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Re: Gibt es eine demokratische Wahrheit?

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Von Abdallah Neß am 02. Januar 2009 13:20:19:

Als Antwort auf: Re: Gibt es eine demokratische Wahrheit? von Salim E. Spohr am 01. Januar 2009 21:23:25:

Alaykamu salam,

möge sich inshaallah eine Brücke der Verständigung aufbauen! Wenn es hier im Forum nicht gelingt, wie dann in der weiten Welt?
Wenn wir die große Frage nach der bestmöglichen Regierungsform unabhängig von allen historischen Erfahrungen betrachten rein aus dem Prinzipiellen heraus, geht es doch trotzdem um wesentlich mehr als um bloße Abstraktionen. Zumal Wohl und Wehe jedes einzelnen Menschen inbegriffen ist. Sicherlich, "Monarchie" ist wortwörtlich die "Herrschaft eines Einzigen" (monas + arche) - und beschreibt für den Muslim zuallererst die Allmacht Allahs des Herrn der Welten (AL-MALIK).
Aber immer, wenn wir eine der göttlichen Eigenschaften auf menschliche Verhältnisse übertragen, entstehen Probleme, die aus der faktischen Begrenztheit der menschlichen Natur resultieren. Das heißt in der Konsequenz, daß nur ein Mensch, der von Allah mit entsprechender Vollmacht, Reinheit und Weisheit ausgerüstet worden ist, wirklich befähigt ist, das Amt eines Einzelherrschers auszuüben. Damit gelangen wir zu der Gültigkeit von IMAMAT und WILAYAT der wahren Nachfolger des Propheten, der Ahl-ul-Bait (waas). In diesem Falle ist gewiß nichts gegen die Herrschaft des Einen nichts einzuwenden - wobei allerdings die Art und Weise, wie die Imame (as) ihr Amt ausgeübt haben, nicht starren Prinzipien gefolgt ist, sondern je nach Situation sehr unterschiedlich ausgestaltet wurde (vgl. das hervorragende Buch "Die Imame und ihr Weg" von Shahid Motahhari). Hier haben wir eben doch Lehren der Geschichte und mehr als eine rein prinzipielle Entscheidung. In diesem Sinne können und wollen wir Imam Mahdi (as) auch nicht vorgreifen, wie er sein Amt antreten und ausüben wird.

Die Kernfrage ist in der Tat, ob eine Entscheidung im vollen Sinne nur von einer Einzelperson getroffen werden kann. Sofern jede Entscheidung im innersten Herzen des einzelnen Menschen geboren wird, muß man dies unbedingt bejahen. Dennoch wird dieser einzelne in vielen Situationen nicht umhinkommen, seine Entscheidung mit anderen Menschen abzustimmen, d.h. eine Übereinstimmung herzustellen. Nehmen wir die Ehe zwischen Mann und Frau: wenn auch der Mann im Ernstfall seine Entscheidung gegen die Frau durchsetzen kann (auch das Umgekehrte ist freilich oft der Fall), wird mit der Zeit, wenn diese Entscheidungsdominanz zur Dauersituation wird und die Bedürfnisse und Überzeugungen des Partners kontinuierlich übergangen werden, der Partner schließlich die Scheidung einreichen. Wieviel besser und von Allah gesegneter ist es dagegen, wenn Mann und Frau zur Übereinstimmung ihrer Ansichten und Entscheidungen gelangen und damit - vor allem den Kindern gegenüber - eine gemeinsame Verantwortung wahrnehmen und praktizieren. Ähnlich ist es in kleinen überschaubaren Kollegien in der Arbeitswelt. Auch hier kann es durch Prozesse gemeinsamer Beratung und Handlung zu gemeinsamer Verantwortung kommen. Dies schließt nicht aus, daß im Konflikt- oder Notfall ein einzelner autorisiert sein muß, allein über eine Entscheidung zu verfügen. Diese Form der gemeinsamen Verantwortung kann sich allerdings nur in kleinen überschaubaren Menschengruppen aufbauen; und sie ist auch nichts Statisches und läßt sich auch nur teilweise institutionalisieren.

