MM: Sehr geehrte Frau Groß-Bölting. Sie
haben jüngst einen Mandaten vertreten, dem vorgeworfen wurde in einen
Versicherungsbetrug verwickelt zu sein, bei dem durch einen vorgetäuschten
Unfalltod ein Versicherungsbetrug durchgeführt werden sollte. Warum wurde
der Fall nicht wie ein übliches Strafverfahren für Betrugsdelikte behandelt?
Groß-Bölting: Die Ermittlungsbehörden
haben nach einer Rasterfahndung nach dem 11. September 2001 meinen
Mandanten ins Visier genommen und islamistische Aktivitäten vermutet.
Es wurden Hausdurchsuchungen gemacht, Observationen und schließlich
eine monatelange Wohnraumüberwachung in der Wohnung seines Bekannten,
bei dem mein Mandant damals wohnte. Die Ermittlungen haben - bis auf
den Vorwurf des Versicherungsbetrugs, durch den mein Mandant al-Qaida
unterstützt haben soll - nichts Konkretes erbracht. Die zuvor
eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten sind
eingestellt worden. Die geplanten Versicherungsbetrügereien waren eher
ein Zufallsfund für die Ermittlungsbehörden, aber das einzige
überhaupt einigermaßen konkrete und vielleicht strafrechtlich
Vorwerfbare.
MM: Ist es nicht eher ungewöhnlich, dass
ein angeblicher Terrorist bzw. Terroristenhelfer wegen
Versicherungsbetrugs angeklagt wird?
Groß-Bölting: Für mich stellt es sich so
dar, dass man den ganzen Aufwand rechtfertigen musste und - da die
Bevölkerung beruhigt sein soll, dass die deutsche Terrorabwehr
funktioniert - auch ein Ergebnis brauchte, dass den Einsatz der
Wohnraumüberwachung rechtfertigte. So kommt auch ein Betrugsvorwurf, der
sonst beim Amts- oder Landgericht gelandet wäre und nach meiner
Einschätzung nicht zu einer Verurteilung geführt hätte, zum
Staatsschutzsenat.
MM: Würden Sie uns eine kurze
Zusammenfassung geben und erklären, warum sie nach der ersten
Urteilsverkündung gegen ihren Mandanten bis zum Bundesgerichtshof gegangen
sind?
Groß-Bölting: In ganz groben Zügen ging
es in dem Verfahren darum, ob die Planungen zu
Versicherungsbetrügereien in der Wohnung eines der Angeklagten schon
strafbare Handlungen waren und ob sich die Angeklagten durch ihre
Planung, einen Teil des zukünftigen Erlöses aus den Taten, den
Mudschahedin zu spenden, bereits zum al-Qaida-Mitglied oder
Unterstützer gemacht hatten. Nur einer der Angeklagten soll - nach
seinen widersprüchlichen Geschichten - in al-Qaida-Ausbildungslagern
gewesen sein und während der amerikanischen Offensive mit Usama Bin
Laden in den Bergen Afghanistans Hähnchen am offenen Feuer gegrillt
haben.
MM: Glauben Sie das?
Groß-Bölting: Nein, das glaube ich
nicht. Die Verteidigung hat
zahlreiche Beweise dafür angeboten, dass dies Lügengeschichten waren,
jedoch ist das Gericht diesen Beweisen nicht nachgegangen. Für meine
Entscheidung, zum Bundesgerichtshof zu gehen, war entscheidend, dass
ich die durchgeführte Wohnraumüberwachung für verfassungswidrig halte
und für die Ausweitung der Strafbarkeit für die Vorbereitung der
Betrugstaten allein der Gesetzgeber zuständig wäre. Ich meine, dass
ein Oberlandesgericht nicht einfach geltendes Recht missachten darf,
weil es (rechts-)politische Ziele verfolgt.
MM: Ihrem Mandanten wurde vorgeworfen,
Mitglied einer "Terroristischen Vereinigung" zu sein, nämlich der al-Qaida.
Können Sie uns nach dem Prozess mitteilen, wo jene Organisation ansässig
ist, wer sie leitet, wie viele "Mitglieder" sie schätzungsweise aus wie
vielen Ländern sie hat und ob es außer CIA-Angaben auch unabhängige
gesicherte, überprüfbare und gerichtsverwertbare Erkenntnisse gibt, dass es
jene Organisation überhaupt gibt? Und wie wird die "Mitgliedschaft" in solch
einer Phantomorganisation eigentlich gerichtsverwertbar festgestellt?
Groß-Bölting: Ich kann Ihnen trotz
langer und umfangreicher Beweisaufnahme nicht sagen, wo al-Qaida
ansässig sein soll und in welchen Ländern sie wie viele Mitglieder
haben soll. Die Verteidigung hat die Position vertreten, dass al-Qaida
eine Ideologie ist, aber keine terroristische Organisation im Sinne
unseres Strafgesetzbuchs. Der Prozessverlauf hat uns in dieser
Einschätzung bestätigt. Die Sachverständigen, die wir gehört haben,
haben nie konkrete Quellen für ihre "Erkenntnisse" genannt.
