Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Norbert Nelte
 

Muslim-Markt interviewt
Norbert Nelte, Aktivist der Aktion "Kein Blut für Öl" und Redakteur der Linken Zeitung
26.5.2009

Norbert Nelte (Jahrgang 1945) studierte nach seiner Kaufmannslehre in den 1960er Jahren Betriebswirtschaftslehre und sammelte als Wirtschaftlichkeitsrechner praktische Erfahrungen über die Wirkungsweise des Kapitalismus. Zunächst versuchte er in den 1960er Jahren Gesinnungsgenossen für die Idee der Arbeiterräte zu finden. Als das nicht den gewünschten Erfolg erzielte, schloss er sich in der Studentenbewegung den deutschen Vertretern der Internationalen Sozialisten um Tony Cliff an.

In den 1970er Jahren konnte er als Vertrauensmann eines Großbetriebes der Autozulieferindustrie, als Sprecher der Antiatombewegung in Hessen, als Sprecher der Atomgegner in den Gewerkschaften in Hessen-Nassau und in den 1980er Jahren als Gründer und Sprecher der Arbeitslosengruppen in Hannover seine praktischen politischen Erfahrungen sammeln. Nachdem er die Meinung entwickelte, dass die Cliffisten sich 1990 nach rechts zum Zentrismus hin entwickelten und die Theorie zu Gunsten einer Bewegungstümelei unterbelichteten, gründete er in Köln seine eigene Initiative zur Reorganisation der internationalen Sozialisten (IS). In diesem Zusammenhang hatte er bereits viele Kontakte zur Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund. Mit ihnen gründete er 2001 nach dem Anschlag auf das World Trade Center das Antikriegskomitee "Kein Blut für Öl". In diesem Zusammenhang war er maßgeblich an der Erstellung des Flugblatts "Stoppt die Hetze gegen Muslime!" beteiligt. In 2007 schrieb er das Buch "Rosa Luxemburg, die Grenzen des Marktes und die Todeszuckungen des Kapitalismus".

Seit 2003 ist er durch eine Multiple Sklerose vollständig gelähmt. Die IS arbeiten heute mit im Netzwerk Linke Opposition und Norbert Nelte als Redakteur bei der Linken Zeitung.

Norbert Nelte ist ledig und lebt im Großraum Köln.

MM: Sehr geehrter Herr Nelte, erlauben Sie zunächst die Frage nach Ihrer Gesundheit: Wie gehet es Ihnen, welche Möglichkeiten der Aktivität haben Sie?

Nelte: Mir geht es sehr gut. Ich kann das meiste machen, wie wenn ich gesund wäre. Ich schreibe mit meiner Kopfmaus sogar ein ganzes Buch bei Amazon (Rosa Luxemburg, die Grenzen des Marktes und die Todeszuckungen des Kapitalismus) und halte auf Veranstaltungen Referate und lasse mich auf Demonstrationen schieben.

MM: Wie kam es zur Gründung der Aktivität "Kein Blut für Öl" und welche Ziele verfolgen Sie damit?

Nelte: Da wir schon 2001 das Ende des Kapitalismus, also der Marktwirtschaft sahen (Bruttosozialprodukt gegenüber Vorjahr -6,9 % trotz Abwrackprämie und Kurzarbeitergeld: Statistisches Bundesamt) und dass sein Hegemon, die USA zu seinem Ende hin die Welt mit Kriegen überhäufen (Afghanistan, Irak, Pakistan, Somalia, Palästina – vielleicht noch Sudan, Iran, China, Zentralasien, Russland) wird, gründeten wir das Antikriegskomitee "Kein Blut für Öl" mit den drei Standbeinen gegen "Krieg, Rassismus und Sozialkürzungen". Die Marktwirtschaft versucht ihre Existenz mit Rüstungsproduktion zu verlängern und in der Tat ist das ja fast noch die einzigste Branche in den Metropolen, die wächst. Die Herrschenden herrschen dadurch, dass sie die Ethnien spalten und versuchen besonders zu ihrem Ende hin ihre Gewinne so aufrecht zu erhalten, dass sie den Lohnabhängigen ihre immerhin schon minimalen Anteile an der Wertschöpfung massiv kürzen.

