Hauptfeldwebel Ernst-Zettl weist vor dem Interview ausdrücklich darauf
hin, dass sie in in diesem Interview lediglich ihre persönlichen
Auffassungen äußert!
MM: Sehr geehrte Frau Ernst-Zettl. Bevor wir
zu Ihrem Engagement für die Einhaltung des Völkerrechts kommen, erlauben Sie
uns einige Fragen zu Ihrer Jugend. Wie kam es zu Ihrer Ausbürgerung aus der
ehemaligen DDR?
Ernst-Zettl: Meine Eltern, die politisch
ihre eigene d.h. nicht zensierte und vorgegebene Meinung in dem System der
DDR lebten musste zwangsläufig feststellen, dass sie sich mit dem System DDR
und deren politischen Erwartungen nicht mehr arrangieren konnten. Konkret
konnten sie gerade ihren Kindern nicht die Freiheit und Wahl bieten, ohne
das sie sich politisch verbiegen hätten müssen. Deshalb haben sich meine
Eltern Anfang der 80er Jahre entschlossen, für ihre Kinder, deren Zukunft
und deren Freiheit, die DDR auf legale Weise zu verlassen. Dass Verfahren
dauerte über 3 Jahre und war mit schweren Repressalien für die ganze Familie
und die nähere Verwandtschaft verbunden.
Im März 1984 wurden wir ausgebürgert und als
Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Ich bin meinen
Eltern dankbar, dass sie den Mut und Tapferkeit aufbrachten, sich gegen alle
Widerstände und das undemokratische System der DDR - allein für die Zukunft
und die Freiheit ihrer Kinder - zu stellen.
MM: Nach ihrer Ausbildung im
Gesundheitswesen, sind sie zur Bundeswehr gegangen. Was waren Ihre
Beweggründe?
Ernst-Zettl: Mein Bruder war bereits 1991 in
den Streitkräften - beim Heer - tätig. Im Jahr 1991 wurde die Laufbahn der
Unteroffiziere im Sanitätsdienst der Bundeswehr auch für Frauen geöffnet.
Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt meine zivile Aus- und Weiterbildung im
Gesundheitswesen abgeschlossen und suchte nach Möglichkeiten mich persönlich
und beruflich weiterentwickeln zu können. Ich habe mich als deutsche
Staatsbürgerin bewusst entschieden und verpflichtet das Recht und die
Freiheit tapfer zu verteidigen. Dafür diene ich im Sanitätsdienst der
Bundeswehr. Frauen gibt es bereits seit 1970 im Sanitätsdienst der
Bundeswehr. Die Bundeswehr bietet sehr gute fachliche
Qualifikationsmöglichkeiten im Sanitätswesen. Ich identifiziere mich mit
meinem Beruf und würde mich wieder im Sanitätsdienst der Bundeswehr
freiwillig verpflichten. Es ist mir wichtig, dass die Soldaten und
Zivilisten sowohl in Deutschland als auch im Ausland - Opfer bewaffneter
Konflikte - eine erstklassige sanitätsdienstliche Versorgung erhalten und
uns in unserem Tun und Handeln vertrauen.
MM: Im Rahmen Ihrer Auslandseinsätze haben
Sie sich freiwillig für einen Einsatz in Afghanistan entschieden. Hatten Sie
denn keine Angst als Frau ausgerechnet nach Afghanistan zu gehen, und wie
waren Ihre eindrücke vom Land?
Ernst-Zettl: Ich hatte keine Angst sondern
Respekt. Natürlich war mir klar, dass der Auftrag der bewaffneten
Sicherheitsbeistandtruppe ISAF auch mit militärischer Gewalt durchgesetzt
werden darf. Dementsprechend fundiert wurden vor dem ISAF Einsatz, besonders
die Sicherheitslage bis hin zu den Rechtsgrundlagen einschließlich
persönlicher Verpflichtung zur Einhaltung der Regeln des humanitären
Völkerrechts, ausgebildet. Darauf habe ich auch vertraut. Wichtig für mich,
als Vorgesetzte war, dass mein Team gute sanitätsdienstliche Arbeit leistet
und dass ich die mir anvertrauten unterstellten Sanitätssoldaten nach
Deutschland gesund zurück bringen würde.
