MM: Sehr geehrter Herr Höffkes, als
Dokumentarfilmer umfasst ihr umfangreiches Werk Hörbücher und Filme über die
deutsche Geschichte genau so wie über die islamische Welt. Haben Sie dabei
einen roten Faden?
Höffkes: Der "rote Faden" ist die Suche nach
der Wahrheit. Ich hatte schon immer den Drang, hinter die Kulissen der
offiziellen Geschichtsschreibung zu blicken, um
Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu erkennen. Wer nichts weiß, muss
bekanntlich alles glauben. Ich will aber wissen und bilde mir daher gerne
vor Ort meine eigene Meinung. Auf der geschichtlichen Ebene bin ich dabei
immer auf der Suche nach bislang unbekannten Dokumenten, lebenden Zeitzeugen
und unaufgearbeiteten Quellen. In der aktuellen Berichterstattung reise ich
in die betreffenden Gebiete, um mir vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Wer
Afghanistan und den Irak intensiv bereist hat, weiß, dass die Darstellungen
der westlichen Presse mit Vorsicht zu genießen sind.
MM: Was treibt einen Historiker und
Dokumentarfilmer in so gefährliche Regionen wie das heutige Afghanistan oder
Irak?
Höffkes: Gefährlich ist nur eines: die
Dummheit. Ich plane meine Reisen in den Irak oder nach Afghanistan zusammen
mit muslimischen Freunden vor Ort und niemals ist mir wirklich etwas
zugestoßen. Ich wurde stets freundlich aufgenommen, von Hand zu Hand
weitergegeben und mit ausgesprochener Höflichkeit und herzlicher
Gastfreundschaft behandelt. Bei meinem Reisen konnte ich mit vielen Menschen
der verschiedensten sozialen Gruppen sprechen; ich durfte ihre
Lebenswirklichkeit vor Ort kennen lernen und kann deshalb halbwegs
nachempfinden, wie sich die Menschen im heutigen Irak und in Afghanistan
fühlen. Das hat mit dem, was uns die Presse hier vermitteln will, oft
herzlich wenig zu tun.
MM: Nun gelten Sie ja auch in anderen
Bereichen nicht gerade als Vertreter einer Mains-Stream-Meinung. So sollen Sie
sich u.a. gegen die Völkermord-These der Armenier gestellt haben; warum?
Höffkes: Das
ist so nicht richtig. Ich habe mich lediglich dafür ausgesprochen, die
historischen Hintergründe dieses Geschehens exakter zu untersuchen, als es
bislang geschehen ist. Wenn ich die bislang vorgelegten Deutungsversuche
richtig interpretiere, habe ich den Eindruck, dass versucht wird, uns
Deutschen eine Mitschuld zu geben, weil deutsche Militärs und Diplomaten die
Türken zum Vorgehen gegen die Armenier ermuntert hätten. Das ist mir, wie so
vieles in der modernen Geschichtsschreibung, zu kurz gegriffen. Ich halte
mich aber in dieser Frage für keinen ausgewiesenen Fachmann und habe daher
auch bei meinen Gesprächen in der Türkei stets für eine unabhängige
Historikerkommission plädiert, die die damaligen Geschehnisse objektiv
untersuchen sollte.
Dass ich in anderen Bereichen oft nicht die gängige
„Main-Stream-Meinung“ vertrete, ist richtig. Da ich aber bestrebt bin, meine
Filme sachlich zu gestalten, habe ich mit dieser Position kein Problem.
Mein Ansatz, ein geschichtliches Ereignis durch
Darstellung der Hintergründe „verstehen zu wollen“, wird von manchen
gleichgesetzt mit „Verständnis haben“. Das ist aber ein böswillige
Unterstellung: Ich habe für viele Ereignisse, auch in der jüngeren deutschen
Politik, die ich nach langen Recherchen in ihrer Entwicklung zu verstehen
glaube, durchaus kein Verständnis.
MM: Gibt es denn auch Ereignisse in der
Gegenwart, für die Sie kein Verständnis haben, oder anders ausgedrückt, für
die Ihrer Meinung nach Historiker in Zukunft rückblickend kein Verständnis
haben sollten?
Höffkes: Wer kann Verständnis dafür haben,
dass immer noch Millionen Menschen auf der Welt hungern und ohne
ausreichende medizinische Versorgung leben müssen? Wer kann Verständnis
dafür haben, dass Bürgerkriege geduldet und von dritter Seite finanziert
werden, um möglichst ungestört Diamanten und Rohstoffe fördern zu können?