MM: In diesem Zusammenhang haben Sie die Broschüre "Stoppt die Hetze gegen Muslime!" herausgebracht. Warum engagiert sich ein "Linker" für eine Kopftuchträgerin?

Nelte: Der Mensch kann nur glücklich werden, wenn auch alle Menschen gleichberechtigt behandelt werden. In der Wirtschaftskrise wird ein Schuldiger, ein Buhmann für alles gesucht. Das ist dann der Moslem, dessen Länder meist auf den Gas- und Ölquellen liegen, über die die Regierung des untergehenden Imperialisten Amerika denkt, dass sie eigentlich ihren Kapitalisten gehören. Damit die Welt sich nicht spalten lässt, ist es wichtig, gegen die dumme und überhebliche Anti-Moslem-Hetze zu Felde zu ziehen. Der Rassismus führt nur dazu, dass der Lohn aller Lohnabhängiger gekürzt wird und dass alle die barbarischen Kriege zahlen sollen. Die Moslemhetze wir alle kleinen Leute treffen. Wir sind alle Moslems.

MM: Immer wieder engagieren Sie sich auch für die Befreiung der Palästinenser, insbesondere jetzt für die Freiheit der Bevölkerung in Gaza. Wie ist dieses Engagement in Ihren Gesamtzusammenhang zu integrieren?

Nelte: Bei Theodor Herzls Ersuchen um 1900 um einen israelischen Staat interessierte sich noch kein Land dafür. Erst nachdem aber 1927 im Irak und dann 1945 in Saudi-Arabien Öl gefunden wurde, benötigte das US-Kapital einen Wachhund im Nahen Osten. Für die Gründung Israels in einem fremden Land waren 1948 nur 3 afrikanische und asiatische Länder, die westlichen Vasallenstaaten Taiwan, Rhodesien und Südafrika. So bekamen die jüdischen 5% der Bevölkerung 72% vom palästinensischen Land.
Nun werden die Palästinenser immer dafür bestraft, wenn irgendwo im Nahen Osten etwas den Amerikanern nicht passt. Z.B. mussten 2008 1.500 Palästinenser in Gaza dafür sterben, damit die USA im Irak ihr neues Ölgesetz bekommen, nachdem neue Funde gratis ohne Steuern im Irak nach Amerika gehen können. Außerdem lassen sich immer die neuesten Waffen testen. Ein unerträglicher Zustand der nur zur Barbarei in der ganzen Welt führt. Palästina, Somalia, Nordpakistan sind nur der Anfang. Wehret den Anfängen.

MM: Ein weiteres Feld ihres unermüdlichen und engagierten Einsatzes ist gegen ProKöln gerichtet, die den Moscheebau in Köln zu behindern such. Warum setzt sich aber ein "Linker" für Moscheen ein?

Nelte: Es ist eine Strategie der Herrschenden, die kleinen Leute wie zu den Kreuzfahrerzeiten weltweit mit einer Spaltung in Christen und Moslems zu schwächen. Auf dieser Welle schwimmt ProKöln, deshalb sind sie so gefährlich. Wenn in der Weltwirtschaftskrise die explodierende Arbeiterklasse mit dem bürgerlichen Parlament nicht mehr beherrschbar ist, benötigen die Herrschenden die Hilfsarmee, wie die Nazis 1933, als der Düsseldorfer Industrieclub um Krupp und Thyssen mit ihren Millionen Hitler an die Macht brachte. Diesmal dürfen es aber keine Nazis sein mit einem Antisemitismus, sondern mit einem Antiislamismus, wie die Herrschenden auch wie die Mohammed-Karrikaturen in Dänemark oder den ständigen Terror-Erfindungen des BKAs. In diesem Hetzer-Stil zeigt jetzt ProKöln sein neuestes Film-Machwerk Fitna. So baut sich ProKöln auch in NRW und auch schon in Belgien auf. Aber wehe, wenn sie losgelassen werden. Deshalb müssen wir alles tun, dass sie sich nicht aufbauen können.
Die Moschee, besonders die architektonisch interessante, ist doch neben dem Dom eine touristische Bereicherung für Köln, aber die Ewiggestrigen wollen lieber im Mittealter bleiben.
Keine demokratischen Rechte für die Henker von Morgen.

