MM: Gemeinsam mit dem Autor Jürgen Roth
haben Sie zwei Bücher über Verschwörungstheorien verfasst ("Wer steckt
dahinter?" und "Der Dolch im Gewande"). Sind Sie ein
Verschwörungstheoretiker?
Sokolowsky: Nein. Eher könnte man mich einen
Verschwörungstheoretiker-Kritiker nennen. Das ist natürlich furchtbar
umständlich und klingt ziemlich bescheuert. Mir fällt allerdings kein
besserer Name für das ein, was Jürgen Roth und ich in unseren Büchern
getrieben haben: Kritik der Verschwörungstheorie.
MM: Wie ist das zu verstehen?
Sokolowsky: Wir haben einerseits die
realen, historisch belegten Komplotte untersucht - von der Ermordung
Julius Caesars bis hin zu den Attentatsplänen der CIA gegen Fidel
Castro. Andererseits haben wir uns die populärsten
Verschwörungstheorien, die im Umlauf sind, vorgeknöpft. Ob es nun um die
zahllosen Spekulationen rund um die Erschießung John F. Kennedys geht
oder um "Die Protokolle der Weisen von Zion": Wir haben festgestellt,
dass es sich bei so gut wie allen sogenannten Verschwörungstheorien in
Wirklichkeit um Verschwörungsphantasien handelt.
Die Verschwörungstheoretiker arbeiten mit
lauter Vermutungen, missverstandenen Fakten, Verdächtigungen und einer
ziemlich abenteuerlichen Logik. Sie sind äußerst anfällig dafür, hinter
dem Unheil - das es in der Welt tatsächlich gibt, und zwar in
unerträglicher Menge - einen gewaltigen Masterplan von unendlich
mächtigen Verbrechern zu vermuten. Aber all diese Verschwörungstheorien
sind wie gigantische, bunt schillernde Seifenblasen: Sticht man hinein,
platzen sie auf und hinterlassen einen schmierigen Fleck.
MM: Sie lassen jene
Verschwörungstheorien aber nicht nur "aufplatzen", sondern weisen auch
auf Probleme hin ...
Sokolowsky: Verschwörungstheorien sind
enorm gefährlich. Indem sie bestimmten Gruppen von Menschen -
am "beliebtesten" sind hier "die Juden" - unterstellen, hinter
buchstäblich jeder Gemeinheit und jedem Verbrechen unserer Zeit zu
stecken, vernebeln sie den Blick auf die Realität und schüren
Vorurteile. Verschwörungstheorien sind in der Regel äußerst kompliziert
gestrickt. Aber im Kern machen sie sich die Welt ganz einfach: Auf der
einen Seite stehen die vielen Unschuldigen, die Millionen Unwissenden,
die zur Schlachtbank geführt werden, und auf der anderen übermenschlich
böse Kräfte, eine Clique von Superschurken, gegen die kein Kraut
gewachsen ist. Aber so einfach ist die Welt nun einmal nicht. Und wir
werden die Probleme, die unser Planet hat, ganz bestimmt nicht lösen,
indem wir uns einbilden, die wirklich entscheidenden Dinge würden
allesamt im Geheimen ausgekungelt, und uns Bürgern bliebe nichts anderes
übrig als auszubaden, was von den Superschurken in ihren Hinterzimmern
ausbaldowert wird.
MM: Was bewegt jemanden, der über Harald
Schmidt, Alice Schwarzer und Michael Moore schreibt, sich dem "Feindbild
Muslim" zu widmen?
Sokolowsky: Das passt auf den ersten,
sehr flüchtigen Blick in der Tat nicht zusammen. Doch so sprunghaft, wie
es scheint, bin ich als Autor nicht. Obwohl mehrere Jahre vergangen
sind, seit Jürgen Roth und ich unsere Bücher über Verschwörungstheorien
veröffentlicht haben, behalte ich das Thema weiterhin im Auge. Und vor
einiger Zeit ist mir aufgefallen, dass die Verschwörungsphantasie von
den bösen Muslimen, die die ganze Menschheit unterjochen wollen, immer
populärer wird, dass sie mittlerweile schrecklich erfolgreich ist.
