MM: Sehr geehrte Frau Neidhardt, wie kam es
dazu, dass Sie u.a. in Israel aufgewachsen sind und was sind Ihre
Erinnerungen an die Kindheit in Israel?
Neidhardt: Meine Eltern haben in Israel
gearbeitet und so haben wir mit der Familie für einige Jahre dort gelebt.
Meine Kindheitserinnerungen sind in erster Linie an die Schule und die
Jugendgruppen, in denen ich aktiv war. Aber natürlich auch an die große
gesellschaftliche Kluft zwischen Jüdinnen und Juden europäischer Herkunft
und denen arabischer Herkunft, die Angst vor Palästinenserinnen und
Palästinensern, die uns eingeredet wurde und vor allem Arabischen überhaupt.
Der Beschuss mit Katjuschas aus dem Libanon (wir haben an der Grenze gelebt)
und der folgende Krieg gegen den Libanon. All das hat mich geprägt, wichtig
sind aber Gerüche, Geschmack, der Humor, alles was einen Ort im ganz banalen
Alltag ausmacht.
MM: Wie kamen sie auf die Idee eine Art
alternativen Film-Verleih zu gründen, und worin unterschiedet sich mec film
vom üblichen Filmverleih?
Neidhardt: Das einzige etwas Alternative an
mec film ist, dass sich der Verleih auf eine Region beschränkt, aber andere
Verleihe haben natürlich auch regionale Schwerpunkte. Die Verleiharbeit war
die logische Konsequenz aus meiner Tätigkeit als Kuratorin für
Filmprogramme. Ich habe mir die Filme immer kommen lassen, oft aus den
Westbank, was ein riesiger Umstand für die Regisseurinnen und Regisseure
war. Einer hat mich dann gebeten, seine Filme einfach bei mir zu lagern und
so entstand die Idee, einen professionellen Filmverleih aufzuziehen. Da mec
film auf eine Region spezialisiert ist und ich von der Kinoauswertung der
Filme allein nicht leben könnte, gibt es auch den Weltvertrieb, eine kleine
DVD-Edition und die Rubrik der Veranstaltungen, diese Struktur unterscheidet
sich von anderen Filmverleihen.
MM:
Was bedeutet das Symbol in dem Firmenlogo, was aussieht wie eine Landkarte?
Neidhardt: Es ist eine Landkarte, die die
Region des Nahen Ostens zeigt. Die Frage ist immer, was mit Ägypten ist, so
langsam kommt es dazu.
MM: Durch Ihre Sprachkenntnisse und
Kenntnisse der Region haben Sie einen besonderen Zugang zu der Region. Wie
schätzen Sie die Situation zwischen Juden, Christen und Muslime im Heiligen
Land ein und was spiegelt sich in den Filmen wieder, die Sie verleihen?
Neidhardt: Ich bin mir nicht sicher, wie
groß die Rolle ist, die die Religion tatsächlich in dem Konflikt spielt. Auf
jeden Fall wird sie von Machthabern aller Seiten für ihre politischen Zwecke
genutzt. Und natürlich bietet sie den Menschen Halt und Hoffnung, oder eine
Illusion von Hoffnung. Die Filme, die ich verleihe, befassen sich nicht in
erster Linie mit dem Konflikt, es sind Kinofilme, die sich mit dem Leben von
Menschen in welchen Alltagssituationen auch immer, befassen. Der Konflikt
spiegelt sich aber immer in der Stimmung dieser Filme, der Rohheit und
Verzweiflung und sehr oft in der Abwesenheit von Hoffnung. Manche Filme
haben auch den Konflikt an sich zum Thema, die funktionieren anders,
direkter.
MM: Dennoch haben Sie natürlich sowohl durch
ihre Sprachkenntnisse als auch durch die Kenntnis von Judentum und Islam
einen Einblick, dass die Unterschiede doch eigentlich sehr gering sind. Aus
New York und London wird berichtet, dass praktizierende Muslime und Juden
besser miteinander zureckt kommen, als mit den jeweiligen
Mehrheitsgesellschaften. Warum erscheint in Israel diese Koexistenz so
aussichtslos?
Neidhardt: Ich nehme an, weil es eigentlich
nicht um Religion geht, sondern um ein einen nationalen Konflikt, um
Besatzung, Enteignung und Verdrängung. Die Menschen begegnen sich als
Besatzer und Besatzte, das ist ein großer Unterschied zu New York oder
London.
MM: Sie haben auch einen Film über den
Friedensaktivisten Uri Avnery und zudem zahlreiche Filme, die Israel
anklagen. Mussten Sie sich dafür schon einmal den Vorwurf des Antisemitismus
anhören?
Neidhardt: Nein, nie.
MM: Einer ihrer Filme heißt
"Licht am Ende des Tunnels". Wenn
wir sie gerade heute dazu befragen, können Sie dann noch solch ein Licht
irgendwo erkennen?
Neidhardt: Die Protagonistinnen und
Protagonisten in "Licht am Ende des Tunnels" haben alle Dunkelheit und nicht
Licht gefunden. Die einzige Hoffnung, die ich zur Zeit habe ist, dass die
meisten Besatzungen irgendwann zu Ende gehen.
MM: Sie sprachen von der Kluft zwischen
Jüdinnen und Juden europäischer Herkunft und denen arabischer Herkunft.
Worin machen Sie diese Kluft fest und wie hängt es mit dem Gesamtkonflikt in
der Region zusammen?
Neidhardt: Die Mizrahim, die Jüdinnen und
Juden aus an arabischen und islamischen Ländern wurden lange auch "das
zweite Israel" genannt. Sie waren im zionistischen Plan nicht vorgesehen und
kamen eher als Platzfüller, nachdem Ben Gurion festgestellt hat dass "wir
erst ein Volk ohne Land und jetzt ein Land ohne Volk sind". Sie waren
immer zweite Klasse und haben bis heute keinen wirklichen Machteinfluss,
auch wenn der Präsident, Herr Katzav aus dem Iran kommt. Dass Amir Peretz,
der derzeitige Verteidigungsminister, Chef der Arbeitspartei werden konnte,
war so Aufsehen erregend, weil er Marokkaner ist. Dieser Konflikt macht auch
deutlich, dass es sich in Israel/Palästina weniger um einen
Religionskonflikt als mehr um einen kolonialen oder rassistischen Konflikt
handelt - in großen Teilen. Das ist jetzt eine extrem verkürzte Analyse. Der Film "The
Black Panthers (in Israel) Speak" aus dem mec film Katalog befasst sich
ausführlich mit dem Thema.
MM: Das rassistische Element in dem Konflikt
ist offenkundig. Dennoch nehmen Muslime kaum jüdische Stimmen wahr, die sich
dagegen auflehnen. Liegt es daran, dass Muslime jene Stimmen (und z.B.
bisher auch Ihre Filme) wenig kannten oder sind jene Stimmen wirklich ein
verschwindende Minderheit?
Neidhardt: Ich glaube, dass der Protest in
der Regel nicht religiös kategorisiert wird, also Juden nicht als Juden
protestieren, sonder als Kritikerinnen und Kritiker der politischen
Struktur, der Regierung oder der Zustände. Und man muss auch bedenken, dass
es so viele Jüdinnen und Juden nicht gibt. Es macht ja oft den Eindruck von
Masse, wenn über jüdischen Einfluss oder jüdische Macht gesprochen wird, was
aber eher mit Phobien zu hat, glaube ich, als mit der konkreten Anzahl von
Menschen jüdischen Glaubens. Positiv wird weniger berichtet und vielleicht
auch einfach mehr im Proporz. Da müsste man genauer hinsehen, was
Wahrnehmung ist und was tatsächliche Zahlen sind.
MM: Werden ihre Filme auch im Fernsehen
gezeigt?
Neidhardt: Der WDR hat bisher zwei der Filme
gekauft, die mec film im Kino ausgewertet hat, Rana's Wedding (von Paradise
Now Regisseur Hani Abu-Assad) und Atash von Tawfik Abu Wael, der in Cannes
den internationalen Kritikerpreis gewonnen hat. Route 181 - Fragmente einer
Reise in Palästina-Israel ist von WDR und ARTE koproduziert und lief auf
beiden Sendern, Promises war im TV bevor ich den Film im Verleih hatte,
allerdings lief er dort in einer gekürzten Fassung. News from Home ist auch
mit Fensehgeldern koproduziert und wird folglich ausgestrahlt.
MM: Fahren Sie eigentlich noch nach Israel
und Palästina?
Neidhardt: Ja, mindestens ein Mal im Jahr,
in den letzten 12 Monaten waren vier Mal.
MM: Welchen Film aus Ihrem bisherigen
Angebot mögen Sie am meisten?
Neidhardt: Das ist schwer zu sagen. Wenn ich
nicht eine tiefe Freundschaft mit dem Film aufbaue, kann ich ihn nicht
vermarkten und ich habe bisher keine wirklichen Kompromisse gemacht - sonst
wäre der Katalog wahrscheinlich umfangreicher.
MM: Wenn Sie den Israelis wie Palästinensern
gleichermaßen einen Rat geben könnten und Ihre Stimme auch Gehör finden
würde, was würde Sie den Menschen empfehlen?
Neidhardt: Oh, ich bin sehr schlecht in
Empfehlungen. Ich lebe in einer extrem privilegierten Situation - in
Frieden, Sicherheit, weiß in Deutschland und mit deutschem Pass. Gedanken,
die mir hier plausibel erscheinen, kommen mir vor Ort lächerlich vor.
MM: Frau Neidhardt, wir danken Ihnen für das
Interview.
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