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Ist Harz IV halal?

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Von Yavuz Özoguz am 15. Juni 2011 20:20:19:

Ist Harz IV halal?

Es gibt zuweilen Muslime, die die Vorstellung haben, dass sie mit Harz IV mehr Zeit für “Islam“ haben (was immer damit gemeint ist) und daher ihre Bemühungen nach Arbeit durchaus noch nicht genutztes Anstrengungspotential in sich birgt.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass ein muslimischer Ehemann religionsrechtlich verpflichtet ist, seine Familie zu versorgen. Seine Ehefrau kann ihn entlasten, mitarbeiten usw. usf., aber er bleibt ihr das Geld schuldig, denn es ist seine Pflicht, alle zu versorgen, nicht ihre! Das mag in der “Moderne“ altmodisch klingen, aber es ist Bestandteil des Islam. Die Frau ist diesbezüglich frei! Wenn sie selbst Einkommen hat, dann kann sie das für sich selbst nutzen. Wenn sie zudem den Haushalt führt, steht ihr ein Hausfrauengehalt zu, unabhängig von der vollständigen Versorgung. So ist der Islam, so ehrt der Islam die Frau und befreit er sie von den Klauen des kapitalistischen Vermarktungswahnsinns.

Daher ist ein muslimischer Mann – insbesondere der Ehemann – verpflichtet, einer erlaubten Arbeit nachzugehen, um seine Familie zu versorgen. In Deutschland stößt sein Bemühen auf gewissen Grenzen des religiös Erlaubten. Zweifelsohne darf ein Muslim nicht in einer Nachtbar arbeiten und Alkohol ausschenken. Auch darf er nicht in einer Glückspielhalle arbeiten. Doch diese klaren Fälle sind selten Gegenstand von Konflikten. Vielmehr sind es die religionsrechtlichen Grauzonen, die zu Problemen führen.

Wie ist es z.B. mit einem Krankenpfleger, der auch Schweinefleisch zum Mittag servieren muss? Zweifelsohne ist der Beruf einer Krankenschwester oder des Pflegers ein gesegneter Beruf, aber Schweinefleisch erachtet der Islam als schädlich für die Menschheit, und daher darf ein Muslim solch etwas Schädliches nicht anderen Menschen auftischen. Wie also wäre solch ein Beruf zu werten? Die gleiche Problematik haben Betreuer in Kindertagesstätten, wobei Erzieher und Erzieherin sicherlich ein ehrenwerter Beruf ist. Und wie ist es mit der Kassiererin bei den Supermärkten, die ja auch die Zahlung für den Schnaps des Alkoholsüchtigen kassiert. Und wie wäre es, wenn sie Alkohol in die Regale einordnen müsste? Taxi-Fahren als solches ist sicherlich ein ehrenwerter Beruf. Aber das Gesetz schreibt vor, dass man in der Regel keinen Fahrgast ablehnen darf. Was ist, wenn er zum nächsten Bordell fahren will oder zur nächsten Disko? Und darf man ein Fahrzeug reparieren, von dem man weiß, dass es ausschließlich zum Transport von Verbotenem (z.B. Wein) genutzt wird?

Alle oben genannten Fragen würden in einem islamischen System dazu führen, dass man klipp und klar antworten muss, dass ein Muslim alle diese Arbeitsstellen nicht besetzen darf! Es handelt sich allesamt um verbotene Tätigkeiten, die ein Muslim nicht ausüben darf. Aber in einem islamischen System wären solche Tätigkeiten eher die Ausnahme, sie wären im kriminellen Milieu, und Kriminelles ist ohnehin verboten für Muslime!

