MM: Herr Dr. Salari, vielen Dank für Ihre
Bereitschaft zu diesem Interview. Wie ergeht es Ihnen als Hochschullehrer
im Iran, blicken Sie mit Wehmut auf die Zeit als Botschafter zurück?
Salari: So wichtig und wertvoll die Stelle
eines Botschafters für ein Land auch ist, so war es nie mein angestrebter
Traumberuf, denn ich bin ausgebildeter Ingenieur. Als aber in der
dramatischen Zeit nach der islamischen Revolution und dem fürchterlichen
durch Saddam angezettelten Krieg das Land jede fähige und loyale Person
für den Staatsdienst brauchte, habe ich mich vor meiner Verantwortung
nicht gedrückt. Inzwischen haben wir - Gott sei Dank - eine ganz neue
Generation von ausgebildeten Diplomaten, denen ich viel Erfolg bei ihren
Tätigkeiten wünsche, und ich fühle mich im Bereich der Universität als
Hochschullehrer viel besser aufgehoben.
MM: Was konkret machen Sie an der
Universität?
Salari: Der Iran ist ein aufstrebendes
Entwicklungsland mit der jüngsten Bevölkerung in der Welt und enormen
Wachstumsraten in allen Bereichen. Diesen großen Anforderungen ist das
historisch gewachsene und in Zeiten der Schah-Diktatur vernachlässigte
Ausbildungssystem noch nicht gewachsen. Wir müssen unsere Ausbildungswege
konzipieren und entwickeln, sei es in der Ausbildung der Facharbeiter oder
die universitäre Ausbildung. Meine Aufgaben bestehen u.a. darin die
Ausbildungssysteme unterschiedlicher Länder miteinander zu vergleichen
und das Beste daraus auch für den Iran vorzuschlagen. Dabei genügt es
allerdings nicht, die Erfahrungen anderer Länder zu kopieren, sondern wir
müssen maßgeschneiderte Lösungen für den Iran erarbeiten, um
bestehende Rückstände aufzuholen. Die Ausbildungssysteme Deutschlands
bietet hierbei einige gute Diskussionsgrundlagen.
MM: Klappt denn die Zusammenarbeit mit
Deutschland?
Salari: Sicherlich gibt es reichlich
Zündstoff zwischen den Ländern, wenn es nach den Medien geht, aber die
unterschiedlichen Ministerien versuchen auf Basis einer immerhin
traditionell historisch langfristigen Zusammenarbeit die Beziehungen
auszubauen, auch wenn es dabei Hochs und Tiefs gibt. Und wenn es einmal
mit Deutschland nicht so gut klappt, dann sind Andere, z.B. die
Österreicher, sofort zur Stelle.
MM: Deutsche Politiker, die vor haben, in
den Iran zu reisen oder mit Iran zu sprechen, geben in den Medien immer
das Statement ab, dass sie auch über Menschenrechte sprechen würden.
Wirkt so etwas nicht befremdlich im Iran?
Salari: Ach wissen Sie, wir im Iran
schauen lieber auf die konkreten Handlungen, als auf das Gerede! Deutsche
Politiker können wahrscheinlich nicht anders, als dem Druck ihrer Medien
dadurch zu entgehen, indem sie immer wieder davon erzählen, sie würden
mit unseren Politikern über Menschenrechte diskutieren. Tatsächlich ist
mir in den letzten Jahren kein einziger Fall bekannt, in dem irgendwer mit
unseren Verantwortlichen über Menschenrechte diskutiert hätte. In
Wirklichkeit diskutieren sie ausschließlich über Geschäfte, denn das
ist die Welt, in der sie leben. Uns soll es recht sein, denn auch wir sind
and fairen Handlesbeziehungen interessiert. Die Doppelmoral des Westens
bezüglich Menschenrechten haben aber kaum einen Einfluss auf die
Handelsbeziehungen. Und die Erwähnung der Menschenrechte hat schon eher
einen protokollarischen Charakter als einen inhaltlichen.
MM: Warum kündigen denn iranische
Politiker und Diplomaten bei ihren Auslandsreisen nach Deutschland nicht
an, dass sie hier über Menschenrechte diskutieren wollen?
