Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Dr. Izzeddin Musa
 

Muslim-Markt interviewt 
Dr. Izzeddin Musa - Gesellschaft zur Humanitären Unterstützung der Palästinenser e.V. - G.H.U.P.
11.1.2006

Dr. Izzeddin Musa, geb. 1938 in Haifa, Palästina. Die Familie zog 1945 nach Nablus. Sie floh vor den Übergriffen der Terrorgruppen Stern-Bande und Irgun. In Nablus besuchte er die Grundschule. Ende 1956 beendete er seine Schulausbildung mit dem Abitur in Nablus und kam Anfang 1957 nach Deutschland. Hier studierte er Naturwissenschaften und promovierte.

Als Diplom-Geologe arbeitete in einem Ingenieurbüro in der Nähe von Köln und machte sich dann selbstständig. 1991 gründete er zusammen mit einer Gruppe von Deutschen und Deutsch-Palästinensern einen gemeinnützigen Verein: Gesellschaft zur Humanitären Unterstützung der Palästinenser e. V. Seit einigen Jahren gibt er eine Zeitschrift im Internet (www.palaestina-stimme.de) heraus. Inzwischen ist er Rentner.

Dr. Musa ist verheiratet hat zwei Kinder. Früher lebte er in Köln, jetzt in Wachtberg.

MM: Sehr geehrte Herr Dr. Musa. Sie gehören zu der Generation von Palästinensern, die die Staatsgründung Israels noch miterlebt haben. Was haben Sie noch in Erinnerung?

Musa: Leider sehr viele, aber überwiegend negative und Furcht erregende Erlebnisse. Gerade konnte ich ein wenig Lesen und Schreiben, da mussten wir die Schulbank schon wieder verlassen, da die Schulen als Notunterkünfte für die palästinensischen Flüchtlinge umfunktioniert werden mussten, die durch die gewaltsam herbeigeführte Staatsgründung Israels im Jahr 1948 aus ihrem Heimatland vertrieben worden sind. Über ein Jahr haben wir ohne Unterricht verbringen müssen. Natürlich habe ich mich damals als Kind über diesen Zustand des "offiziellen" Schulschwänzens gefreut, aber ich merkte schon damals, dass einiges mit unserer Kindheit nicht in Ordnung war.

Die Bilder von gewalttätigen Juden, die mit Terroranschlägen in den 1940er Jahren meine Landsleute terrorisiert haben, bleiben mir bis heute im Gedächtnis haften. Auch ich bin des öfteren, als ich alleine war, von vielen jüdischen Kindern in Haifa, in meinem Alter und älter, angegriffen worden. Nur die Flucht war für mich die Rettung. Für uns Palästinenser bedeutete die Vertreibung und die Gründung Israels die Katastrophe (al-Nakba) schlechthin. Sie dauert bis heute an und wird immer schlimmer. Israel bezeichnet zu Unrecht diesen 48er Krieg als Unabhängigkeitskrieg. Es war der erste Krieg, in dem es eine massenhafte "ethnische Säuberung" gab. Dies nennt auch der israelische Historiker Ilan Pappe so. Diese historische Ungerechtigkeit ist bis heute ungesühnt. Die westlichen Staaten tragen an dieser Tragödie meines Volkes eine große Schuld. Sie muss korrigiert werden.

MM: Erlauben Sie uns an dieser Stelle einzuhaken. Im Gespräch mit Palästinensern werden die Begriffe, Zionisten und Juden fast synonym verwendet, so dass der Eindruck entsteht, als wenn sie etwas gegen Juden hätten, weil sie Juden sind, was der Islam nicht erlaubt. Können Sie dieses Missverständnis etwas aufklären?

Musa: In Palästina sprechen alle meine Landsleute, von Juden, auch wenn damit immer nur die Israelis gemeint sind. Diese Bezeichnung beinhaltet nichts Negatives, weil es so von keinem gemeint ist. Wenn ich z. B. den Ausdruck Zionisten verwende, dann bezeichne ich damit diejenigen Israelis und Juden, die dieser verhängnisvollen Ideologie anhängen. Der Zionismus ist für mich eine Form des Rassismus, weil er nur einen Staat für Bürger jüdischen Glaubens schaffen will. Ein auf ethnischen Prinzipien beruhender Staat ist per definitionem rassistisch. Die unzähligen Diskriminierungen meiner Landsleute in Israel und den besetzten Gebieten sprechen eine eindeutige Sprache. Auch viele Israelis, die keine Zionisten sind, werfen dem Zionismus Rassismus vor. Wir in Palästina und in der gesamten islamischen und arabischen Welt haben mit unseren jüdischen Landsleuten über 1400 Jahre friedlich zusammengelebt, bis der kolonialistische Zionismus am Ende des 19. Jahrhunderts auf den Plan getreten ist. Nicht wir sind das Problem, sondern der Zionismus. Frieden in Palästina und in Israel kann es m.E. nur ohne die zionistische Ideologie geben.

