MM: Sehr geehrter Herr Bummel. Das Komitee
für eine demokratische UNO hat ihren Sitz in Deutschland. Gehört Deutschland
einem undemokratischen Bündnis an?
Bummel:
Nein, so allgemein würde ich das nicht sagen, denn in
der Generalversammlung der Vereinten Nationen ist jeder Mitgliedsstaat
gleichberechtigt vertreten. Problematisch ist aber das Abstimmungsverfahren
im höchsten UN-Gremium, dem Sicherheitsrat, das den fünf ständigen
Mitgliedern ein Vetorecht einräumt. Für unser Komitee steht aber etwas
anderes im Mittelpunkt, nämlich die Tatsache, dass die UNO ein reines
Regierungsforum ist. Wir setzen uns dafür ein, dass bei der UNO eine
Parlamentarische Versammlung eingerichtet werden soll.
MM: Während sie eine demokratische UN
anstreben, strebt die offizielle deutsche Politik die aktive Teilnahme im
Sicherheitsrat an und wünscht sich selbst zudem idealerweise undemokratische
Sonderrechte. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihren Bestrebungen?
Bummel: Ja, sicher. Indem die Bundesregierung an ihrem Ziel eines ständigen Sitzes
festhält, trägt sie dazu bei, die Reform des Sicherheitsrates weiter
hinauszuzögern. Es wäre besser, endlich einzusehen, dass der deutsche Wunsch
in der Staatengemeinschaft nicht durchsetzbar ist. Und das gilt erst recht
für eine ständige Mitgliedschaft inklusive Vetorecht. Aber diese
Maximalforderung ist wohl sowieso nur taktischen Gesichtspunkten geschuldet,
nach dem Motto: Wir fordern einen ständigen Sitz mit Vetorecht und bekommen
ihn dann - als Scheinkompromiss - wenigstens ohne. Viel vernünftiger wäre
es, sich für einen gemeinsamen Sitz der Europäischen Union einzusetzen, aber
das würde natürlich wieder andere Probleme aufwerfen.
MM: Wie realistisch ist denn die Forderung
nach Demokratie an eine Organisation, in der die Waffenstärksten Mächte sich
selbst Sonderrechte zubilligen. Warum sollten sie diese jemals aufgeben?
Bummel: Wir bewegen uns hier auf einem Gebiet, das langfristige Strategien
erfordert. Von heute auf morgen werden keine radikalen Änderungen im
internationalen System möglich sein. Das politische Klima ist im Augenblick
auch nicht besonders geeignet, um mit kurzfristigem Aktionismus Erfolg haben
zu können. Ganz im Gegenteil. Nehmen wir mal an, die Staatengemeinschaft
würde heute über die UN-Charta oder die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte verhandeln. Wahrscheinlich würden dabei schlechtere
Ergebnisse herauskommen, als 1945 oder 1948. Die Vetomächte werden nicht
ohne weiteres auf ihre Sonderstellung verzichten. Aber es könnte vielleicht
möglich sein, die bestehenden Vetorechte nach und nach einzuschränken, etwa
durch freiwillige Selbstverpflichtungen, eine Rechenschaftspflicht vor der
Generalversammlung bei Ausübung eines Vetos oder das Erfordernis eines
Doppelvetos. In diesem Prozess könnte eine Parlamentarische Versammlung eine
große Rolle spielen.
MM: Fakt ist doch derzeit, dass
beispielsweise die USA niemals für irgendein Verbrechen vor dem
UN-Sicherheitsrat zur Verantwortung gezogen werden können, weil sie über ein
VETO-Recht verfügen. Warum ist eigentlich das Bewusstsein über ein derart
eklatanten Verstoß gegen demokratische Grundsätze so wenig ausgeprägt in der
Bevölkerung - aber auch unter Politikern und Journalisten?
Bummel: Nach der Erfahrung des Völkerbundes, dessen Mitgliedschaft ja sehr
unbeständig und unvollständig war, wollte man ein umfassendes System
kollektiver Sicherheit schaffen. Die Einrichtung des Vetorechts war nach dem
Zweiten Weltkrieg eine der Voraussetzungen, dass sich die damaligen
Großmächte überhaupt an der UNO beteiligt haben. Ich denke es gibt schon ein
Bewusstsein dafür, dass das Vetorecht im Widerspruch zum Gleichheitsprinzip
im Völkerrecht steht. Früher hing es aber auch damit zusammen, einen
Konflikt zwischen den Nuklearmächten zu verhindern, wenn die sich im
Sicherheitsrat gegenseitig überstimmen. Heute hat sich die Lage ja allein
deswegen schon verändert, weil die Verfügung über Atomwaffen keine
Spezialität der ständigen Mitglieder mehr ist. Auf jeden Fall gab und gibt
es auch immer noch viele Gründe, warum man das Vetorecht sinnvoll finden
könnte.
MM: Wie sähe denn so ein Idealziel für eine
demokratische UNO aus? Wollen Sie eine Art Parlament statt dem
Sicherheitsrat, in dem die Staaten abhängig von ihrer Bevölkerungszahl über
ein Stimmrecht verfügen?
Bummel:
Das Idealziel wäre aus meiner Sicht ein Weltparlament
bestehend aus der heutigen Generalversammlung, in der die Staaten
gleichberechtigt vertreten sind, und einer Parlamentarischen Versammlung, in
der die Bevölkerungen direkt vertreten sind. Es gäbe also zwei Kammern, die
zusammen Beschlüsse fassen könnten. Das geht in die Richtung eines
Vorschlags, den der damalige tschechische Präsident Vaclav Havel beim
Millenniums-Gipfel gemacht hat. Aber davon wurde im Trubel des Gipfels viel
zu wenig Notiz genommen. Jedenfalls wäre der Sicherheitsrat idealerweise
diesen beiden Kammern rechenschaftspflichtig.
