Muslim-Forum
Willkommen im Forum der Muslime für deutschsprachige Gottesehrfürchtige

Alle Autoren des Forums zeichnen mit ihrem realen Namen


Missverständnisse durch Fatwa-Übersetzungen und Hartz 4

Neues Thema eröffnen

Neuste Beiträge

Einzelansicht

Themenansicht

Archiv

Registrieren

Foren-Links

Kontakt

Muslim-Markt

Von Yavuz Özoguz am 31. Oktober 2011 14:10:32:

Missverständnisse durch Fatwa-Übersetzungen und Hartz 4

Sehr geehrte Geschwister im Islam,

as-salamu-alaikum. Viel zu sehr habe ich mich in den letzten Jahren um die “Abwehr“ der Westpropaganda bemüht und Gott vergebe mir, dass ich in dem Zusammenhang sowohl meine eigene islamische Weiterentwicklung, als auch die Weitergabe von Wissen diesbezüglich vernachlässigt habe. Inschaallah können wir die innerislamische Lehre in Zukunft intensiver angehen.

Die Fatwa-Thematik ist derart sensibel, dass es von großer Bedeutung ist, die Dinge sachlich (ohne Emotionen) und im Kontext der Fragestellung zu behandeln. Wie bereits bei dem veröffentlichten Artikel „Vom Umgang mit Fatwas“ verdeutlicht, gibt es keine einfachen Lösungen für die Probleme des Lebens in einer nichtislamischen Umgebung. Daher ist ein vernünftiger Umgang mit den Fatwas richtungweisend.

In der letzten Analyse wurde dargelegt, dass die Kindergärtnerin, die mittags den nichtmuslimischen Kindern Haram-Speise reichen muss, dennoch ihre Tätigkeit ausführen darf, da die Kinder minderjährig sind. Wie aber ist es in dem Fall, wenn eine Krankenschwester es bei Erwachsenen tun muss? Der Fall unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht vom ersten. So sind die Patienten erwachsen und sie haben zudem die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Speisen (darunter auch Vegetarisches).

Nach Darlegung aller Details kam die Antwort, dass die “Tätigkeit“ des Verteilens von Haram-Essen an Kranke nicht erlaubt ist. Diese Antwort allein war uns nicht hinreichend und eindeutig genug, so dass wir nachhaken mussten, ob dadurch der gesamte Beruf der Krankenschwester (bzw. Pflegers) unter diesen Umständen haram sei. Das wiederum ist nicht der Fall. Lediglich der Einkommensanteil ist verboten, der aus der verbotenen (erzwungenermaßen erfolgten) Tätigkeit herrühre. Hier gibt es nunmehr verschiedene “Ausweichmöglichkeiten“. Zum einen kann die Krankenschwester die entsprechende Zeit “nacharbeiten“. Zum anderen kann sie über den rechtsrelevanten Vertreter ihres Vorbildes der Nachahmung (Mardscha) eine individuelle Lösung für den Gehaltsanteil ausarbeiten. Das hat uns zwar als Hinweis genügt, da es im Rahmen einiger Grundprinzipien von Fatwas stand, aber es galt noch einen Widerspruch aufzulösen, der in der im deutschen Raum veröffentlichen Fatwa No. 148494 auftauchte. Die Frage lautete:

Frage: Wenn eine Krankenschwester neben vielen Halal Tätigkeiten, den Patienten auch Schweinefleisch servieren muss, ist dann das Geld, das sie für diesen Job erhält, halal oder haram?

Antwort: Solch einem Job nachzugehen ist verboten und das verdiente Geld dafür ist nicht halal.

Die Antwort wurde aus dem Englischen generiert, worin es hieß:

Englisch: To have such a job is impermissible and the income earned for it isn't halal.

