Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Andreas Bummel
 

Muslim-Markt interviewt 
Andreas Bummel - Vorsitzender des "Komitee für eine demokratische UNO"

20.4.2007

Andreas Bummel (Jahrgang 1976) ist in Südafrika geboren und 1982 nach Deutschland gekommen. Nach einer einer kaufmännischen Ausbildung in einem internationalen Konzern war er berufstätig, absolvierte Zivildienst und machte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg.

Seit 2000 studiert er Rechtswissenschaften - u.a. mit einem Stipendiat der Deutschen Studienstiftung - und ist für eine Unternehmensberatung tätig. Schwerpunkt seiner NGO-Aktivitäten ist die Stärkung und Demokratisierung der Vereinten Nationen sowie die Durchsetzung von Menschenrechten. Er war u.a. Mitglied im Lenkungskreis des Deutschen Komitees der Coalition for an International Criminal Court. Leiter des Sekretariats der im April 2007 gestarteten internationalen Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen. Seit 1998 ist er Mitglied im Weltvorstand des World Federalist Movement.

Bummel ist ledig und lebt im Raum Mainz.

MM: Sehr geehrter Herr Bummel. Das Komitee für eine demokratische UNO hat ihren Sitz in Deutschland. Gehört Deutschland einem undemokratischen Bündnis an?

Bummel: Nein, so allgemein würde ich das nicht sagen, denn in der Generalversammlung der Vereinten Nationen ist jeder Mitgliedsstaat gleichberechtigt vertreten. Problematisch ist aber das Abstimmungsverfahren im höchsten UN-Gremium, dem Sicherheitsrat, das den fünf ständigen Mitgliedern ein Vetorecht einräumt. Für unser Komitee steht aber etwas anderes im Mittelpunkt, nämlich die Tatsache, dass die UNO ein reines Regierungsforum ist. Wir setzen uns dafür ein, dass bei der UNO eine Parlamentarische Versammlung eingerichtet werden soll.

MM: Während sie eine demokratische UN anstreben, strebt die offizielle deutsche Politik die aktive Teilnahme im Sicherheitsrat an und wünscht sich selbst zudem idealerweise undemokratische Sonderrechte. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihren Bestrebungen?

Bummel: Ja, sicher. Indem die Bundesregierung an ihrem Ziel eines ständigen Sitzes festhält, trägt sie dazu bei, die Reform des Sicherheitsrates weiter hinauszuzögern. Es wäre besser, endlich einzusehen, dass der deutsche Wunsch in der Staatengemeinschaft nicht durchsetzbar ist. Und das gilt erst recht für eine ständige Mitgliedschaft inklusive Vetorecht. Aber diese Maximalforderung ist wohl sowieso nur taktischen Gesichtspunkten geschuldet, nach dem Motto: Wir fordern einen ständigen Sitz mit Vetorecht und bekommen ihn dann - als Scheinkompromiss - wenigstens ohne. Viel vernünftiger wäre es, sich für einen gemeinsamen Sitz der Europäischen Union einzusetzen, aber das würde natürlich wieder andere Probleme aufwerfen.

MM: Wie realistisch ist denn die Forderung nach Demokratie an eine Organisation, in der die Waffenstärksten Mächte sich selbst Sonderrechte zubilligen. Warum sollten sie diese jemals aufgeben?

Bummel: Wir bewegen uns hier auf einem Gebiet, das langfristige Strategien erfordert. Von heute auf morgen werden keine radikalen Änderungen im internationalen System möglich sein. Das politische Klima ist im Augenblick auch nicht besonders geeignet, um mit kurzfristigem Aktionismus Erfolg haben zu können. Ganz im Gegenteil. Nehmen wir mal an, die Staatengemeinschaft würde heute über die UN-Charta oder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verhandeln. Wahrscheinlich würden dabei schlechtere Ergebnisse herauskommen, als 1945 oder 1948. Die Vetomächte werden nicht ohne weiteres auf ihre Sonderstellung verzichten. Aber es könnte vielleicht möglich sein, die bestehenden Vetorechte nach und nach einzuschränken, etwa durch freiwillige Selbstverpflichtungen, eine Rechenschaftspflicht vor der Generalversammlung bei Ausübung eines Vetos oder das Erfordernis eines Doppelvetos. In diesem Prozess könnte eine Parlamentarische Versammlung eine große Rolle spielen.