Wie aber sind obige Fragen zu beantworten in einem Staat – wie z.B. Deutschland – in dem sie zum Alltag gehören? Würde man hier undifferenziert das islamische Verbot allein betrachten und andere Aspekte ausklammern, dann könnten Muslime in Deutschland in keinem Supermarkt arbeiten, in fast keinem Restaurant, sie könnten weder Krankenpfleger noch Krankenschwester werden (sich nicht einmal dazu ausbilden lassen), nicht Erzieher werden (da alle Erzieher auch manchmal Essen verteilen müssen), auch zum KFZ-Mechaniker bzw. Mechatroniker könnte man sich kaum ausbilden lassen, denn der Betrieb wird sicherlich auch einmal einen LKW reparieren, der aus islamischer Sicht speziell dazu dient, verbotene (haram) Wege zu fahren. Taxifahren wäre genau so wenig möglich, wie Hotelfachkraft zu sein. Man könnte sich nicht zum Bäcker ausbilden lassen (die verwenden Gelatine) und auch nicht zum Fleischermeister. Kurz zusammengefasst ließe sich feststellen, dass ein Großteil der nichtakademischen Berufe dann für Muslime tabu wäre. Und bei den akademischen Berufen wäre der Anteil vielleicht nicht ganz so hoch, aber auch viele darunter könnten dann nicht ausgeübt werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass insbesondere Konvertiten oft einen Beruf erlernt haben, bevor sie Muslim geworden sind. Was soll z.B. ein Anwalt machen, der den Islam angenommen hat, und der Meinung ist, dass einige Gesetze ungerecht sind? Soll er seinen Beruf aufgeben? Und sollen dann Muslime keine muslimischen Anwälte haben können?

Wie also ist das zu werten? Sehr viele Muslime stehen vor diesem Dilemma in ihrem Beruf, und sehr viele tragen Gewissensbisse, dass sie etwas aus islamischer Sicht Verbotenes tun und damit auch noch Geld verdienen. Daher ist es von großer Bedeutung, derartige Problematiken zu thematisieren und öffentlich anzusprechen.

Am einfachsten machen es sich jene Muslime, die ihre Faulheit dadurch kaschieren, dass sie sich nicht um Arbeit bemühen und behaupten, mit Harz IV hätten sie viel Zeit, sich dem Islam zu widmen. Solch eine Behauptung – und das kann hier vorweg festgestellt werden – ist nicht nur absurd, sie ist auch unislamisch und zudem eine geradezu bewusste Schädigung des Ansehens des Islams und der Muslime, was zweifelsohne verboten ist. Denn es ist nach allen Rechtsschulen und alle Richtungen innerhalb des Islam absolut nicht angebracht, sich von anderen finanzieren zu lassen, wenn man selbst in der Lage ist zu arbeiten.

Sozialhilfe für Arbeitslose ist für diejenigen gedacht, die trotz eigener Bemühung keiner geeigneten Arbeit nachgehen können, damit sie übergansweise von der Allgemeinheit versorgt sind bzw. für Menschen, die aufgrund einer Behinderung, aufgrund von Alleinerziehung und ähnlichen Hindernissen z.B. gar nicht Vollzeit arbeiten können.

Die folgenden Überlegungen und Diskussionsansätze dienen nicht denjenigen, die ohnehin so reich sind, dass sie nicht jeden Beruf ausüben müssten oder sich sogar den Luxus leisten können, den eigenen erlernten Beruf nicht auszuüben, sondern vom eigenen Reichtum zu leben. Denn alle anderen müssen sich irgendwie versorgen, so oder so.

Steht man also vor der Wahl zwischen einem Beruf, der zwar nicht direkt das Verbotene zum Ziel hat, aber Verbotenes darin auftreten kann (wie z.B. der Pfleger, der Schweinefleisch servieren muss), und Harz IV, so gibt es bedauerlicherweise sehr oft die simplifizierte Meinung, dass Harz IV das geringere Übel sei. Die Annahme dabei ist, dass Harz IV Geld von Staat ist und der Staat aus islamischer Sicht sowohl erlaubte Geschäfte tätigt als auch verbotene und daher hier zumindest die Möglichkeit höher ist, Halal-Geld zu erhalten. Aber ist das wirklich so?

Wenn man einen Beruf mit sehr penibel ausgelegten Maßstäben beurteilt, so muss man das bei der Alternative auch tun. Der deutsche Staat ist aus islamischer Sicht definitiv pleite! Er hat so viele Schulden, dass er diese nie wieder wird zurückzahlen können. Ein Großteil der Einnahmen fließt in die Verzinsung der Schulden, eine Abtragung der Schulden gibt es seit Jahrzehnten nicht! Aber die Einnahmen reichen schon lange nicht mehr, um zumindest einen halbwegs ausgeglichenen Haushalt zu haben, so dass jedes Jahr neue Schulden zu den alten Schulden hinzugetürmt werden. Hierbei handelt es sich um Schulden (und daran gekoppelt Zinszahlungen), die man an noch nicht geborene Generationen vererben wird! Islamisch betrachtet ist das nichts anderes als eine Art geraubtes Geld von noch nicht einmal geborenen Menschen! Kann solch ein Geld halal sein? Kann solch ein Geld das geringere Übel sein gegenüber einer Tätigkeit im Supermarkt, bei dem man an der Kasse auch ab und zu Dinge einscannen muss, die nicht halal sind?