Hier hat es offensichtlich einen kleinen aber feinen Nuancenfehler bei der Übersetzung gegeben, der im “to have“ und “job“ liegt. Denn es ist nicht der gesamte Beruf gemeint, sondern die Ausführung einer bestimmten Tätigkeit während des Berufes. Bliebe noch die Frage, warum jemand einen Job ausüben sollte, der – wenn auch nur zeitlich geringfügige – Haram-Elemente beinhaltet. Nun, es kann unzählige Gründe geben, warum sich jemand zur Krankenschwester hat ausbilden lassen und diesen Beruf ausübt, worüber wir hier nicht urteilen wollen. Tatsache ist, dass jene Tätigkeit ihr immer Unbehagen bereiten wird. Sie wird versuchen, ihr auszuweichen, so weit es ihr möglich ist. Allein dieses Unbehagen ist eine wunderbare Gnade für die Gesellschaft, daraus zu lernen, dass hier eine Abneigung besteht, die zum Wohl des Patienten ist. Das kann auch deutschen Krankenhäusern nützen.

Während in der bisherigen Darstellung sicherlich eine gewisse Übereinstimmung im Verständnis der Befolger von Mardschas bestehen wird, dürfte die Betrachtung im Zusammenhang mit Hartz 4 eher kontrovers sein.

Eines vorweg: Es muss nicht zum Schaden für unsere muslimische Gemeinschaft sein, wenn Themen kontrovers diskutiert werden. Vielmehr kann es sogar konstruktiv und hilfreich sein, so lange die Dinge nicht mit der “persönlichen Situation“ verknüpft werden. Wenn z.B. jemand – aus welchen Gründen auch immer – Hartz 4 Empfänger ist, dann sollte er nicht aus dieser Situation heraus mitdiskutieren, sondern seine Beiträge sollten genau so gültig sein, wenn er einen aktuell gut bezahlten Job hätte und umgekehrt.

Ich vertrete eindeutig die Meinung – und daraus mache ich seit Jahren kein Geheimnis – dass wir Muslime in der deutschen Gesellschaft bestimmte Spielregeln der Gesellschaft einhalten müssen, damit wir dem Islam dienlich sind. Und wenn wir jene Spielregeln nicht einhalten, dann schaden wir dem Islam, und das kann in keinem Fall sinnvoll sein!

Der wahrhaft Bedürftige, die Alleinerziehende, die gar keinem Job nachgehen kann, der viel zu wenig Verdienende und deshalb zusätzliche Leistungen beziehende, der Kranke, der Alte, der keinen Job mehr bekommt, derjenige, der Privatinsolvenz anmelden musste, weil er kranke Kinder oder einen Pflegefall versorgt, usw. usf.. alle diese Fälle stehen außerhalb der Diskussion!! Sie sind nicht Gegenstand unseres Themas! Jene Personen haben ein gutes Recht von der Gesellschaft mitgetragen zu werden. Dafür werden schließlich Sozialabgaben von Arbeitern geleistet. Und es ist selbstverständlich, dass solch eine Person von dem Rest der Gesellschaft mitgetragen wird. An dieser Stelle spielt es auch keine Rolle, ob die Gelder eines Staates mit Haram vermischt sind oder nicht. Der Bedürftige hat keine Wahl!

Die Fragestellung bezüglich der Herkunft von Sozialleistungen war und wird ausschließlich für diejenigen gestellt, die arbeiten könnten, es aber nicht wollen. Hier stellt sich durchaus die Frage, in wie weit sein Handeln die bessere Lösung bzw. das geringere Übel ist. Dafür ist es notwendig, die Herkunft des Geldes zu analysieren. Dafür ist es notwendig, die Dinge sachlich gegenüberzustellen. Es genügt hierbei auch nicht eine Fatwa aufzuzeigen, die erlaubt Leistungen aus einem Staat anzunehmen, wenn man nicht sicher ist, ob es sich um Halal-Anteile handelt oder nicht. Es wäre ein Kinderspiel nachzuweisen, dass sämtliches Geld dieses Staates nach strengen Kriterien haram ist. Aber darum geht es nicht.

Halal und Haram sind im Islam keine Maßstäbe, die von sich aus existieren. Es sind Maßstäbe, die in einem bestimmten Kontext näher zu Allah führen und in einem anderen Kontext von Allah entfernen. Nur darum geht es. Was führt uns zu Allah? Insofern stellen sich für Hartz 4 folgende Fragen, die merkwürdigerweise kaum jemand so gerne seinen Mardscha fragen wird, denn eigentlich kennt man die Antworten schon, bevor man fragt:

