußeren
Todfeind und einem theologisch nicht legitimierbarem Heiligen Krieg
dienten.
Das Unglaubliche dieses Sachverhalts geht aber
noch einen Schritt weiter. Denn harte Geschichtswissenschaft versteht
sich als Dokumentierung geschichtlicher Ereignisse und Bilder. Dies nun
ist im Falle der antiislamischen "Skulpturenrenaissance" nicht möglich,
und harte Geschichtswissenschaft könnte daher nur dazu sagen, dass sie,
zu Sinn und Bedeutung dieser Skulpturen, aus Mangel an Dokumenten,
schweigen muss.
Doch etwas anderes passiert. Sie
behauptet, meine antiislamischen Thesen seien Unsinn, wirft mir
Dilettantismus vor oder/und schweigt mich tot. Damit verletzt und bricht
die in Deutschland gängige akademische Kunstgeschichte ihre eigenen
Spielregeln – ob aus Bequemlichkeit oder mit politischem Hintersinn
bleibe offen. Sie interpretiert diese Skulpturen – trotz fehlender
Dokumentation - und deklariert sie, wie gesagt, für apotropäisch, ohne
Beweise, ohne Methode, ohne Dokumentation. Die apotropäische These hängt
selbst
in der Luft, ist eine bloße, den Islam ausblendende kollektive
Behauptung akademischer Papageien. Ihre Funktion ist zu verhindern, die
vom Islam einst und heute ausgehenden (gefühlten oder realen)
Bedrohungen, sowie die spannende Geschichte westlicher Reaktionen auf
den Islam zu rekonstruieren und bewusst zu machen. Nicht diese
Skulpturen, heutige Kunstgeschichte ist antiislamisch und apotropäisch. Der
Westen will weiter sein Siegerbild seit Lepanto und Wien unwidersprochen
und in Ruhe fortkultivieren.
Das Mittelalter, also das
christlich-islamisches Zeitalter, gibt mit seinen Konflikten heute noch
keine Ruhe. So spricht man vom heute herrschenden Mittelalter, mit
heiligen Kriegen und Antisemitismus. Chaplins Film "Der große Diktator"
handelt von Hitler und dem Dritten Reich. Im 2. Weltkrieg gedreht,
spielt dieser Film tatsächlich im Mittelalter. Runen, Orden,
Tausendjähriges Reich sind "mittelalterliche" Begriffe. Hat Chaplin sich
das ausgedacht? Hören wir dazu Hitlers Architekten Speer: „Ich muss
mich fast zwingen, mir trotz der in Nürnberg enthüllten Verbrechen in
Erinnerung zu rufen, dass wir nicht nur eine Bande von Welteroberern
waren, die von Herrenvölkern und Untermenschen faselte. In vielen von
uns lebte etwas von einer europäischen Kreuzzugsidee. … In der Endphase
des Krieges hörten wir dann auch von Eisenhowers >Crusader<-Idee, einer
Idee, die nicht wenige von uns ganz aufrichtig gehabt hatten.“
MM:
Als Deutsch-Chilene, der auch beide Sprachen perfekt beherrscht kennen
Sie auch die Unterschiede in der Wahrnehmung. Wie wird das "Feindbild
Islam" in Chile bzw. Lateinamerika wahrgenommen?
Dr. Lange: Wie Sie wissen, ist die spanische
Sprache voller Arabismen. Es gibt bis heute kein zuverlässiges
Lexikon, das diese abdeckt. Für Spanien gilt, dass der Muslim, "el moro"
(bedeutet auch "ungetauft" und "schwarz“) despektierlich benutzt wird.
Eine engagierte und profilierte spanische Vertreterin meiner Thesen,
Frau Inés Monteira, hat es sicherlich in Spanien
besonders schwer. In Lateinamerika liegt die Sache anders. Dort
herrschte Jahrhunderte der Rassismus gegen Abkömmlinge der Sklaven und
gegen die einheimische Bevölkerung. Es gibt in lateinamerikanischen
Ländern Bilder, auf denen der kriegsheilige Patron Spaniens, Santiago Matamoros (der Maurentöter), nicht mehr Muslime, sondern Indianer
niedermetzelt. Santiago, San Jago, der Heilige Jakob, der Namensgeber
meiner Geburtsstadt, der Hauptstadt von Chile. MM:
Sind dann Ihrer Meinung nach, die in der heutigen Zeit gehäuft
auftretenden "Karikaturkrisen" mit der muslimischen Welt, lediglich eine
moderne Fortsetzung jener Skulpturen und Gemälde von vor mehreren
Hundert Jahren sind?
