MM: Sehr
geehrter Frau Dogan, wahrscheinlich müssen Sie sehr oft die Frage
beantworten, warum sie die islamische Kleidung tragen. Was antworten Sie
dann?
Dogan:
Ich bin eine praktizierende Muslima und
will als solche auch wahrgenommen werden.
MM: Wie können Sie Bürgern, die
angesichts einer äußerst missverständlichen allgemeinen
Mediendarstellung über den Islam desinformiert sind, erklären, dass sie
auch mit Ihrem Kopftuch Deutsche sind und in einem deutschen Stadtrat
von deutschen Bürgern gewählt wurden?
Dogan:
Meine religiöse Überzeugung hat nichts
mit meiner Staatsangehörigkeit zu tun. Als deutsche Muslima folge ich
dem Grundgesetz dieses Landes und kann somit genauso gut Bonner Bürger
in einem Parlament vertreten wie eine christliche Politikerin.
MM: Von dem "Bündnis für Innovation und
Gerechtigkeit" hat man bis zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen
überregional wenig gehört. Welche Ziele verfolgen sie?
Dogan:
Wir wollen alle Menschen, besonders
Minderheiten, die sich in den bestehenden Parteien nicht gut aufgehoben
fühlen oder sich nicht verstanden fühlen, vertreten. Mit Sorge stellen
wir die Zunahme einer Politik der Ausgrenzung fest. Die künstliche
Schaffung von Feindbildern, von Konflikten und von scheinbaren
Widersprüchen wird planvoll genutzt, um Politik mittels Schuldzuweisung
zu führen. Der einzige Weg aus der sich so abzeichnenden, in Deutschland
aufgrund der geschichtlichen Vorgaben sehr bewussten Gefahr, ist die
offene, differenzierte, adäquate Auseinandersetzung mit den bestehenden
Sachproblemen. Diese müssen hier und jetzt mit den zur Verfügung
stehenden Mitteln gelöst werden. BIG versteht sich als Brückenbauer
zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen und setzt sich für
respektvollen Dialog auf Augenhöhe ein. Die Zulassung von doppelter
Staatsbürgerschaft und kommunales Wahlrecht für Ausländer sind
Grundforderungen der BIG.
MM: Was möchten Sie anders machen, als
die etablierten Parteien?
Dogan:
Wir möchten alle Bürger dieses Landes
gleichwertig behandelt sehen und sie vertreten. Ich denke, dass wir
durch sehr viel eigener Lebenserfahrung mit den meisten Problemen dieser
Menschen vertraut sind und sensibler und intensiver diese Themen
behandeln können.
MM: Bei Themen, die mit der religiösen
Identität von Muslimen zusammenhängen, wie dem gemischten
Schwimmunterricht in Schulen wird Ihnen vorgeworfen desintegrativ zu
wirken. Was antworten Sie darauf?
Dogan:
Wie man nicht schwer aus unserem
Parteiprogramm erkennen kann, gilt unser Interesse nicht nur rein
"muslimischen Themen", sondern gesamtgesellschaftlichen Problematiken.
Dabei möchte die BIG nicht die sogenannte "Parallelgesellschaft"
fördern, sondern das gegenseitige Verständnis der verschiedenen Kulturen
und Religionen voran bringen. Wir wollen in Ihrem genannten Beispiel
durch unser Handeln einen Kompromiss zwischen den Eltern und den Schulen
schaffen, damit die Kinder trotzdem das Schwimmen erlernen können. Im
Vordergrund soll damit das Schwimmen erlernen von Kindern sein, unter
Rücksichtnahme und Verständnis der religiösen Überzeugung der Eltern.
MM: Eine ganze Reihe von Problemen bei
Bürgern mit Migrationshintergrund ist aber zweifelsohne auch auf eine
Art "Macho-Erziehung" zurückzuführen, bei dem einige Jungs aus südlichen
Ländern (unabhängig ob Muslim oder nicht) zuweilen auch ein respektloses
Verhalten an den Tag legen (auch gegenüber Lehrerinnen). Auch wenn das
genannte Beispiel nichts mit dem Islam zu tun hat, so liegen die
Ursachen hierfür liegen oft tief in der klassischen Familienstruktur von
Personen die bedauerlicherweise eben auch oft aus muslimischen Ländern
kommen. Kann man solche Missstände mit politischen Mitteln zumindest
vermindern und welche praktische Herangehensweise ist dabei ratsam?
Dogan:
Aufklärungsarbeit und öffentliche
Veranstaltungen. Wir sollten mehr über dieses Thema sprechen und unsere
Gesellschaft aufklären. Wir hatten in unserem Arbeitskreis "Muchri"
(Muslime und Christen) am 24.11.2009 mit dem Tagesthema "Religion als
Vorwand zur Gewalt" bei Jugendlichen nach genau diesem Grund gesucht.
Dafür haben wir Polizei, Schule, Jugendleiter, Stadt Bonn (Stabstelle
Integration) eingeladen. An diesem Abend haben viele Lehrer, Schüler und
Bonner Bürger teilgenommen. Es war sowohl von den Vortragenden als auch
von den Gästen einheitlich erklärt worden, dass die Religion kein Grund
zur Gewalt bei Jugendlichen ist. Das sogar im Gegenteil alle, von zu
Hause aus gefestigten Jugendlichen, keine Gewaltbereitschaft zeigen.
Wissen stärkt die Jugendlichen. Deshalb sollte man diese und die Kinder
besser informieren und "Dialog bereiter" erziehen. Also, auch Wissen
über die anderen Religionen vermitteln. Im Klartext "Respekt und
Toleranz" zueinander fördern.