Wer kann Verständnis dafür haben, dass Menschen wegen ihrer Rasse, ihrer
Religion oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt und ermordet werden?
Die Politiker sprechen gerne und viel von Demokratie, Freiheit und
Menschenrechten, doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Ich habe
während des Embargos gegen den Irak Kinder in irakischen Kliniken gefilmt,
die unter unvorstellbaren Schmerzen an Krankheiten gestorben sind, die ohne
Probleme hätten geheilt werden können. Nur weil die Verantwortlichen die
Lieferung der entsprechenden Medikamente untersagten, (z.B. „Pentostam“)
mussten diese irakischen Kinder sterben. Kinder, die oft noch so klein
waren, dass sie nicht einmal den Namen Saddam Hussein kannten.
Die Liste ließe sich problemlos endlos verlängern.
Ich zweifele keinen Augenblick, dass kommende Generationen später auch an
uns die Frage stellen werden: "Warum habt ihr euch nicht dagegen gewehrt?"
MM: Was halten Sie als Historiker von der
Idee in Europa die verbale Leugnung bzw. Relativierung von Völkermord? unter
Strafe zu stellen, was ja im Zusammenhang mit der Geschichte der Armenier in
der Türkei aufgeworfen wurde.
Höffkes: Ich glaube nicht, dass juristische
Vorgaben diejenigen disziplinieren, die aus welchen Gründen auch immer
bestimmte historische Gegebenheiten anzweifeln. Damit schafft man nur eine
Grauzone, in der um so hartnäckiger Zweifel gestreut und gepflegt werden.
Grundsätzlich gilt: Die Wissenschaft, und dazu zählt auch die
Geschichtsforschung, darf kein Anhängsel der Tagespolitik sein und den
jeweilig herrschenden politischen Vorgaben unterworfen werden. In der
Vergangenheit haben viele Nationen anderen Menschen unsägliches Leid
zugefügt. Diese Schuld muss von den Verantwortlichen anerkannt und als stete
Mahnung für ein besseres Miteinander gesehen werden. Nur wenn wir aus der
Geschichte lernen, kann die gemeinsame Zukunft friedlich gestaltet werden.
MM: Eines Ihrer jüngste Filmprojekte heißt
"Massaker" und handelt über Sabra und Schatilla. Es kann sicherlich als eher
ungewöhnliches Projekt bezeichnet werden. Worum geht es darin und wie kamen
Sie dazu?
Höffkes: Der Film selbst stammt nicht von
mir. Ich habe den Film vor einiger Zeit auf einem Festival im Ausland
gesehen und war so betroffen, dass ich mich bemüht habe, die Rechte für eine
DVD-Veröffentlichung in Deutschland zu bekommen. Da wir zuvor schon den
international mehrfach ausgezeichneten Film "Checkpoint" als DVD
veröffentlicht haben, der in dramatischer Weise die alltäglichen
Lebensumstände der palästinensischen Zivilbevölkerung dokumentiert, wollte
ich unbedingt auch "Massaker" für das deutsche Publikum zugängig machen. Mir
geht es dabei keineswegs um eine Pauschalanklage gegen Israel.
Pauschalurteile helfen niemals weiter. Ich möchte der deutschen
Öffentlichkeit lediglich zeigen, wie sich das Leben in Palästina wirklich
abspielt und dass kein Friede entstehen kann, solange diese
menschenunwürdige Situation so ist, wie sie ist. Ich würde das Thema auch
aufgreifen, wenn ein anderes Volk unter derartig entwürdigenden Umständen
sein Leben fristen müsste.
MM: Warum haben sie den Ton der zugleich
Täter und Zeugen im Original-Arabisch - teilweise mit extremen
libanesischen Akzent - belassen und deutsch untertitelt?
Höffkes: Das war eine Entscheidung der
Produktionsfirma, die ich aber mittrage. Das mag nicht jedem gefallen, ich
selbst finde, dass die Schilderung der damaligen Ereignisse durch die Täter
in ihrer eigenen Sprache an Intensität und Authentizität gewinnt.
MM: Ist es für einen deutschen Historiker
nicht ein besonders sensibles Thema, Israel zu kritisieren, und sei es nur
indirekt?
