Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit A. Groß-Bölting
 

Muslim-Markt interviewt
Andrea Groß-Bölting, Rechtsanwältin in einem Al-Qaida-Prozess in Deutschland 

29.9.2009

Andrea Groß-Bölting (Jahrgang 1968) hat nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln ihren juristischen Vorbereitungsdienst beim Landgericht Wuppertal absolviert und ihre zweite juristische Staatsprüfung 1995 absolviert. Daraufhin gründete sie ihre Rechtsanwaltskanzlei und erhielt in 1998 den Titel "Fachanwältin für Strafrecht" verliehen. Ab 2000 war sie nebenbei auch Dozentin an verschiedenen Studieninstituten. Sie ist Mitglied in zahlreichen Anwaltsvereinigungen und sitzt im Vorstand der Strafverteidigervereinigung NRW e.V.. Von 1986-1995 war sie ehrenamtlich tätig in verschiedenen Gefängnissen.

Als Organisatorin des Strafverteidigernotdienstes des Wuppertaler Anwaltsvereins und Autorin im "Handbuch des Fachanwalts Strafrecht" ist sie prädestiniert dafür schwierige Fälle als Fachanwältin für Strafrecht zu übernehmen. In diesem Zusammenhang hat sie einen Palästinenser verteidigt, dem vorgeworfen wurde, Mitglied der al-Qaida zu sein.

Frau Groß-Bölting ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt im Großraum Wuppertal.

MM: Sehr geehrte Frau Groß-Bölting. Sie haben jüngst einen Mandaten vertreten, dem vorgeworfen wurde in einen Versicherungsbetrug verwickelt zu sein, bei dem durch einen vorgetäuschten Unfalltod ein Versicherungsbetrug durchgeführt werden sollte. Warum wurde der Fall nicht wie ein übliches Strafverfahren für Betrugsdelikte behandelt?

Groß-Bölting: Die Ermittlungsbehörden haben nach einer Rasterfahndung nach dem 11. September 2001 meinen Mandanten ins Visier genommen und islamistische Aktivitäten vermutet. Es wurden Hausdurchsuchungen gemacht, Observationen und schließlich eine monatelange Wohnraumüberwachung in der Wohnung seines Bekannten, bei dem mein Mandant damals wohnte. Die Ermittlungen haben - bis auf den Vorwurf des Versicherungsbetrugs, durch den mein Mandant al-Qaida unterstützt haben soll - nichts Konkretes erbracht. Die zuvor eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten sind eingestellt worden. Die geplanten Versicherungsbetrügereien waren eher ein Zufallsfund für die Ermittlungsbehörden, aber das einzige überhaupt einigermaßen konkrete und vielleicht strafrechtlich Vorwerfbare.

MM: Ist es nicht eher ungewöhnlich, dass ein angeblicher Terrorist bzw. Terroristenhelfer wegen Versicherungsbetrugs angeklagt wird?

Groß-Bölting: Für mich stellt es sich so dar, dass man den ganzen Aufwand rechtfertigen musste und - da die Bevölkerung beruhigt sein soll, dass die deutsche Terrorabwehr funktioniert - auch ein Ergebnis brauchte, dass den Einsatz der Wohnraumüberwachung rechtfertigte. So kommt auch ein Betrugsvorwurf, der sonst beim Amts- oder Landgericht gelandet wäre und nach meiner Einschätzung nicht zu einer Verurteilung geführt hätte, zum Staatsschutzsenat.

MM: Würden Sie uns eine kurze Zusammenfassung geben und erklären, warum sie nach der ersten Urteilsverkündung gegen ihren Mandanten bis zum Bundesgerichtshof gegangen sind?

Groß-Bölting: In ganz groben Zügen ging es in dem Verfahren darum, ob die Planungen zu Versicherungsbetrügereien in der Wohnung eines der Angeklagten schon strafbare Handlungen waren und ob sich die Angeklagten durch ihre Planung, einen Teil des zukünftigen Erlöses aus den Taten, den Mudschahedin zu spenden, bereits zum al-Qaida-Mitglied oder Unterstützer gemacht hatten. Nur einer der Angeklagten soll - nach seinen widersprüchlichen Geschichten - in al-Qaida-Ausbildungslagern gewesen sein und während der amerikanischen Offensive mit Usama Bin Laden in den Bergen Afghanistans Hähnchen am offenen Feuer gegrillt haben.

MM: Glauben Sie das?

Groß-Bölting: Nein, das glaube ich nicht. Die Verteidigung hat zahlreiche Beweise dafür angeboten, dass dies Lügengeschichten waren, jedoch ist das Gericht diesen Beweisen nicht nachgegangen. Für meine Entscheidung, zum Bundesgerichtshof zu gehen, war entscheidend, dass ich die durchgeführte Wohnraumüberwachung für verfassungswidrig halte und für die Ausweitung der Strafbarkeit für die Vorbereitung der Betrugstaten allein der Gesetzgeber zuständig wäre. Ich meine, dass ein Oberlandesgericht nicht einfach geltendes Recht missachten darf, weil es (rechts-)politische Ziele verfolgt.

MM: Ihrem Mandanten wurde vorgeworfen, Mitglied einer "Terroristischen Vereinigung" zu sein, nämlich der al-Qaida. Können Sie uns nach dem Prozess mitteilen, wo jene Organisation ansässig ist, wer sie leitet, wie viele "Mitglieder" sie schätzungsweise aus wie vielen Ländern sie hat und ob es außer CIA-Angaben auch unabhängige gesicherte, überprüfbare und gerichtsverwertbare Erkenntnisse gibt, dass es jene Organisation überhaupt gibt? Und wie wird die "Mitgliedschaft" in solch einer Phantomorganisation eigentlich gerichtsverwertbar festgestellt?

