Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Ganim Authmann
 

Muslim-Markt interviewt
Ganim Authman, Repräsentant der Irakischen-Turkmenen-Front in Deutschland

17.2.2008

Ganim Authman (Jahrgang 1949) ist in Kerkük (Irak) geboren. Nach seiner Schulausbildung in seiner Heimatstadt hat er in Bagdad an der theologischen Fakultät studiert. Dabei setzte er sich mit friedlichen Mitteln gegen die Gleichschaltung des Saddam-Regimes und insbesondere gegen die Unterdrückung der Turkmenen im Irak ein.

In der Folge wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen, doch er konnte 1973 noch vor der Festnahme zunächst in die Türkei fliehen und dann weiter nach Deutschland, um hier politisches Asyl zu beantragen. Damals war es Asylbewerbern noch erlaubt, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, und er bekam dazu die Gelegenheit in einer Kunststofffabrik als einfacher Arbeiter. Durch seinen Einsatz, Fleiß und die ihm deshalb gewährten betrieblichen Fortbildungsmaßnahmen gelang ihm in kürzester Zeit ein innerbetrieblicher Aufstieg über alle Stationen bis 1985 sogar zum Betriebsleiter. Nach zehn Jahren Tätigkeit als Betriebsleiter ging er in den Vorruhestand.

Seit 1988 setzt er sich dafür ein, die Problematik der Turkmenen im Irak auch in Deutschland bekannt zu machen und ist seit 2000 der Repräsentant der Irakischen-Turkmenen-Front in Deutschland.

Authman ist verheiratet, hat drei inzwischen erwachsene Kinder und lebt in Berlin. Er spricht Arabisch, Türkisch und Deutsch.

MM: Sehr geehrte Ganim Authman, lassen Sie uns mit Ihrer Flucht vor dem Saddam-Regime beginnen. Wie sind Sie damals in Deutschland aufgenommen worden?

Authman: Erlauben Sie mir, dass ich nicht nur von mir, sondern von so vielen Turkmenen berichte, die in Deutschland oder in anderen Ländern Europas Asyl gesucht haben. wie bekannt, ist der Irak ein an Bodenschätzen reiches Land, und die Älteren erinnern sich an die Jahre 1960-1965 in denen der wirtschaftliche Aufschwung auch zu einer Art inneren Frieden geführt hat. Aber die Unterdrückungspolitik Saddams gegen Turkmenen - aber nicht nur gegen sie - und der von Saddam angezettelte Krieg gegen die damals noch junge Islamische Republik Iran machten das Leben für alle Bürger, die dem Regime nicht nahe standen zunehmend unerträglich. Viele Turkmenen haben ihr Leben dabei verloren. Die Flucht aus dem Irak war ein reiner Existenzkampf, eine Frage des Überlebens. Wir haben unsere Heimat verlassen, um zu überleben! Und so bin auch ich einer von diesen Flüchtlingen. Aufgrund des politischen Drucks gegen mich, während ich in Bagdad an der theologischen Fakultät im dritten Lehrjahr ausgebildet wurde, war derart groß, dass ich um mein Leben gefürchtet habe. Und so habe ich den Irak verlassen und - Gott sei Dank - am Ende meiner Flucht politisches Asyl in Deutschland beantragen können. Ich bin Deutschland, seiner Regierung und der Bevölkerung sehr dankbar dafür, dass sie mir diese Möglichkeit eröffnet haben.

MM: Warum wurden Turkmenen vom Saddam-Regime verfolgt?

Authman: Die Ausgangssituation war so, dass ca. 3 Millionen Turkmenen mit einem vergleichsweise hohen Bildungstand im Irak lebten, über durchaus demokratisch zu nennende innere Strukturen in der Basis verfügten und deren Vorfahren sich seit ca. 1000 Jahren im Irak heimisch fühlten. Obwohl wir uns immer für die Einheit des Irak, für die Gemeinsamkeit der Bevölkerung eingesetzt haben, gehörten die Turkmenen zu einem der bevorzugten Ziele des Saddam-Regimes und ihrer Unterdrückungspolitik.

Nach der gewaltsamen Machtergreifung der Baath-Partei und der Machtsicherung in 1963 folgte 1970 die Erlaubnis der turkmenischen Sprache im Beriech der Bildung, die Erlaubnis für turkmenische Privatschulen und weitere Erleichterungen im kulturellen Bereich für die Turkmenen. Allerdings wurden jene Erleichterungen binnen kürzester Zeit wieder aufgehoben und ein Großteil der turkmenischen Lehrer aus ihrer Heimat in Kerkuk (im Norden des Irak) in den Süden des Landes verbannt.

