Sollen alle Wünsche erfüllt werden im Monat Ramadan? Der Monat Ramadan ist der Monat, in dem jeder Wunsch eines wahren gläubigen und gottesehrfürchtigen Menschen erfüllt wird, sagt man, aber was ist damit gemeint? Ich habe eine wunderbare Ehefrau, segensreiche Kinder, tolle nahe Verwandte, unzählige gütige Freunde, ein Haus, einen Garten, ein Auto, einen Beruf und vieles andere mehr. Bei solch einer Aufzählung fällt mir immer diese merkwürdige Werbung ein, bei der zwei sich gegenüber sitzende Typen ihre Karten gegenseitig zeigen: Ich habe ein Haus, einen Garten, eine Segeljacht usw., um den anderen zu überbieten. Ich weiß zwar nicht mehr so genau, wofür die Werbung war, aber an die lustige Szene kann ich mich gut erinnern. Doch wie ist es bei mir? Könnte es nicht noch ein bisschen mehr sein? Wie wäre es mit einem neuen Bad? Der Hebel für die Warmeinstellung ist nicht gerade hochmodern und bei der Gelegenheit könnte man das ganze Bad neu gestaltet mit Whirlpool und Massagedusche. Schließlich braucht man ab einem gewissen Alter einen gewissen Komfort. Und die beiden Fahrzeuge vor der Tür sind auch nicht gerade Luxuslimousinen. Der eine könnte auch eine Klima-Anlage vertragen, denn im Sommer wird es doch schön heiß auf langen Strecken. Und überhaupt, mein Aktenkoffer hat auch schon einige Dellen und warum sollte ich als angesehener Muslim mit einem Aktenkoffer mit Dellen herumlaufen? Wenn ich es mir so richtig überlege, dann sind meine irdischen Wünsche ziemlich unendlich. Ich würde gerne dies haben und könnte gerne jenes gebrauchen, aber ... aber sind das wirklich meine Wünsche? Ich habe doch schon eine wunderbare Ehefrau, segensreiche Kinder, tolle nahe Verwandte, unzählige gütige Freunde, ein Haus, einen Garten, ein Auto, einen Beruf und vieles andere mehr. Was will ich denn mehr? Doch was sollen die sagen, die noch keine wunderbare Ehefrau, segensreiche Kinder, tolle nahe Verwandte, unzählige gütige Freunde, ein Haus, einen Garten, ein Auto, einen Beruf und vieles andere mehr haben? Sollen die sich das wünschen? Vielleicht haben sie nur eine wunderbare Ehefrau und viele gute Freunde, aber noch keine Kinder und kein Haus und kein Auto. Sollen die sich das wünschen? Und wie ist es mit den Menschen in den Dürreregionen in Afrika. Die denken derzeit nicht an Haus, Auto, Beruf, Garten oder irgendetwas auf dem Niveau, die beten nur um ein Glas sauberes Wasser und eine Mahlzeit für das Baby, das in ihren Händen am verhungern ist! Wie unterschiedlich doch die Wünsche sind!? Und doch, alle diese Gedanken können helfen, während man fastet! Was heißt das eigentlich, dass ich einen Wunsch habe? Habe ich nicht hinreichend Verstand, um meine Wünsche auf vernünftige Dinge zu lenken? Wo ist meine Vernunft, wenn ich die wirklich entscheidenden Dinge des Lebens missachte? Na gut, konzentrieren wir uns, und wünschen uns etwas Vernünftiges. Ich wünsche mir z.B., dass alte Menschen bei ihren Familien leben dürfen und dort nicht nur mit einer Art Beschäftigungstherapie irgendetwas “sinnloses“ tun, sondern sinnvolles! Aber was tun wir denn? Ist das “sinnvoll“ was wir tun? Bedarf Gott unseres Tuns? Ist das, was wir tun, aus Sicht Gottes “sinnvoll“. Na klar, wir beten, wir fasten, wir hungern den ganzen langen Tag in diesen nördlichen breiten, sollte das nicht sinnvoll sein? Aber was soll Gott mit all unserem Beten und Fasten anfangen, der, der ohnehin schon alles weiß und nichts bedarf? Ist es nicht vielmehr so, dass das Gebet und das Fasten Gnaden des Allmächtigen sind, die er uns schenkt? Kleiner Szenenwechsel: Gestern höre ich Nachrichten über Syrien. Einmal abgesehen davon, dass ich den Westlichen Medien immer weniger glaube (unabhängig davon von welchem Land sie berichten), muss ich bei einer Nachricht dann doch innerlich schmunzeln; obwohl die Geschehnisse gar nicht zum Schmunzeln sind. Da beschließt am heiligten Tag irgendein EU-Gremium, dass die Gelder von irgendwelchen syrischen hohen Herren (vielleicht auch Damen) in Europa eingefroren werden sollen. Allerdings soll die Regelung erst am nächsten Tag (also heute) in Kraft treten. Noch einmal zum Mitschreiben: Da wird irgendwelchen syrischen Bösewichten westlicher Wertschätzung angekündigt, dass am darauffolgenden Tag ihre Konten eingefroren werden sollen. Was meinen Sie, macht so ein Bösewicht in solch einer Situation im Zeitalter von On-line-Banking und Überweisung per Maus-Klick? Soll ich den Journalisten wünschen, dass Sie ihr verkauftes Hirn wieder zurückkaufen können? Soll ich dem “Konsumenten“ solcher Nachrichten wünschen, dass er sich bei den Journalisten meldet und ihnen erklärt, dass ihre Leserschaft nicht halb so dumm ist, wie es der Hofberichterstatter und sein Imperialherr glaubt? Ja, ich hätte so viele Wünsche in allen Bereichen des Lebens. Aber wo steckt der Fehler? Bereits gestern haben wir den so faszinierenden Vers aus dem Heiligen Qur’an erwähnt, in dem es heißt: „Und sobald dich meine Diener über mich fragen, so bin Ich nahe; ich antworte einem Ruf (Bittgebet) des Rufenden, sobald er mich gerufen hat. Dann werden sie mir antworten und überzeugt sein von mir, auf dass sie rechtschaffen werden.