MM: Fakt ist doch derzeit, dass beispielsweise die USA niemals für irgendein Verbrechen vor dem UN-Sicherheitsrat zur Verantwortung gezogen werden können, weil sie über ein VETO-Recht verfügen. Warum ist eigentlich das Bewusstsein über ein derart eklatanten Verstoß gegen demokratische Grundsätze so wenig ausgeprägt in der Bevölkerung - aber auch unter Politikern und Journalisten?

Bummel: Nach der Erfahrung des Völkerbundes, dessen Mitgliedschaft ja sehr unbeständig und unvollständig war, wollte man ein umfassendes System kollektiver Sicherheit schaffen. Die Einrichtung des Vetorechts war nach dem Zweiten Weltkrieg eine der Voraussetzungen, dass sich die damaligen Großmächte überhaupt an der UNO beteiligt haben. Ich denke es gibt schon ein Bewusstsein dafür, dass das Vetorecht im Widerspruch zum Gleichheitsprinzip im Völkerrecht steht. Früher hing es aber auch damit zusammen, einen Konflikt zwischen den Nuklearmächten zu verhindern, wenn die sich im Sicherheitsrat gegenseitig überstimmen. Heute hat sich die Lage ja allein deswegen schon verändert, weil die Verfügung über Atomwaffen keine Spezialität der ständigen Mitglieder mehr ist. Auf jeden Fall gab und gibt es auch immer noch viele Gründe, warum man das Vetorecht sinnvoll finden könnte.

MM: Wie sähe denn so ein Idealziel für eine demokratische UNO aus? Wollen Sie eine Art Parlament statt dem Sicherheitsrat, in dem die Staaten abhängig von ihrer Bevölkerungszahl über ein Stimmrecht verfügen?

Bummel: Das Idealziel wäre aus meiner Sicht ein Weltparlament bestehend aus der heutigen Generalversammlung, in der die Staaten gleichberechtigt vertreten sind, und einer Parlamentarischen Versammlung, in der die Bevölkerungen direkt vertreten sind. Es gäbe also zwei Kammern, die zusammen Beschlüsse fassen könnten. Das geht in die Richtung eines Vorschlags, den der damalige tschechische Präsident Vaclav Havel beim Millenniums-Gipfel gemacht hat. Aber davon wurde im Trubel des Gipfels viel zu wenig Notiz genommen. Jedenfalls wäre der Sicherheitsrat idealerweise diesen beiden Kammern rechenschaftspflichtig.

Sie sprechen noch die Frage mit dem Stimmrecht an. Stellen Sie sich mal vor, die Abgeordneten würden proportional zur Bevölkerungszahl vergeben. Dann würde die Kammer völlig von China, Indien und ähnlich bevölkerungsreichen Staaten dominiert. Und kleine Staaten hätten vielleicht einen Abgeordneten, würden also völlig untergehen. Und dieser Abgeordnete würde dann wohl aus der Regierungspartei kommen müssen. Der Zweck der Parlamentarischen Versammlung ist aber ja gerade, auch Oppositionellen und Minderheiten eine Stimme zu geben. Von daher wird es für die Zusammensetzung eine politische Lösung mit Staffelungen geben müssen und keine die sich an theoretischen Idealen orientiert. Genauso ist es ja zum Beispiel auch beim Europäischen Parlament.

MM: Nun kann solche eine Bewegung kaum allein von Deutschland ausgehen. Wie sehen die internationalen Kooperationen diesbezüglich aus?