Nachdem Saddam die Macht ergriffen hat und dann 1979 den letztendlich 8 Jahre andauernden Krieg gegen den Iran begann, war der Blutzoll unter den Turkmenen extrem hoch. Um die Verluste in der Mehrheitsbevölkerung in Grenzen zu halten, wurden die Soldaten der Minderheiten im Land an vorderster Front verheizt, nachdem sie zwangseingezogen worden waren. Obwohl wir selbst keinerlei Feindschaft gegenüber unseren Glaubensbrüdern im Iran hegten, wurden unsere Kinder für Saddam an die vorderste Front beordert und viele starben dort, teilweise unter dem Einsatz der Chemiewaffen, die Saddam gegen den Iran und gegen eigene aufständische Gruppen eingesetzt hat, ohne dass die westliche Welt damals ernsthaft dagegen protestiert hätte..

MM: Stellten denn die Turkmenen eine Gefahr für das Saddam-Regime dar?

Authman: Eigentlich stellte jede halbwegs im Irak funktionierende und zusammen haltende Gruppe im Irak eine Gefahr für das Saddam-Regime dar, dass keinen Rückhalt in der Bevölkerung hatte. Die Lage der Kurden von Halabdscha ist ja nur deshalb bekannt, weil darüber berichtet wurde. Über die Vertreibungspolitik gegen andere Gruppen wurde hingegen weniger berichtet.

So hat Saddam versucht die verschiedenen Volksgruppen, die allesamt in Frieden miteinander lebten durch Umsiedlung und Entwurzelung, auseinander zu reißen, damit sie keine Gefahr für sein Regime darstellten. Viele Turkmenen wurden zwangsumgesiedelt. Andere Turkmenen wurden enteignet und ihre Ländereien arabischen Volksgruppen geschenkt, die wiederum ebenfalls dorthin zwangsumgesiedelt wurden. Man kann sich in Deutschland gar nicht vorstellen, mit welchen inneren Methoden das Unterdrückungsregime Saddams an der Macht gehalten wurde, und so lange Saddam im Interesse der USA gegen den Iran krieg führte, wollte man es sich wohl auch nicht vorstellen.

Das Embargo gegen die irakische Bevölkerung nach dem zweiten so genannten Golfkrieg traf vor allem die Zivilbevölkerung. Während die wenigen verbliebenen Ressourcen für Anhänger des Saddam-Regimes aufgewandt wurden, haben andere Bevölkerungsteile keinen Anteil daran und mussten noch mehr leiden. Die Aufstände gegen jene Unterdrückung, die am 18. März 1991in Duhok, Erbil ve Süleymaniye begannen, sprangen schnell auf Kerkuk über . Saddams Armee wurde in Gang gesetzt und die Aufstände wurden blutig niedergeschlagen. Allein in der Stadt Tazehurmatu starben mehrere Hundert Turkmenen im Kugelhagel der Armee. Der Rest der Bevölkerung versuchte zu fliehen, wurde aber von der Armee eingeholt und getötet oder verschleppt. ein teil konnte sich in den Iran oder die Türkei absetzen.

MM: Gab es denn zumindest einige Erleichterung, als die Vereinten Nationen die nördlichen Bereiche des Landes zum Schutz der Kurden zur Flugverbotszone erklärte?

Authman: Tatsächlich führte jene Regelung zumindest zu einer Entlastung der kurdischen Bevölkerung. Allerdings betraf die Regelung nur die Gebiete nördlich des 36. Breitengrades. Die aber von Turkmenen bewohnten Gebiete Altunköprü, Musul, Kerkuk und andere waren davon nicht betroffen, so dass Saddam jetzt seine ganze Unterdrückungsmaschinerie auf die Turkmenen konzentrieren konnte. In der Folge wurde von den Turkmenen verlangt, sich entweder dem kurdischen oder dem arabischen Bevölkerungsteil zuzuordnen. Mit dieser Entscheidung einher sollte dann auch gehen, wo man leben durfte. Beides war aber für die Turmenen nicht akzeptabel, da wir als Turkmenen immer für die Einheit des Irak eingetreten sind.

MM: In der westlichen Welt gibt es im Irak nur Kurden, Sunniten und Schiiten. Warum wird Ihrer Meinung nach nicht über Turkmenen berichtet?

