Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Albertini
 

Muslim-Markt interviewt 
Prof. Dr. phil. Dipl. Theol. Francesca Yardenit Albertini
(Lehrstuhl für jüdische Philosophie und Geistesgeschichte an der Hochschule für jüdische Studien)

27.1.2006

Frau Prof. Dr. Albertini ist 1974 als Kind jüdischer Eltern in Rom geboren. Nach ihrem Abitur in Rom studierte sie dort Philosophie mit dem Hauptfach "Jüdische Philosophie".

Es folgte die Promotion zum Doktor der Philosophie und beginn der Habilitation, nebenbei noch ein Diplom in evangelischer Theologie. Im Juli 2005 reichte sie Ihre Habilitationsschrift an der Philosophischen Fakultät der Goethe-Universität Frankfurt/M ein mit dem Titel: "Die Einflüsse der frühmittelalterlichen islamischen Philosophie auf die Konzeption der Messias von Moses Maimonides". In vertiefte Sie ihre Kenntnisse während eines Sommerkurses "Jüdische Philosophie & Tradition im Europäischen Kontext" an der Hebrew University of Jerusalem (Israel).

Sie war in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn einen Monat Research Fellow an der "American Jewish Archives in Cincinnati (USA)" und arbeitet seit 2005 auf einer Vertretungsprofessur für jüdische Philosophie an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg. Dabei profitiert sie u.a. von Ihren Erfahrungen eines Lehrauftrages für jüdische Philosophie an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, einem Lehrauftrag für “Philosophie et culture juive” (Philosophie und jüdische Kultur) an der Universität in Fribourg (CH), der Stellvertretung der Martin-Buber-Stiftungsprofessur für Jüdische Religionsphilosophie an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität in Frankfurt/M, einem Lehrauftrag am Philosophischen Seminar I der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und von Ihren Erfahrungen als Übersetzerin bei dem Jüdischen Verlag "La Giuntina" (Florenz, Italien). Sie erhielt nach ihrer Promotion ein Post-Doc Stipendium der „Minerva Stiftung“ an der „Hebrew University of Jerusalem“ (Israel) und einen „Grant“ der „Memorial Foundation for Jewish Culture“ (New York, USA). Seit 2001 hat sie zudem einen Lehrauftrag für jüdische Ethik und praktische Philosophie im Rahmen des Ethisch-Philosophischen Grundlagenstudiums an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Die Auflistung ihrer zahlreichen Forschungsprojekte und Veröffentlichungen würde den Rahmen dieser Kurzvorstellung sprengen.

Frau Prof. Albertini spricht Italienisch (Muttersprache), Englisch, Deutsch, Französisch, Modernes Hebräisch und hat Grundkenntnisse in Arabisch und Spanisch. Sie ist deutsche Staatsbürgerin, verheiratet und wohnt in Freiburg.

MM: Sehr geehrte Frau Prof. Albertini, Ihr Lebenslauf erscheint wie eine Wandern zwischen den Welten und Religionen. Was bewegt eine jüdische Philosophin dazu evangelische Theologie zu studieren und eine Habilitationsschrift im Zusammenhang mit islamischer Philosophie einzureichen?

Prof. Albertini: Ihre Frage würde alle jüdische Philosophen von Philon von Alexandria bis Emmanuel Lévinas verwundern. Von der Antike hat sich das jüdische Denken mit allen unterschiedlichen religiösen und philosophischen Strömungen der Zeit beschäftigt: Die Neoplatoniker waren die Gesprächspartner der jüdischen Intellektuellen in Alexandria; Platon, Aristoteles, Al-Gazzali, Al-Farabi und Thomas von Aquin u.a. waren die Gesprächspartner der jüdischen Philosophen im Mittelalter; in der Moderne hat sich die jüdische Philosophie mit Hegel, Kant, Heidegger und Gadamer u.a. auseinandergesetzt. In diesem Sinne halte ich mich für keine besondere Ausnahme: Ich gehöre einfach zur jüdischen intellektuellen Tradition.

MM: Glauben Sie dass es einen Frieden von Juden, Christen und Muslimen in Jerusalem geben kann?

Prof. Albertini: Trotz der Enttäuschungen in unserer Geschichte glaube ich an den menschlichen Willen, für eine bessere und gerechte Gesellschaft zu kämpfen. Der Friede ist im Nahen-Osten möglich, wenn alle Beteiligten mit Toleranz, Respekt und Vernunft für die Gegenseite bereit sind, sich an den selben Tisch zu setzen. Ich bin davon überzeugt, dass kein Konflikt unlösbar ist. Selbstverständlich wird der Weg lang und holperig sein, aber jede Entwicklung bewährt sich an der Lösung großer Schwierigkeiten.

MM: Sie erscheinen in der so genannten "Self-Hating and/or Israel-Thretening Liste" im Internet. Hassen Sie ihre eigene Religion oder sind Sie gar eine Bedrohung für den Staat Israel in seiner heutigen Form?

Prof. Albertini: Im Januar 1948 wurde Mahatmah Gandhi von einem politischen Fanatiker ermordet: War Gandhi vielleicht eine Bedrohung für Indien? Oder war der Philosoph Giordano Bruno eine Gefahr für den vatikanischen Staat, als er am 17. Februar 1600 in Rom verbrannt wurde?

Ich weiß nicht, wer diese List im Internet (www.masada2000.org) hergestellt hat; ich weiß nur, dass sie alle israelischen Friedensaktivisten und sogar die Mehrheit der israelischen Universitätsdozenten enthält.

