MM: Sehr
geehrter Herr Prof. Tautz. In ihrer Masterarbeit und Doktorarbeit
beschäftigen Sie sich mit Raupen. Wie kamen Sie zu den Bienen?
Prof. Tautz: Bereits sehr spät in meiner
Karriere als Biologe hat mit ein älterer Freund und Kollege, der
weltbekannte zwischenzeitlich leider verstorbene Bienenforscher Prof.
Martin Lindauer, ein Bienenvolk geschenkt mit den Worten, es sei ein
großer Fehler für einen Biologen, sich nicht mit Bienen zu beschäftigen.
Ich habe dieses Geschenk und seine Folgen nie bereut.
MM: Im Heiligen Qur'an ist eine ganze Sure
(die 16.) den Bienen gewidmet, in der es in den Versen 68 und 69
sinngemäß heißt: "Und dein Herr hat der Biene eingegeben: „Nimm dir
in den Bergen Häuser, in den Bäumen und in dem, was sie an Spalieren
errichten. Hierauf iss von allen Früchten, ziehe auf den Wegen deines
Herrn dahin, die (dir) geebnet sind.“ Aus ihren Leibern kommt ein
Getränk von unterschiedlichen Farben, in dem Heilung für die Menschen
ist. Darin ist wahrlich ein Zeichen für Leute, die nachdenken." Was
denkt der Wissenschaftler darüber nach?
Prof. Tautz: Honigbienen faszinieren die
Menschen seit jeher. Honig muss der Menschheit bereits zu einem sehr
frühen Stadium unserer Entwicklung wie ein außerirdisches Geschenk
vorgekommen sein, zu einer Zeit, als das Feuer noch nicht beherrscht und
ausschließlich rohe Kost verzehrt wurde. Später kamen dann erste
Beobachtungen zur Lebensweise der Bienen hinzu, aus denen dann rasch
idealisierende Vorbildfunktionen abgeleitet wurden. In jeder der großen
Weltreligionen spielen Honigbienen und ihre Lebensweise als Modell für
perfekte Organisation, Fleiß und Selbstlosigkeit eine Rolle.
MM: Sie haben jüngst ein globales
Bildungsprojekt
Honey Bee Online Studies
(HOBOS) gestartet. Was ist darunter zu verstehen?
Prof. Tautz: Das in Anlage und Inhalt
bisher einmalige Bildungsprojekt HOBOS (Honeybee
online studies – www.hobos-online.de)
nutzt den hochkomplexen Superorganismus Bienenkolonie als Lehr- und
Lernplattform, die dem Nutzer eine neuartige Form des Lernens
ermöglicht. Im Zentrum steht ein lebendes Bienenvolk, in dem sehr viele
Aspekte der höchst fesselnden Lebensweise erkundet werden können. Da
international übergreifend das Bienenvolk in allen Schullehrplänen
Berücksichtigung findet können hier online komplexe Zusammenhänge im
Naturgefüge erfahren und durchdrungen werden. Mit dem im Sommer 2009
begonnen Projekt wollen wir den Schülerinnen und Schülern weltweit einen
Zugang zum Leben der Biene verschaffen, wie ihn ansonsten nur gut
ausgestattete Forschungsinstitute haben. Für das Projekt werden die
Bienen nummeriert und mit einem Mikro-Chip ausgestattet. Über webcams
und verschiedenste andere Sensoren, die im Stock installiert sind,
können die Jugendlichen dann vom Schulcomputer aus die Bienenvölker in
einer Genauigkeit und Tiefe studieren, wie es auch durch eine direkte
Beobachtung nicht möglich wäre. Zum Beispiel könnten sie im einfachsten
Ansatz verfolgen, wann die Sonne aufgeht und wann dann die ersten Bienen
fliegen. Kurz: HOBOS bietet die Möglichkeit zur völlig freien
Beschäftigung mit dem Leben der Honigbiene und dem Erforschen ihrer
Biologie.