Überprüfbar, ob das, was dort behauptet wurde, tatsächlich Hand und
Fuß hat, oder ob es interessengelenkte Fehlinformationen gab, war das
alles nicht.
MM: Nach dem jüngsten BGH-Urteil darf ihr
Mandant zumindest auf eine mildere Strafe hoffen, da er ja jetzt nicht mehr
"Mitglied" der al-Qaida sei, sondern "nur" noch Unterstützer. Der unbeholfene
Laie hat immer die Vorstellung, dass im Zweifelsfall für den Angeklagten
entschieden wird. Wie aber konnte bei einem der Angeklagten zweifelsfrei
festgestellt werden, dass er "Mitglied" war, während die anderen "nur"
Unterstützer gewesen sein sollen?
Groß-Bölting: Ehrlich gesagt, wüsste ich
auch gerne hierauf eine Antwort. Die Hauptverhandlung vor dem
Oberlandesgericht hat aus meiner Sicht zahlreiche Aspekte ergeben,
warum der Mitangeklagte kein al-Qaida Mitglied war. Das Gericht hat
sich aber entweder geweigert, den entsprechenden Beweisanträgen, z.B.
zu Alibibeweisen (!!!), nachzugehen oder hat die der gerichtlichen
Argumentation entgegenstehenden Punkte einfach weggelassen und
totgeschwiegen. Für mich war das OLG-Verfahren eine erschreckende
Demonstration staatlicher Macht.
MM: Die bundesdeutschen Medien haben den
Fall vergleichsweise "leise" behandelt. Haben Sie dafür eine
Erklärung?
Groß-Bölting: Meiner Meinung nach hat
die Behandlung des Falls in den Medien, also die vergleichsweise
"leise" Darstellung, mit mehreren Punkten zu tun. Zu allererst hatte
der Vorsitzende Richter nach meinem Eindruck, anders als in anderen
Verfahren kein Interesse an einer Begleitung des Prozesses durch die
Medien. Weil es keine gerichtliche Pressearbeit gab, die auf die
angebliche Wichtigkeit und Bedeutung des Falles über den ersten und
den letzten Tag hinaus hinwies, kamen auch keine Journalisten. Wären
sie gekommen und hätten sie über den Prozess berichtet, wäre die
Öffentlichkeit möglicherweise entsetzt gewesen, wie wenig Substanz die
Vorwürfe eigentlich hatten. Zum anderen ging es in diesem Verfahren um
sehr viele, teils schwierige Rechtsfragen, also nichts, was so
interessant ist wie gebastelte Bomben. So konnte fast im Geheimen vom
Senat in wichtigen Punkten Verteidigungsrechte beschränkt und
polizeiliche Eingriffe legitimiert werden. Und die Öffentlichkeit hat
nicht erfahren, wie weit die Bespitzelung der Bürger schon geht.
MM: Sie selbst nehmen ja offenbar auch vor
Gericht nicht unbedingt ein Blatt vor den Mund und seit 2006 gibt es mehrere
Strafverfahren gegen Ihre Person, und sie wurden von Richtern wegen
Verleumdung angezeigt. Können Sie uns dazu etwas sagen, ohne dass Sie sich
oder uns ein weiteres Verfahren aufhalsen?
Groß-Bölting: Über Ihre Frage muss ich
zunächst einmal schmunzeln und dazu sagen, dass ich keineswegs laufend
mit Verfahren überzogen werde und auch niemanden verleumdet habe. Die
Verfahren gegen mich haben nach meiner Einschätzung etwas mit einem
Bild der Justiz von Verteidigung zu tun, das mir Sorge bereitet. Eine
engagierte und an den Interessen des Mandanten orientierte
Verteidigung scheint von einigen Richtern mit Misstrauen betrachtet
und als feindlich erlebt zu werden. Ich habe das Gefühl, dass ich
durch die Anzeigen eingeschüchtert und von einer engagierten
Verteidigung abgehalten werden soll. Ich lasse mich aber nicht
einschüchtern. Es gibt keinen Grund, Dinge, die im Strafprozess
passieren, nicht deutlich beim Namen zu nennen.
MM: Haben Sie jetzt nach so viel Kontakt
zu "Islamisten" Angst vor ihnen?
Groß-Bölting: Ich hatte keinen Kontakt
zu Islamisten. Aber ich habe auch keine Angst vor Islamisten.
MM: Was wäre Ihr Wunsch bezüglich
berechtigter Terrorismusabwehr für Deutschland?
Groß-Bölting: Bei der
Terrorismusbekämpfung in Deutschland wünsche ich mir mehr Gelassenheit
und die Rückkehr zu unseren Freiheitsrechten. Für mich sind die ganzen
Eingriffe in unsere Grundrechte gefährlicher als die Bedrohung durch
Terroristen.
MM: Frau Groß-Bölting. Wir danken für das
Interview. |