MM: Sehr geehrter Hussain Pascal Schöni. Wir
beginnen mit der Frage nach Ihrem Werdegang zum Islam.
Schöni: Ich bin in einer typischen schweizer
Arbeiterfamilie als Einzelkind aufgewachsen. Meine Mutter war schon von
ihrem Zuhause aus religiös geprägt. Sie hat mich immer mit zu den
Versammlungen der Namenlosen (eine Art Freikirche) mitgenommen. Als ich etwa
12-13 Jahre alt war, hat sie sich aber von dieser Gruppe (oder Sekte)
getrennt, da diese versucht haben sie unter Druck zu setzten und ihr
vorgeschrieben haben, wie sie leben muss und wie sie mich erziehen muss.
Diese Zeit bei den Namenlosen hat mich aber sehr geprägt und das religiöse
Interesse in mit wachgerüttelt. In den Jugendjahren war aber mein Leben
allerdings nicht durch die Religion geprägt. Ich trank Alkohol, besuchte
Partys, rauchte Haschisch und interessierte mich für Mädchen. Das alles
führte zu einer Zerrüttung mit meiner Familie, was auch dadurch bedingt war,
dass mein Vater viel Alkohol trank, was die Probleme in meiner Familie nicht
verringerte. So ca. mit 22 Jahren fing ich an mein Leben und die
Gesellschaft zu hinterfragen. Insbesondere weil ich durch das
Haschischrauchen langsam aber sicher an Depressionen litt. Ich erinnerte
mich wieder an die Zeit bei den Namenlosen und fing an mich mit dem
Christentum und anderen Religionen und mit dem berühmten Sinn des Lebens zu
beschäftigen. Zur gleichen Zeit arbeitete ich in einer Firma, welche in
ihrer Produktion viele Ausländer, darunter auch Libanesen und Türken,
beschäftigte. Ich merkte dass ein Teil dieser sich in den Nachmittagspausen
zu Gebet zurückzogen oder dass sie im Ramadan fasteten. Durch mein
religiöses Interesse fing ich an sie auszufragen, warum und wieso sie dies
machten. Nach anfänglicher Skepsis erzählten sie mir immer mehr von ihrer
Religion. Ich verglich dies Zuhause mit den anderen Religionen und
wissenschaftlichen Schriften, insbesondere der Physik und Psychologie. Von
der Frau eines Libanesen erhielt ich den Koran auf deutsch und las diesen
fast in einem Zug. Er ließ mich nicht mehr los, vor allem weil er mich sehr
stark an die Geschichten des alten Testamentes erinnerte. Ich merkte, dass
der Islam die wahre Religion ist, aber aus Angst aus meinem bequemen Leben,
in dem ich für nichts verantwortlich war, geworfen zu werden, verwarf ich
diesen Gedanken wieder. Allerdings kam ich nicht zur Ruhe und fing an mit
Muslimen mehr über ihre Religion zu diskutieren. Ich merkte schnell, dass es
nicht einfach nur den "einen" Islam gibt, sondern u.a. Sunniten und Schiiten
und den Unterschied von Religion und Kultur. Nach langem hin und her blieb
mir unter der Beweislast, die mir erbracht wurde, nichts anderes übrig als
zum Islam zu konvertieren. Im Ramadan 1999 fing ich an zu fasten und zu
beten. Mit der Zeit fand ich auch die Liebe zur reinen Familie, der Ahl al
Bayt, dem Licht Gottes. Seit dieser Zeit versuche ich den Islam zu
verinnerlichen. Der Höhepunkt im meinem Muslim-sein war 2003 die Pilgerfahrt
nach Mekka und ich hoffe, dass ich schon bald mit meiner Frau dorthin
zurückkehren kann, Inschaallah (so Gott will).
MM: Klingt wie eine Erfolgsgeschichte
beginnend mit einer schweren Ausgangssituation!?
Schöni: Klar, es gibt ab und zu immer wieder
Rückschläge in dem es mir nicht immer gelingt ein guter Muslim zu sein, aber
ich versuche mich nicht vom Weg des Islams abringen zu lassen. Mein neues
Leben als Muslim hat mir geholfen mit meiner Familie, meiner Umwelt und mit
mir selber ins Reine zu kommen.
MM: Wie haben es denn ihre Eltern
verkraftet, dass Sie Muslim geworden sind?
Schöni: Mein Vater kann bis heute nicht
recht verstehen warum ich Muslim bin, aber er freut sich darüber, dass ich
ein seriöses Leben führe und ich geheiratet habe. Er hat in der Zwischenzeit
auch mit dem Alkoholtrinken aufgehört, wobei ich behaupte, dass er durch
meine vom Islam bedingten Abstinenz auch beeinflusst wird. Meine Mutter sagt
immer, dass es das Wichtigste ist an den einen Gott zu glauben, egal ob man
Christ oder Muslim ist. Sie besucht uns sogar ab und zu im Ramadan in der
Moschee.
MM: Wie kam es zu Ihrem Engagement in einer
islamischen Gemeinde?
Schöni: Mit der Zeit habe ich bemerkt, dass
wenn man Muslim ist, sich für die Gesellschaft in der man lebt, engagieren
muss. Bei uns in Bern gibt es ein Zentrum mit dem Namen "Islamisches
Kulturzentrum Ahl al Bayt Bern". Diesem bin ich ca. 2002 beigetreten und
arbeite seit dem dort als Kassier. Da ich als einziger "original" Schweizer
bin, ist es für mich nicht immer sehr einfach. Der Grund liegt vor allem
darin, dass nicht alle Muslime, die auch als Muslim geboren sind, den
Unterschied zwischen Religion und Kultur kennen. Um mir ein wenig Ruhe zu
verschaffen, werde ich das nächste Jahr nicht mehr im Vorstand mitarbeiten.