Authman: Zunächst einmal ist festzustellen, dass jene Einteilung ein völlig absurde und willkürliche Einteilung der Besatzer ist, die jegliche Vernunft vermissen lässt. Auf der einen Seite erwähnt man religiöse Rechtsschulen und auf der anderen Seite eine Volksgruppe. Sind denn nicht die meisten Kurden Sunniten? Und kann ein Kurde denn nicht auch Schiit sein? Und was ist das überhaupt für eine Volksgruppe, die man "Sunniten" nennt? Es gibt arabische Sunniten, Turkmenische Sunniten, Kurdische Sunniten, aber jeder von denen könnte auch sich zur Schia bekennen. Zudem haben wir im Irak doch auch viele Assyrische Christen. Wozu gehören die dann? Die ganze Einteilung ist doch absurd. Tatsache ist, dass die Bevölkerung im Irak weitestgehend im Frieden miteinander lebte und sich gegenseitig bereicherte. Wir hatte nie Probleme zwischen Sunniten und Schiiten, und es war nichts ungewöhnliches, wenn ein Turkmene einen Araber heiratete.

Die "offizielle" Einteilung des Landes in drei Bereiche aber hat zu viel Leid geführt, insbesondere für jene Minderheiten, die gar nicht berücksichtigt wurden. Und die daran gekoppelte Besatzung führt derzeit dazu, dass jede Tag ca. 100 Iraker umgebracht werden. Wenn nach einigen Berichten inzwischen schon 1 Million Iraker aufgrund der Besatzung und der daran gekoppelten Gewalt umgekommen ist, ist das kein Völkermord? wie viele Menschen müssen denn gewaltsam umkommen, bis es als Völkermord bezeichnet wird?

MM: Kommen wir nunmehr zur aktuellen Situation. Wie ist die Lage heute für Turkmenen?

Authman: Nach der Besetzung des Irak durch die USA in 2003 hat sich die Situation geändert. In der Verfassung vom 15.10.2005 sind die Turkmenen immerhin als anerkannte Minderheit erwähnt, wenn auch Araber und Kurden als Kernbevölkerung des Irak bezeichnet werden. Dementsprechend ist Kurdisch als zweite Sprache neben dem Arabischen anerkannt. Zwar darf das Turkmenische in den Gebieten mit turkmenischer Mehrheit gelehrt werden, aber der Verweis auf manche Regionen, in denen Turkmenen angeblich in der Minderheit leben sollen, obwohl das nicht mit der Realität übereinstimmt oder teilweise durch Zwangsumsiedlungen bewirkt wurde, schmerz schon sehr. Turkmenen, die seit Jahrhunderten im Irak leben und sich stets als loyale Bürger des Landes gefühlt haben, werden jetzt als Minderheit abqualifiziert und ihrer Rechte als gleichberechtigte Bürger und Volksgruppe beraubt.

Die aktuelle Situation der Turkmenen ist als sehr schwierig zu bezeichnen, zumal sie auch weit über das land verstreut sind. Mit den Ereignissen von 2003 hatten viele Turkmenen ganz andere Hoffnungen verbunden. so bestand damals die Hoffnung, dass nach der dunklen Zeit der Unterdrückung durch das Saddam-Regime eine Zeit der Befreiung und Demokratie eingeleitet werden würde. Jene Hoffnungen sind angesichts des unübersehbaren Charakters der Besatzung inzwischen erstickt worden. Wenn Sie mich fragen, wird das Turkmenische Volk derzeit systematisch unterdrückt, was eines Tages sogar als Völkermord beurteilt werden könnte. Die einzelnen Verschwörungen gegen Turkmenen aufzuzählen würde wohl den Rahmen eines solchen Interviews sprengen.

MM: Haben Sie denn keine Hoffnung?

Authman: Selbstverständlich haben wir Hoffnung, zwar nicht auf die Besatzer aber auf den Rest der Weltgemeinschaft und das gute Gewissen aller Menschen in allen Ländern und Völkern, und natürlich vor allem hoffen wir auf Gott. Mehr denn je sind die demokratischen Kräfte aller Länder gefragt, sich für Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen, der die Basis für Frieden ist. Wir glauben aber auch, dass die europäischen Regierungen, insbesondere auch die Deutsche, wenn sie über den Schatten der bedingungslosen Unterstützung der USA springen, durchaus die Werte vertreten können, für die sie einstehen.

