MM: Sehr geehrter Herr Prof. Schulz. Was ist
das besondere Interesse von Studenten des Orientalischen Instituts in
Leipzig, sich für die beiden im Irak entführten Rene Bräunlich und Thomas
Nitzschke, die seit dem 24. Januar 2006 im Irak festgehalten werden,
einzusetzen?
Prof. Schulz: Wie der Name schon ahnen
lässt, beschäftigen sich StudentInnen des Orientalischen Instituts vor allem
mit den Sprachen und Kulturen der orientalischen Welt. Die StudentInnen der
Arabistik, sowie angehende DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen der
arabischen Sprache sind schon allein durch den Studiengang bedingt an der
Geschichte, Gegenwart und Zukunft der arabischen Länder interessiert. Sie
treffen sich mit Muttersprachlern arabischer Staaten und reisen in diese.
René Bräunlich und Thomas Nitzschke befinden sich
nun schon seit zehn Wochen in Geiselhaft im Irak, und wir wollen uns nun
noch stärker für ihre Freilassung einsetzen und eine größere Öffentlichkeit
als bisher erreichen. Mit unserer Internetseite www.wehope.de
wollen wir die deutsche aber auch die arabische Öffentlichkeit erneut über
den Fall der beiden Entführten informieren. Außerdem könnte Ähnliches vielen
der StudentInnen auch in anderen Ländern zustoßen und dann wären auch sie
auf Solidarität angewiesen. Dazu muss allerdings noch gesagt werden, dass
wir uns für die Freilassung aller im Irak zu Unrecht festgehaltenen Geiseln
aussprechen.
MM: Was wissen Sie über den Zustand der
beiden?
Prof. Schulz: Nichts Konkretes und nicht
mehr als im letzten Video zu sehen war.
MM: Nach einer ersten Welle von Nachrichten
kurz nach der Entführung ist die Berichterstattung fast eingeschlafen. Wie
erklären Sie sich diese fehlende Öffentlichkeit?
Prof. Schulz: Der Fall Osthoff hat sicher
zu einer gewissen Vorsicht der Öffentlichkeit geführt und die Menschen
machen sich Gedanken über die Hintergründe, auch wenn hier der Fall ganz
anders liegt. Bei der Entführung von Frau Sgrena in Italien haben sich die
Medien ganz aktiv in die Aktionen eingeschaltet und so auch immer wieder
eine berichtenswerte Öffentlichkeit geschaffen. Da aber hier in Deutschland
kaum neue Informationen aus dem Krisenstab dringen, ist auch die
Berichterstattung entsprechend still. Sollte die de-facto-Nachrichtensperre
letztlich zum Erfolg führen, dann war sie wohl richtig.
MM: Nun engagieren sich Stundenten auf
freiwilliger Basis. Wird das Engagement von dem Arbeitgeber der beiden
unterstützt?
Prof. Schulz: Sollen die Studenten etwa Geld
verlangen? Das verbietet sich in dieser Situation von selbst. Natürlich
unterstützt der Arbeitgeber mit seinen Möglichkeiten die Aktivitäten. Vor
allem aber freut sich die Firma, dass die Studierenden neue Ideen entwickeln
und frischen Wind in die Aktivitäten bringen.
MM: Manchmal kann eine "leise" Diplomatie ja
hilfreicher sein, als ein öffentlicher Auftritt. Aber in diesem Fall
scheinen die "leisen" Bemühungen nicht zu fruchten, wünsche Sie eine größere
Öffentlichkeit?
Prof. Schulz: Ja, vor allem Diskussion zur
Präsenz deutscher Truppen im Ausland und zu den Hintergründen des
Irak-Krieges und auch dazu, dass es nicht dazu kommt, dass bald das nächste
Land auf der Basis erfundener Beweise mit einem Krieg überzogen wird. Hier
sollte mehr Druck aufgebaut werden, weil das jetzt ablaufende Szenario viele
bekannte Muster aufweist.