Groß-Bölting: Ich kann Ihnen trotz langer und umfangreicher Beweisaufnahme nicht sagen, wo al-Qaida ansässig sein soll und in welchen Ländern sie wie viele Mitglieder haben soll. Die Verteidigung hat die Position vertreten, dass al-Qaida eine Ideologie ist, aber keine terroristische Organisation im Sinne unseres Strafgesetzbuchs. Der Prozessverlauf hat uns in dieser Einschätzung bestätigt. Die Sachverständigen, die wir gehört haben, haben nie konkrete Quellen für ihre "Erkenntnisse" genannt. Überprüfbar, ob das, was dort behauptet wurde, tatsächlich Hand und Fuß hat, oder ob es interessengelenkte Fehlinformationen gab, war das alles nicht.

MM: Nach dem jüngsten BGH-Urteil darf ihr Mandant zumindest auf eine mildere Strafe hoffen, da er ja jetzt nicht mehr "Mitglied" der al-Qaida sei, sondern "nur" noch Unterstützer. Der unbeholfene Laie hat immer die Vorstellung, dass im Zweifelsfall für den Angeklagten entschieden wird. Wie aber konnte bei einem der Angeklagten zweifelsfrei festgestellt werden, dass er "Mitglied" war, während die anderen "nur" Unterstützer gewesen sein sollen?

Groß-Bölting: Ehrlich gesagt, wüsste ich auch gerne hierauf eine Antwort. Die Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht hat aus meiner Sicht zahlreiche Aspekte ergeben, warum der Mitangeklagte kein al-Qaida Mitglied war. Das Gericht hat sich aber entweder geweigert, den entsprechenden Beweisanträgen, z.B. zu Alibibeweisen (!!!), nachzugehen oder hat die der gerichtlichen Argumentation entgegenstehenden Punkte einfach weggelassen und totgeschwiegen. Für mich war das OLG-Verfahren eine erschreckende Demonstration staatlicher Macht.

MM: Die bundesdeutschen Medien haben den Fall vergleichsweise "leise" behandelt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Groß-Bölting: Meiner Meinung nach hat die Behandlung des Falls in den Medien, also die vergleichsweise "leise" Darstellung, mit mehreren Punkten zu tun. Zu allererst hatte der Vorsitzende Richter nach meinem Eindruck, anders als in anderen Verfahren kein Interesse an einer Begleitung des Prozesses durch die Medien. Weil es keine gerichtliche Pressearbeit gab, die auf die angebliche Wichtigkeit und Bedeutung des Falles über den ersten und den letzten Tag hinaus hinwies, kamen auch keine Journalisten. Wären sie gekommen und hätten sie über den Prozess berichtet, wäre die Öffentlichkeit möglicherweise entsetzt gewesen, wie wenig Substanz die Vorwürfe eigentlich hatten. Zum anderen ging es in diesem Verfahren um sehr viele, teils schwierige Rechtsfragen, also nichts, was so interessant ist wie gebastelte Bomben. So konnte fast im Geheimen vom Senat in wichtigen Punkten Verteidigungsrechte beschränkt und polizeiliche Eingriffe legitimiert werden. Und die Öffentlichkeit hat nicht erfahren, wie weit die Bespitzelung der Bürger schon geht.

MM: Sie selbst nehmen ja offenbar auch vor Gericht nicht unbedingt ein Blatt vor den Mund und seit 2006 gibt es mehrere Strafverfahren gegen Ihre Person, und sie wurden von Richtern wegen Verleumdung angezeigt. Können Sie uns dazu etwas sagen, ohne dass Sie sich oder uns ein weiteres Verfahren aufhalsen?

Groß-Bölting: Über Ihre Frage muss ich zunächst einmal schmunzeln und dazu sagen, dass ich keineswegs laufend mit Verfahren überzogen werde und auch niemanden verleumdet habe. Die Verfahren gegen mich haben nach meiner Einschätzung etwas mit einem Bild der Justiz von Verteidigung zu tun, das mir Sorge bereitet. Eine engagierte und an den Interessen des Mandanten orientierte Verteidigung scheint von einigen Richtern mit Misstrauen betrachtet und als feindlich erlebt zu werden. Ich habe das Gefühl, dass ich durch die Anzeigen eingeschüchtert und von einer engagierten Verteidigung abgehalten werden soll. Ich lasse mich aber nicht einschüchtern. Es gibt keinen Grund, Dinge, die im Strafprozess passieren, nicht deutlich beim Namen zu nennen.

MM: Haben Sie jetzt nach so viel Kontakt zu "Islamisten" Angst vor ihnen?

Groß-Bölting: Ich hatte keinen Kontakt zu Islamisten. Aber ich habe auch keine Angst vor Islamisten.

MM: Was wäre Ihr Wunsch bezüglich berechtigter Terrorismusabwehr für Deutschland?

Groß-Bölting: Bei der Terrorismusbekämpfung in Deutschland wünsche ich mir mehr Gelassenheit und die Rückkehr zu unseren Freiheitsrechten. Für mich sind die ganzen Eingriffe in unsere Grundrechte gefährlicher als die Bedrohung durch Terroristen.

MM: Frau Groß-Bölting. Wir danken für das Interview.

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