Salari: Da müssen Sie schon die heutigen
Politiker und Diplomaten fragen. Aber letztendlich hängt es wohl damit
zusammen, dass wir die gegenseitigen Beziehungen mehr respektieren. Und
genauso wenig, wie wir bestimmte Geschäfte an das Verhalten der Länder
gegenüber ihren eigenen Bevölkerungen abhängig machen, wünscht sich
kein halbwegs anständiger Iraner eine äußere Einmischung in die inneren
Angelegenheiten des Landes, nicht einmal die sogenannten Oppositionellen,
außer sie arbeiten direkt für die USA. Sehen sie, mich wundert es, dass
kein einziger deutscher Politiker wenn er nach Israel reist, von den
Journalisten über Menschenrechtsfragen befragt wird, das sind doch nur
Machspiele der Massenmedien.
MM: Stichwort Israel. Iran gilt laut
westlichen Medien als Bedrohung für Israel, teils durch die
Unterstützung der Hisbollah, teils durch die Ablehnung des israelischen
Existenzrechtes.
Salari: Die Hisbollah hat doch nicht der
Iran geschaffen, sondern sie ist durch den israelischen Einmarsch und die
Besatzung des Libanon entstanden. Man sollte die historischen Tatsachen
nicht verdrehen! Und bis heute hat die Hisbollah von sich aus nie Israel
angegriffen sondern ausschließlich manchmal reagiert, wenn einmal mehr
israelische Kampfbomber libanesisches Gebiet bombardiert haben. Auch hält
der Libanon oder die Hisbollah keine fremden Gebiete besetzt, sondern
Israel! Es ist immer wieder schade, dass Ursache und Wirkung derart
vertauscht werden. Was das Existenzrecht Israels angeht, so gibt es doch
keinen Zweifel, dass die einheimischen Juden ein gesichertes Recht dort
haben, aber das gleiche Recht haben auch die einheimischen und
vertriebenen Palästinenser. Warum sollten die einen solch ein Recht
genießen und die anderen nicht? Tatsache ist, dass wenn alle
rechtmäßigen Einheimischen der Region die gleichen Rechte genießen
würden, der Charakter des heutigen Israel so nicht mehr bestehen bleiben
würde. Diese Tatsache ist eigentlich jedem Kenner der Region bekannt und
dennoch darf sie nicht all zu deutlich ausgesprochen werden. Die
Islamische Republik Iran hat sich immer gegen klares Unrecht gestellt, und
daher ist die Politik des Iran durch alle Regierungen hindurch immer
konstant und überschaubar gewesen.
MM: Bezüglich der Atomenergieambitionen
Irans gibt es große Sorgen in den USA und Israel aber auch in Europa,
können Sie das nachvollziehen?
Salari: Was die Ansichten Israels und den
USA angeht, die ohnehin identisch und austauschbar sind, so muss man
feststellen, dass es sich um die am schlimmsten bewaffneten Atommächte
der Welt handeln. Mir ist nicht bekannt, dass Israel überhaupt
irgendjemanden zu irgendwelchen Inspektionen zulässt. Insofern ist eine
Kritik aus der Richtung geradezu infam und absurd zugleich! Was Europa
angeht, so glaube ich persönlich, dass Europa selbst stark unter einem
israelischen bzw. US-Druck steht. Anders kann ich mir das jüngste
Verhalten Europas nicht erklären, bei dem sie letztendlich eine
Vereinbarung mit dem Iran ohne die geringste Erklärung gebrochen haben!
Iran strebt keine Atomwaffen an, erhebt aber Anspruch auf technischen
Fortschritt!
MM: Die Kritik am Iran reißt nicht ab. Am
Anfang des Jahres waren es die Parlamentswahlen, dann waren es
Journalisten, die demonstrieren und die verschärfte Durchsetzung der
Kopftuchrichtlinien in der Öffentlichkeit. Irritieren Sie solche Kritik?
Salari: Eigentlich könnten alle
Beteiligten von einem konstruktiven Dialog profitieren. Aber die
derzeitige Kritik erscheint eher wie eine Kriegsberichtserstattung bzw.
dessen Vorbereitung. Denn schauen sie doch auf so manch anderes Land in
der Region: In manchen Ländern dürfen Frauen vieles nicht, was im Iran
selbstverständlich ist, dort gibt es überhaupt keine Wahlen sondern eine
Diktatur, und Zeitungen werden nur deshalb nicht verboten, weil es ohnehin
keine unabhängigen Zeitungen geschweige denn freie Journalisten gibt.
Kurz und gut, obwohl alle bei uns kritisierten Verhältnisse in jenen
Ländern aus westlicher Sicht unvergleichlich kritikwürdiger sein müssten,
gibt es kaum Kritik gegen die jeweiligen Regime, denn sie sind Verbündete
in der Hegemonialpolitik der USA. Und das darf doch kein Maßstab für
Journalismus sein, ist es aber offensichtlich!
