MM: Herr Pritzl, in Ihrem Buch "Der
Fake-Faktor" zeichnen Sie den größten Zuschauerbetrug in der Geschichte des
deutschen TV nach und auf, wie in der Medienbranche manipuliert wird. Als
einen der Hauptdarsteller bezeichnen Sie Günther Jauch. Wann sind Sie das
erste Mal auf die Idee gekommen, den Fall noch einmal zu beschrieben?
Pritzl: Anfang 2004. Damals sah ich eine
RTL-Show zum 20. Jubiläum des deutschen Privatfernsehens, die von Günther
Jauchs Firma I&U produziert wurde. Während Jauchs
Redaktion darin Pleiten, Pech und Pannen aus zwei Jahrzehnten Privat-TV
zeigte, wurde der Skandal nicht mit einem Wort erwähnt. Aus Imagegründen
eine Entscheidung, die ich nachvollziehen kann, nicht so im Blick auf die
deutsche Medienhistorie. Die Ausklammerung zeigt doch, dass Jauch hier
Geschichte klittert.
MM: Die Ideen für die Manipulationen des
freien Journalisten Michael Born waren ja ziemlich dreist. So schmierte er
einer Kröte Kondensmilch auf den Rücken und ließ diese einen Komparsen vom
Krötenrücken ablecken. Dazu hieß es im Fernsehbeitrag, der bei Stern TV
ausgestrahlt wurde, das Sekret der Colorado-Kröte werde von Drogensüchtigen
als neue In-Droge eingenommen. In einer anderen Reportage wurden Bekannte in
selbst genähte Ku-Klux-Klan-Kostüme gesteckt, um angebliche rechtsextreme
Umtriebe in Deutschland aufzudecken. ist es wirklich so extrem einfach zu
manipulieren?
Pritzl: Das kommt darauf an, wie sauber eine
Redaktion arbeitet, wie journalistisch redlich sie ist. Einige Beiträge
gingen auf tatsächliche Begebenheiten zurück und wurden dann mit in der
Regel sensationsheischenden Szenen aufgefrischt, um sie dann zu
verkauften. Diese Szenen dann als nicht authentisch zu entdecken, kann
schwierig sein. Aber die Redaktion stern tv war ja eher mehr denn weniger an
den Manipulationen beteiligt oder darüber informiert. Mehr noch: Sie
vertuschte den Skandal recht dreist. Offenbar bestanden da identische
Interessenslagen.
MM: Nun glaubt ja der Großteil der
Bundesbürger - anders als z.B. die ehemaligen DDR-Bürger - von den Medien
größtenteils richtig informiert zu werden. Ist nicht der leichtgläubige
Medienkonsument gewissermaßen Mitschuld an der Entwicklung?
Pritzl: Ich denke, man kann den
Medienkonsumenten nicht für die Entwicklung der Medien verantwortlich
machen. Denn das Programm bieten ja die Sender an. Aber der Bürger zahlt im
Fall der öffentlich-rechtlichen. Und hier liegt ein Problem: ARD und ZDF
erhalten zig Milliarden Euro Gebührengelder und könnten sich in der
Berichterstattung deutlich von den Privaten unterscheiden. Doch sie suchen
den nach unten offenen Wettbewerb, obwohl sie einen offiziellen gesetzlichen
Auftrag haben, finanziell komfortabel ausgestattet sind und neue Konzepte
entwickeln könnten. Darüber sollte sich der Bürger klar werden.
MM: Die Medien verstehen sich selbst als
Kontrollinstanz der freiheitlichen Demokratie, obwohl sie nie eine
demokratische Legitimation dazu erhalten haben. Gleichzeitig ist der Betrug
am Zuschauer rechtlich nicht zu fassen. Zuschauer haben keinen
Rechtsanspruch auf die Richtigkeit von journalistischen Sendungen. Wie kann
dann der Missbrauch verhindert werden?
Pritzl: Wer das TV betrügen möchte, der wird
dies abhängig davon wie intelligent er vorgeht auch weiterhin können. Denn
das Medium als solches kommt ja nicht ohne Inszenierungen aus. Ich glaube
auch nicht, dass Missbrauch durch mehr Kontrolle von dem Mattscheiben
verbannt werden kann. Journalisten könnten mehr Mut zur Kritik und mehr
Ignoranz gegenüber dem Mainstream aufbringen. Dann würden wieder Themen ins
Programm kommen, deren Relevanz zu intensiven Recherchen einlädt und sich
nicht im Oberflächlichen erschöpft.
MM: Bei Borns "Geschichten" fiel auch auf,
dass einer von dem anderen abschrieb und je mehr voneinander abschrieben,
desto glaubwürdiger wurde die Geschichte. Wo bleibt da die viel gerühmte
Vielfalt der Medien?
Pritzl: Eine unwahre Geschichte wird ja
nicht dadurch wahr, dass sie von verschiedenen Medien in immer neuen
Versionen wiederholt wird. Deutschland hatte eine sehr differenzierte
Medienlandschaft. Aber die Vielfalt geht zurück. Die Claims in der
Medienwirtschaft sind mit den Majorplayern Bertelsmann, Springer, WAZ und
Holtzbrinck abgesteckt. Konzentration von Medienmacht geht immer zu Lasten
der Meinungsvielfalt.
MM: In aktuellen Medien-Fällen wird
behauptet, dass Volksschüler von Journalisten eine "Aufwandsentschädigung"
dafür erhalten haben, vor der Kamera mit Steinen zu werfen und das Ganze
wird dann auch noch gleich mit der Einwanderungsfrage und dem Islam
gekoppelt. Was uns aber am Meisten dabei auffällt ist, dass selbst wenn so
etwas herauskommt, es kaum jemanden zu interessieren scheint. Sind wir alle
schon derart abgestumpft?
Pritzl: Die Informationslage in der
fraglichen Sendung ZDF.Reporter ist nicht ganz eindeutig. Dass Geld
geflossen ist, steht aber fest. Ich meine, dass damit eine Grenze
überschritten wurde, die man nicht hätte überschreiten dürfen. Bedenklich
ist, dass mit den Zitat, für das Geld bezahlt wurde, ein Vorurteil, eine
Idee des Autors also ein Klischee bedient wurde. Dies hat nichts mehr mit
Journalismus zu tun, sondern ist nicht anderes als tendenziös.
MM: Zurück zu Ihnen. Sie werden sich mit
Ihrem Buch nicht nur Freunde schaffen. Welche Konsequenzen könnte das Buch
auf Ihren Werdegang haben?
Pritzl: Das Buch war überfällig, denn über
den größten Betrugsfall am Zuschauer gab es keine zusammenfassende
Darstellung. Der Ex-Chef der WDR-Sendung Monitor, Klaus Bednarz, damals wie
heute einer der größten Kritiker Jauchs in der Affäre, bescheinigte mir,
akribisch und korrekt recherchiert zu haben. Ich würde mich freuen, wenn
jüngere Menschen das Buch lesen, denn man erfährt viel über das duale
Rundfunksystem und die Mechanismen der Medien generell. Herr Jauch hätte es
sicherlich mehr geschätzt, wenn das Buch nicht publiziert worden wäre. Ich
kann mit Kritik leben und nehme sie sportlich, schließlich geht es um die
Sache.
MM: Es fällt auf, dass Sie immer wieder
Herrn Jauch erwähnen, obwohl der doch eher durch seine weniger manipulierten
Ratesendungen um Millionen bekannt ist. Sind derartige Manipulationen nicht
personenunabhängig?
Pritzl: Herr Jauch war damals der zentrale
Akteur im Fälschungsskandal. Bis dahin galt er als Synonym für seriösen
Journalismus. Dieses Image in der Öffentlichkeit zu pflegen, gehörte auch zu
meinen Aufgaben. Direkt nach dem Skandal, in dem Jauch sich selbst als
Journalist demontierte und so weit ging, zu behaupten, er sei noch nie in
einem Schneideraum gewesen, vollzog er eine Kehrtwende zum Präsentator und
Werbetestimonial, wie ich sie noch nie zuvor oder danach gesehen habe. Die
FAZ konstatierte übrigens nach Jauchs Prozessauftritt, seriöser Journalismus
höre dort auf, wo stern TV beginne. Diese Schmach muss in ihm sehr tief
sitzen. Aber er hat sich mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit als
Journalist ja arrangiert.
MM: Gibt es einige Faustregeln, mit dem der
Nachrichtenkonsument zumindest Zweifel an einer Nachricht bekommen sollte?
Pritzl: Wissen Sie, ich vermeide es, so
etwas wie Rezepte für Sicherheit beim Nachrichtenkonsum zu geben. Eigentlich
sollte der Zuseher doch dank seiner eigenen Urteilsfähigkeit in der Lage
sein, relevante Informationen von solchen zu unterscheiden, hinter denen
Interessen oder nur Promotion steckt. Eine Faustregel vielleicht doch:
Mehrere Quellen über eine Info heranziehen und so für verschiedene
Blickwinkel sorgen.
MM: Im Zuge der gesamten
Einwanderungsproblematik und Integration - auch von Muslimen - spielen
Medienmeldungen eine große Rolle. Dabei haben Negativschlagzeilen -
unabhängig vom Wahrheitsgehalt - die Oberhand, obwohl rein Statistisch die
Positivmeldungen überwiegen müssten. Ist das nicht auch eine Form der
Manipulation?
Pritzl: Sie kennen doch das Medienmotto: Only
bad News are good News. Danach ticken die Medien, ob private oder
öffentlich-rechtliche und nicht nur hier in Deutschland. Im Gegensatz etwa
zu Frankreich gibt es aber hier kein Medienmagazin mit breiter Wirkung. Und
wenn Herr Wickert seine Zuseher mit und eine geruhsame Nacht in den Schlaf
schickt, dann trifft er damit sicherlich ein dringendes Bedürfnis seiner
Generation. Aber warum nicht zum Beispiel über die positive Wendung einer
bereits versandten Negativnachricht berichten und wieso nicht mehr aus dem
Ausland? Das macht Mut, kann die Integration stärken und vielleicht die
Stimmung in diesem Lande aufhellen.
MM: Abschließende Frage: Was sind Ihre
zukünftigen Projekte?
Pritzl: Ich bin gespannt, ob mein Buch, in
das die praktische Erfahrung aus 15 Jahren Tätigkeit bei den verschiedensten
Medien eingeflossen sind, die Leser überzeugt. Wie gesagt: Mir geht es
darum, dass der größte Betrug am Zuschauer nicht komplett in Vergessenheit
gerät. Es wäre befriedigend, wenn die Folgegeneration, die sich in einer
durch fortschreitende Digitalisierung geprägten Welt auch medial zurecht
finden muss, diesen einmaligen Skandal quasi als Nullpunkt des
TV-Journalismus im Bewusstsein behielte. Mal sehen, was danach kommt. Ich
bin da Optimist.
MM: Erlauben Sie noch eine Zusatzfrage: Ist
nicht Ihr Betonen des "größten" Betrugs am Zuschauer nicht auch eine
Form
der Eigenwerbung, die an Manipulation grenzt, denn seinen es die
Hitler-Tagebücher oder die geäußerten Zweifel an der Mondlandung sowie
andere Geschichten. Könnten Sie auch damit leben, dass es "nur" ein großer
Skandal unter vielen ist?
Pritzl: Nicht ich selbst habe diese Wortwahl
getroffen, sondern - wie im Buch auch nachzulesen ist - die Kollegen der
schreibenden Zunft. In diesem Fall zitiere ich also, zumal ich persönlich
mit Superlativen eher sparsam umgehe. Der Skandal war übrigens aber auch in
Frankreich, England und sogar den USA Thema in mehreren Sendungen. Ich
wüsste nicht, dass ein anderes Ereignis die Medienwelt seitdem ähnlich
erschüttert hätte.
MM: Her Pritzl, wir danken für das
Interview.
|