Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Benz
 

Muslim-Markt interviewt
Prof. Wolfgang Benz - Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung
1.11.2010

Wolfgang Benz (Jahrgang 1941) studierte nach seinem Abitur Geschichte, Politische Wissenschaft und Kunstgeschichte an Universitäten in Frankfurt am Main, Kiel und München. An der Universität München wurde er 1968 promoviert für eine Dissertation zur Innenpolitik in der Weimarer Republik und arbeitete anschließend bis 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München.

In 1985 war er Mitbegründer und Herausgeber der Dachauer Hefte und seit 1992 ist er zudem Herausgeber des Jahrbuchs für Antisemitismusforschung und auch Herausgeber der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft sowie Mitherausgeber der Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Er hatte Gastprofessuren in Australien, Südamerika und an europäischen Universitäten. Seit 1990 ist er Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und war Professor der TU. In 1992 wurde er für seine Arbeiten mit dem Geschwister-Scholl-Preis und dem Preis "Das politische Buch" der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet. Sein Amt als Leiter des Zentrums wird er im März 2011 an seine Nachfolgerin übergeben.

Prof. Benz ist seit über 40 Jahren verheiratet, hat zwei Kinder und lebt im Großraum Berlin. Das Interview wurde telefonisch geführt.

MM: Sie haben im Dezember 2008 im Zentrum für Antisemitismusforschung eine wissenschaftliche Konferenz mit dem Titel "Feindbild Muslim - Feindbild Jude" über das Verhältnis von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit veranstaltet. Für viele Muslime erscheint seither alles viel schlimmer geworden zu sein. Findet die Wissenschaft kein Gehör mehr in Politik und Gesellschaft?

Prof. Benz: Das ist immer eine Glückssache, ob die Wissenschaft in der Politik Gehör findet. Die Politik agiert ja nach eigenen Gesetzen, die Politik schaut auf Wähler, die Politik schaut dem Volk "aufs Maul". Und die Wissenschaft untersucht Sachverhalte nach Möglichkeit ohne Leidenschaft und möglichst objektiv. Die Ergebnisse werden dann nicht ohne Weiteres umgesetzt.

MM: Einer ihrer Mitarbeiter hat damals auch über die Zunahme von so genannten Islamkritikern referiert. Allerdings scheint "Islamkritiker" heutzutage ein sehr lukrativer Beruf geworden zu sein. Warum finden diese Leute einstmals wie heute - nur mit verschiedenen Vorzeichen - so viel Gehör?

Prof. Benz: Ich denke, sie finden deshalb so viel Gehör - Populisten und Demagogen finden immer Gehör - weil sie ein Gespür dafür haben, was Menschen ängstigt, was die Sorgen von Menschen sind. Deshalb ist jetzt auch ein gewisses Buch so erfolgreich und schlägt alle Rekorde. Deshalb sind in unseren Nachbarländern Populisten und Demagogen einigermaßen erfolgreich, weil sie Erwartungen und Ängste, vor allem Ängste, bedienen. Und wenn die Menschen sich angehört fühlen, und bei ihren Vorurteilen, ihren Feindbilder abgeholt werden, dann fühlen sie sich verstanden. Das ist dann der Erfolg der Demagogen.

MM: Sie haben Anfang des Jahres in einem Gastbeitrag für die Süddeutschen Zeitung geschrieben: "Feindbilder sind Produkte von Hysterie. Sie konstruieren und instrumentalisieren Zerrbilder der anderen. Wenn wir Hysterien als weitverbreitete Verhaltensstörung definieren, die unter anderem durch Beeinträchtigung der Wahrnehmung, durch emotionale Labilität, durch theatralischen Gestus und egozentrischen Habitus charakterisiert ist, dann erklären sich Phobien gegen andere Kulturen oder ganz unterschiedliche Minderheiten in der eigenen Gesellschaft als Abwehrreflex." Was genau will man denn abwehren?

