MM: Sehr geehrter Herr Nelte, erlauben Sie
zunächst die Frage nach Ihrer Gesundheit: Wie gehet es Ihnen, welche
Möglichkeiten der Aktivität haben Sie?
Nelte: Mir geht es sehr gut. Ich kann
das meiste machen, wie wenn ich gesund wäre. Ich schreibe mit meiner
Kopfmaus sogar ein ganzes Buch bei Amazon (Rosa Luxemburg, die Grenzen
des Marktes und die Todeszuckungen des Kapitalismus) und halte auf
Veranstaltungen Referate und lasse mich auf Demonstrationen schieben.
MM: Wie kam es zur Gründung der
Aktivität "Kein Blut für Öl" und welche Ziele verfolgen Sie damit?
Nelte: Da wir schon 2001 das Ende des
Kapitalismus, also der Marktwirtschaft sahen (Bruttosozialprodukt
gegenüber Vorjahr -6,9 % trotz Abwrackprämie und Kurzarbeitergeld:
Statistisches Bundesamt) und dass sein Hegemon, die USA zu seinem Ende
hin die Welt mit Kriegen überhäufen (Afghanistan, Irak, Pakistan,
Somalia, Palästina – vielleicht noch Sudan, Iran, China, Zentralasien,
Russland) wird, gründeten wir das Antikriegskomitee "Kein Blut für Öl"
mit den drei Standbeinen gegen "Krieg, Rassismus und Sozialkürzungen".
Die Marktwirtschaft versucht ihre Existenz mit Rüstungsproduktion zu
verlängern und in der Tat ist das ja fast noch die einzigste Branche in
den Metropolen, die wächst. Die Herrschenden herrschen dadurch, dass sie
die Ethnien spalten und versuchen besonders zu ihrem Ende hin ihre
Gewinne so aufrecht zu erhalten, dass sie den Lohnabhängigen ihre
immerhin schon minimalen Anteile an der Wertschöpfung massiv kürzen.
MM: In diesem Zusammenhang haben Sie die
Broschüre "Stoppt die Hetze gegen Muslime!" herausgebracht. Warum
engagiert sich ein "Linker" für eine Kopftuchträgerin?
Nelte: Der Mensch kann nur glücklich
werden, wenn auch alle Menschen gleichberechtigt behandelt werden. In
der Wirtschaftskrise wird ein Schuldiger, ein Buhmann für alles gesucht.
Das ist dann der Moslem, dessen Länder meist auf den Gas- und Ölquellen
liegen, über die die Regierung des untergehenden Imperialisten Amerika
denkt, dass sie eigentlich ihren Kapitalisten gehören. Damit die Welt
sich nicht spalten lässt, ist es wichtig, gegen die dumme und
überhebliche Anti-Moslem-Hetze zu Felde zu ziehen. Der Rassismus führt
nur dazu, dass der Lohn aller Lohnabhängiger gekürzt wird und dass alle
die barbarischen Kriege zahlen sollen. Die Moslemhetze wir alle kleinen
Leute treffen. Wir sind alle Moslems.
MM: Immer wieder engagieren Sie sich auch für
die Befreiung der Palästinenser, insbesondere jetzt für die Freiheit der
Bevölkerung in Gaza. Wie ist dieses Engagement in Ihren
Gesamtzusammenhang zu integrieren?
Nelte: Bei Theodor Herzls Ersuchen um
1900 um einen israelischen Staat interessierte sich noch kein Land
dafür. Erst nachdem aber 1927 im Irak und dann 1945 in Saudi-Arabien Öl
gefunden wurde, benötigte das US-Kapital einen Wachhund im Nahen Osten.
Für die Gründung Israels in einem fremden Land waren 1948 nur 3
afrikanische und asiatische Länder, die westlichen Vasallenstaaten
Taiwan, Rhodesien und Südafrika. So bekamen die jüdischen 5% der
Bevölkerung 72% vom palästinensischen Land.
Nun werden die Palästinenser immer dafür bestraft, wenn irgendwo im
Nahen Osten etwas den Amerikanern nicht passt. Z.B. mussten 2008 1.500
Palästinenser in Gaza dafür sterben, damit die USA im Irak ihr neues
Ölgesetz bekommen, nachdem neue Funde gratis ohne Steuern im Irak nach
Amerika gehen können. Außerdem lassen sich immer die neuesten Waffen
testen. Ein unerträglicher Zustand der nur zur Barbarei in der ganzen
Welt führt. Palästina, Somalia, Nordpakistan sind nur der Anfang. Wehret
den Anfängen.
MM: Ein weiteres Feld ihres
unermüdlichen und engagierten Einsatzes ist gegen ProKöln gerichtet, die
den Moscheebau in Köln zu behindern such. Warum setzt sich aber ein
"Linker" für Moscheen ein?