“ Merke ich denn nicht, dass es nur ein wahres “Ich“ geben kann und der Rest Diener ist! Und der Diener ruft, das wahre und einzige “Ich“ antwortet. Doch eigentlich hat jenes wahre “Ich“ schon geantwortet, bevor wir gerufen haben. Und wir antworten auf die Antwort und die Spiegel lassen das Licht nicht mehr los. Und diese Spiegelfunktion, dieses Verständnis von Jenseits und Diesseits, diese immerwährende Existenz und Spiegelung der Existenz, diese Dienerschaft als wahre Befreiung fasziniert uns in so unzähligen Versen des Heiligen Qur’an. Die 109. Sure des Heiligen Qur’an handelt über die sogenannten “Ungläubigen“. Ich mag diese Übersetzung nicht, weil sie nicht stimmt. Jeder glaubt an irgendetwas, und wenn es sein eigenes “Ich“ ist. Außerdem stimmt die Übersetzung nicht. In dem Begriff steht nichts vom “Glauben“. Vielmehr steht dort etwas von “Verdecken“. Der Kafir verdeckt die Wahrheit für sich. Belassen wir es also für die heutige Betrachtung bei dem Begriff “Kafir“ bzw. die Mehrzahlform “Kafirun“.
"Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Begnadenden Sofort fällt einem die Widerholung in der Sure auf. Zwei identische Verse folgen mit einem Zwischenvers aufeinander. Und doch ist es keine einfache Wiederholung. Es sind Spiegelungen, die auf den jeweils vorangehenden Vers folgen. Die Kafirun werden angesprochen mit der Aussage: Nicht diene ich dem, dem ihr dient. Die Spiegelung dieser Aussage ist und nicht seid ihr Dienende dessen, dem ich diene. Das Licht der Wahrheit aber bleibt nicht stehen und geht weiter. Die Spiegelung dieser Aussage mündet in und nicht bin ich Dienender dessen, dem ihr dient. Eine Steigerung der ersten Aussage. Die Falschheit bleibt stehen. Die Spiegelung kann nur das wiedergeben, wozu Falschheit in der Lage ist, Stagnation: und nicht seid ihr Dienende dessen, dem ich diene. Doch die Wahrheit bleibt nicht stehen, sie schreitet voran und entwickelt ein neues Spiegelbild: Euch eure Religion und mir meine Religion. Wollten wir uns nur die Steigerung der wunderbaren Wahrheit ansehen, dann würden wir folgende Verse haben:
Sprich: Oh ihr Kafirun! Das Licht der Wahrheit schreitet stets voran, während der Schatten der Falschheit stehen bleibt! Zurück zu “meinen“ Wünschen. Es gibt keine “meine“ Wünsche! Sie sind Schall und Rauch. Sie sind bedeutungslos. Nur wenn ich den Geist Gottes in meinem Herzen verstehen, wenn ich mich ihm “ergebe“ [taslim], dann habe ich die wahre Ergebung [islam] verstanden. Und dann wird die mir anvertraute Seele versuchen den Geist Gottes in mir zu spiegeln. Je mehr ich “meine“ Wünsche loswerde und je mehr ich Gottes Wunsch für die gesamte Menschheit in mir wirken lasse, desto mehr können die Wünsche in Erfüllung gehen. Die Arme Mutter in Afrika, die mit ihrem verdurstenden Baby im Arm Kilometer lang läuft, hat keinen Wunsch mehr für “sich“. Sie wünscht ihrem Baby eine Erlösung. So oder so wird ihr Wunsch erfüllt. Wenn das Kind an Durst stirbt, ist die gesamte Menschheit daran mitschuld, jeder in dem Maß seiner Verantwortung. Und das Kind wird in ein Gnadenlicht eingehen, von dem wir, die wir so viele Wünsche haben, nur träumen können. Wird das Kind gerettet, so ist das Gnade nur von dem Einen. Der Monat Ramadan gibt uns die Gelegenheit, uns diesem “Einen“ mehr als je zuvor anzunähern, denn er ist unser Gastgeber! Ist es nicht merkwürdig? Das ganze Jahr über, wenn wir so reichlich versorgt werden in so vielen Mahlzeiten, die wir uns nur wünschen, ist es zwar auch die Gnade Gottes, aber er ist uns nicht so naher Gastgeber wie in der Zeit, in der wir hungern? Aber ist er uns nicht immer näher noch als unsere Halsschlagader und sind nicht wir es, die sich im Hungern IHM besser annähern können, als im satten Zustand? Seien wir also dankbar für dieses Geschenk und dann werden wir verstehen, dass der größte Wunsch die Dankbarkeit sein sollte. Und die Dankbarkeit zu spüren ist der Dienst. Die (wahre) Dankbarkeit ist dem Herrn der Welten. Damit beginnt der Heilige Qur’an.
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