MM: Sehr geehrter Volker-Taher Neef,
was hat sie zum Islam gezogen?
Neef: Ich habe als Student in Hamburg in
einem Altbau gewohnt. Meine Nachbarn waren Tunesier. Er war Hafenarbeiter,
sie arbeitete in einer Kantine. Diese Nachbarn haben mir einen sehr
volksnahen Islam vorgeführt. Oft haben wir nächtelang in der Wohnung
geredet, und der Student schätzte die Kochkünste von Fathma. Nicht den
ISLAM, den Professoren und Doktoren erklären können, weil sie ihn studiert
haben, sondern einen Islam, wie er im Dorfe gelebt wird, hat man mir in der
Altbauwohnung dargestellt. Das Paar ist längst nach Tunesien zurückgekehrt.
Bis heute halte ich Kontakt, einschließlich Besuch in Tunesien, zu ihnen.
Durch meine Nachbarn angeregt, las ich den Koran. Bis heute können sie sich
nicht vorstellen, dass man so irrsinnig sein kann und für Attentate so eine
friedliche Religion missbrauchen kann.
MM: Wie hat ihr deutsches Umfeld auf Ihre
Entwicklung reagiert?
Neef: Die haben es einfach nur zur
Kenntnisse genommen. Ich komme aus Westfalen, da hat jeder eine Religion.
Dort fällt man nur besonders auf, wenn man an nichts glaubt. Durch den
Bergbau bedingt ,waren viele türkisch-muslimische Arbeitnehmer schon vor
Jahren im Ruhrgebiet angekommen. Der Islam ist dort nicht so exotisch wie in
einer bäuerlich geprägten Gegend. Dort ist in manchen Gegenden der
Protestant bis heute im katholischen Münsterland ein Exot.
MM: Wie kam es zu dem Zusatznamen Taher?
Neef: Der Opa meines tunesischen Freundes
hieß so. Als ich ihn besuchte und ihm viele Fragen zum Islam stellte, die er
aus Sicht eines muslimischen Landwirtes alle beantwortete, sagte er, wenn
Dir eines Tages - Inschaallah (so Gott will) - der Islam gefällt, dann nimm
meinen Namen an. So haben wir eine Verbindung. Mein tunesischer Freund
übersetzte alles. Besonders angenehm war, das man jede Frage stellen konnte.
Ich habe viel später oft erlebt, dass Besucher bei einer Moscheeführung sich
nicht trauten, sei es aus Höflichkeit, Ehrfurcht oder sonstigen Gründen,
alles zu fragen. Diese Hemmschwelle darf es nicht geben. Wenn jemand sich in
einer Moschee nicht frei fühlt, alles zu fragen, dann ist ein Besuch dort
nicht vollkommen.
MM: Die besondere Spezies der "Konvertiten
zum Islam" waren zuletzt oft in den Medien. Haben Sie auch Angst vor sich?
Neef: Hoffentlich ist das eine
Momenterscheinung, die sich wieder beruhigt. Wie nennt man eigentlich
Parteiwechsler? Ist der Herr Bundestagsabgeordnete Schilly, Bundesminister
des Inneren a.D., nicht zuerst in der SPD gewesen? Dann MdB bei den Grünen?
Dann wieder SPD. Ist er ein Kon.. oder wie heißen dies Wechsler von
Parteibüchern? Gilt das Wort nur für religiöse Übertritte? Wie heißen die
Leute, die nie eine Religion bis vor kurzem hatten und jetzt eine Religion
angenommen haben. Nur "vertiten", weil "Kon" geht nicht? Gerade in Berlin
erlebe ich es, dass Menschen aus der alten DDR sich jetzt für eine Religion
entschieden haben. Seit Geburt hatten sie keine. Ihre Eltern, teilweise
Großeltern, auch nicht.
MM: Was ist der interfraktionellen
Arbeitskreises "Islam" im Deutschen Bundestag?