MM: Deutschland galt jahrzehntelang als
fairer Partner in der islamischen Welt. In den letzten hundert Tagen wurde
dieser Eindruck aber - wenn man die Medien der dortigen Region beobachtet -
sehr stark beeinträchtigt. Glauben Sie, dass es im Interesse Deutschlands
ist, solche altgewachsenen guten Beziehungen im Sinne einer Art
"Bündnistreue" zu opfern? Und können Sie sich vorstellen, dass die erhöhte
Zahl an deutschen Opfern in Afghanistan und größere Zahl an Entführten im
Irak auch damit zusammen hängt?
Prof. Schulz: Ja, das sind berechtigte
Fragen. Deutschland hatte in der Tat nicht erst seit Schröders "Nein" zur
direkten Beteiligung am Irak-Krieg einen sehr guten Ruf in der Region. Die
Bundesregierung muss nun entscheiden, ob sie mehr Eigenständigkeit und
Selbstbewusstsein in der Außenpolitik wagt, oder aber all jene Maßnahmen
unterstützt oder hinnimmt, die anderswo beschlossen werden.
Schließlich sind wir in Europa und die arabische
Welt direkte Nachbarn mit einer langen gemeinsamen Geschichte. Ich glaube,
man kann die Entstehung der europäischen Identität nur als Ergebnis der
Auseinandersetzung, aber auch des fruchtbaren kulturellen Austausches mit
der arabischen Welt begreifen.
Ja, und wenn man sich selbst in eine bestimmte
Strategie einordnet oder in sie hineinzwängen lässt, dann sollte man nicht
erstaunt sein, dass man selbst zur Zielscheibe wird. Obwohl man aus den nun
drei Entführungsfällen im Irak keine allgemeinen Schlussfolgerungen ziehen
sollte, zeigt sich in den Forderungen der Entführer doch, dass Deutschland
als Partner der USA wahrgenommen wird.
MM: Nun ist der spezielle Fall der beiden
Entführten kein Paradebeispiel für den viel beschworenen Zusammenprall der
Kulturen, aber andererseits ist das Verhältnis Muslime zur westlichen Welt
nachhaltig gestört. Ist es in solch einer Situation zu rechtfertigen, dass
Deutsche in ein Land reisen und dort arbeiten, dass von den USA gegen den
Willen der eigenen Bevölkerung besetzt gehalten wird?
Prof. Schulz: Das ist eine Frage, die einer
längeren Diskussion bedarf. Zunächst ist einmal zu sagen, dass sich nicht
alle Bevölkerungsgruppen im Irak in gleicher Weise gegen die Besetzung und
die nachfolgende Besatzung gestellt haben. Ein Abzug der Besatzer wird jetzt
sogar von großen Teilen der irakischen Bevölkerung als eine weitere
Katastrophe und als Auftakt für das Hinübergleiten in einen dann
allumfassenden Bürgerkrieg betrachtet.
Ich glaube, es war vertretbar in dieser Situation
in den Irak zu gehen, denn nicht dorthin zu gehen, hieße einerseits das Feld
ganz allein denjenigen zu überlassen, die das Land zu großen Teilen zerstört
haben, und die Bevölkerung noch länger auf eine Verbesserung ihrer Situation
warten zu lassen.
MM: Was können deutsche Hochschulen und
Seminare dazu beitragen, dass die Kluft zwischen muslimischer und westlicher
Welt nicht weiter auseinander klafft?
Prof. Schulz: Wir bemühen uns um eine
sachgerechte, objektive Darstellung der islamischen Welt sowohl in der
Wissenschaft als auch in unserem Auftreten außerhalb der Universität. Gehen
Sie davon aus, dass niemand hier lehrt oder studiert, weil er die islamische
Welt bekämpfen und vernichten will. Wir alle sind zu diesem Studium und
diesem Beruf gekommen, weil uns diese Welt interessiert und fasziniert, wir
im Urlaub erste positive Erfahrungen gesammelt haben, kurzum, die Gründe
sind vielfältig. Vielleicht machen Sie dazu mal eine Umfrage unter den
Studierenden.
MM: Wir danken für das Interview und wünschen den
beiden Entführten eine baldige Freilassung!
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