Dr. Lange: In meinem Beitrag im Sammelband
"Islamfeindlichkeit" habe ich eine frühe, häufige Skulptur des 11.
Jahrhunderts, den sogenannten Akrobaten, den ich als Darstellung eines
epileptischen Propheten Mohammed gedeutet habe, als älteste Karikatur an
christlichen Kirchen bezeichnet. Die damaligen Figuren sind erfinderisch
gewesen, manchmal nicht nur grausam und erniedrigend, sondern verhielten
sich etwa wie extrem "brutale" antiislamische Witze in Bildern.
Witzigkeit ist das eigentliche Kennzeichen der Karikatur, nur in ihr
liegt ihre Wirkung. Schmähbilder sind fade, witzlos, Grotesken, die
nachhaltig langweilen. So habe ich die Reaktionen auf gewisse moderne
Zeichnungen immer als übertrieben, unaufrichtig und artifiziell
angesehen. Leute, die glauben Gedichte oder Bilder könnten einem Staat
schaden oder Gott beleidigen, verstehen von alledem nichts. Es gibt ja
auch genug kunstgewerbliche Bilder, die die Macht und jeweiligen
Machthaber anhimmeln. Gegen die sind und vermögen Schmähbilder und
Karikaturen tatsächlich zu wenig. In einer bilderfreundlichen
Zivilisation, in der Bilder nicht dämonisiert und neben der an sich
jüngeren Schrift auf Augenhöhe bestehen dürfen, müssen beide, Schrift
und Bild historisch als Medien mit dem Risiko ihres Misslingens leben
lernen.
MM:
Gibt es hier nicht einen Widerspruch zu Ihrer Forschungsarbeit? Könnte
nicht ein Claudio Lange aus dem Mittelalter ähnlich argumentieren, oder
würde ein Claudio Lange der Zukunft nicht die Schmähungen unserer Zeit
ähnlich bewerten, wie Sie die einige hundert Jahre alten Schmähungen
bewerten?
Lange: Das mag wie ein Widerspruch scheinen
oder sein. Ich komme aus der Dritten Welt und stehe zu meinem
veröffentlichten Satz: „Westeuropa ist im 11. Jahrhundert Dritte Welt.“
Zu was jede derart verelendete, unregierte Welt fähig ist, zeigen (und
warnen) uns Kreuzzüge und Kragsteine. Das will ich auch Wissenschaftlern
aller Herkunft zeigen. Bilder haben mit Ausdruck zu tun; Phantasmen,
Gefühle nicht auszudrücken heißt nicht, dass man sie wirklich nicht hat.
Frage bleibt, ob die zu leugnen einen besseren Menschen aus jemandem
macht. Man mag es glauben. Die Antwort darauf lautet vermutlich aber:
Nein.
Heute ist Macht in christlichen und
muslimischen Gebieten anders verteilt. Der vorerst siegreiche Westen ist
und bleibt aus seiner Geschichte heraus stark – auch durch gefährliche
Amnesien - antiislamisch geprägt. Nur daraus entsteht heute aber keine
Kunst mehr, auch kein revolutionäres Kunstgewerbe, nicht einmal witzige
Karikaturen. Diese antiislamischen Prägung zu behandeln, gar zu heilen,
mit ihr immer zu rechnen, sich von ihr nicht provozieren zu lassen, das
wäre, denke ich, ein denkbarer, wünschbarer Umgang mit dem Westen. Meine
Kritik an besagten Schmähbildern und –worten (alle Parteien bedienen
sich solcher, in allen Medien) wäre daher gern argumentativer und
zugleich schmerzlicher, treffender.
MM:
Sehr geehrter Her Lange, wir danken für das Interview. |