MM: Ein weiteres oft genanntes
Problembeispiel ist die Zwangsehe. Auch wenn das deutsche Gesetz es
verbietet und der Islam es sogar als eine Form von Vergewaltigung noch
strenger ächtet, kommt sie nun einmal in Familien mit
Migrationshintergrund häufiger vor, als in anderen Familien. Haben Sie
bessere Konzepte zur Lösung des Problems als die Frauenhäuser, die
überproportional von Migrantinnen aufgesucht werden?
Dogan:
Zur alleinigen Frauenaufklärung und
Stärkung "Nein" zu sagen. Es muss immer mindestens zwei Menschen geben,
damit es zu einer Zwangsehe kommt. Wir müssen die Frauen zum einen
Unterstützen, aber auch Mütter davon überzeugen ihre Kinder gleich zu
erziehen. Mädchen müssen schon in der Kindheit die gleichen Rechte
haben, damit sie mit diesem Bewusstsein groß werden. Und Jungen sollten
auch ihre Grenzen kennen lernen und auch genauso viel Verantwortung
tragen. Dabei ist einer der zentralen Punkte den Respekt vor der Frau
schon im Kindesalter zu erlernen.
MM: Eine Partei, die zunehmend das
Interesse der Muslime wie auch gerechtigkeitsliebender Nichtmuslime auf
sich lenkt wird neben den akuten innenpolitischen Themen eines Tags auch
hinsichtlich der Außenpolitik befragt werden. Und hier ist es kein
Geheimnis, dass Muslime in Bezug auf Palästina, in Bezug auf Afghanistan
und einige andere Konfliktfelder alternative Ansichten vertreten. Wie
wird damit in Ihrer Partei umgegangen?
Dogan:
Es werden Pressemitteilungen erstellt,
die genauso ungerechtfertigte Handlungen nicht gut finden, wie wir dies
auch im gleichen Maße zu anderen Themen handhaben. Das aktuelle Thema
ist eine nicht vertretbare Handlung, die nicht nur von Muslimen so
gesehen wird. Es hat nicht im Entferntesten etwas mit
moralisch-ethischen Handlungen zu tun.
MM: Zurück zu Ihnen: Welche Schwerpunkte
vertreten Sie im Stadtrat und wie kommt es, dass sie einmal mit der
einen und ein anderes Mal mit der anderen Partei stimmen, wo doch das
Land sich daran gewähnt hat, dass Regierende ihre eigenen Vorschläge
immer unverbesserbar gut finden und die Opposition die
Regierungsvorschläge immer schlecht findet?
Dogan:
Unsere kommunalpolitischen Schwerpunkte
liegen zurzeit hauptsächlich in der Integrations-, Bildungs- und
Kulturpolitik. Daneben sind wir als Partei in acht Ausschüssen teilweise
selbst als Stadtverordnete und teilweise durch sachkundige Bürger
erfolgreich vertreten: Schule; Wirtschaft und Arbeitsförderung; Planung,
Verkehr und Denkmalschutz; Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und
Lokale Agenda; Soziales, Migration, Gesundheit und Wohnen;
Internationales und Wissenschaft; Kultur und Umwelt und
Verbraucherschutz.
Zurzeit befinden wir uns noch in der Zuhör-,
Lern- und Eingewöhnungsphase. Denn viele Themen, die gegenwärtig im
Stadtrat behandelt werden, haben zum Teil eine lange Vorgeschichte, in
die wir uns erst mal hineinarbeiten müssen. Uns fehlt hin und wieder das
Vorwissen über bestimmte Themen oder Vorgänge. Die anderen Fraktionen
haben diese Themen meistens schon mehrfach behandelt und ausdiskutiert,
was nicht heißt, das sie immer eine korrekte oder gerechte politische
Position haben. Die etablierten Fraktionen haben uns schon zu Beginn
unserer Amtszeit dargelegt, dass man mindestens zwei Jahre benötigt, um
die Strukturen und Themen zu erfassen und über alles mitreden zu können.
Dafür dass wir nur zu zweit im Stadtrat sitzen, haben wir uns schon sehr
gut in die Thematiken eingearbeitet und schaffen parallel auch immer
mehr Strukturen innerhalb der Partei zu bilden. Ich denke, dass wir mit
der Zeit klarere Positionen zu vielen Themen beziehen und auch Stellung
nehmen können.
Unser Verständnis von politischer Mitwirkung
als Partei ist nicht die einer sturen Oppositionspolitik, sondern uns
geht es um nachhaltige zukunftsweisende Lösungsansätze, die den Bürgern
gleichermaßen zugute kommen. Diese sollten aus unserer Sicht glaubwürdig
und pragmatisch sein und nicht unbedingt ideologisch: also weder rechts
noch links oder grün usw. Da wir grundsätzlich eine offene Grundhaltung
haben, unterstützen wir durchaus auch realpolitische Positionen der
etablierten Oppositionsparteien. Wichtig ist uns dabei, dass wir unser
Handeln ethisch verantworten können.
MM: Nehmen wir einmal an, dass ein Leser
dieses Interviews Interesse an Ihrer Partei gewinnt aber feststellen
muss, dass in seinem Bundesland oder in seiner Umgebung noch keine
Vertretung vorhanden ist. An wen soll er sich wenden?
Dogan:
An Herrn Haluk Yildiz. Er ist unser
Parteivorsitzender und er ist schon dabei in vielen weiteren Städten mit
solchen Interessierten Kreisverbände zu gründen.
MM: Frau Dogan, wir danken für das
Interview. |