Neef: Hier muss ich den sehr jungen FDP-MdB
Hartfrid Wolff (Jg. 71) loben. Er besuchte einmal eine Moschee. Dort lernten
Br. Herzog und ich ihn näher kennen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien
haben religionspolitische Sprecher. Hat der Islam ein Anliegen, muss man
einen Termin bei Herrn Mitglied des Bundestages (MdB) X und bei Frau MdB Y
ergattern. Jetzt kommen alle Fraktionen zu einem Gespräch zusammen. Jede
Fraktion hat muslimische Experten oder Islamexperten benannt. Ein großer
Vorteil ist darin gelegen, dass man nicht immer bei Null anfängt. So haben
wir es innerhalb der FDP-Fraktion erlebt, dass ein für Islamfragen
verantwortlicher MdB 2005 nicht wieder ins Parlament gewählt wurde. Der neue
Sprecher musste sich erst einarbeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle dem
Arbeitskreis angehörenden MdBs nicht wieder ins Parlament kommen bei der
nächsten Wahl, ist ja sehr gering. Dort gibt es in geschlossener,
nichtöffentlicher Runde keine Tabus. So hat ein MdB der Grünen von den
Muslimen gefordert, die Spendengelder für Neubauten von Moscheen offen zu
legen. Das hat bei dem Berliner Imam Br. Herzog zu der Bemerkung geführt, ob
das auch für christliche Gebäude gelte. So für Kirchen der Mormonen, die
stark von ihren Geschwistern aus den USA unterstützt werden. Oder für die
Dresdner Frauenkirche. Als das betreffende MdB das nur für Moscheen und den
Islam wollte, kam die Frage nach der Gleichbehandlung auf.
So fordert uns die Politik auch auf, den Hinterhof
zu verlassen und sich zu öffnen. Wollen die Muslime Moscheen bauen und den
Hinterhof verlassen, ist es auch nicht recht. Es soll ja sogar
Ministerpräsidenten geben, die noch im Amt sind und darauf achten, dass
Minarette auf keinen Fall höher als Kirchtürme sind. So wurde auch die
Bezahlung der Imame angesprochen. Viele Politiker, auch Muslime, wollen
nicht, dass ein Imam direkt aus der Türkei oder Saudi-Arabien oder sonstwo
bezahlt wird. Die Gegenfrage aller Experten war, wer bildet in Deutschland
genügend Imame an den Unis aus ?
Dann immer wieder das heikle Thema Geld. Eine
Bezahlung aus dem Ausland für Imame kann ein Parlamentarier schnell
ablehnen. Wer zahlt den Imam dann? Die kleine Gemeinde? Oder der Staat?
Kommt dann - analog Kirchensteuer - eine Moscheesteuer?
Wir treffen uns regelmäßig, weil es viel
Gesprächsbedarf gibt. Der Islam ist nicht mehr die Religion allein für
türkische Gastarbeiter und arabische Studenten. Wir beide, Br. Herzog und
ich, werden nicht müde, den Politikern und der Gesellschaft mitzuteilen, wir
haben weder eine albanische Oma noch einen pakistanischen Großvater.
MM: Sie unterstützen über einen Abgeordneten die FDP-Fraktion bei
dieser Arbeit. Hat jede Bundestagsfraktion einen "Konvertiten", der sie
dabei unterstützt?
Neef: Die Fraktionen benennen ihre Experten.
Bei den Grünen ist es zum Beispiel eine Frau, die weder
Muslima von Geburt an noch Konvertitin ist. Sie ist Islamwissenschaftlerin. Da
gibt es im Arbeitskreis (AK) so genannte geborene Muslime, Konvertiten,
Islamwissenschaftler. Damit ist auch dafür gesorgt, dass keine Einseitigkeit
aufkommt.
Meine Hochachtung gilt in diesem Fall der FDP.
Keiner der von der FDP benannten Experten, also weder Br. Herzog noch ich,
gehören der FDP an. Der uns in den AK benannte Verantwortliche sagte, das
spiele für einen Liberalen keine Rolle. Man wolle seitens der FDP
Sachverstand, keinen Parteibuch-Delegierten.
MM: Worin besteht ihre Arbeit darin?
Neef: Im AK nehme ich aktiv teil. Ich bin
für ein offenes Wort bekannt. Es wird von allen Seiten gut ausgeteilt. Wir
Experten stecken ein und teilen aus. Das ist tabufreie Zone. Bei aller
Bescheidenheit, denn Begriff tabufreie Zone stammt von mir. Keiner von uns
geht da hin zum Kaffeetrinken. Manchem MdB klingelten die Ohren, manchem
Experten auch. Bei einigen Themen haben alle Teilnehmer sich vereinbart, bis
zu einer Lösung nicht öffentlich über alles zu reden. Fällt mir als
Redakteur schwer, aber ich halte mich daran.
