Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Thomas Pritzl
 

Muslim-Markt interviewt 
Thomas Pritzl - Medien- sowie Kommunikationsexperte und Autor des Buches "Der Fake-Faktor"

11.4.2006

Thomas Pritzl erwirbt Ende der 80er-Jahre nach einem philologischen Studium an der Universität Bonn in der damals erfolgreichsten deutschen Agentur für Public Relations (PR) ABC in Düsseldorf - heute RSCG Eurocom ABC - das Rüstzeug für seine berufliche Karriere.

Anfang der 90er-Jahre wird er vom Privatsender RTL abgeworben, um in der „Stabsstelle PR“ des Senders die Unternehmenskommunikation mit zu entwickeln sowie als Pressesprecher tätig zu werden.

Später betreut er die redaktionelle PR der Sendung stern TV und arbeitet an einer Titelgeschichte für das Magazin Stern aus dem Verlag Gruner + Jahr mit. Ab 1997 wird er als freier Autor für das Handelsblatt sowie die Wirtschaftswoche aus der Verlagsgruppe Handelsblatt tätig, wo er unter anderem mehrere Jahre lang ad interim die Medienseiten des Magazins verantwortet. Zudem hat er als freier Medienexperte für die PR-Agentur Pleon Kohtes Klewes – Kunden aus der deutschen Finanz- und Medienwirtschaft beraten. Pritzl publiziert als Wirtschaftsautor und ist als selbstständiger PR- und Marketingberater unterwegs. Er ist ledig und lebt in Düsseldorf.

MM: Herr Pritzl, in Ihrem Buch "Der Fake-Faktor" zeichnen Sie den größten Zuschauerbetrug in der Geschichte des deutschen TV nach und auf, wie in der Medienbranche manipuliert wird. Als einen der Hauptdarsteller bezeichnen Sie Günther Jauch. Wann sind Sie das erste Mal auf die Idee gekommen, den Fall noch einmal zu beschrieben?

Pritzl: Anfang 2004. Damals sah ich eine RTL-Show zum 20. Jubiläum des deutschen Privatfernsehens, die von Günther Jauchs Firma I&U produziert wurde. Während Jauchs Redaktion darin Pleiten, Pech und Pannen aus zwei Jahrzehnten Privat-TV zeigte, wurde der Skandal nicht mit einem Wort erwähnt. Aus Imagegründen eine Entscheidung, die ich nachvollziehen kann, nicht so im Blick auf die deutsche Medienhistorie. Die Ausklammerung zeigt doch, dass Jauch hier Geschichte klittert.

MM: Die Ideen für die Manipulationen des freien Journalisten Michael Born waren ja ziemlich dreist. So schmierte er einer Kröte Kondensmilch auf den Rücken und ließ diese einen Komparsen vom Krötenrücken ablecken. Dazu hieß es im Fernsehbeitrag, der bei Stern TV ausgestrahlt wurde, das Sekret der Colorado-Kröte werde von Drogensüchtigen als neue In-Droge eingenommen. In einer anderen Reportage wurden Bekannte in selbst genähte Ku-Klux-Klan-Kostüme gesteckt, um angebliche rechtsextreme Umtriebe in Deutschland aufzudecken. ist es wirklich so extrem einfach zu manipulieren?

Pritzl: Das kommt darauf an, wie sauber eine Redaktion arbeitet, wie journalistisch redlich sie ist. Einige Beiträge gingen auf tatsächliche Begebenheiten zurück und wurden dann mit in der Regel sensationsheischenden Szenen „aufgefrischt“, um sie dann zu verkauften. Diese Szenen dann als nicht authentisch zu entdecken, kann schwierig sein. Aber die Redaktion stern tv war ja eher mehr denn weniger an den Manipulationen beteiligt oder darüber informiert. Mehr noch: Sie vertuschte den Skandal recht dreist. Offenbar bestanden da identische Interessenslagen.

MM: Nun glaubt ja der Großteil der Bundesbürger - anders als z.B. die ehemaligen DDR-Bürger - von den Medien größtenteils richtig informiert zu werden. Ist nicht der leichtgläubige Medienkonsument gewissermaßen Mitschuld an der Entwicklung?

