MM: Sehr
geehrte Schwester im Islam Nurhan Soykan, sie haben das Amt des
Generalsekretärs des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) von
ihrem Vorgänger
Aiman A.
Mazyek übernommen, der selbst jetzt
Vorsitzender ist. Was wird sich an der Arbeit des ZMD ändern, was wird
weiterentwickelt?
Nurhan Soykan: Es ist uns ein großes
Anliegen, dass der ZMD breit aufgestellt wird. Wir haben viele neue
Beauftragte , die sehr engagiert sind und den Vorstand mit neuen Ideen
unterstützen. Insbesondere möchten wir unseren theologischen
Sachverstand ausbauen. Wir haben einen Gelehrtenrat, die Fatwas
zusammenstellt und Empfehlungen unter Berücksichtigung der europäischen
Lebensbedingungen ausspricht. So haben wir einen kompetenten
Ansprechpartner, der auf die Fragen europäischer Muslime antworten kann.
Dr- Khallouk unterstützt uns mit Expertisen z.B. zur Darstellung des
Islam in Schulbüchern. Das ist sehr wichtig für die Zukunft unserer
Kinder. Den Vorstand erwarten Herausforderungen wie die Einführung von
islamischem Religionsunterricht und die Einrichtung von islamischen
Studiengängen.
MM: Sie waren Teilnehmerin der Deutschen
Islamkonferenz (DIK). Aktuell sind sowohl der Zentralrat der Muslime in
Deutschland als auch der Islamrat nicht mehr dabei. Viele Muslime haben
es Ihnen sehr hoch angerechnet, dass Sie in Solidarität mit dem
Ausschluss des Islamrats auch nicht daran teilnehmen. Was waren die
inhaltlichen Gründe?
Nurhan Soykan: Die inhaltlichen Gründe
waren, dass die DIK I schon an der Zusammensetzung krankte und die
Inhalte staatlicherseits den Muslimen vorgegeben wurden, ohne deren
Interessen zu berücksichtigen. Wir wollten eine Evaluierung und eine
Beteiligung an der Konzeption der Dik II, um lösungsorientiert
mitzuarbeiten. Das wurde uns nicht gestattet, stattdessen begann (der
damalige Innenminister) De Maiziere ohne nennenswertes Konzept die DIK
II, indem er längst behandelte Themen auf die Tagesordnung setzte, ohne
Ziele zu formulieren. Gleichzeitig stufte er die DIK zu einer
"Dialogplattform " herunter. Die Teilnahme an dieser halbherzig
geführten Veranstaltung wäre nicht sinnvoll gewesen. Unsere
Gesprächsangebote wurden nicht angenommen.
MM: Inzwischen gibt es einen neuen
Innenminister, der sich gleich als quasi erste Amtshandlung mit einem
Paukenschlag gegenüber den einheimischen Muslimen vorgestellt hat.
Welche Perspektiven sehen Sie für den zukünftigen Dialog?
Nurhan Soykan: Dieser Paukenschlag ging
meiner Ansicht nach weniger in Richtung Muslime, er wollte eher in
seiner Partei und Wählerschaft mit der Aussage "der Islam gehöre nicht
zu Deutschland" punkten. Später hat er wohl gemerkt, dass er sich als
Innenminister einen Bärendienst erwiesen hat und hat zurückgerudert.
Doch nun ist das Misstrauen da, das ist kein Fundament für einen
konstruktiven Dialog. Mit der Forderung nach einem Sicherheitsgipfel hat
er noch eins draufgesetzt. Kaum einer erwartet einen Schritt in Richtung
Integration von der DIK, worum es eigentlich geht, hat Friedrich damit
offenbart. Nämlich um Sicherheitsinteressen, dafür werden Organisationen
instrumentalisiert, die sich seit Jahrzehnten für die Integration der
Muslime einsetzen . So hatten sie sich ihre Aufgabe sicher nicht
vorgestellt.
MM: Als Vorstandsmitglied des Aktionsbündnisses
muslimischer Frauen, wenden Sie sich auch spezifischen Problemen von
muslimischen Frauen zu. Welche sind da zu nennen?
Nurhan Soykan: Wir möchten die Rechte der
Frauen vertreten, Ihnen eine Stimme geben und als Sachverstand und
Ansprechpartner der Politik und der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Unsere Anliegen sind die Partizipation der muslimischen Frauen an der
Gesellschaft zu fördern, deren Vernetzung auszubauen und gegen
Diskriminierung vorzugehen. Insbesondere Frauen mit Kopftuch sind im
Berufsleben besonders benachteiligt, nicht zuletzt aufgrund der
Kopftuchverbote in einigen Bundesländern.