MM: Wenn Sie HOBOS auch als Brücke zwischen
den Kulturen verstehen, wie kann das praktisch umgesetzt werden?
Prof. Tautz: Die Lernplattform HOBOS
erlaubt aufgrund seiner enormen Einsatzmöglichkeiten Schulprojekte, die
von Schülergruppen auch räumlich weit auseinander liegenden Schulen
gemeinsam bearbeitet werden können. Die Honigbiene genießt bei allen
Menschen eine hohe Sympathie und ist mit ihrer überragenden
Schlüsselrolle im Naturhaushalt sowohl für die Erhaltung der
Pflanzenwelt als auch die Ernaehrung der Menschheit durch die
Landwirtschaft extrem wichtig. Dies macht sie zu einem idealen Objekt
für Schülerprojekte in allen Kulturkreisen. Am 1.Juli 2011 starten wir
eine erste interkulturelle Brücke, die als Vorbild sicherlich rasch
Nachahmer finden wird, mit jeweils einer Schule in Amman Jordanien und
einer Schule in Würzburg Deutschland. Junge Menschen, die gemeinsam die
Zukunft unserer Erde gestalten müssen, lernen so schon sehr früh, dass
globale Probleme über alle Kulturen, Religionen und Hautfarben belasten
und nur gemeinsam gelöst werden können. So ist Teamwork bei HOBOS ein
Übungsfeld, auf dem erfolgreich erprobt werden kann, welchen Erfolg ein
gemeinsames Anpacken von Fragen und Problemen haben kann. Eine hohe
symbolische Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass
die Schirmperson für das in Europa entwickelte HOBOS-Projekt ein
Mitglied des jordanischen Königshauses ist.
MM: Für den nicht biologisch bewanderten
Leser ist es zuweilen schwer nachzuvollziehen, was ein Bienenforscher
eigentlich konkret erforscht. Gibt es denn immer noch Geheimnisse der
Biene?
Prof. Tautz: Der Altmeister die
Honigbienenforschung, der Nobelpreisträger Karl von Frisch, hat die
Bienen als einen nicht zu erschöpfenden Zauberbrunnen bezeichnet, der
unerschöpflich viele Fragen und endloses Staunen hervorruft. Dem ist
nichts hinzuzufügen. Die vielen Einzelheiten, die wir bis heute über das
Leben der Honigbienen zusammengetragen haben, zeigen durch das noch
immer sehr lückenhafte Bild im Grunde eher unsere Unkenntnis, als unser
Verständnis über den sogenannten Superorganismus Bienenkolonie.
MM: Einmal mystisch nachgefragt; kann es
sein dass jener "Superorganismus" eigentlich nichts anderes ist, als die
Sehnsucht des Menschen in weltweiter Kooperation "heilendes" zu
bewirken? Gibt es überhaupt Platz für Spiritualität und Mystik in dieser
Art von Wissenschaft?
Prof. Tautz: Die exakten
Naturwissenschaften bedienen sich konzeptioneller Ansätze, die in ihrem
Rahmen zu Aussagen führen, die mit wiederum den gleichen Ansätze immer
aufs neue auf den Prüfstand gestellt und entweder bestätigt, oder
abgewandelt oder verworfen werden. Spiritualität und Mystik sind
Bereiche menschlicher Erfahrung, die zu eigenen Vorstellungen und
Aussagen führen und von denen es durchaus Brücken in die exakten
Wissenschaften geben kann. Ich persönlich bin überzeugt, dass das
Zustandekommen nie vorher gedachter Ideen hier durchaus ihre Wurzeln
haben können. Ist die Idee dann einmal formuliert und (be)greifbar
gemacht, kann das Handwerkszeug der Wissenschaft übernehmen und die
Hausaufgaben angehen.