Höffkes: Kritik ist immer ein sensibles
Feld. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich kritisiere nicht Israel, weil
es sich um Israel handelt. Ich kritisiere explizit menschenunwürdige
Maßnahmen, die eine Nation gegen eine andere Nation durchführt. Das ist
etwas grundsätzlich anderes. Wären die Rollen vertauscht, würde ich
gleichermaßen kritisch reagieren. Mir geht es immer um konkrete Inhalte,
nicht um pauschale Kritik an bestimmten Nationen.
MM: In wenigen Wochen wollen Sie "Loose
Change" als DVD auf den Markt bringen; dem am meisten aus dem Internet
herunter geladene Film über die Vorgänge vom 9.11., in der die Rolle der
US-Politik höchst kritisch beurteilt wird. Sind Sie ein
Verschwörungstheoretiker?
Höffkes: Ein beliebtes und außerordentlich
wirksames Etikett, um eine unpopuläre Ansicht zu diskreditieren. Ich bin
allerdings der Ansicht, dass genau andersherum ein Schuh daraus wird: Als
Verschwörungstheoretiker müssen meiner Meinung nach diejenigen angesehen
werden, die bei den Ereignisse vom 9.11. eine muslimische Verschwörung am
Werk sehen und daraus eine Bedrohung der westlichen Welt herleiten, obwohl
viele Fragen bis heute ungeklärt sind. Wer bemüht ist, diese Fragen sachlich
und möglichst umfassend zu klären, hat mit Verschwörungstheorien nichts zu
tun.
MM: Und dann wollen Sie auch noch ein
Hörbuch des ehemaligen SPD-Abgeordneten von Bülow über die Rolle des CIA und
den versuch, den Islam zum neuen Gegner der "freien Welt" hochzustilisieren
veröffentlichen. Haben Sie kein Angst vor dem Islam und den Muslimen?
Höffkes: Warum sollte ich? Ich habe viel
Zeit meines Lebens in muslimischen Ländern zugebracht und bei diesen Reisen
viele Menschen unterschiedlichster Art kennen gelernt; daraus sind viele
persönliche Freundschaften entstanden, die bis heute Bestand haben. In jedem
Land gibt es freundliche und unfreundliche Menschen, das hat nichts mit der
jeweiligen Religion zu tun. Solange jede Seite bereit ist, den Glauben der
anderen Seite zu akzeptieren, sollten wir uns gemeinsam anderen Problemen
zuwenden, als uns gegeneinander aufhetzen zu lassen. Nur gemeinsam und im
Respekt vor dem jeweils anderen können wir die vor uns liegenden Probleme
lösen.
MM: Glauben Sie, dass Dokumentarfilmer auch
zum Frieden beitragen können?
Höffkes: Sagen wir es so: Ich gebe die
Hoffnung nie ganz auf. Als der Krieg im Irak begann, wurde ich vom ZDF
eingeladen, bei einer großen Fernseh-Spendenaktion für die irakische
Zivilbevölkerung live über meine Erfahrungen im Irak zu berichten. Während
der Sendung wurden auch Bilder aus meinen Filmen eingespielt. Die
Spendenbereitschaft der Deutschen war damals außerordentlich groß. Wenn ich
ein bisschen mitgeholfen habe, die Menschen zu sensibilisieren, dem
irakischen Volk humanitäre Hilfe zu leisten, bin ich für meinen Teil
zufrieden.
MM: Welche zukünftigen Projekte haben sie
noch geplant?
Höffkes: Zurzeit arbeite ich an einem
Dokumentarfilm über einen deutschen Chirurgen, der während des Zweiten
Weltkriegs in Frankreich und Russland im Einsatz war. Er hat während der
gesamten Kriegszeit mit einer Schmalfilmkamera die Ereignisse an den Fronten
und in den Lazaretten gedreht. Diese Filme habe ich vor kurzem von den
Familienangehörigen erhalten. Sie bieten einen ganz ungewöhnlichen Blick auf
die damaligen historischen Abläufe. Die nächste Reise geht nach Afghanistan.
Ich muss noch einige Szenen drehen, ehe ich an den Endschnitt für einen
Dokumentarfilm über Afghanistan gehen kann. Daneben beschäftigt mich das
Thema „Internetfernsehen“. Da ich ein umfangreiches Archiv mit privat
gedrehten historischen Filmaufnahmen besitze, scheint mir ein
Internetfernsehender die adäquate Plattform zu sein, um diese Aufnahmen
einer interessierten Öffentlichkeit vorzustellen.
MM: Herr Höffkes, wir danken für das
Interview.
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