Dennoch hat auch im politischen Kontext die Verantwortung des einzelnen, sofern er Herrschaftsfunktionen ausübt, eine ethische und spirituelle Dimension. Das heißt, auch er kann auf die Dauer nicht gegen den Willen der Mehrheit regieren. Auch er muß Wege finden, Kreise der Übereinstimmung mit denjenigen Menschen aufzubauen, die unter seiner "Herrschaft" leben. Deshalb habe ich mit dem Hinweis auf die Ummah verdeutlichen wollen, daß jede politische Herrschaft aus islamischer Sicht ihre Verankerung in der Gemeinschaft der Gläubigen besitzen muß, weil sich allein schon aus dieser Verankerung ein hohes Maß von Übereinstimmung und damit auch gemeinsamer Verantwortung ergibt.

Insgesamt halte ich dieses Wortgefecht "Monarchie oder Demokratie" insofern für zu formalistisch oder plakativ, als das schon wieder die Abstraktionen und Worthülsen sind, die uns das europäische Denken eingetrichtert hat. Die wirkliche Frage ist, WER und WIE die Herrschaft gegebenfalls ausübt. Natürlich glauben wir nicht, daß Imam Mahdi (as) für einen "demokratischen" Abstimmungsvorgang kandidieren wird... Dennoch wird er nur dann sein Amt ausüben können, wenn die Muslime ihn erkannt und anerkannt haben werden!

Dies bedeutet für unsere Diskussion, wie wird denn der Alleinherrscher, wenn es denn einen solchen geben soll, an die Macht gelangen? ... Ich setze hiermit voraus, daß nicht jede Form von Machtergreifung oder Machtausübung den Willen Gottes zum Ausdruck bringt. Dies ist eben die entscheidende Differenz zwischen Sunniten und Schiiten. Rechtmäßige Herrschaft ist an den Gehorsam gegenüber den Befehlen Gottes geknüpft, an die Befolgung seiner Gesetze. Andersfalls ist die Herrschaft unrechtmäßig. Aus diesen prinzipiellen Gründen ist es auch heute absolut nicht egal, ob Imam Ali (as) oder Abu Bakr der rechtmäßige Nachfolger des Propheten (saaw) gewesen sind. ... Nachdem einmal der Befehl Allahs mißachtet und die Rechte Imam Alis beschnitten wurden, haben die bekannten Haditherfinder der "Khalifen" ihren "Khalifatsislam" zusammengefälscht, in dessen Konsequenz solche inhumanen Formulierungen wie in Deiner Antwort auf Bruder Yavuz überhaupt erst möglich sind. Nach dieser "Logik" haben auch wir "Bundesbürger" nichts besseres verdient als diese Opperettendemokratie in Berlin; ja, nach dieser "Logik" müßte man sich ernsthaft fragen, was denn die Palästinenser im Gaza-Streifen als ihre gegenwärtige "Strafe" "verdient" haben??? Wo ist hier die Perversion des Denkens???

In letzter Konsequenz bedeutet dieser Fatalismus, der uns weismachen will, daß alles, was Menschen tun und erfahren, ausschließlich und unmittelbar von Gott verursacht wird und seinen Willen manifestiert, das Ende jedes freien Willens, die Unmöglichkeit jeder individuellen Entscheidung und damit die Vernichtung der menschlichen Verantwortung. Selbsternannte "Khalifen" haben die von ihnen ausgeübte Tyrannei auf Allah projiziert, und seine Strafe ist ihnen gewiß. Sie haben den Glauben mit dem Schwert verbreitet und darauf ein machtorientiertes Imperium aufgebaut. Und all dies wird dem Propheten (saaw) angelastet, ihm ihn den Mund gelegt, als seine Sunna ausgewiesen?! Wie kann ein derart entstellter Islam die Herzen der Menschen erobern?



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