MM: Was können wir Ihres Erachtens gemeinsam in Deutschland zu tun, um die bestehende Krise konstruktiv zu meistern?

Nelte: Letztlich kann die Wirtschaftskrise in dieser bürgerlichen Demokratie mit marktwirtschaftlichen Methoden nicht mehr gelöst werden. Die Finanzkrise wird zum Zusammenbruch aller Staaten wie z.B. Island führen werden. Die Lohnabhängigen, egal ob nichtreligiöse, christliche, moslemische, jüdische oder buddhistische kämpfen gemeinsam gegen die massive Kürzung des Lohnes und werden immer stärker während dieses Kampfes ihre gemeinsamen Interessen erkennen. Die objektiven Interessen der Lohnabhängigen sind international, der VW-Beschäftigte in Wolfsburg hat nichts davon, wenn sein südafrikanischer VW-Kollege 10 mal weniger verdient, nur ein billiges Dumpingauto, dass seinen Arbeitsplatz verdrängt. In den gemeinsamen Kämpfen wird sich daher die neue Wirtschaftsweise der internationalen Solidarität aufzeigen. Nicht mehr ein Gegeneinander in Konkurrenz, sondern eine weltweites Miteinander ohne Wettbewerb werden zu einem ausgeglichenen und harmonischen Weltmarkt führen.

MM: Während es im Bereich der Wirtschaftspolitik, bei Stichwort soziale Gerechtigkeit und in der Friedenspolitik nahe liegende Ansätze zwischen "Linken" und deutschen Muslimen gibt, liegen teilweise Welten zwischen ihnen im Bereich der Familienpolitik und Spiritualität. Wie kann man dennoch aufeinander zugehen und gemeinsam für ein lebenswerteres Deutschland eintreten?

Nelte: Es gab schon die ersten Versuche einer Zusammenarbeit bei "Respect" in Großbritannien. Wir von KBfÖ (Kein Blut für Öl) arbeiten auch in Köln im Bündnis Stoppt die antiislamische Hetze gemeinsam mit moslemischen Kräften zusammen z.B. der HDR (Organization for Human Dignity and Rights) zusammen. In der Zusammenarbeit ergeben sich natürlich auch Missverständnisse, da sich zwei Welten aus anderen Entwicklungen treffen, die sich wieder auseinander bewegen können. Wichtig ist nur, dass wir das Gemeinsame im Vordergrund behalten. Wir sind alle von der Hoffnung getrieben, dass der Mensch miteinander in Harmonie leben kann.

Für uns Linke kann das erreicht werden durch die Abschaffung des Profites. Gehen die Überlegungen der Urchristen und von Mohammed mit der Abschaffung des Zinses nicht auch in eine ähnliche Richtung, es gab damals nur noch nicht die Mittel für die Durchsetzung, die Arbeiterklasse?

MM: Abschließende Frage: Woher nehmen sie die Kraft und Ausdauer, trotz einschränkender Krankheit, sich derart Intensiv für Gerechtigkeit einzusetzen?

Nelte: Ich habe einen tiefen Glauben an die Möglichkeit und Entwicklungsfähigkeit des Menschen. Er tritt momentan aus seiner Vorgeschichte, in der er eher der Getriebene war, in seine Geschichte, die er dann endlich mit Vernunft selber schreiben wird. In dieser spannenden Zeit, wo er nach den Sternen greift, ist es eher lähmend, nicht an diesem Prozess teilzunehmen. Die Festtage der kleinen Leute will und werde ich noch erleben.

MM: Sehr geehrter Herr Nelte, wir danke für das Interview.

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