Sie sprechen noch die Frage mit dem Stimmrecht an.
Stellen Sie sich mal vor, die Abgeordneten würden proportional zur
Bevölkerungszahl vergeben. Dann würde die Kammer völlig von China, Indien
und ähnlich bevölkerungsreichen Staaten dominiert. Und kleine Staaten hätten
vielleicht einen Abgeordneten, würden also völlig untergehen. Und dieser
Abgeordnete würde dann wohl aus der Regierungspartei kommen müssen. Der
Zweck der Parlamentarischen Versammlung ist aber ja gerade, auch
Oppositionellen und Minderheiten eine Stimme zu geben. Von daher wird es für
die Zusammensetzung eine politische Lösung mit Staffelungen geben müssen und
keine die sich an theoretischen Idealen orientiert. Genauso ist es ja zum
Beispiel auch beim Europäischen Parlament.
MM: Nun kann solche eine Bewegung kaum
allein von Deutschland ausgehen. Wie sehen die internationalen Kooperationen
diesbezüglich aus?
Bummel:
Ursprünglich wollten wir uns in der Tat hauptsächlich
auf Deutschland konzentrieren. Wir finden, das Deutschland in der Tradition
solcher kosmopolitischer Vordenker wie Immanuel Kant in der Bewegung für
eine demokratischere Welt eine große Rolle spielen sollte. Und nach dem
Ersten Weltkrieg hat die erste demokratische Regierung Deutschlands
vorgeschlagen, der Völkerbund möge mit einem Weltparlament ausgestattet
werden. Von Deutschland wollten die Siegermächte damals natürlich nichts
wissen. Heute befindet sich die deutsche UN-Politik aus meiner Sicht in
einem Trauerzustand. Und das Außenministerium will von unseren Vorschlägen
nichts wissen, jedenfalls noch nicht.
Inzwischen sind wir viel stärker auf der
internationalen Ebene tätig, als in Deutschland. Unser Komitee leitet die
globale Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten
Nationen, der sich hunderte Parlamentarier aus über 50 Ländern angeschlossen
haben und darüber hinaus sehr viele NGOs aus aller Welt.
MM: Aber bedeutet ihr letztendliches Ziel
einer demokratischen Welt nicht eine radikale Ablehnung des westlichen
Lebens- und vor allem Wirtschaftssystems? Denn wenn alle Menschen so viele
Schulden hätten, alle Staaten so viel Geld drucken würden, alle Menschen so
viel Energie und so viele Ressourcen verbrauchen wurden, alle Staaten so
viel Militär hätte, und alle sich in der Welt die gleichen selbstbestimmten
Rechte anmaßen würden, wie die westliche Welt es derzeit tut, dann wäre die
Welt kaum nochlebensfähig. Wie wollen Sie die eigenen Bevölkerung davon
überzeugen, dass eine demokratische Welt Einschränkungen für die heute
Reichen bedeuten würde?
Bummel:
Ja, das ist ein zentraler Punkt, wenn wir uns die langfristige Entwicklung
vor Augen halten. Der WWF hat jüngst berechnet, dass der menschliche Konsum
die natürliche Kapazität der Erde heute schon um 25 Prozent übersteigt und
die Belastung wird immer größer werden. Überall möchten die Menschen zu
recht in Wohlstand und Würde leben. Das Schlimme daran ist ja, dass sie es
theoretisch auch könnten und dass der Wohlstand in der Welt und in den
einzelnen Ländern eben so ungleich verteilt ist. Die westliche
Konsumgesellschaft wird langfristig keinen Bestand haben können. Aber das
muss nicht bedeuten, dass die Welt quasi in ein präindustrielles Zeitalter
zurückfällt. Durch nachhaltiges Wirtschaften, höhere Produktivität und
gerechtere Verteilung des Wohlstands lässt sich hoffentlich ein würdevoller
Lebensstandard für alle erreichen. Welche Reformen in der Weltwirtschaft und
im Finanzsystem angegangen werden müssen, damit könnte sich zum Beispiel
gerade eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen
befassen. Anders als Regierungen könnten sich die Abgeordneten am
Menschheitsinteresse orientieren und nicht an Nationalegoismen und anders
als bei diversen Denkfabriken würde die Debatte direkt in der Politik
ablaufen und nicht irgendwo auf der grünen Wiese, ohne dass es
Entscheidungsträger überhaupt zur Kenntnis nehmen.
MM: Wie kann man bei Ihnen mitmachen, und
warum sollte man es?
Bummel:
Man kann an den Aktivitäten des Komitees ehrenamtlich
mitwirken, je nach dem, welche Interessen und Fertigkeiten man hat. Aber man
kann auch so kleine Dinge tun, wie zum Beispiel den Aufruf für eine
Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen zu unterzeichnen
oder seinen örtlichen Abgeordneten anzusprechen, ob er es nicht auch tun
würde.
Man sollte bei uns mitmachen, weil man damit die
Aussicht auf eine demokratischere Welt stärkt. Unsere Ziele werden sich zwar
nur langfristig verwirklichen, aber dafür werden sie eine umso größere
Wirkung haben.
MM: Sehr geehrter Herr Bummel, wir danken
für das interview.
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