Prof. Benz: Man hat Angst vor etwas, die Angst kommt aus dem Inneren. Es ist die Existenznot in schwierigen Zeiten. Es gibt sehr viele Probleme, und man sucht nach Erklärungen dafür. Die einfachste Erklärung ist immer: Ein anderer ist schuld! Das ist ein uralter Mechanismus. Man sucht nach dem Sündenbock, nach einem anderen, der außerhalb des eigenen Lebenskreises steht, der beispielsweise eine andere Religion hat, der andere kulturelle Gewohnheiten hat, und stigmatisiert diesen als den "Fremden", der am Unglück der Menschheit schuld ist. Das kennen wir schon lange, das ist absolut nichts neues. So sind die Vorstellungen "Zuwanderer nehmen uns die Arbeit weg", "Zuwanderer nehmen dem jungen Mann die Mädchen weg" Phobien, Konstrukte, in die man sich hineinsteigern kann. Es ist eine schlichte Welterklärung. Wenn ich jemanden, oder eine Gruppe von Menschen, benennen kann, die aufgrund ihres vermeintlichen Verhaltens, wegen ihres Andersseins, irgendetwas bewirken, dann habe ich eine "schöne" Erklärung und muss nicht nach den komplexen und schwierigen Ursachen für das Problem suchen, sondern es sind "die Muslime", oder "die Afrikaner", oder früher "die Juden", die schuld sind. Oder wie mir ein jüdischer Freund immer sagt: Mann kann jede Gruppe stigmatisieren, die Radfahrer oder Brillen tragende Frauen oder wen auch immer. Man muss nur dieser Gruppe bestimmte Eigenschaften zuweisen, dann fühlt sich die Mehrheit durch diese Diskriminierung auf sicherem Grund.

MM: Muslime bekommen in Deutschland mehr Kinder als Nichtmuslime. Wie kann man unter diesen Umständen der heutzutage weit verbreiteten und durch die Medien hoffähig gemachte Befürchtung entgegen treten, die "Islamisierung Europas" erfolge über das Wochenbett der muslimischen Frau, die Kopftuchkinder produziert?

Prof. Benz: Das ist nach aller Erfahrung extrem schwer, ein solches Zerrbild aus den Köpfen wieder hinaus zu befördern. Ich sage: Durch Aufklärung. Es gibt nur eine Möglichkeit; Aufklärung, Information. Da müssen alle zusammen helfen, um ein realistisches Bild der Wirklichkeit zu vermitteln und nicht mit diesen Zuweisungen, die Angstschreie sind, operieren. Und da eignet sich der Antisemitismus natürlich sehr gut als Vergleichsgegenstand, denn Antisemitismus ist das größte Vorurteil der Welt, das man kennt. Und durch die langen Traditionen bestätigt sich das anscheinend immer wieder. Wenn also in den Vorstellungen der europäischen Mehrheit bestimmte Abneigungen gegen Muslime vorhanden sind, die etwa auf die "Türken vor Wien" des 16. Jahrhunderts zurückgehen, dann sehen wir darin ein Beispiel für diese Tradition. Damals war die Angst und Abwehr gegen die Türken gerichtet, weil man befürchtet hat, dass die Türken Europa überrennen. Und wir können heute noch genauso feststellen, dass in dem Schlagwort der "Islamisierung Europas" das Feindbild der "Türken vor Wien" im Hintergrund steht.

MM: Einstmals wurde über den angeblich schlimmen Inhalt des Talmud diskutiert. Heute maßen sich Nichtmuslime an, den Heiligen Qur'an für Muslime ähnlich schlimm interpretieren zu wollen. Was hätten damals Juden machen können, um die Friedfertigkeit ihrer Religion zu erläutern, und was können heute Muslime im Land tun?