Bienen sind jeher auch in der Mystik stark
vertreten. Der preisgekrönte Kinofilm BAL (Honig) schafft dem Betrachter
eine Atmosphäre, in der gerade im Zusammenhang mit Honigbienen Mystik
und kühle Sachlichkeit beide ihren Platz finden und so zu einer
Nachdenklichkeit führen.
MM: Wenn der biologisch eher nicht so
interessierte Bürger jemals von Bienen in den Medien etwas erfährt, dann
ist das mit dem Stichwort "Bienensterben" verbunden, und das - so unsere
Erinnerung - schon seit Jahrzehnten. Was ist wissenschaftlich seriös an
derartigen Meldungen?
Prof. Tautz: Bienen und Blütenpflanzen sind
aufgrund ihrer gemeinsamen Entstehungsgeschichte untrennbar miteinander
verbunden. Würden die Bienen ausfallen, hätte dies dramatische Folgen
für die sogenannte Biodiversität (Artenvielfalt) und auf die Ernährung
der Menschheit, da nahezu 30% unserer Lebensmittel durch die
Bestäubungsleistung der Honigbienen entstehen. Der Mensch hat die
Honigbiene zu seinem Haustier gemacht und ist nun von der Biene
abhängig. Das sogenannte Bienensterben, also ein Verschwinden der
Bienenvölker, resultiert direkt aus Problemen, die die Bienen mit
Krankheiten und Umwelt haben und indirekt durch einen Rückgang an
Imkern, denen der wachsende Aufwand gesunde Bienenvölker zu erhalten, zu
groß wird. Das gesamte Problempaket rund um das Bienensterben erfordert
vielfältige Maßnahmen zum Gegensteuern.
MM: Gibt es eigentlich so etwas wie "Krieg"
zwischen Bienenvölkern?
Prof. Tautz: Der stärkste Konkurrent des
Menschen ist der Mensch, der stärkste Konkurrent eines Bienen Volkes
sind die anderen Bienenvölker. In Zeiten knapper Tracht - so nennt der
Imker das Blütenangebot, von dem die Bienen Nektar und Pollen beziehen -
kommt es nicht selten vor, dass kopfzahlmäßig schwache Völker von
starken Völker regelrecht überfallen und ausgeraubt werden, da deren
Honigvorrat in diesen Notzeiten hohe Begehrlichkeiten weckt. Dieser
"Krieg" kann zur totalen Vernichtung des schwächeren Volkes führen.
MM: In wie weit lassen sich die Erfahrungen
aus dem Projekt auf andere Tiere und andere Länder übertragen? Können
Sie sich vorstellen, dass eines Tages Biologen in Deutschland z.B. bei
einem Projekt "Elefantos" von den Erkenntnissen einiger Forscher in
Afrika profitieren?
Prof. Tautz: Das spannende an der Forschung
ist, dass man nie vorhersagen kann, wohin der Weg führen wird. Ein
Nutzen über Projektgrenzen oder gar Fachgebietsgrenzen hinweg setzt
voraus, dass ein entsprechender Informationsfluss stattfindet. Die
zunehmende Spezialisierung der Forschungsbereiche steht dem leider allzu
oft im Wege, der aufgeschlossene neugierige Blick über den Tellerrand
ist nicht die Regel.
MM: Muss man Student oder Schüler sein, um
bei dem Projekt mitzumachen, oder kann auch ein privater Hobby-Imker
davon profitieren, und wenn ja, was müsste er zahlen?
Prof. Tautz: Das Projekt HOBOS ist eine
non-Profit-Projekt für jedermann, also auch für Imker. Die Einrichtung
und der Unterhalt von HOBOS, das ja global allen Menschen verfügbar
gemacht wird, werden durch Spenden an die Bienenforschung Würzburg e.V.
ermöglicht. Hier ist Unterstützung in Form einer steuerlich absetzbaren
Spende immer sehr willkommen!
MM: Prof. Tautz, wir danken für das
Interview.
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