- Darf man bei den Angaben zu Hartz 4 lügen, da man sonst die Sozialleistung nicht oder nur im geringeren Umfang erhalten würde?
- Darf man neben der erhaltenen Sozialleistung schwarz arbeiten, obwohl schwarz arbeiten ohnehin verboten ist, daran eine Steuerhinterziehung hängt und die Leistungen von Hartz 4 bei zusätzlichen Einnahmen betroffen wären?
- Darf man alle möglichen Tricks anwenden, um zugewiesenen Fortbildungskursen auszuweichen oder 1-Euro Jobs zu entgehen, weil das die nicht angegebene “Nebentätigkeit“ beeinträchtigen würde?
- Welchen Stellenwert hat ein Haus, dass ich mir in der Heimat gebaut habe (ohne es hier jemals den Behörden anzugeben), während ich Hartz 4 bezogen habe und nebenbei durch diverse Handelstätigkeiten gut verdient habe?
- Darf ich mehrere Fahrzeuge besitzen, die auf andere Personen angemeldet sind, damit ich sie bei Hartz 4 nicht mit angeben brauche?

Ich nehme an, dass manche Geschwister derartige Fragelisten noch sehr lange ergänzen könnten!

Liebe Geschwister im Islam, erlaubt mir, dass ich mich an dieser Stelle noch einmal an sie alle direkt wende! Als ich das Thema im Frühjahr eröffnet habe, war es weder meine Absicht, Hartz-4 Empfänger zu kränken, noch die Fatwa-Kultur infrage zustellen! Die Diskussionen danach, die mir zugetragen wurden (und wahrscheinlich habe ich das meiste nicht mitbekommen), haben mir aber verdeutlicht, dass hier ein sehr hoher Informationsbedarf auf der einen Seite und moralische Diskussionen auf der anderen Seite notwendig sind, um unserer Funktion als vorbildhafte Menschen, zu der wir verpflichtet sind, nachzukommen.

Wir sind ein Bestandteil dieser Gesellschaft. Unser Wunsch und unsere islamische Moralvorstellung drängen uns dazu, die Gesellschaft zum Guten zu wenden bzw. zu entwickeln. Das Gute beginnt aber nicht beim Nachbarn, sondern bei uns selbst. Wir praktizierenden Muslime sind keine Diebe, keine Lügner, keine Sozialschmarotzer und keines dieser Dinge, die uns eine bestimmte krankhaft den Islam hassende Autorenschaft vorwirft. Gleichzeitig dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass gerade unter uns, und damit meine ich unter uns Muslimen, viel zu viel Missbrauch in diesem Bereich vorliegt. Zweifelsohne sind es zumeist keine praktizierenden Muslime, sondern Kulturmuslime, aber wir könnten Einfluss auf sie nehmen. Und dazu drängt uns unsere Befreiungstheologie!

Hier noch eine vorläufig letzte Fatwa zum Thema. Im gleichen Zusammenhang hatten wir gefragt, ob ein Taxifahrer jemanden zu einer erwiesenermaßen Haram-Stätte (z.B. Bordell oder Disko) fahren darf. Es ist zu beachten, dass das deutsche Gesetz dem Taxifahrer nicht erlaubt, einen Fahrgast abzulehnen mit der Begründung, er würde einen islamisch verbotenen Ort fahren wollen. Auch hier ist die Antwort sehr differenziert ausgefallen. Zwar muss der Taxifahrer nach erlaubten Alternativen suchen. Er kann z.B. eine möglicherweise finanziell lukrative Fahrt einem anderen Taxifahrer übergeben, der es gerne annehmen wird (vorausgesetzt der Fahrgast ist einverstanden). Aber wenn es nicht möglich ist, dann darf der Taxifahrer die Fahrt ausführen und das Geld ist ihm dann halal. Wohlgemerkt gilt das für eine Umgebung, in der er gesetzmäßig gezwungen ist, die Fahrt auszuführen. Die Grenzen sind aber sehr sensibel.

Die Fatwas im Islam vom wahren Oberhaupt des Islam sind eine Erleuchtung für die ganze Welt. Und irgendwann werden wir Inschaallah auch darüber diskutieren, ob es heute noch verschiedener Mardschas bedarf, aber das ist ein anderes Thema. Ich wünsche gesegnetes Nachdenken und Gottes Segen bei der Umsetzung.

Euer Bruder im Islam

yavuz



Antworten: