MM: Sehr geehrter Walter-Abd al Karim
Bornholdt, auch wenn sie die Geschichte schon einige hundert Mal erzählt
haben dürften, interessiert sie auch unsere Leser. Wie fanden Sie zum Islam?
Bornholdt: Das hört sich tatsächlich
kompliziert an und kann auch so gesehen werden. Am Anfang stand der
Kirchenaustritt (1968) und bei dieser Gelegenheit warf ich auch alles gleich
mit über Bord, was da Religion heißt. Gut, das war der Zeitgeist und ich kam
mir ungeheuer progressiv vor. In den folgenden 30 Jahren gab es mehr und
mehr Gelegenheiten, zur Erkenntnis zu kommen und der Day of Change kam
erst während meines Aufenthaltes in Ägypten. Dinge die ich sah und erst
später deutete ich meine persönliches Erleben auf dem Sinai und im
Heiligen Land Belehrungen eines Freundes der mir nicht nur einen Weg zur
Mentalität meiner Schüler zeigte, sondern mir auch nebenbei den Islam nahe
brachte. Dinge gegen die ich mich wehrte, da sie meinem Weltbild
entgegenstanden. Die aber ständig bestätigten, was ich als Kind lernte und
nie vergessen hatte. Im Februar 1997 war es das erste Mal, als ich auf eine
Frage eines Österreichers: Glaubst Du denn nicht wenigstens an Gott? noch
mit tiefster Überzeugung nein sagte und im selben Moment wusste, dass das
nicht mehr die Wahrheit war. Erst das Erleben der Tage nach der Mitteilung
dass ich schwer erkrankt war, zeigte mir überdeutlich wo mein Weg ist. Ich
ging völlig ruhig in die Klinik und erfuhr schon am ersten Tag, dass es
rechtzeitig war und es wahrscheinlich kaum Komplikationen geben würde. Diese
Nachricht und die Ereignisse an dem Tag die mich zur Vorsorgeuntersuchung
veranlassten, konnte kein blinder Zufall sein. Für mich stand fest, dass ich
hinterher alles machen würde, um dieser Erkenntnis Taten folgen zu lassen.
MM: Warum der Name Abd al Karim (Diener des
Edlen)?
Bornholdt: Ich konnte mich mit einem Buch -
nach dem heiligen Quran - befassen, welches die 99 Namen Allahs erklärte
und da las ich unter dem Namen Karim, das eine der Eigenschaften sei,
anderen Mensch mit Wohlwollen und Verständnis entgegenzutreten. Aber es
stand da auch das Wort Geduld und das war und ist bis heute meine Schwäche.
Das zu ändern war und ist nötig und der Name soll mich ständig daran
erinnern.
MM: Ist das Dasein als deutscher Muslim in
Ost-Deutschland nicht noch ungewöhnlicher, als in Westdeutschland?
Bornholdt: Mit Sicherheit, denn der Islam
war im Osten wenig präsent, obwohl an unseren Universitäten viele Männer aus
arabischen Ländern studierten und auch in kleineren Gruppen an
Militärschulen ausgebildet wurde. Aber uns war deren Religion zu fremd und
wir interessierten uns zu wenig dafür. Auch muss ich heute noch sagen, dass
die Mehrheit mit Sicherheit sehr schlechte Vorbilder gewesen wären. Das
änderte sich nach der Wende. Nach meiner Neuetablierung in der Heimat
bekamen natürlich ehemalige Kollegen, Freunde und Verwandte mit, dass ich so
ein Islamist, Mohammedaner usw. geworden sei und das wurde doch hin und
wieder anstrengend. Dumme Fragen sind an der Tagesordnung aber ich darf
voller Stolz sagen, dass meine Bordkameraden nie gehässig oder herablassend
wurden. Und das sind durchweg heute noch Menschen mit
marxistisch/leninistischem Weltbild. Sie diskutierten bei Treffen mit mir
bis in die Nacht hinein und wollten nur verstehen. Und das waren fruchtbare
Gespräche. Mit meinen westdeutschen Bekannten und Verwandten war es völlig
anders. Es gibt kaum noch Kontakte. Man wundert sich im Osten mehr.
Unverstand ist selten zu spüren. Die Akzeptanz ist nach meiner Erfahrung
überraschend größer. Schwerer ist die Diskussion mit christlichen Bürgern,
aber das ist auch reizvoller. Denn ich kenne ja beide Religionen.
MM: Bitte geben Sie uns doch einige
Beispiele eines Ostdeutschen Muslim-Lebens.
Bornholdt: Das ist nur mit einer ironischen
Antwort möglich. Ständig müssen sie einigen Zuhörern von z.B.
Seniorenakademien oder anderen Erwachsenbildungseinrichtungen erklären, dass
sie wirklich Deutscher sind. Auf Fragen wie: "Sie leben nun schon so lange
in Deutschland, warum gewöhnen sie sich nicht an Alkohol und
Schweinefleisch?", können sie nur ironisch antworten. Aber die Diskussionen
in einer aus bekannten Gründen weitestgehend religionslosen Gesellschaft
sind intensiver. Wie ich schon einmal sagte: Man möchte verstehen.
Feindseligkeiten sind selten und aus der aktuellen Tagespolitik zu erklären.
Anfangs war es schwierig, Lebensmittelläden mit Fleisch- und Wurstwaren, die
aus Halal-Schlachtungen stammen, zu finden. Aber seit etwa zwei Jahren ist
das in den größeren Städten zumindest besser geworden.
MM: Worin besteht das Gemeindeleben in der
Islamische Gemeinde Magdeburg e.V.
Bornholdt: Wir versuchen zuallererst
natürlich die religiösen Belange der Muslime sicherzustellen. So banale
Dinge, wie Zahlung der Mietkosten für die Moschee und Auflagen der Behörden
zu erfüllen oder ggf. abzuwehren. So nebenbei konnten wir ein islamisches
Gräberfeld im Magdeburger Westfriedhof vertraglich sichern. Die Zeiten des
Ramadans werden durch nahezu tägliche gemeinsame Iftar-Essen gestaltet, die
jedes Mal von einem anderen Bruder finanziert werden. Jugendarbeit ist kaum
möglich, denn die Kinder wachsen erst heran. Aber wir gehen regelmäßig in
Schulen, um dort in Verbindung mit der URANIA e.V. (einer uralten
Bildungseinrichtung in Ostdeutschland) Schulklassen nicht nur mit
überwiegend muslimischen Schülern, den Islam altersgemäß zu vermitteln.
Lehrer des so genannten Ethik-Unterrichtes, haben es schon zur permanenten
Einrichtung gemacht, einmal mit der gesamten Klasse in der Moschee
vorbeizuschauen. Der Erfolg ist dann immer abhängig von der Altersklasse der
Schüler. Eine gute Zusammenarbeit ist mit der örtlichen Presse und dem
Mitteldeutschen Rundfunk (mdr) zu verzeichnen. Da gibt es aber oft Probleme
mit Geschwistern, die absolut gegen TV-Aufnahmen sind.
MM: Nun ist man in Ostdeutschland
jahrzehntelang "antiimperialistisch" erzogen worden. Ist davon denn nichts
mehr übrig geblieben, oder gibt es zumindest auf der politischen Ebene
gewisse Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Nichtmuslimen?
Bornholdt: Ich sitze hier und nebenan läuft
der alte DEFA Film Solange Leben in mir ist. Andere Kleidung und andere
Namen (stellt man es sich vor) und die rote Wut steigt hoch. Im Film wird
der 1. Weltkrieg den Bürgern schmackhaft gemacht. Und ich frage mich mit den
meisten Ostdeutschen: Kommt der alte Ungeist wieder? Nein, denn er ist schon
wieder da. Ich will mich nicht beklagen, denn es bedrückt mich nur bedingt.
Z.B. wenn ich in Organisationen mitarbeite, die gegen den imperialistischen
Krieg der USA (und bald auch Deutschlands) sind und demonstrieren, werde ich
schon einmal von Brüdern des Unglaubens bezichtigt, die lieber den Kopf
einziehen und auf Teilnehmer verweisen, die gottlos sind. Woher sie das
wissen? Nein, der antiimperialistische Geist lebt, aber viele haben
angesichts sozialer Probleme resigniert. Ich scheue nicht, offen zu
bekennen: Ich wähle und handele antiimperialistisch, denn ich möchte einmal
vor Gott treten und sagen können: Ich wollte etwas verhindern.
An einen Erfolg glaube ich nicht mehr. Da gibt es
nur eine Hand die alles stoppen kann. Und wir wissen nicht, was Gottes Ziel
und Planung ist. Ja es gibt Gemeinsamkeiten mit den Nichtmuslimen, ja und
diese sind oft genug Gottlose, aber wir haben alle den gleichen Gegner,
und wer mich respektiert und als Muslim ernst nimmt, ist mein Verbündeter.
Was meinen Sie, wie die Artikel von MM zum Iran angenommen werden. Ich
musste nur mal erklären, warum die Schiitische Variante des Islams näher am
Leben ist. Und warum mir der historische Streit mit den Sunniten vollkommen
egal ist. Das war einmal und nun fragt keiner mehr.