Wegen der besonderen Bedingungen im Einsatzgebiet
war es mir nicht möglich, das Militärlager zu verlassen. Deshalb habe ich
das Land nicht kennen gelernt. Die Menschen die ich gesehen habe und mit
denen ich sprechen konnte, waren in der Regel Patienten - meist Opfer
der bewaffneten Konflikte - unseres Feldlazaretts. In Afghanistan sind
bewaffnete Überfälle, Raketen- und Granatenbeschuss, Anschläge mit Minen und
Sprengfallen, Selbstmordattentaten mit Verwundeten und Toten fast an der
Tagesordnung. Da bleiben viele Opfer.
MM: Ihr Einsatz in Afghanistan fand nach
wenigen Monaten ein Ende durch Strafversetzung nach Deutschland. Können Sie
die Umstände dazu erläutern?
Ernst-Zettl: Ich kam Ende Februar 2005 zu
dem bereits seit November 2004 laufenden 7. Einsatzkontingent ISAF und
wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass auch das deutsche Sanitätspersonal
seit Dezember 2004 als Personalersatz für einen georgischen Sicherungszug
der Infanterie bei den bewaffneten Streitkräften für operative Aufgaben
einsetzt wird und dass die Regeln des humanitären Völkerrechts u.a. gemäß
Dienstvorschrift der Bundeswehr 15/2 und Verfügung des Generalsekretär der
Vereinten Nationen über die Truppen der Vereinten Nationen für die deutschen
Sanitätssoldaten keine Anwendung mehr fanden.
Obwohl ich als Sanitätspersonal mit dem
Schutzzeichen Rot-Kreuz kenntlich war und mich ausweisen konnte, erhielt ich
im April schließlich den Befehl im Sicherungsdienst operative Aufgaben der
bewaffneten Streitkräfte einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt,
über mein legitimes Recht des Selbst- und Nothilferechts, wahrzunehmen.
Daraufhin wurde ich bei meinem Sicherungszugführer - einem Offizier -
vorstellig um ihm zu melden, dass ich im Sinne des humanitären Völkerrechts
Nichtkombattant sei und nicht eingesetzt werden dürfe. In der Tat hatte die
Sicherung den Auftrag, das Militärlager zu verteidigen, d.h. gegen
Feindseligkeiten, besonders gegen paramilitärische Kräfte und terroristische
Angreifer. Laut ISAF Mandat sind das Sicherungsaufgaben der
Infanteriekräfte. Ich habe mein Schutzzeichen nicht abgelegt, denn ich war
verpflichtet mich kenntlich zu machen. Mehrere Stunden später wurde ich aus
dem Sicherungsdienst herausgelöst.
Noch am Abend begannen stundenlange Vernehmungen in
denen ich mich für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts rechtfertigen
sollte. Ich habe mich für die Einhaltung der Regeln des Humanitären
Völkerrechts verantwortlich gefühlt, da ich laut Dienstvorschrift 15/2 auf
die Einhaltung der Regeln des Humanitären Völkerrecht verpflichtet worden
bin. Darauf durfte ich vertrauen. Außerdem sind die Allgemeinen Regeln des
Völkerrechtes nicht von ungefähr Bestandteil des Bundesrechtes. Ich bekam
schließlich eine Disziplinarmaßnahme und wurde Strafweise zurück nach
Deutschland versetzt.
MM: Sahen Sie keine Chance juristisch
dagegen vorzugehen, ohne zu große Opfer bringen zu müssen?
Ernst-Zettl: Es geht nicht darum Opfer zu
bringen sondern darum und wofür ich mich verpflichtet habe, nämlich das
Recht und die Freiheit tapfer zu verteidigen, und dafür stehe ich
bedingungslos ein. Dass habe ich auch bei meinen vier Auslandseinsätzen - in
Bosnien und im Kosovo - unter Einsatz meines Lebens getan. Ich würde es
wieder tun.
MM: Sie sind auch im Darmstädter Signal
engagiert. Ist es in diesem Zusammenhang nicht äußerst problematisch, wenn
jeder Soldat politische Entscheidungen hinterfragt?
Ernst-Zettl: Grundsätzlich nein. Ich lebe
und diene schließlich unserer Demokratie. Allerdings muss einem schon klar
sein, dass kritisches Engagement, gerade wenn es um politische
Entscheidungen geht, auch nicht mit Beifallsbekundungen durch Vorgesetzte
honoriert wird. Ich persönlich darf davon ausgehen, dass meine berufliche
Karriere beendet ist.
MM: Sie sind zuletzt dadurch in die
Schlagzeilen geraten, dass sie einen öffentlichen Aufruf des Darmstädter
Signals unterstützt haben, der sich gegen den Einsatz von
Bundeswehr-Tornados in Afghanistan richtet. Was sind die Hauptgründe für
Ihre Ablehnung?