Prof. Benz: Das ist die schwierigste Frage überhaupt. Wenn die Minderheit - damals die Juden, heute die Muslime - allein gelassen wird, dann hat sie keine Chance. Die Minderheit braucht Verbündete in der Mehrheit, die davon überzeugt sind, dass diese Vorwürfe nicht richtig sind, und die auch ihre Überzeugung energisch vertreten. Das ist das Wichtigste! Wenn nur die Minderheit nach dem Motto handelt: "Schaut her, wir sind genauso gute und nette Menschen, wie ihr. Schaut her, das ist unsere Religion, die ist zwar anders, aber nicht schlechter als eure", wird das allein nicht funktionieren, da ein Feindbild etwas Krankhaftes ist, eine Phobie, eine Krankheit. Und man kommt allein mit rationalen Mitteln nicht dagegen an. Mehr als alles andere hilft, so meine ich, eine Rede, wie sie der Bundespräsident gehalten hat, weil diese eine unmittelbare Überzeugung deutlich gemacht hat. Und ich glaube, es funktioniert dann ganz gut, wenn die Eliten sich solidarisch mit der Minderheit erklären.

MM: Ihr Vergleich einstmaliger Judenfeindlichkeit mit heutiger Muslimfeindlichkeit hat ihnen auch viel Entrüstung entgegen schlagen lassen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Prof. Benz: Gar nicht. "Entrüstung" ist allerdings ein schwacher Ausdruck für das, was geschehen ist. Das war Hass! Rufmordkampagnen sind gegen mich losgetreten worden, was mir umso mehr beweist, wie hysterisch die Lage ist. Aber gegen eine Kampagne, gegen Rufmordversuche sind rationale Entgegnungen nicht möglich. Man reagiert dann auch wegen desNiveaus überhaupt nicht.

MM: Auf der anderen Seite ist nicht zu bezweifeln, dass es unter manchen Muslimen Antisemitismus gibt. Andere hingegen haben keinerlei rassistische Erwägungen sondern stellen sich politisch gegen den Zionismus, wobei die Grenzen fließend ineinander übergehen. Wie kann man Antisemitismus und Antizionismus wissenschaftlich-historisch voneinander unterscheiden?

Prof. Benz: Das ist ziemlich schwierig, aber durchaus machbar. Das betreibe ich in Büchern, Artikeln, Aufsätzen seit langer Zeit. Antisemitismus ist grundsätzlich etwas anderes als Antizionismus. Aber Antizionismus kann benutzt werden, um Antisemitismus zu artikulieren, und das geschieht immer häufiger und immer öfter. Der Denkfehler ist nur der, dass unterstellt wird, nur Muslime seien Antizionisten. Antizionismus gibt es als Israelfeindlichkeit unter Nichtmuslimen natürlich ebenso, wie unter Muslimen. Man muss eine Feindschaft gegen den Staat Israel, gegen die Existenz des Staates Israel, und eine Feindschaft gegen Juden unterscheiden – und muss dabei aber wissen, dass Antisemitismus und Antizionismus durchaus in ein und derselben Form auftreten können.

MM: Erlauben Sie abschließend eine private Frage: Anfang nächsten Jahres scheiden Sie aus dem Amt der Leitung des Zentrums für Antisemitismusforschung aus. Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Prof. Benz: Ich habe noch eine ganze Menge zu tun. Ich stecke mitten in der Herausgabe eines Handbuches des Antisemitismus. Der dritte Band wird in diesem Herbst vorgestellt, der vierte im nächsten Frühjahr und sieben Bände gibt es. Da gibt es also noch etliches zu tun. Ich habe rund vierzig Doktoranden, die weiterhin betreut werden müssen. Und ich habe drei Bücher zu schreiben, die mein Verlag seit langem von mir haben will. Das ist dann vielleicht der Luxus, den ich mir leiste, denn es werden keine Bücher zum Antisemitismus sein, oder nur höchst indirekt. Eines davon wird eine Geschichte des Exils aus Deutschland sein, der erzwungenen Auswanderung aus Deutschland unter dem Nationalsozialistischen Regime, in dem Menschen wegen ihrer Religion fliehen mussten, oder wegen ihrer Gesinnung. So bin ich dann doch immer noch im alten Bereich tätig.

MM: Sehr geehrter Her Prof. Benz, vielen Dank für das Interview.

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