MM: Und was ist mit den Parlamentswahlen?
Salari: Was die Parlamentswahlen angeht,
so ist doch deutlich festzustellen, dass insbesondere diejenigen von den
Wahlen ausgeschlossen wurden, die eine Systemänderung initiieren wollten.
Sie haben doch auch gar kein Hehl daraus gemacht! So sehr man in Europa
die Westfans und Verfassungsfeinde im Iran auch liebt, so sehr fehlt ihnen
doch jegliche Basis im Volk in unserem Land. Wer die Berichterstattung im
Iran und Europa, sowie die Prosteste und Anteilnahme der jeweiligen
Bevölkerung beobachtete, konnte sich des Eindrucks nicht erwähren, dass
der Rückhalt der ausgeschlossenen Kandidaten in Europa größer war als
in dem Land, in dem sie kandidieren wollten. Mit der Sympathiebekundung
der Medien zu derartigen Politikern werden die tatsächlichen
Verhältnisse völlig falsch eingeschätzt!
MM: Woran liegt das ihrer Meinung nach?
Salari: Die europäischen Journalisten,
die in den Iran kommen, residieren in Fünf-Sterne-Hotels. Sie haben
Kontakte zu ganz bestimmten Kreisen, die sicherlich nicht repräsentativ
für die Bevölkerung sind. Die wenigsten Journalisten, die hierher
kommen, haben persische Sprachkenntnisse. Viele kennen noch nicht einmal
das ABC des Islam. Da ist es nur all zu natürlich, dass sie ein völlig
verzerrtes Bild des Iran wiedergeben. Denn sie kommen nur selten mit den
Kreisen zusammen, die das Volk wirklich ausmachen. So ist beispielsweise
die Liebe zu Ayatollah Khamene'i im Iran tief verwurzelt, aber davon habe
ich in deutschen Medien noch nie etwas gehört.
MM: Dann erzählen Sie doch etwas darüber.
Salari: Ayatollah Khamene'i ist inzwischen
erheblich länger Oberhaupt der islamischen Revolution, als es Imam
Khomeini (r.) war. Wir können seine Situation vielleicht so besser
verstehen: Als Imam Khomeini die Revolution durchführte, war er unser
Licht in der Dunkelheit. Ayatollah Khamene'i hingegen ist ein mindestens
genau so hell strahlendes Licht, aber in einer viel helleren Umgebung!
Daher fällt er möglicherweise nicht so auf. Aber dennoch ist die Bindung
des Volkes zu ihm nicht minder herzlich! Seine wegweisenden Ratschläge
und Botschaften bestimmen die Grundzüge der Politik und er ist es, auf
den sich das Volk besonders in kritischen Situationen verlässt! Er hat
dieses Schiff der Islamischen Republik in der wohl stürmischsten Region
der Welt sicher gesteuert und die Entwicklung in unserem Land maßgeblich
vorangebracht! Wir wissen, was wir dieser außerordentlichen
Persönlichkeit verdanken, selbst wenn die ganze Welt ihn ignorieren
sollte. Aber seine Worte sind besonders bei den Unterdrückten der Welt
sehr beliebt! Seine Erfahrung aus 10 Jahren Staatspräsidentschaft sowie
sein vorbildhafter Lebensstil sind weitere Aspekte, die diese Liebe
zwischen dem Volk und ihm stärken. Aufbauend auf diese Erfahrung kenn er
die Weltpolitik wie kaum ein anderer und ist auch ein Kenner selbst der
Details in den Provinzen des Landes. Als Beispiel nenne ich sein inkognito
Auftritt in Bam, um die Verhältnisse unerkannt zu inspizieren.
MM: Letzte Frage: Im Iran sagen Sie
Ayatollah Khamene'i obwohl er doch laut Verfassung die Position des Imam
hat. Und sollten wir den amtierenden Imam nicht auch so nennen, damit der
erwartete 12. Imam bald kommen möge - Inschaallah?
Salari: Manchmal sind alte Gewohnheiten
schwer abzulegen. Ich beglückwünsche Sie dafür, dass Sie ihn immer als
"Imam" betiteln. Ich kenne Sayyid Ali noch von seiner Zeit als
Religionslehrer in Maschhad, und daher hat sich wohl diese Bezeichnung bei
vielen von uns eingebürgert. Aber die Liebe zu ihm drückt sich in
unseren Handlungen und der Loyalität aus und nicht im Namen, obwohl ich
Ihre Position diesbezüglich sehr interessant finde.
MM: Herr Salari, wir danken Ihnen für das
Gespräch
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