MM: Wie kam es zu ihren politischen Aktivitäten?

Musa: Durch die geschilderten Erlebnisse wurde der Grundstein für mein politisches Gedankengut früh gelegt. Ich war etwa 10 Jahre alt, also im ersten Schuljahr nach der Zwangsunterrichtsfreiheit, als in Jordanien Wahlen abgehalten werden sollten – ebenso in Nablus. Durch die Erzählungen meines Vaters wusste ich etwas um die politischen Umstände, und als Bassam Shakaa- der spätere Bürgermeister von Nablus, der etwa acht Jahre älter war als ich, eine Kinderschar von etwa 10 Kindern anheuerte, um die Stimmauszählung der Wahlen zu torpedieren, die übrigens in meiner Schule stattfinden sollte, habe ich nicht eine Sekunde gezögert, um mitzumachen. Wir glaubten damals, nur die Günstlinge Abdallas würden, durch Manipulation der Wahlergebnisse, die Wahl gewinnen. Angeführt von Bassam Shakaa, hatten wir die Stimmauszählung nur stören, aber nicht verhindern können. Die Soldaten Abdallas schossen mit scharfer Munition auf uns. Mit ihnen haben wir Katz und Maus gespielt. Glücklicherweise wurde niemand von uns getroffen. Bassam Shakaa war den Zionisten immer ein Dorn im Auge, weil er nationale Tradition der Palästinenser betont hatte, was die Zionisten besonders störte. Sein Auto wurde von jüdischen Extremisten, als er in Nablus Bürgermeister war, in die Luft gesprengt, wobei er beide Beine verlor.

In Nablus gab es viele Handlanger des haschemitischen Königs Abdallah (der Erste König von Jordanien), der aus Hijaz (Arabische Halbinsel- heute Saudi Arabien) kam und von den Engländern, die dort als Mandatsmacht waren, gefördert wurde. Er wurde als Emir von Transjordanien von den englischen Kolonisatoren eingesetzt. Abdallah war, um seinen Machtbereich zu vergrößern, immer gegenüber den Engländern und insbesondere den Zionisten sehr willfährig. Auch aus diesem Grunde wurde er von einem palästinensischen Nationalisten vor der Al-Aqsa-Moschee erschossen. Begleitet wurde er damals vom späteren König Hussein, der ebenfalls eine enge Beziehung zum Westen und zu den Zionisten und zum Staat Israel pflegte.

MM: Nun gab es ja vor einem Jahr erstmalig Wahlen, bei denen das palästinensische Volk nach ihrer eigenen Meinung gefragt wurde. Aber das Ergebnis hat Europa nicht gefallen, und so soll jetzt erneut gewählt werden. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Musa: Die Wahlen vom Januar 2006 waren nach einhelliger Meinung aller internationalen Wahlbeobachter absolut demokratisch und frei. Nur George W. Bush und dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert passte das Ergebnis nicht. Beide forderten die westlichen und einige arabische Staaten auf, die demokratisch vom Volk gewählte Regierung auf, zu boykottieren. Dieser Boykott zeigt die Doppelmoral und Verlogenheit des Westens. Einerseits fordern sie Freiheit und Demokratie für die islamische und arabische Welt, andererseits boykottieren sie eine demokratisch gewählte Regierung. Dies ist blanker Zynismus und Heuchelei ohne Ende. Der deutsche Dichter Berthold Brecht hat den Regierenden ins Stammbuch geschrieben, dass, wenn ihnen das Wahlergebnis eines Volkes nicht passe, sie sich doch ein anderes Volk wählen sollten.

Besonders widerwärtig ist jedoch die Haltung des Vorsitzenden der Autonomiebehörde, des "Präsidenten" Mahmud Abbas und seiner Fatah-Organisation. Er bekämpft die eigene demokratisch legitimierte Regierung und versucht zusammen mit der Hilfe der USA, Israels, des Westens und anderer korrupter arabischer Staaten gegen die Regierung zu putschen. Abbas spielt die Rolle eines Quislings für fremde Mächte gegen sein eigenes Volk. Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery hat die Umarmung und den Kuss von Olmert gegenüber Abbas als "Todeskuss" bezeichnet in Anspielung an Judas Ischariot als er Jesus küsste.

MM: Sie leben nunmehr mehr als ein halbes Leben in Deutschland. Haben Sie Verständnis dafür, dass Deutschland ein besondere Situation gegenüber Juden hat?

