Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Dr. Mechtersheimer
 

Muslim-Markt interviewt 
Dr. Alfred Mechtersheimer, Oberstleutnant a.D., Friedensforscher und ehemaliger Bundestagsabgeordneter

27.1.2007

Alfred Mechtersheimer (Jahrgang 1939) war nach seiner Ausbildung zum Oberstleutnant sehr stark mit der Friedensforschung befasst und hat über die Beschaffung des Waffensystems MRCA Tornado promoviert.
Er ist Leiter des Friedenskomitees 2000 und Gründer der Deutschland-Bewegung. Außerdem steht er der gemeinnützigen wissenschaftlichen Stiftung "Unser Land e. V." vor.

Sein politisches Auftreten ist mit der Friedensbewegung der 1980er Jahre und seiner Kritik am NATO-Nachrüstungsbeschluss verbunden, damals noch als Mitglied der CSU. Er knüpfte zahlreiche Kontakte zu Vertretern der Friedensbewegten in der DDR. 1981 wurde er aus der CSU ausgeschlossen und gründete das Institut für Friedenspolitik in Starnberg. Bereits 1985 forderte er in einer Denkschrift die "Selbstbefreiung der Deutschen von den Siegern des Zweiten Weltkriegs".

Von 1987 bis 1990 war er Mitglied des Deutschen Bundestages in der Fraktion der Grünen, allerdings ohne deren Mitglied gewesen zu sein. Er gehörte u.a. der Nordatlantischen Versammlung und dem Europarat an.

Mechtersheimer ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Starnberg.

MM: Sehr geehrter Dr. Mechtersheimer, gibt man Ihren Namen in eine Suchmaschine im Internet ein, so findet man ultra-links bis ultra-rechts ziemlich jede Schublade dazwischen, in der man sie einerseits steckt und andererseits wieder rausholt. Wo stehen Sie politisch wirklich?

Mechtersheimer: Auf der Schublade, in die ich vielleicht passen könnte, müsste stehen "Radikale der Mitte". Ich trete ein für nationale Identität, Selbstbestimmung und Basisdemokratie. Das sind weder rechte noch linke Positionen, genau so wie mein Eintreten für Frieden weltweit und im Innern. Weil ich wenig Berührungsängste habe und mit jedem rede, bekommt man schnell ein falsches Etikett aufgeklebt. Aber diese halten nicht und fallen herunter. Früher beim Kampf gegen die US-Atomraketen wurde ich im Fernsehen als Agent Moskaus beschrieben. In den letzten Jahren war ich angeblich ein Rechtsradikaler. Beides ist falsch. Mein Verschulden ist es, der jeweiligen Politik vorauszueilen. Pioniere leben nun mal gefährlich.

MM: Es kommt nicht oft vor, dass ein Abgeordneter, der 4 Jahre lang im Bundestag - noch dazu für die Grünen - saß, dann regelmäßig in einem Landesverfassungschutzbericht als einer der "wichtigsten Protagonisten rechtsextremistischer Bestrebungen" erwähnt wird und gleichzeitig als patriotisch-pazifistisch gilt. Verträgt dieses Land keine Querdenker?

Mechtersheimer: Eine Berliner Antifa-Gruppe hat mich als "Friedensnazi" bezeichnet. Das zeigt die ganze Absurdität dieser Klassifizierungen. Deutschland leidet unter einem Defizit an Demokratie und an Toleranz. Dementsprechend ist der Feindbildbedarf groß. Im Grunde zeigt dies die Schwäche derjenigen, die die Macht haben. Es ist die Angst vor dem Machtverlust, die zu meiner Aufnahme in Verfassungsschutzberichte führte. Wir hatten geprüft, ob aus der Deutschland-Bewegung eine Partei entstehen könnte. Nachdem wir das zurückgestellt haben, erscheine ich auch nicht mehr in diesen sehr problematischen Veröffentlichungen. Bayern ist ein spezieller Fall, weil man sich in der CSU nicht damit abgefunden hat, dass ich nach dem Parteiausschluss nicht von der Bildfläche verschwunden bin. Diese Partei, das hat sich gerade wieder gezeigt, reagiert zumindest bisher auf Querdenker aggressiv.

MM: Wenn Sie als ehemaliger Oberstleutnant die heutige Politik der großen Koalition betrachten. Was sind ihre Gedanken, wenn Deutschland im Hindukusch verteidigt werden soll, neuerdings auch mit Panzern und Tornados?

Mechtersheimer: Als aktiver Oberstleutnant hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass deutsche Soldaten einmal am Hindukusch eingesetzt werden. Deutschland ist nun mal - auch nach der Wiedervereinigung - ein besetztes Land. Deshalb kann sich die Bundesregierung massiven amerikanischen Wünschen nicht verweigern. Im nationalen deutschen Interesse liegen diese weltweiten Bundeswehreinsätze nicht, - sie schaden dem deutschen Ansehen, auch in der islamischen Welt.