Aber damit ist es noch nicht getan. Ein wichtiger Teil der Einnahmen des Staates erfolgt durch die Mineralölsteuer. Die eigentlichen Besitzer des Öls (oft muslimische Staaten) erhalten einen winzigen Bruchteil für ihr Eigentum, während der deutsche Staat das zigfache des Wertes des Öls einfach drauf schlägt. Nach verschiedenen islamischen Meinungen zum Thema Handel kann bereits die Verdopplung des Werts einer Ware an Wucher grenzen. Im Fall von Mineralöl liegt aber eine Verzigfachung vor, dass hier nach islamischen Maßstäben definitiv Wucher vorliegt. Kann solch ein Geld das geringere Übel sein gegenüber einer Tätigkeit in der Altenpflege, bei der man den Alten auch einmal Speise servieren muss, die nicht halal ist?

Und so ließe sich eine bundesdeutsche Einnahmequelle nach der anderen auf den Prüfstand islamischer Wertevorstellungen messen und was da bei der Alkoholsteuer, der Steuer aus den Zinsgeschäften der Banken, der Spekulationssteuer oder Glückspielsteuer, bei der Steuer, die Prostituierte zahlen und der Steuer all jener Einnahmen jener Berufe, die aus islamischer Sicht problematisch sind, herauskommen würde, kann doch nicht vernachlässigt werden! Wer also pauschal und ohne zu differenzieren behauptet, dass Harz IV halal sei und der Beruf des Krankenpflegers haram (wenn er auch Schweinefleisch servieren muss), der läuft Gefahr, den Splitter im Auge des Bruders zu sehen und den Balken vor denen eigenen Augen zu übersehen, um einmal ein Gleichnis Jesu zu verwenden.

Zurück zu dem Berufstätigen, der in seiner Halal-Arbeit auch Haram-Elemente hat. Was kann er tun? Hier ist Kreativität und Opferbereitschaft gefragt. Wie wäre es, wenn der Krankenpfleger zu seinem Personalchef geht und anbietet, dass er bereit ist, viel unangenehmere Aufgaben als das Verteilen von Essen zu übernehmen und darum bittet, von der Essensverteilung entbunden zu werden? Wie wäre es, wenn der Erzieher seinem Chef anbietet, jeden Tag 15 Minuten länger zu arbeiten, wenn er von der Essensverteilung ausgeschlossen wird und dafür z.B. sauber macht oder aufräumt? Wie wäre es, wenn derjenige, der die Weinflaschen einsortieren soll, sich stattdessen bereit erklärt, ebenfalls jeden Tag 15 Minuten länger zu arbeiten, aber vom Einsortieren von Alkohol entbunden wird? Sicher, man wird die Konfrontation mit haram nie ganz ausschließen können, aber wenn man im Herzen die Absicht zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit hat, wenn man sich inständig und aufrichtig an seinen Schöpfer wendet, dass Er hilft, werden sich Wege öffnen – Inschaallah – sobald man reif dazu ist, hinreichend Dankbarkeit für die neuen Wege zu empfinden. Der Weg der Wahrheit ist nicht der Leichtere. Und wenn man dabei anderen helfen kann, so können wir auch den Mitmenschen Gutes tun. Wenn z.B. die Erzieherin im Kindergarten vorschlägt, dass es einen vegetarischen Tag gibt, tut sie auch viel Gutes für die Mägen so vieler junger Menschen. Mit Mut, Kreativität und vor allem der Hinwendung zum Schöpfer allen Seins und Quelle aller Liebe, sollte es möglich sein, sich selbst und die Gesellschaft zum Guten zu entwickeln – Inschaallah. Ein Muslim jedenfalls, der viel lieber Harz IV bekommt als einem Beruf nachzugehen, der hat den Islam und den Dienst an Gott nicht verstanden. Denn Gott bedarf unseres Dienstes nicht, und sämtliche Versorgung kommt von Ihm! Aber Er hat uns beauftragt, dafür selbst etwas zu tun und nicht andere zu belasten.

Und niemand schaue auf den Anderen oder verurteile ihn gar, sondern schaue auf sich selbst und wie er sich selbst immer weiter zum Guten entwickeln kann.



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