Nelte: Es ist eine Strategie der
Herrschenden, die kleinen Leute wie zu den Kreuzfahrerzeiten weltweit
mit einer Spaltung in Christen und Moslems zu schwächen. Auf dieser
Welle schwimmt ProKöln, deshalb sind sie so gefährlich. Wenn in der
Weltwirtschaftskrise die explodierende Arbeiterklasse mit dem
bürgerlichen Parlament nicht mehr beherrschbar ist, benötigen die
Herrschenden die Hilfsarmee, wie die Nazis 1933, als der Düsseldorfer
Industrieclub um Krupp und Thyssen mit ihren Millionen Hitler an die
Macht brachte. Diesmal dürfen es aber keine Nazis sein mit einem
Antisemitismus, sondern mit einem Antiislamismus, wie die Herrschenden
auch wie die Mohammed-Karrikaturen in Dänemark oder den ständigen
Terror-Erfindungen des BKAs. In diesem Hetzer-Stil zeigt jetzt ProKöln
sein neuestes Film-Machwerk Fitna. So baut sich ProKöln auch in NRW und
auch schon in Belgien auf. Aber wehe, wenn sie losgelassen werden.
Deshalb müssen wir alles tun, dass sie sich nicht aufbauen können.
Die Moschee, besonders die architektonisch interessante, ist doch neben
dem Dom eine touristische Bereicherung für Köln, aber die Ewiggestrigen
wollen lieber im Mittealter bleiben.
Keine demokratischen Rechte für die Henker von Morgen.
MM: Was können wir Ihres Erachtens
gemeinsam in Deutschland zu tun, um die bestehende Krise konstruktiv zu
meistern?
Nelte: Letztlich kann die
Wirtschaftskrise in dieser bürgerlichen Demokratie mit
marktwirtschaftlichen Methoden nicht mehr gelöst werden. Die Finanzkrise
wird zum Zusammenbruch aller Staaten wie z.B. Island führen werden. Die
Lohnabhängigen, egal ob nichtreligiöse, christliche, moslemische,
jüdische oder buddhistische kämpfen gemeinsam gegen die massive Kürzung
des Lohnes und werden immer stärker während dieses Kampfes ihre
gemeinsamen Interessen erkennen. Die objektiven Interessen der
Lohnabhängigen sind international, der VW-Beschäftigte in Wolfsburg hat
nichts davon, wenn sein südafrikanischer VW-Kollege 10 mal weniger
verdient, nur ein billiges Dumpingauto, dass seinen Arbeitsplatz
verdrängt. In den gemeinsamen Kämpfen wird sich daher die neue
Wirtschaftsweise der internationalen Solidarität aufzeigen. Nicht mehr
ein Gegeneinander in Konkurrenz, sondern eine weltweites Miteinander
ohne Wettbewerb werden zu einem ausgeglichenen und harmonischen
Weltmarkt führen.
MM: Während es im Bereich der
Wirtschaftspolitik, bei Stichwort soziale Gerechtigkeit und in der
Friedenspolitik nahe liegende Ansätze zwischen "Linken" und deutschen
Muslimen gibt, liegen teilweise Welten zwischen ihnen im Bereich der
Familienpolitik und Spiritualität. Wie kann man dennoch aufeinander
zugehen und gemeinsam für ein lebenswerteres Deutschland eintreten?
Nelte: Es gab schon die ersten Versuche
einer Zusammenarbeit bei "Respect" in Großbritannien. Wir von KBfÖ (Kein
Blut für Öl) arbeiten auch in Köln im Bündnis Stoppt die antiislamische
Hetze gemeinsam mit moslemischen Kräften zusammen z.B. der HDR (Organization
for Human Dignity and Rights) zusammen. In der Zusammenarbeit ergeben
sich natürlich auch Missverständnisse, da sich zwei Welten aus anderen
Entwicklungen treffen, die sich wieder auseinander bewegen können.
Wichtig ist nur, dass wir das Gemeinsame im Vordergrund behalten. Wir
sind alle von der Hoffnung getrieben, dass der Mensch miteinander in
Harmonie leben kann.
Für uns Linke kann das erreicht werden durch
die Abschaffung des Profites. Gehen die Überlegungen der Urchristen und
von Mohammed mit der Abschaffung des Zinses nicht auch in eine ähnliche
Richtung, es gab damals nur noch nicht die Mittel für die Durchsetzung,
die Arbeiterklasse?
MM: Abschließende Frage: Woher nehmen
sie die Kraft und Ausdauer, trotz einschränkender Krankheit, sich derart
Intensiv für Gerechtigkeit einzusetzen?
Nelte: Ich habe einen tiefen Glauben an
die Möglichkeit und Entwicklungsfähigkeit des Menschen. Er tritt
momentan aus seiner Vorgeschichte, in der er eher der Getriebene war, in
seine Geschichte, die er dann endlich mit Vernunft selber schreiben
wird. In dieser spannenden Zeit, wo er nach den Sternen greift, ist es
eher lähmend, nicht an diesem Prozess teilzunehmen. Die Festtage der
kleinen Leute will und werde ich noch erleben.
MM: Sehr geehrter Herr Nelte, wir danke
für das Interview. |