MM: Gibt es denn auch Gemeindeübergreifende
Aktivitäten?
Schöni: Dieses Jahr wurde in Bern der
"Islamische Kantonalverband Bern UMMA" gegründet. Das Ziel dieses Verbandes
ist es, die verschiedenen islamischen Zentren im Kanton Bern zusammen zu
führen und für den Kanton, die Schulen und die Bevölkerungen einen einzigen
Ansprechpartner zu stellen. Ich hoffe, dass ich in diesem Verband eine gute
Arbeit leisten kann. Es ist wichtig, dass sich die schweizerstämmige
Bevölkerung und die Muslime sich besser kennen lernen um so Vorurteile
abzubauen. Insbesondere müssen sich die Muslime mehr in der hiesigen
Gesellschaft engagieren, ihre Sprache lernen und sich so auch richtig
integrieren, ohne ihre Religion zu verleugnen oder gar zu vergessen. Da mein
Verein dort leider noch nicht Mitglied ist, arbeite ich als eine Art "freies
Mitglied" mit.
MM: Gibt es denn außer Ihnen keine schweizer
Muslime in Bern?
Schöni: Doch, es gibt schon auch andere
schweizer Muslime in Bern, vor allem Frauen, welche mit einem gebürtigen
Muslim verheiratet sind. Es gibt sogar einen islamischen Frauen Verein "Dar-an-Nur",
welcher hauptsächlich aus Konvertitinnen besteht. Die konvertierten Männer,
die ich kenne, kann ich aber an einer Hand abzählen. Leider ist der Kontakt
untereinander auch nicht sehr groß. Ich hoffe allerdings, das sich dies,
unter anderem mit der Hilfe des Kantonalverbandes, in naher Zukunft auch
ändern wird.
MM: Wie würden Sie allgemein die Lage der
Muslime in der Schweiz für Ihre Glaubensgeschwister in Deutschland und
Österreich beschreiben?
Schöni: Im allgemeinen ist die Lage hier in
der Schweiz gut. Ich und meine Familie können unseren Glauben frei leben und
niemand schreibt uns vor, was wir zu glauben haben. Aber natürlich gibt es
auch hier Personen, die das Gefühl haben, das alles was fremd und neu ist
auch gefährlich ist. Im Speziellen in den Medien und bei einigen
Politiker/innen dringt das immer wieder durch. In meinem Umfeld ist der
Islam, trotz mancher Vorurteile, aber kein Problem und die Menschen
akzeptieren meine Einstellung, solange ich mich nicht bei ihnen aufdränge.
Ich denke, dass es wichtig ist, dass man den Menschen zeigt, dass man selber
ein ganz normaler Mensch ist, mit den gleichen alltäglichen Freuden und
Schwierigkeiten wie sie selbst auch. Da der Islam in der Schweiz nicht eine
offiziell anerkannte Religion ist, denke ich, muss man manchmal auch
akzeptieren, dass man nicht immer die gleichen Vorzüge wie das Christentum
oder das Judentum genießt. In Zukunft hoffe ich allerdings, dass der Islam
von den Kantonen und dem Staat anerkannt wird und der Islam dem Kellerdasein
entwachsen kann. In der Schweiz gibt es immerhin ca. 350.000 Muslime, was
sie zur zweitgrößten Religionsgemeinschaft macht. Wichtig zu sagen ist auch,
dass sich unheimlich viele Schweizer für den Dialog der Religionen
interessieren und auch engagieren. Sie unterstützen uns immer wieder z.B.
mit Infrastruktur oder anderen Dingen.
MM: Wir waren die Auswirkungen des 11.
September und der Folgezeit für Muslime in der Schweiz?
Schöni: Ich glaube, dass vor allem die
Vorurteile gegen den Islam zugenommen haben und die Muslime von der
Bevölkerung mehr wahrgenommen werden, positiv wie auch negativ. Auch in
meinem Umfeld werde ich immer wieder damit konfrontiert. Meine Erfahrung
aber ist, das wenn man mit den Leuten spricht und ihnen die Sachlage anhand
von einfachen Beispielen erklärt, sie dann in den meisten Fällen ihre
Vorurteile auch abbauen. Was mich am meisten erschrickt ist, wie manche
Medien alle Informationen einfach übernehmen und nicht kritisch
hinterfragen. Da diese Medien für den größten Teil des Volkes als
Informationsquelle dienen, erstaunen mich die Vorurteile gar nicht mehr.
Wenn ich mich nicht speziell mit dem Islam beschäftigen würde, erginge es
mit wahrscheinlich nicht anders. Eine Art Islamphobie, wie ich sie manchmal
in Deutschland zu erkennen glaube, habe ich hier nicht festgestellt. Das hat
vielleicht auch damit zu tun, dass die Schweiz nicht im gleichen Masse auf
die "Terrorbekämpfungsschiene" aufgesprungen ist und der Islam in den Medien
und in der Politik nicht so präsent ist wie z.B. in Deutschland. Auf den
ersten Blick war der 11. September für den Islam schlecht, aber auf den
zweiten Blick ist er eine große Chance für die Muslime, vor allem in der
westlichen Welt, allen Menschen zu zeigen, dass der Islam die Religion des
einen wahren Gottes und damit die Religion des Friedens und der Liebe ist.
MM: Sehr geehrter Hussain Pascal Schöni, wir
danken für das Interview.
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