Ein Buch über dieses Thema zu schreiben, über
die Erschaffung eines Feindbilds namens Moslem, beschloss ich aber erst,
nachdem ich mir vor etwa anderthalb Jahren sehr gründlich angesehen
hatte, mit wie viel Verfolgungswahn, Menschenverachtung, Hass und
Bosheit auf zahllosen Internet-Websites gegen Muslime in Deutschland
gehetzt wird. Allen voran ist hier das Weblog "Politically Incorrect" zu
nennen. Mir war vorher gar nicht bewusst, was für ein dumpfer,
rassistischer Sumpf sich da gebildet hat, und mit welcher
Unverschämtheit und Brutalität hier migrantenfeindlicher Dreck
geschleudert wird. Nach dieser ersten Recherche zum Muslimhass in
Deutschland war mir klar, dass ich mich hier als Autor einzumischen
habe, dass ich meiner Empörung über diese widerliche Hetzerei Ausdruck
verschaffen muss.
Aber mit der Empörung allein ist es ja nicht
getan. Deshalb ist "Feindbild Moslem" ein Buch geworden, in dem
haarklein nachgewiesen wird, warum der Muslimhass eine Form des
Rassismus ist und weshalb die Behauptungen der Muslimhasser haltlos und
niederträchtig sind. Ob sie nun Henryk M. Broder oder Ralph Giordano,
Stefan Aust oder Necla Kelek heißen - sie alle malen an einem
Alptraumgemälde, das "die Muslime" als größte Bedrohung der Deutschen,
ja der ganzen Welt erscheinen lässt. Und sie haben, leider, bei sehr
vielen deutschen Lesern enormen Erfolg mit ihren Übertreibungen,
Unterstellungen und paranoiden Thesen.
MM: Waren Sie über das Ausmaß der
Islamfeindlichkeit überrascht?
Sokolowsky: Mich entsetzt es, welcher
Respekt diesen Leuten für ihre üblen Thesen gezollt wird, wie sie durch
die Talkshows geradezu mit Händen getragen und mit Ehrungen überhäuft
werden. Das ist ein Riesenskandal, über den so gut wie gar nicht geredet
wird. Im Gegenteil - ein großer Teil der deutschen Medien und des
deutschen Publikums ist Autoren wie Broder und Kelek geradezu dankbar
für ihre Schmähungen und ihre Tiraden gegen Muslime. Sehr viele Deutsche
haben ein großes Problem mit Menschen islamischen Glaubens. Aber sie
wollen nicht hören, dass jedes Problem mindestens zwei Seiten hat. Viel
lieber hören sie, dass an allen Problemen zwischen Muslimen und
Nichtmuslimen einzig und allein die Muslime schuld sind. Aber, wie schon
gesagt: So einfach ist die Welt nicht. Und wer sie so einfach machen
will, der führt nichts Gutes im Schilde, der will auch nicht, dass ein
schlechter Zustand sich bessert, im Gegenteil. Hier werden Angst und
Hass gesät, und die Saat geht auf. Die beklagenswerte Frau, die in
Dresden ermordet wurde, nur weil sie Muslima war, wird nicht das letzte
Opfer dieses Hasses sein, fürchte ich.
Bei der Recherche zu "Feindbild Moslem" traf
ich übrigens auch wieder mit Aussagen der bekennenden Islamfeindin Alice
Schwarzer zusammen. Über sie hatte ich vor zehn Jahren ein alles andere
als freundliches Buch geschrieben und eigentlich gehofft, mich
anschließend nie wieder mit dieser überschätzten, peinlichen Dame
befassen zu müssen. Aber nicht jede Hoffnung wird erfüllt.
MM: Bestärkt Sie der Fall
Sarrazin in Ihrer Publikation, die vor seinen Äußerungen veröffentlicht
wurde?
Sokolowsky: Die ekelhaften Sprüche Thilo
Sarrazins bestätigen das, was ich über Muslimhass schreibe, und sie
bestärken mich auch darin, weiter gegen diese Form des Rassismus zu
kämpfen. Aber gleichzeitig bin ich fassungslos darüber, wie dieser Mann
mit den Halbwahrheiten und Lügen davonkommt, die er verbreitet. Wie weit
muss die Feindseligkeit gegen die Muslime in Deutschland mittlerweile
gediehen sein, wenn solch ein Brandstifter seinen Spitzenjob in einer
Bundesbehörde behalten darf? Wenn weder die Bundeskanzlerin noch der
Finanzminister es für nötig halten, sich energisch dagegen zu verwahren,
dass ein Vorstandsmitglied der Bundesbank - ihr Angestellter! - solchen
Unflat verbreitet, wenn sie überhaupt nichts dazu sagen, sondern
stillschweigend dazu lächeln? Und wenn 51 Prozent der Deutschen glauben,
er habe recht mit seinen Hetzsprüchen?
Die Situation, das habe ich am Fall Sarrazin
gelernt, ist noch übler und bedrohlicher, als ich in meinem Buch
beschrieben habe. Mir wäre es lieber, wenn ich sagen könnte: "Ach, Kay,
da hast du aber übertrieben." Aber seit Sarrazin weiß ich, dass ich mit
meiner Analyse eher untertrieben habe..
MM: Nun schreiben Sie selbst
auch für Veröffentlichungen wie Jungle World und taz, die
zumindest von einer ganzen Reihe von Muslimen als Muslimfeindlich
eingestuft werden. In wie weit haben Sie auch ihre "Arbeitgeber"
kritisiert?
Sokolowsky: Ich teile die Einschätzung
nicht, dass diese Zeitungen muslimfeindlich sind. Muslime - ebenso wie
Christen, Hindus oder Juden - sollten es aushalten können, wenn ihre
Religion kritisch hinterfragt wird, wenn auf Unrecht hingewiesen und
gefragt wird, ob dieses Unrecht politische oder religiöse Motive hat.
Die Antworten in taz oder Jungle World fallen, denke ich, sehr
differenziert aus. Stimmen die Antworten nicht, kann man ihnen in diesen
Zeitungen widersprechen, es gibt dort keine einseitige "Blattlinie" wie
einst im "Spiegel" unter dem muslimfeindlichen Chefredakteur Stefan Aust.
Ich bin sicher - und habe das in meinem Buch
auch mehrmals geschrieben -, dass die allermeisten Muslime Gewalt,
Fanatismus und Unterdrückung verabscheuen. Und ich bin ebenso sicher,
dass die Redakteure der Jungle World oder der taz denken wie ich. Sonst
könnte ich dort auch nicht mehr veröffentlichen. Es war die Jungle
World, die einen Vorabdruck aus meinem Buch publizierte. Ein
taz-Redakteur moderiert die Buchpremiere von "Feindbild Moslem". Würden
bei diesen Zeitungen die Islamhasser das Sagen haben, hätten sie und
ihre Redakteure mich und mein Buch ignoriert.
Um es auf den Punkt zu bringen:
Muslimfeindschaft, wie Broder oder "Politically Incorrect" sie predigen,
bedeutet, jedem gläubigen Muslim zu unterstellen, er sei ein Feind der
Menschenrechte, der Aufklärung, der westlichen Werte, er sei ein
Schmarotzer, ein Dieb, ein Betrüger, ein Sadist und potenzieller
Terrorist. Das ist purer Rassismus und blanke Volksverhetzung. Davon
handelt mein Buch. Aber solche Aussagen habe ich bis heute weder in der
taz noch in der Jungle World gefunden. Diese Zeitungen bauen nicht am
"Feindbild Moslem" mit. Und darum hatte ich auch keinen Grund, sie in
meinem Buch zu kritisieren.
MM: Von "FAZ" bis "Spiegel"
hingegen bleibt berechtigterweise kaum jemand ungeschoren bei der
Aufzählung Ihrer Beispiele. Was kann aber Otto-Normal-Bürger, der
eigentlich keine Feindseligkeit gegenüber seinen muslimischen Mitbürgern
verspürt, gegen diese subtile Meinungsmache tun, um nicht davon
beeinflusst zu werden?
Sokolowsky: Das ist die schwierigste
Frage, die Sie mir stellen konnten. Wenn ich darauf nur eine patente
Antwort wüsste. Wenn ich bloß wüsste, wie man gegen die permanente
antimuslimische Stimmungsmache ankäme, die unsere Medien und leider auch
die Politik beherrscht!
Ich denke, dass hier nur der eigene Verstand
hilft. Gegen Vorurteile hilft nur, sich ein eigenes, realistisches
Urteil zu bilden. Gegen die Angst vor dem Fremden, dem Anderen, dem
Unbekannten hilft nur, das Unbekannte kennenzulernen, im Anderen erst
einmal einen Menschen zu sehen, die Fremdheit durch Begegnung zu
überwinden.
MM: Was kann das praktisch bedeuten?
Sokolowsky: Je besser die Deutschen mit
deutschen Eltern ihre Mitbürger mit türkischen oder arabischen Eltern
kennenlernen, desto weniger leicht werden sie auf das Gehetze der
Muslimhasser hereinfallen. Statt ständig darauf zu schielen, wo sich die
einen von den anderen Deutschen unterscheiden - und sie sind ja alle
Deutsche, egal was sie glauben! -, sollten sie alle schauen, was sie
verbindet. Denn das ist viel mehr als das, was sie trennt. Muslime wie
Christen denken nicht pausenlos an Jesus oder Allah, sondern ebenso an
ihren Arbeitsplatz, die Hypothek fürs Haus, die Erziehung der Kinder,
die Reparatur des Autos, den Preis fürs Suppenhuhn. Es sind die
Hassprediger, die den Blick auf diese alltäglichen Gemeinsamkeiten
verblenden wollen - die Hassprediger in den Hinterhofmoscheen und die
Hassprediger in den Medien wie Broder, Udo Ulfkotte, Necla Kelek oder
Giordano. Und leider hört man in unseren Medien viel mehr von den
Hasspredigern beider Seiten als von den Versöhnern.
Die Hassprediger wollen uns einreden, dass "der
Andere" kein Mensch ist, sondern eine Bedrohung, eine Gefahr, ein Feind.
Darauf dürfen wir nicht hereinfallen - egal, an welchen Gott wir
glauben, ganz gleich, welche moralischen Vorstellungen uns leiten. Im
selben Augenblick, in dem wir einen anderen Menschen nicht mehr als
Menschen wahrnehmen, sondern nur noch als "den Muslim" oder "den
Schweinefleischfresser", sind wir auch schon bereit, diesen Anderen zu
vernichten. Denn wir erkennen ihn nicht mehr als Menschen, der leidet,
der Schmerz empfindet, sondern nur noch als Stellvertreter eines
Klischees. Und für Klischees haben wir kein Erbarmen und kein Mitgefühl.
Klischees können wir quälen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Ohne Klischees gäbe es keine rassistischen Morde.
MM: Wie können wir denn aufeinander
zugehen, wenn es doch auch Unterschiede gibt?
Sokolowsky: Wir
müssen einander nicht überschwänglich lieben, wir müssen nicht alles
toll und großartig finden, was der Mensch nebenan tut. Aber wir müssen
uns als Menschen respektieren, uns gegenseitig ernst nehmen und
miteinander reden.
Menschen werden niemals immer einer Meinung
sein; ich finde es gut, wenn die Meinungen auseinandergehen. Es geht bei
Diskussionen aber stets darum, den Anderen als Menschen zu achten. Seine
Meinung zu respektieren. Über seine Worte nachzudenken, bevor man sie
beurteilt. Wenn wir das tun, haben Hassprediger, egal woher sie stammen
und welche Ideologie sie verbreiten, keine Chance mehr.
Es ist nichts Verwerfliches am Streit. Menschen
können endlos miteinander streiten und dabei viele Tassen Kaffee trinken
- miteinander! In jedem Streit steckt der Wunsch, zu einem gemeinsamen
Ziel zu kommen, mag dies auch sehr, sehr lang dauern. Aber die Ideologen
und Feindbildhauer wollen nicht streiten, sondern ein tiefes Zerwürfnis
erzeugen. Sie wollen, dass die Parteien nicht mehr miteinander reden,
sondern sich gegenseitig anschreien und diffamieren. Die Feindbildhauer
sind primitive Köpfe, angst- und hasserfüllt. Von ihnen handelt mein
Buch, von diesen Förderern der Angst und des Abscheus. Und vielleicht
kann mein Buch dazu beitragen, dass "Otto-Normal-Bürger" nicht mehr so
leicht auf Autoren wie Broder oder Necla Kelek hereinfällt oder auf
Hassprediger wie Thilo Sarrazin. Dann hätte ich sehr viel erreicht.
MM: Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und
danken für das Interview. |