MM: In der neusten Ausgabe Ihres jährlich neuen Handbuchs Deutsche Wirtschaft gehen Sie dieses Mal darauf ein, dass Internationale Konzerne Deutschlands Unternehmen aufkaufen und Politik und Verbraucher machtlos sind. Welche Gefahren sind daran geknüpft und hat das demokratische System keine Abwehrmechanismen gegen jene Gefahren?

Mechtersheimer: Auch in der Wirtschaftspolitik ist der US-Einfluss auf die Berliner Regierung massiv. Bundeskanzlerin Merkel wurde mehrfach bei ihren Besuchen in Washington bedrängt, den als "Heuschrecken" bekannt gewordenen angelsächsischen Finanzinvestoren keine Steine in den Weg zu legen. Nachdem Deutschland seine Währung und Wehrhoheit aufgegeben und einen Großteil seiner Souveränität auf dem Altar der EU geopfert hat, sollen nun auch die deutschen Unternehmen aufgekauft werden. Diese Entnationalisierung droht auch vielen anderen Staaten, auch in der Dritten Welt. Wenn die deutschen Konzerne immer stärker unter Kontrolle des US-Finanz- und Politik-Komplexes geraten, droht langfristig die machtpolitische Marginalisierung Deutschlands und Europas. Schon heute verliert Deutschland durch die Aufkäufe durch US-Konzerne und die "Heuschrecken" viel Kapital.

MM: Was sagt der Initiator des deutsch-arabischen Friedenswerks dazu, dass der Schutz Israels zur deutschen Staatsraison gehören soll und gerade die historisch gewachsenen Beziehungen Deutschlands zur gesamten muslimischen Welt in den letzten Jahren durch eine extrem einseitige Politik sehr gelitten haben?

Mechtersheimer: Ich wundere mich, dass Deutschland trotz seiner pro-israelischen Politik, insbesondere den Waffenlieferungen, immer noch in den arabischen und islamischen Ländern ein gutes Ansehen haben. Aber lange wir das nicht mehr so sein. Der frühere Außenminister Fischer hat eine falsche Politik betrieben, weil er Israel noch mehr Unterstützung gewährte, als von dort gefordert wurde. Es gibt keine deutsche historische Schuld mehr, die gegen jede politische Vernunft im Nahost-Konflikt zur Einseitigkeit verpflichtet.

MM: In wie weit trägt Ihre Freundschaft zu Muslimen im Ausland auch im Inland?

Mechtersheimer: Bei meinen Freundschaften mit arabischen Friedenskämpfern, besonders im Kampf gegen die US-Raketen, fühlten sich beide Seiten der interkulturellen Zusammenarbeit verpflichtet. Eine Gemeinsamkeit war auch die nationale Identität, die weder der Vorherrschaft einer Supermacht noch einer anderen Macht geopfert werden darf. Ich empfand Vertreter der jeweils anderen Kultur und Religion als große Bereicherung und beteiligte mich intensiv am interkulturellen Dialog. Probleme habe ich aber mit den multikulturellen Tendenzen in ganz Europa. Das ist für mich weniger ein Problem der Religion. Aber grundsätzlich sollte gelten: Jeder Nation ihr eigener Staat. Vielvölkerstaaten tendieren zur Diskriminierung oder zum Bürgerkrieg. Der Zerfall der Sowjetunion und insbesondere die blutige Auflösung Jugoslawiens belegen dies. Das Ideal der arabischen Einheit ist für mich vor allem ein Friedenskonzept.

MM: Was würden Sie von dem Ideal einer gleichberechtigten Einheit aller Menschen ohne Ansehen der Herkunft oder Ethnie denken und ohne Grenzen auf der Landkarte oder im Herzen als gleichwertige Nachkommen Adams und Evas?

Mechtersheimer: Das ist ein humanistisches Ideal, das Basis ist für meine konkreten Ordnungsvorstellung. Es ist unabdingbar, die gewachsenen Differenzierungen zu respektieren und staatlich so zu organisieren, dass eine Friedensordnung entstehen kann. Grenzen sind ein universelles Lebensprinzip. Sowohl die Zellen bei Lebenswesen als auch gesellschaftliche und politische Einheiten sind Bausteine. Entscheidend ist, dass sie als Nachbarn gleichberechtigt zusammenarbeiten und dem Ganzen verantwortlich fühlen.

MM: Wie würden Sie reagieren, wenn Ihre Enkel eine Lehrerin mit Kopftuch hätten?

Mechtersheimer: In meiner Schulzeit trugen viele Frauen ein Kopftuch, vor allem in der Kirche. Deshalb halte ich die Kopftuch-Diskussion für dramatisiert. Wenn meine Enkel indoktriniert werden, würde meine selbstbewusste Tochter, selbst Lehrerin, bestimmt mit der Lehrerin reden, - ob die nun ein Kopftuch trägt oder nicht.

MM: Herr Mechtersheimer, wir danken für das Interview.

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