Bummel: Ursprünglich wollten wir uns in der Tat hauptsächlich auf Deutschland konzentrieren. Wir finden, das Deutschland in der Tradition solcher kosmopolitischer Vordenker wie Immanuel Kant in der Bewegung für eine demokratischere Welt eine große Rolle spielen sollte. Und nach dem Ersten Weltkrieg hat die erste demokratische Regierung Deutschlands vorgeschlagen, der Völkerbund möge mit einem Weltparlament ausgestattet werden. Von Deutschland wollten die Siegermächte damals natürlich nichts wissen. Heute befindet sich die deutsche UN-Politik aus meiner Sicht in einem Trauerzustand. Und das Außenministerium will von unseren Vorschlägen nichts wissen, jedenfalls noch nicht.

Inzwischen sind wir viel stärker auf der internationalen Ebene tätig, als in Deutschland. Unser Komitee leitet die globale Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen, der sich hunderte Parlamentarier aus über 50 Ländern angeschlossen haben und darüber hinaus sehr viele NGOs aus aller Welt.

MM: Aber bedeutet ihr letztendliches Ziel einer demokratischen Welt nicht eine radikale Ablehnung des westlichen Lebens- und vor allem Wirtschaftssystems? Denn wenn alle Menschen so viele Schulden hätten, alle Staaten so viel Geld drucken würden, alle Menschen so viel Energie und so viele Ressourcen verbrauchen wurden, alle Staaten so viel Militär hätte, und alle sich in der Welt die gleichen selbstbestimmten Rechte anmaßen würden, wie die westliche Welt es derzeit tut, dann wäre die Welt kaum nochlebensfähig. Wie wollen Sie die eigenen Bevölkerung davon überzeugen, dass eine demokratische Welt Einschränkungen für die heute Reichen bedeuten würde?

Bummel: Ja, das ist ein zentraler Punkt, wenn wir uns die langfristige Entwicklung vor Augen halten. Der WWF hat jüngst berechnet, dass der menschliche Konsum die natürliche Kapazität der Erde heute schon um 25 Prozent übersteigt und die Belastung wird immer größer werden. Überall möchten die Menschen zu recht in Wohlstand und Würde leben. Das Schlimme daran ist ja, dass sie es theoretisch auch könnten und dass der Wohlstand in der Welt und in den einzelnen Ländern eben so ungleich verteilt ist. Die westliche Konsumgesellschaft wird langfristig keinen Bestand haben können. Aber das muss nicht bedeuten, dass die Welt quasi in ein präindustrielles Zeitalter zurückfällt. Durch nachhaltiges Wirtschaften, höhere Produktivität und gerechtere Verteilung des Wohlstands lässt sich hoffentlich ein würdevoller Lebensstandard für alle erreichen. Welche Reformen in der Weltwirtschaft und im Finanzsystem angegangen werden müssen, damit könnte sich zum Beispiel gerade eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen befassen. Anders als Regierungen könnten sich die Abgeordneten am Menschheitsinteresse orientieren und nicht an Nationalegoismen und anders als bei diversen Denkfabriken würde die Debatte direkt in der Politik ablaufen und nicht irgendwo auf der grünen Wiese, ohne dass es Entscheidungsträger überhaupt zur Kenntnis nehmen.

MM: Wie kann man bei Ihnen mitmachen, und warum sollte man es?

Bummel: Man kann an den Aktivitäten des Komitees ehrenamtlich mitwirken, je nach dem, welche Interessen und Fertigkeiten man hat. Aber man kann auch so kleine Dinge tun, wie zum Beispiel den Aufruf für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen zu unterzeichnen oder seinen örtlichen Abgeordneten anzusprechen, ob er es nicht auch tun würde.

Man sollte bei uns mitmachen, weil man damit die Aussicht auf eine demokratischere Welt stärkt. Unsere Ziele werden sich zwar nur langfristig verwirklichen, aber dafür werden sie eine umso größere Wirkung haben.

MM: Sehr geehrter Herr Bummel, wir danken für das interview.

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