MM: Kommen wir nun zu der Berliner Moschee,
in dessen Vorstand Sie waren. Warum musste die älteste Moschee Deutschlands
geschlossen werden?
Neef: Bei der Berliner Moschee sind vor
allem zunächst Baugründe zu nennen. Obwohl die Moschee von außen einen
ansehnlichen Eindruck macht, ist ein gewisser Sanierungsbedarf gegeben. Die
Moschee steht seit Anfang der 90 er Jahre unter Denkmalschutz. Seitens des
Landesdenkmalamtes finden umfangreiche Sanierungsmaßnahmen statt. Bei der
Größe des Gebäudes und aufgrund zahlreicher Arbeiten erstrecken sich die
Bauarbeiten über einen so langen Zeitraum, dass man noch nicht genau
abschätzen kann, wann diese beendet sein werden.
So manches wird allerdings auch nicht innerhalb von
Deutschland entschieden, was bei jener Moschee historisch begründet ist. Oft
wünschen wir deutschen Muslime uns kürzere Entscheidungswege, als über den
halben Erdball.
MM: Daraufhin wechselten Sie zu islam.de.
Worin besteht Ihre Arbeit dort?
Neef: Es handelt sich vor allem um eine
redaktionelle Arbeit für die Internetpräsenz und Drumherum. So leite ich die
Informationen um islamische Aktivitäten weiter an interessierte Geschwister
und koordiniere Treffen usw.
MM: Ist es erlaubt danach zu fragen, wovon
Sie und islam.de finanziert werden?
Neef: Die Arbeit bei islam.de ist rein
ehrenamtlich. Ich selbst bin im Landesdienst tätig. Es wäre zwar
wünschenswert, dass bestimmte Strukturen der Muslime auch durch diese
getragen werden - ich denke da z.B. an die Vorsitzenden des Zentralrats und
ähnliche Aufgaben, aber noch sind die Muslime in Deutschland sehr stark von
ehrenamtlicher Arbeit abhängig. Gott sei Dank gibt es aber auch viele
Geschwister, die das gerne tun.
MM: Abschließende Frage: Sie sind selbst
Vater eins Kindes. Was wünschen Sie sich in Deutschland für Ihr Kind, was
Sie möglicherweise nicht mehr miterleben werden?
Neef: Mein Wunsch wäre, wenn mein Sohn in
einer Umgebung leben könnte, in der Juden, Christen und Muslime
gleichberechtigt also mit gleichen Rechten aber auch mit gleicher
Verantwortung die Gesellschaft mitgestalten und sich einbringen können. Es
wäre so schön, wenn zumindest er miterleben könnte, wie ein muslimischer
Kindergarten genau so "normal" wäre, wie ein jüdischer oder christlicher
Kindergarten, oder auch eine Schule oder Krankenhaus. Und wenn dann eines
Tages eine Fahrkartenkontrolleurin in der Berliner U-Bahn mit Kopftuch als
Kontrolleurin höflich nach meinem Fahrausweis fragt, dann würden viele
verkrampfte Situationen von heute - Inschaallah - überwinden sein. Kürzlich
war ich in London. Am Flughafen wurde ich bei der Einreise mit einem
freundlichen "Welcome, Sir. Passport, please Sir" von einem Grenzbeamten
begrüßt, der einen weißen Turban trug und klar als Angehöriger der
Sikh-Religion zu erkennen war. Bei der Ausreise kontrollierte eine
kopftuchtragende Muslima das Gepäck. Diesen Normalzustand im Mutterland der
Demokratie, wo die Bill of Rights entstanden, wünsche ich mir auch in
Deutschland. Ein britischer Kollege sagte einmal, dass es nicht darauf
ankomme in Großbritannien, was der Bedienstete ihrer Majestät auf dem Kopf
habe, sondern es sei viel wichtiger, was der Bedienstete ihrer Majestät im
Kopf habe. Was schon seit langem im EU-Land Großbritannien möglich ist,
wünsche ich mir für die Zukunft in Deutschland; bekanntlich auch ein
EU-Land.
Und das alles wünsche ich mir übrigens nicht nur
für Deutschland, sondern auch für den Nahen Osten und auch viele muslimische
Länder; einfach der menschenwürdige Umgang miteinander nicht "trotz"
unterschiedlicher Religionen, sondern gerade deswegen!
MM: Sehr geehrter Volker-Taher Neef, wir
danken für das Interview.
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