MM: Sie sind Vertreter der Irakischen-Turkmenen-Front in Deutschland. Welche ziele verfolgt die Gruppe und worin bestehen Ihre Aufgaben?

Authman: Irakische Turkmenen hatten aufgrund der Unterdrückung durch das Saddam-Regime kaum Gelegenheit sich politisch zu artikulieren. Erst nach der Aufteilung des Irak in drei Zonen begannen erste poltische Interessenvertretungen der Turkmenen in der Stadt Erbil. Einige Turkmenen kamen zusammen und gründete die Partei der Irakischen Turkmenen Front (Irak Türkmen Cephesini - ITC). Bei der Übersetzung des Namens ist allerdings ein Missverständnis auszuräumen. Der Begriff "Cephe" wird hier zwar als "Front" übersetzt, steht aber nicht in dem Sinn, dass man "Front" gegen irgendetwas machen will. Vielmehr wäre eine sinngerechtere Übersetzung wohl "Arena", so dass auch Turkmenen in der politischen Arena in Erscheinung treten wollen. Inzwischen gab es vier große Parteitage. Der Sitz der ITC ist in Kerkuk. Der Vorstand besteht aus neun Personen und 71 Deligierte Vertreten die verschiedenen Regionen. Neben den Büros in Bagdad, Diyala, Musul und Erbil gibt es auch im Ausland Vertretungen in England, Deutschland, USA, Syrien und Belgien. Und ich versuche als Vertreter in Deutschland der Stimme der Turkmenen seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland Ausdruck zu verleihen und habe dabei - Gott sei Dank - positive Resonanz erzielt.

MM: Finden Sie denn Gehör auf deutscher Seite?

Authman: Fakt ist, dass wir in unserem verstärkten Bemühen seit 2003, im Rahmen eines demokratischen Systems unseren uns zustehenden gleichberechtigten Platz im Irak bisher nicht einnehmen konnten. Unsere Sprache und Kultur findet weder in den Medien noch in der Politik eine hinreichende Unterstützung, weder im Irak selbst noch im Ausland, auch wenn es das eine oder andere Verständnis gibt. Was die Situation in Deutschland angeht, so kann ich dennoch dankbar feststellen, dass wir durch unsere Kontakte zu Abgeordneten und Medienvertretern durchaus eine gewisse Sensibilisierung für die gerechten Anliegen der Turkmenen im Irak erreichen konnten. Dabei versuchen wir auch zu erklären, dass die Etablierung von Demokratie im Irak auch den Schutz von Minderheiten zur Voraussetzung hat. Die bestehenden Volksgruppen im Irak sind eben nicht nur jene drei merkwürdigen Einteilungen, die uns von Außen vorgegeben wurden, und die bedauerlicherweise von einigen Irakern mitgetragen werden. Turkmenen sind ein fester Bestandteil der irakischen Heimat und werden es auch bleiben.

MM: Ihre Familie lebt inzwischen zweiter Generation in Deutschland. Welchen Wunsch haben Sie für Ihre Kinder und Enkel?

Authman: Jeder Mensch muss sich bemühen, der Gesellschaft dienlich und nützlich zu sein, in der er lebt. So habe ich allein schon dadurch, dass ich die Hälfte meines Leben in Deutschland verbracht und hier geheiratet habe unweigerlich eine besondere Beziehung zu diesem Land, das meine zweite Heimat geworden ist. Mein Kinder und Enkel sind hier geboren. Für meine Kinder bin ich dankbar, dass sie in einer demokratischen Umgebung groß werden können, in der die Menschenrechte geachtet werden. Für meine Kinder und Enkel wünsche ich - wie jeder Vater - dass es Ihnen eines Tages besser ergehen soll, und daher lege ich großen Wert auf die Bildung, die in diesem Land angeboten wird. Es ist zudem ein Bestandteil unserer islamischen Religion, zum Wohlstand der Gesellschaft beizutragen, auch indem wir Anstand wahren und unserer eigenen Kultur genau so bewusst sind, wie der deutschen Kultur und uns durch gegenseitigen Respekt bereichern. Das wäre mein großer Wunsch von ganzem Herzen.

MM: Herr Authman, wir danken für das Interview.

Authman: Ich habe zu danken für die Gelegenheit, die Sie mir mit diesem Interview gegeben haben und wünsche dem Muslim-Markt, dass Sie auch weiterhin eine Bereicherung für die Gesellschaft sind, in der Sie leben, und segensreich für die gesamte islamische Welt wirken können.

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