Pritzl: Ich denke, man kann den Medienkonsumenten nicht für die Entwicklung der Medien verantwortlich machen. Denn das Programm bieten ja die Sender an. Aber der Bürger zahlt im Fall der öffentlich-rechtlichen. Und hier liegt ein Problem: ARD und ZDF erhalten zig Milliarden Euro Gebührengelder und könnten sich in der Berichterstattung deutlich von den Privaten unterscheiden. Doch sie suchen den nach unten offenen Wettbewerb, obwohl sie einen offiziellen gesetzlichen Auftrag haben, finanziell komfortabel ausgestattet sind und neue Konzepte entwickeln könnten. Darüber sollte sich der Bürger klar werden.

MM: Die Medien verstehen sich selbst als Kontrollinstanz der freiheitlichen Demokratie, obwohl sie nie eine demokratische Legitimation dazu erhalten haben. Gleichzeitig ist der Betrug am Zuschauer rechtlich nicht zu fassen. Zuschauer haben keinen Rechtsanspruch auf die Richtigkeit von journalistischen Sendungen. Wie kann dann der Missbrauch verhindert werden?

Pritzl: Wer das TV betrügen möchte, der wird dies abhängig davon wie intelligent er vorgeht auch weiterhin können. Denn das Medium als solches kommt ja nicht ohne Inszenierungen aus. Ich glaube auch nicht, dass Missbrauch durch mehr Kontrolle von dem Mattscheiben verbannt werden kann. Journalisten könnten mehr Mut zur Kritik und mehr Ignoranz gegenüber dem Mainstream aufbringen. Dann würden wieder Themen ins Programm kommen, deren Relevanz zu intensiven Recherchen einlädt und sich nicht im Oberflächlichen erschöpft.

MM: Bei Borns "Geschichten" fiel auch auf, dass einer von dem anderen abschrieb und je mehr voneinander abschrieben, desto glaubwürdiger wurde die Geschichte. Wo bleibt da die viel gerühmte Vielfalt der Medien?

Pritzl: Eine unwahre Geschichte wird ja nicht dadurch wahr, dass sie von verschiedenen Medien in immer neuen Versionen wiederholt wird. Deutschland hatte eine sehr differenzierte  Medienlandschaft. Aber die Vielfalt geht zurück. Die Claims in der Medienwirtschaft sind mit den Majorplayern Bertelsmann, Springer, WAZ und Holtzbrinck abgesteckt. Konzentration von Medienmacht geht immer zu Lasten der Meinungsvielfalt.

MM: In aktuellen Medien-Fällen wird behauptet, dass Volksschüler von Journalisten eine "Aufwandsentschädigung" dafür erhalten haben, vor der Kamera mit Steinen zu werfen und das Ganze wird dann auch noch gleich mit der Einwanderungsfrage und dem Islam gekoppelt. Was uns aber am Meisten dabei auffällt ist, dass selbst wenn so etwas herauskommt, es kaum jemanden zu interessieren scheint. Sind wir alle schon derart abgestumpft?

Pritzl: Die Informationslage in der fraglichen Sendung ZDF.Reporter ist nicht ganz eindeutig. Dass Geld geflossen ist, steht aber fest. Ich meine, dass damit eine Grenze überschritten wurde, die man nicht hätte überschreiten dürfen. Bedenklich ist, dass mit den Zitat, für das Geld bezahlt wurde, ein Vorurteil, eine Idee des Autors also ein Klischee bedient wurde. Dies hat nichts mehr mit Journalismus zu tun, sondern ist nicht anderes als tendenziös.

MM: Zurück zu Ihnen. Sie werden sich mit Ihrem Buch nicht nur Freunde schaffen. Welche Konsequenzen könnte das Buch auf Ihren Werdegang haben?

Pritzl: Das Buch war überfällig, denn über den größten Betrugsfall am Zuschauer gab es keine zusammenfassende Darstellung. Der Ex-Chef der WDR-Sendung Monitor, Klaus Bednarz, damals wie heute einer der größten Kritiker Jauchs in der Affäre, bescheinigte mir, akribisch und korrekt recherchiert zu haben. Ich würde mich freuen, wenn jüngere Menschen das Buch lesen, denn man erfährt viel über das duale Rundfunksystem und die Mechanismen der Medien generell. Herr Jauch hätte es sicherlich mehr geschätzt, wenn das Buch nicht publiziert worden wäre. Ich kann mit Kritik leben und nehme sie sportlich, schließlich geht es um die Sache.

MM: Es fällt auf, dass Sie immer wieder Herrn Jauch erwähnen, obwohl der doch eher durch seine weniger manipulierten Ratesendungen um Millionen bekannt ist. Sind derartige Manipulationen nicht personenunabhängig?