Mein Leben ist nicht auf die emotionalen Kategorien von Liebe und Hass ausgerichtet. Ich beschäftige mich mit Philosophie, mithin einer Disziplin, die mich gelehrt hat, die Realität nur mit der Sachlichkeit des kritischen Denkens zu betrachten. Eine Liebe, die sich von jedeweder Kritik am geliebten Objekt freihält, ist m. E. gefährlicher als der Hass. Ich bin eine gläubige Jüdin, und das ist mein Privatleben. Meine Tätigkeiten als politischer Mensch sind davon zu unterscheiden.

MM: Dürfen wir Sie dennoch als gläubige Jüdin fragen, ob Sie es verstehen können, wenn ein Muslim gleichzeitig behauptet, dass er Israel hasst und dennoch das Judentum respektiert und Antisemitismus verabscheut?

Prof. Albertini: Es ist mir sehr schwierig, Hass zu verstehen. Meines Erachtens ist er keine Denkkategorie. Jedoch verstehe ich alle Kritiken an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Eine Sache ist Israel als politischer Staat, eine andere ist Israel als Gelobtes Land. Alle vernünftigen Juden müssen mit dieser Differenz zurecht kommen, und es handelt sich um keine einfache Aufgabe. Während meines zweijährigen Aufenthalts in Israel (vom Sept. 2002 bis Sept. 2004) habe ich mich häufig geschämt, Jüdin zu sein, da ich die israelische Politik verabscheute. Mein Scham war mit meiner Hoffnung auf Israel eng verbunden.

MM: Verzeihen Wie wenn wir noch einmal einhaken. Würden Sie sich als gläubige Jüdin verletz fühlen, wenn wir offen zugeben, dem Zionismus ideologisch entgegen zu treten und gleichzeitig offen bekennen, jeden in Not geratenen Juden vor Nazis oder anderen Rassisten schützen würden, wenn es sein müsste! Ist solch ein Haltung der Muslime aus Ihrer Sicht auch deutschen Juden erklärbar?

Prof. Albertini: Wenn Sie unter Zionismus eine nationalistische Ideologie verstehen, die in der Bibel lediglich eine Art von "Immobilienvertrag" sieht, kann ich Ihre Position wohl begreifen. Inwieweit diese Position den deutschen Juden erklärbar ist, hängt davon ab, wie tief diese nationalistische Ideologie – die, G-tt sei Dank, nur eine der unterschiedlichen Formen von Zionismus ist – im deutschen Judentum vertieft ist. Auch in Deutschland gibt es konservative, orthodoxe und liberale jüdische Gemeinden, die sehr differenzierte Positionen zum Zionismus auszeichnen.

MM: Als politischer Mensch in Deutschland, bleiben Sie zwangläufig nicht unberührt von so mancher Diskussion bezüglich Andersgläubiger und haben die Kopftuchdiskussion sicherlich nicht übersehen. Haben Sie keine Sorge, dass eines Tages auch der praktizierenden Jüdin ihre Perücke streitig gemacht wird?

Prof. Albertini: Wenn man bereit ist, in einem Staat zu leben, muss man seine Regeln akzeptieren. Dank der Aufklärung wird in Deutschland jede Form von Religiosität respektiert, wenn sie die Laizität des Staates nicht in Frage stellt oder angreift. Wenn ich z. B. unterrichte, verzichte ich auf jedwedes religiöses Symbol, während ich zugleich versuche, meine Studentinnen und Studenten mit unterschiedlichen religionsphilosophischen Konzeptionen bekannt zu machen.

MM: Zurück zur Philosophie. Das Allgemeinwissen über Philosophie ist geprägt durch das Vorurteil, dass durch schon seit Jahrhunderten bzw. schon seit Jahrtausenden verstorbenen Menschen geprägt wird. Warum kommt die Stimme des lebenden Philosophen nur so leise herüber?

Prof. Albertini: Heutzutage haben die Menschen nicht aufgehört, zu denken, jedoch wird die Stimme der lebendigen Philosophen (z. B. Jürgen Habermas, Gianni Vattimo, Cohen-Benedikt) von dem Galimathias der aktuellen Kommunikationsmitteln zum Verstummen gebracht. Unsere Gesellschaft favorisiert nicht die Stille und die Konzentration, die für die Vermittlung des kritischen Denkens notwendig sind.

MM: Abschließende Frage: Können Sie unseren Lesern einen kurzen prägnanten Einblick in jüdische Philosophie geben?

Prof. Albertini: Ich kann die folgenden Werke u. a. empfehlen:

Karl Erich Grözinger, "Jüdisches Denken. Vom Gott Abrahams zum Gott des Aristoteles", Bd. I, Darmstadt 2004

Norbert M. Samuelson, "Jewish Philosophy: an Historical Introduction", London: Continuum 2003

Andreas B. Kilcher (Hrsg.), "Metzler-Lexikon jüdischer Philosophen: philosophisches Denken des Judentums von der Antike bis zur Gegenwart", Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003

Julius Guttmann, "Die Philosophie des Judentums", mit einer Standortbestimmung von Esther Seidel, Berlin: Jüdische Verl.-Anstalt, JVB 2000

Werner Stegmeier (Hrsg.), "Die philosophische Aktualität der jüdischen Tradition", Frankfurt/M.: Suhrkamp 2000

Raphael Jospe (Hrsg.), "Paradigms in Jewish Philosophy", publ. in conjunction with the International Center for University Teaching of Jewish Civilization, Madison (NJ) 1997

Emil L. Fackenheim/Michael L. Morgan, "Jewish Philosophers and Jewish Philosophy", Bloomington (Ind.) 1996

Nathan Rotenstreich, "Essays in Jewish Philosophy in the Modern Era", ed. by Reinier Munk, Amsterdam: Gieben 1996

MM: Frau Prof. Albertini, wir danken Ihnen für das Interview.

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