Ernst-Zettl: Deutschland wird immer mehr in
den Krieg der USA in Afghanistan hinein gezogen. Der ehemalige
Verteidigungsminister Dr. Struck spricht offen vom Kampfeinsatz. Ich stehe
offen zu friedlichen Lösungen ohne militärische Gewalt. Was die Menschen in
Afghanistan wollen und brauchen ist doch nicht Krieg sondern humanitäre
Hilfe und Wiederaufbau.
Es ist Augenwischerei uns glauben machen zu wollen,
dass die Tornados - im übrigen Kampfflugzeuge - nur Aufnahmen anfertigen.
Man stelle sich z.B. vor, ein Arzt würde ein Röntgenbild von einem Patienten
anfertigen, um dessen Verletzung oder einen Schmerz abzuklären. Es wäre doch
völlig widersinnig, wenn der Arzt dem Patienten das Ergebnis und die daraus
resultierende Therapie vorenthält, das Ergebnis des Röntgenbildes also nicht
verwertet.
MM: Die Stimme der Soldaten in den
Befehlsetagen, die Deutschland nicht am Hindukusch verteidigen will,
erscheint zumindest für den Außenstehenden sehr leise. Wie erklären Sie sich
das?
Ernst-Zettl: Ich kann es nur auf Grund
meiner eigenen Erfahrungen mitteilen. Es ist sicherlich sehr schwer sich
kritisch äußern zu wollen, besonders für die so genannten
Entscheidungsträger von denen die politische Führung auch linientreue
erwartet. Ich lebe in dem Bewusstsein und in dem Vertrauen, dass jeder
einzelne von uns seine persönlichen Entscheidungen gegenüber seinem Gewissen
verantworten wird. Dieses meine ich auch vor dem Hintergrund unserer eigenen
deutschen Geschichte. Für mich persönlich lebe ich und da zitiere ich gerne
mein Vorbild Nobelpreisträgers Henry Dunant: „Denn alle können auf die
eine oder andere Weise - jeder in seinem Kreise und in seiner Kraft -
irgendetwas zu diesem guten Werke beitragen.“
MM: Das Darmstädter Signal engagiert sich ja
sozusagen für die Friedensarbeit aus der Armee heraus. In wie weit spielen
die weltweit propagierte "Kampf der Kulturen" eine Rolle bei Ihrem
Engagement?
Ernst-Zettl: Wir sind Soldaten der
Bundeswehr und engagieren uns auch als solche. Wir leben den Staatsbürger in
Uniform zumal kritisch und mit Verlaub auch zeitgenössisch. Das sind nach
meinem Verständnis und meiner Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr
schlicht die Früchte der Erziehung, nämlich der Erfolg des Anspruchs und der
Forderung der Inneren Führung der Bundeswehr. Die Bundeswehr kann nicht den
blinden Gehorsam abverlangen sondern den selbstbewussten und mitdenkenden
Staatsbürger in Uniform.
Zu den unterschiedlichen Kulturen darf ich sagen,
dass es für mich wichtig ist das jede Kultur nach seinen persönlichen
Vorstellungen leben muss und das niemand das Recht hat, Eingriffe in eine
Kultur und Tradition vornehmen wollen. Ich persönlich möchte nicht, das
Dritte in meine Kultur und Tradition eingreifen und mich womöglich
bevormunden.
MM: Wenn Sie einerseits davon ausgehen, dass
Ihre Karriere beendet ist und andererseits dass die Bundeswehr gegen das
Völkerrecht verstößt, welche mittelbaren und unmittelbaren Konsequenzen hat
das in Ihrem Leben?
Ernst-Zettl: Dass ich mir selbst treu bin.
Ich habe mich auf das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung verpflichtet
und dafür stehe ich ein, sowohl als Berufssoldatin als auch in meinem
Ehrenamt. Dass ich mit meiner Haltung und Auffassung anderen auf die Füße
trete, ist mir nicht erst seit den Vorkommnissen in Afghanistan klar. Ich
bin dankbar, das ich Menschen um mich habe, die mich auf meinem Weg
begleiten.
MM: Welches Ideal treibt sie, all diese
Schwierigkeiten auf sich zu nehmen?
Ernst-Zettl: Meine Familie.
MM: Frau Ernst-Zettl, wir danken für das
Interview.
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