Pritzl: Herr Jauch war damals der zentrale Akteur im Fälschungsskandal. Bis dahin galt er als Synonym für seriösen Journalismus. Dieses Image in der Öffentlichkeit zu pflegen, gehörte auch zu meinen Aufgaben. Direkt nach dem Skandal, in dem Jauch sich selbst als Journalist demontierte und so weit ging, zu behaupten, er sei noch nie in einem Schneideraum gewesen, vollzog er eine Kehrtwende zum Präsentator und Werbetestimonial, wie ich sie noch nie zuvor oder danach gesehen habe. Die FAZ konstatierte übrigens nach Jauchs Prozessauftritt, seriöser Journalismus höre dort auf, wo stern TV beginne. Diese Schmach muss in ihm sehr tief sitzen. Aber er hat sich mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit als Journalist ja arrangiert.

MM: Gibt es einige Faustregeln, mit dem der Nachrichtenkonsument zumindest Zweifel an einer Nachricht bekommen sollte?

Pritzl: Wissen Sie, ich vermeide es, so etwas wie Rezepte für Sicherheit beim Nachrichtenkonsum zu geben. Eigentlich sollte der Zuseher doch dank seiner eigenen Urteilsfähigkeit in der Lage sein, relevante Informationen von solchen zu unterscheiden, hinter denen Interessen oder nur Promotion steckt. Eine Faustregel vielleicht doch: Mehrere Quellen über eine Info heranziehen und so für verschiedene Blickwinkel sorgen.

MM: Im Zuge der gesamten Einwanderungsproblematik und Integration - auch von Muslimen - spielen Medienmeldungen eine große Rolle. Dabei haben Negativschlagzeilen - unabhängig vom Wahrheitsgehalt - die Oberhand, obwohl rein Statistisch die Positivmeldungen überwiegen müssten. Ist das nicht auch eine Form der Manipulation?

Pritzl: Sie kennen doch das Medienmotto: „Only bad News are good News“. Danach ticken die Medien, ob private oder öffentlich-rechtliche und nicht nur hier in Deutschland. Im Gegensatz etwa zu Frankreich gibt es aber hier kein Medienmagazin mit breiter Wirkung. Und wenn Herr Wickert seine Zuseher mit „und eine geruhsame Nacht“ in den Schlaf schickt, dann trifft er damit sicherlich ein dringendes Bedürfnis seiner Generation. Aber warum nicht zum Beispiel über die positive Wendung einer bereits versandten Negativnachricht berichten – und wieso nicht mehr aus dem Ausland? Das macht Mut, kann die Integration stärken und vielleicht die Stimmung in diesem Lande aufhellen.

MM: Abschließende Frage: Was sind Ihre zukünftigen Projekte?

Pritzl: Ich bin gespannt, ob mein Buch, in das die praktische Erfahrung aus 15 Jahren Tätigkeit bei den verschiedensten Medien eingeflossen sind, die Leser überzeugt. Wie gesagt: Mir geht es darum, dass der größte Betrug am Zuschauer nicht komplett in Vergessenheit gerät. Es wäre befriedigend, wenn die Folgegeneration, die sich in einer durch fortschreitende Digitalisierung geprägten Welt auch medial zurecht finden muss, diesen einmaligen Skandal quasi als „Nullpunkt des TV-Journalismus“ im Bewusstsein behielte. Mal sehen, was danach kommt. Ich bin da Optimist.

MM: Erlauben Sie noch eine Zusatzfrage: Ist nicht Ihr Betonen des "größten" Betrugs am Zuschauer nicht auch eine Form der Eigenwerbung, die an Manipulation grenzt, denn seinen es die Hitler-Tagebücher oder die geäußerten Zweifel an der Mondlandung sowie andere Geschichten. Könnten Sie auch damit leben, dass es "nur" ein großer Skandal unter vielen ist?

Pritzl: Nicht ich selbst habe diese Wortwahl getroffen, sondern - wie im Buch auch nachzulesen ist - die Kollegen der schreibenden Zunft. In diesem Fall zitiere ich also, zumal ich persönlich mit Superlativen eher sparsam umgehe. Der Skandal war übrigens aber auch in Frankreich, England und sogar den USA Thema in mehreren Sendungen. Ich wüsste nicht, dass ein anderes Ereignis die Medienwelt seitdem ähnlich erschüttert hätte.

MM: Her Pritzl, wir danken für das Interview.

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