MM: Was bedeutet das in der Praxis? Was
raten Sie z.B. Muslimas, die Lehrerin werden wollen und welche
konstruktiven Projekte kann man sich vorstellen?
Nurhan Soykan: Wir weisen auf die
jeweiligen Berufsverbote in den Bundesländern hin. Ob sie dennoch den
Berufszweig wählen, ist ihre Entscheidung. Sie haben die Möglichkeit in
Privatschulen unterzukommen, davon wird es sicher immer mehr geben. Die
staatlichen Schulen fördern insbesondere leistungsschwache und sozial
benachteiligte Kinder viel zu wenig. Eine Chancengleichheit ist nicht
gewährleistet. Ich erwarte auch mehr muslimische Schulprojekte, der
Bedarf ist da. Außerdem werden LehrerInnen für den Islamunterricht
benötigt, für die nur Muslime in Frage kommen.
MM: Auch in Ihrer Anwaltskanzlei sind Sie
sicherlich auch mit muslimischen Familienproblemen beschäftigt. Was
steckt hinter dem Vorurteil der Rechtbrüche von Muslimen - Stichwort
Ehrenmord, Zwangsheirat - und wie kann es gelingen zu verdeutlichen,
dass jene Probleme nicht durch die Zuwendung, sondern Abwendung vom
Islam entstehen?
Nurhan Soykan: Meist sind es soziale,
psychologische Probleme, gepaart mit traditioneller Auslegung von
Werten, die nichts mit dem Islam zu tun haben. Allein die Einstufung der
Betroffenen als Muslime, macht es zu einem islamischen Problem. Dagegen
können wir uns nur wehren, indem wir gebetsmühlenartig erklären, wie
unsere Religion zu diesen Erscheinungen steht.
MM: Nur ganz nebenbei gefragt: Gibt es eigentlich
Probleme als Anwältin mit Kopftuch im Gerichtssaal?
Nurhan Soykan: Manche Richter sind verdutzt
und fragen, wo die Anwältin bleibt, obwohl ich in Robe vor Ihnen stehe.
Manche lassen ab und an auch mal einen unhöflichen Kommentar ab, aber
sie gewöhnen sich an mich. Mit meinen Anwaltskollegen gab es bislang
keine Probleme, ganz im Gegenteil.
MM: Kommen wir Zurück zum ZMD. Sie sind
jetzt Generalsekretärin; unseres Wissens nach die Erste Muslima, die
diesen Posten bekleidet. Worin sehen Sie Ihre speziellen Aufgaben?
Nurhan Soykan: Die unterscheiden sich nicht
von denen meines Vorgängers, eine Frauenbeauftragte haben wir auch noch,
daher werde ich nicht den Schwerpunkt Frauen haben. Als Frau habe ich
aber natürlich eine besondere Sensibilität für deren Sorgen und
berücksichtige diese in meiner Arbeit. Weiterhin möchte ich auch
Schwestern ermutigen, sich zu engagieren und auch Vorstandsposten
anzunehmen.
MM: Der ZMD zeichnet sich unter anderem
dadurch aus, dass er Mitgliedsvereine mit sehr unterschiedlichem "Migrationshintergrund",
darunter auch "echte" deutsche Muslime hat, so dass zwangsläufig oft
deutsch gesprochen werden muss. Ist die Sprachproblematik unter Muslimen
nur eine Frage der Generationen, oder gibt es sie auch unter jungen
Muslimen?
Nurhan Soykan: Nein, das ist ein veraltetes
Problem. Wir haben eher Probleme, in unserer Herkunftssprache Sitzungen
abzuhalten, was manchmal auch sein muss.
MM: Sie sind Mutter von zwei Kindern. Wie
ist diese Doppel- oder Dreifachbelastung zu meistern und gibt es hierbei
Unterschiede zwischen einer muslimischen und einer nichtmuslimischen
Familie?
Nurhan Soykan: Das kommt auch immer auf den
Ehepartner an, wenn mein Mann nicht überzeugt von meiner Arbeit wäre,
könnte ich das alles nicht schaffen. Meine Grundeinstellung ist, dass
Familie immer an erster Stelle steht. Daher müssen berufliche Belange
oft zurückstehen. Dennoch kann man durch gute Organisation die Zeit
optimal nutzen und viel erreichen.
MM: Sehr
geehrte Schwester im Islam, wir danken für das Interview.
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