Musa: Ja und Nein. Solange es nicht auf Kosten und zu Lasten meiner Landsleute geht, können die Deutschen ihr Sonderverhältnis pflegen wie sie wollen. Da ich ja ebenfalls Deutscher bin, kann ich mich jedoch mit dieser Unterwürfigkeit nicht identifizieren. Die Deutschen können ihre Schuldgefühle nicht auf unseren Schultern abladen und uns dafür büßen und zahlen lassen. Mein Volk wurde ein Opfer der Opfer der Nazi-Verbrechen. In dieser Rolle fühlen wir uns sehr unwohl. Niemand in Palästina leugnet die Verbrechen des Nazi-Deutschlands gegenüber dem europäischen Judentum. Nur Dummköpfe und Ignoranten tun dies. Wenn meine lieben deutschen Landsleute meinen, Schuld wirklich sühnen zu müssen, warum bieten sie den israelischen Juden und den Juden in aller Welt gemäß dem Rückkehrrecht aus dem Jahre 1950 nicht ein Stück Land in Deutschland an? Von der Größe Israels böte sich das Bundesland Hessen an. Die Landesgrenzen sollten allerdings nicht endgültig festgelegt werden, um ausreichend Raum für weitere Kolonisierungen zu ermöglichen, wie sie zurzeit in Palästina geschehen. Wenn die Deutschen dann mit den Auswirkungen, wie mein Volk sie in Palästina tagtäglich erfahren müsse, konfrontiert würden, fänden sie es wohl nicht mehr so witzig. Die Sprachlosigkeit von Kanzlerin Merkel und der gesamten politischen Klasse in Deutschland gegenüber dem Menschrechtsverbrechen Israels ist unerträglich.

MM: Sie leben nunmehr mehr als ein halbes Leben in Deutschland. Haben Sie Verständnis dafür, dass Deutschland ein besonderes Schutzbedürfnis gegenüber Juden hat?

Musa: Nein. Warum soll eine Nicht-Atommacht wie Deutschland eine Atommacht Israel schützen? Und vor wem? Überall auf der Welt leben die Juden in absoluter Sicherheit, nur nicht in Israel. Warum fragt der Westen nicht nach den Ursachen? Israel muss nur vor sich selber geschützt werden, nachdem der "Faschist" (Haaretz) Avigdor Lieberman Minister für strategische Bedrohung geworden ist. Er fordert z.B. die Liquidierung palästinensisch-israelischer Abgeordneter, die Kontakte zu Syrien und zur demokratisch gewählten Regierung in Palästina haben. Ebenso hatte er die Bombardierung des Assuan-Staudammes in Ägypten gefordert. Es wird berichtet, dass er zusammen mit den US-Neokonservativen und der pro-Israellobby in den USA den Atomangriff auf Iran planen soll. Israel und die Besatzungsmacht USA sind die größte Bedrohung für den Weltfrieden. Dies hat auch die Umfrage der EU vor zwei Jahren ergeben.

MM: Welche Ziele verfolgt die Gesellschaft zur Humanitären Unterstützung der Palästinenser e.V. - G.H.U.P.?

Musa: Der Verein ist politisch und konfessionell neutral Er dient ausschließlich gemeinnützigen Zwecken und unterstützt die Palästinenser bei der Wahrung ihrer elementaren und anerkannten und von der UN garantierten Menschenrechte und ihrem Selbstbestimmungsrecht.

Unter dem Motto: "Hilfe zur Selbsthilfe" wurde direkte humanitäre Projektförderung geleistet.

MM: Können Sie sich nach all dem, was geschehen ist, einen friedlichen Zusammenleben von Muslimen, Christen und Juden in Jerusalem überhaupt noch vorstellen?

Musa: Selbstverständlich. Wie gesagt, haben Muslime, Christen und Juden über Jahrhunderte friedlich in Jerusalem zusammengelebt. Die Störenfriede sind die Zionisten und ihre rassistische Ideologie. Israel muss diese Ideologie auf dem Misthaufen der Geschichte entsorgen, dann kann die alte Herrlichkeit, wie sie in Andalusien und in vielen arabischen Ländern geherrscht hat, wieder aufleben. Denn die orientalischen Juden (Mizrahim) werden nirgends so diskriminiert wie in Israel – von den äthiopischen Juden gar nicht zu reden. Beide sind ebenfalls Opfer des rassistischen Zionismus. Der Westen und besonders Deutschland sollten diese Tatsachen endlich einmal zur Kenntnis nehmen.

MM: Herr Dr. Musa. Wir danken für das Interview.

 

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