MM: Der MM selbst beobachtet in letzter
Zeit, insbesondere in den letzten Monaten, eine extreme Zunahme des
Interesses am Islam, vor allem auch von so genannten "Linken", darunter auch
viele EX-DDR-Bürger. Allerdings erscheint das Spirituelle im Islam oft als
Hürde. Haben Sie ähnliche Erfahrungen in Ihrem Umfeld und merken die
"Linken" nicht, dass sie durch die rein "materielle" Betrachtung
der Dinge
letztendlich auch Opfer des System sind, dass sie vorgeben abzulehnen?
Bornholdt: Zum 2. Teil der Frage möchte ich
zuerst kommen. Das war auch mein Gedankenfehler rund 30 Jahre:
Materialismus, falsch vermittelt und dann noch falsch verstanden. Ich habe
es einem ägyptischen Muslim zu verdanken, der meinen Widerspruch reizte, so
dass ich umdenken lernte. Das Problem war nur, dass ich ständig
feststellen musste, dass er Recht hatte. Ich konnte feststellen, dass
Geschwister, die aus der katholischen Ecke kommen, die spirituelle Seite des
Islams leichter erfassen. Ganz im Gegensatz zu den Protestanten. Ich
erinnere an die nicht zufällig unterschiedlichen Positionen von Kardinal
Lehmann und Herrn Huber. Ich sage es frei heraus, die Linken aus der
ehemaligen DDR vermissen vielleicht das Zusammengehörigkeitsgefühl der alten
Zeit und sehen sich wieder auf der Seite der vom Raubtierkapitalismus
bedrohten Völker. Wenn dann Verse im Qur'an dazukommen die dem System der
marxistischen Geschichtsanalyse entsprechen und das man mit dem Begriff der
viel geschmähten Evolutionstheorie aus islamischer Sicht sehr offen umgeht
und viele Dinge logisch erklären kann, dann ruft mich auch schon mal einer
um 23 Uhr an und braucht dringend Antworten.
MM: Welche Defizite verzeichnen Sie in
unseren eigenen Gemeinschaften hinsichtlich der Einladung der Menschen zu
Gott, und wie können wir Ihrer Ansicht nach die Menschen im Osten
Deutschlands besser erreichen?
Bornholdt: Es ist noch zuviel Misstrauen in
den Köpfen der ausländischen Geschwister. Man igelt sich ein und möchte oft
auch dem Bruder aus Deutschland ihre Traditionen aus der Heimat als einzig
wahre Lehre verkaufen. Es interessiert dabei nicht, ob der Bruder oder die
deutsche Schwester den Heiligen Qur'an richtig lesen kann und den Islam
gründlicher kennen gelernt haben; unbelastet von Sitten und Bräuchen aus
gleich welchem Herkunftsland. Ich will keinesfalls dem assimilistischen
Euro-Islam das Wort reden. Aber es ist umgekehrt ebenso belastend. Vorwürfe,
dass man nicht mit diesen oder jenen Gruppen zusammen arbeiten sollte, sind
da wenig hilfreich. Und man sollte es tunlichst vermeiden, gerade den
deutschen Geschwistern das Gefühl zu geben, dass sie nur billige Vermittler
sind und die Schwestern eben nur angeheiratet. Da habe ich schon schlimme
Sachen anhören müssen. Aber wenn ich alles persönlich nehmen wollte
MM: Während im "Westen" zumindest von einem
muslimisch-christlichen Dialog geredet wird (wenn auch nur unzureichend
praktiziert), müsste doch im Osten eine Art Dialog mit "Linken" stattfinden.
Ist das realistisch und praktikabel oder sind die Hindernisse zu groß?
Bornholdt: Auch hier findet der Dialog
statt, ich erwähnte Unterschiede. Wenn aber die christlichen Kirchen Dinge
zulassen, z.B. das Zeigen israelischer Flaggen durch die Jüdische Gemeinde,
dann ist Schluss mit Toleranz. Mit den Linken ist es unterschiedlich.
Beide Zielgruppen sind säkular orientiert und wenn dann eine Parteibindung
dahinter steht, wird es eng. Zweckbündnisse z.B. vor dem Irak-Krieg oder dem
was uns jetzt droht sind auf alle Fälle Plattformen zur Aussprache. Aber da
lässt man uns alleine. Es geht ja nur uns (Deutsche) etwas an. Bisher war es
immer das Land des Anderen, welches zerstört wurde. Das deprimiert!
MM: Abschließende Frage, können Sie sich
vorstellen, dass der Islam eines Tages in Deutschland heimisch wird?
Bornholdt: Wenn ich die Meldungen der
letzten Monate zusammenfasse und Politikeräußerungen dazunehme: Leider Nein!
Aber wie heißt es im Heiligen Qur'an sinngemäß: Wenn sich ein Volk
beginnt selbst zu helfen, dann wird Gott zur Hilfe kommen! Die Vogel-Strauß
Mentalität wird es nicht möglich machen.
MM: Sehr geehrter Walter-Abd al Karim
Bornholdt, wir danken für das Interview.
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