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Allahs Hände sind nicht gefesselt

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Von Yavuz Özoguz am 13. März 2011 11:54:50:

Allahs Hände sind nicht gefesselt

Das westliche Menschenbild geht von einem Menschen aus, dass in seinem Größenwahn die Vorstellung hat, alles und jeden beherrschen zu können. Doch er bekommt immer wieder neue Chancen, von seinem selbstzerstörerischen Wahn geheilt zu werden.

Die Nachrichten aus Japan lassen inzwischen keinen Zweifel mehr zu. Weite Teile Japans werden schon bald als unbewohnbar erklärt werden. Zehntausende Japaner dürften verstrahlt sein. Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen, dürften auf irgendeine Art Opfer der Katastrophe sein oder werden, die zum Teil von Menschenhand stammt. Der einzige Grund, warum die Regierung in Japan noch nicht mit der vollen Wahrheit herausrückt, dürfte in dem dann zu erwartenden Chaos liegen, dass dann unkontrolliert noch größeren Schaden bewirken würde. Wie soll man mal eben einige Millionen Menschen “umsiedeln“? Wie soll man die voll Wahrheit herausrücken, ohne dass eine Massenpanik mit unvorstellbaren Folgen entsteht? Die japanischen Verantwortungsträger sind nicht zu beneiden; welch eine Tragik für ein Volk, dass bereits zwei Mal die schlimmsten von Menschen gemachten Folgen der Atomkraft zu spüren bekommen hat. Und dieses Mal war kein Weltkrieg im Gange, oder doch …?

Der Mensch in der Westlichen Welt wird mit dem Gefühl erzogen, er hätte alles und jeden im Griff, wenn er nur über hinreichend materielle Mittel verfügt. Der Materialismus ist zu einem Götzendienst aufgestiegen, der den Menschen geradezu hat wahnsinnig werden lassen. Gott hat keine Rolle mehr in der Westlichen Welt gespielt, außer als eine Art Werbeträger für eine gottlose Denkweise und Politik oder als missbrauchte Flagge für Unterdrücker! Japan war durch und durch “westlich“ geworden. Immer mehr, immer größer, immer höher, immer unvernünftiger war die Ausbeutung aller Ressourcen menschlichen Daseins und immer wahnsinniger das Wirtschafts- und Finanzsystem. Doch jetzt ist etwas geschehen, das einerseits eine fürchterliche Katastrophe, aber andererseits auch – einmal mehr – eine unvorstellbare Chance für jeden Menschen dieses Erdplaneten ist, eines Planeten, dessen Achse ein einzige Erdebeben verschieben kann, während der Mensch nur hilflos zusieht!

Einstmals gab es auf der arabischen Halbinsel einen philosophischen Disput zwischen den dort ansässigen Juden und der jungen Gemeinde der Muslime. Es ging um das Wirken Gottes. Die dortigen Juden vertraten die Ansicht, dass Gott die Geschehnisse einmal “angestoßen“ hat und alles weitere die Folge jenes “Anstoßes“ sei. Da Juden und Muslime sich darin einig waren, dass Gott nicht “reagiert“, da er nicht beeinflussbar sein kann (sonst wäre er nicht Gott), stießen in der Detailfrage des aktuellen Wirkens Gottes zwei Welten aufeinander. Die Juden auf der arabischen Halbinsel vertraten die Ansicht, dass nach jenem ersten “Anstoß“ Gott nicht mehr “direkt“ eingreift, sondern sein Anstoß jeglichen Folgeeingriff bereits impliziert. Muslime hingegen vertraten die Vorstellung der ständigen Präsenz von Gottes aktuellem Wirken mit einer Konsequenz, die in folgende Überlieferung mündete: „Kein Gottesdienst (arabisch: Ibadah) ist höher als der Glaube an Badah.“ Badah ist der Gaube, dass Allah alle Dinge in einem einzigen Moment ändern kann. Hier spielt nicht nur der Glaube an Wunder eine Rolle, sondern auch das Bewusstsein, dass nichts unabänderlich ist. Das Wirken Gottes wurde dabei nicht als “Reaktion“ verstanden, sondern in seinem vorausschauenden und allweisen Wesen als zeitunabhängige Bestimmung.

Eigentlich war es – zugegebenermaßen – nur ein lokaler philosophischer Streit zwischen den Juden auf der arabischen Halbinsel (anderenorts haben Juden auch andere Vorstellung diesbezüglich vertreten) und der noch jungen und kleinen Gemeinde der Muslime. Und es war geradezu eine philosophische “Feinheit“. Doch jene philosophische Auseinandersetzung hatte letztendlich große politische Auswirkungen. Sie war eine Frage von Krieg und Frieden. Die einen behaupteten, dass die “Entscheidung“ Gottes – da einmal getroffen – unabänderlich sei; sozusagen die Hände Gottes gefesselt seien durch seine eigene Entscheidung. Die anderen behaupteten, dass Gottes Ratschluss den von ihm selbst beschlossenen Gesetzmäßigkeiten folgt, die wiederum Veränderungen – und “direktes“ Eingreifen in die Geschichte der Menschheit – durchaus vorsehen.

Der damalige Disput ist zusammengefasst in dem Vers 5:64 aus dem Heiligen Qur’an, in dem es sinngemäß heißt: „Und die Juden sagen: „Allahs Hand ist gefesselt.“ Ihre (eigenen) Hände seien gefesselt und sie seien verflucht für das, was sie sagen. Nein! Vielmehr sind Seine Hände (weit) ausgestreckt; Er gibt aus, wie Er will. Was zu dir von deinem Herrn herabgesandt worden ist, wird sicherlich bei vielen von ihnen die Auflehnung und den Unglauben noch mehren. Und wir haben zwischen sie Feindschaft und Hass geworfen bis zum Tag der Auferstehung. Jedes Mal, wenn sie ein Feuer zum Krieg anzünden, löscht Allah es aus. Und sie bemühen sich, auf der Erde Unheil zu stiften. Aber Allah liebt nicht die Unheilstifter.“

Was damals auf die damaligen Juden auf der arabischen Halbinsel bezogen war, lässt sich heute zweifelsohne auf die Mehrheit des “Westlichen Menschen“ übertragen. Gemeint ist damit, dass jene, die ein westliches Menschenbild haben, in ihrer materiellen Verblendung die Zusammenhänge der Dinge nicht mehr sehen (können). Sie sind in den Wahn des ewigen “Wachstums“ verstrickt, dass sie sich in einer beständigen Realitätsverweigerung sich nach wie vor an die “Westliche Führungsmacht“ klammern, die bankrott ist! Sie stürzen die ganze Welt mehr und mehr in fürchterliche Kriege, wobei sie oft beide Seiten des Krieges mit Waffen beliefern. So stehen die USA heute angeblich auf der Seite der Aufständischen in Nordafrika, während die angeblich bekämpften Tyrannen nicht einen Tag an der Macht überstanden hätten ohne massive Unterstützung der USA. Die gesamte Westliche Welt ist zur Geisel von Guantanamo geworden, und nirgends regt sich irgendeine westliche Regierungsstimme, die nach Gerechtigkeit ruft. “Der Gerechte“ ist eine der wahren Namen Gottes, und wer nach Gerechtigkeit ruft, der ruft nach Gott. Ist das eines der Gründe dafür, warum die Westliche Welt sich so extrem von Gerechtigkeit entfernt hat?

Während die Westliche Welt erneut einen grausamen Krieg anzuzetteln ersucht war (Gott sei Dank gehört Deutschland zu denen, die bremsen), geschieht etwas unvorstellbares, etwas für die lebenden Generationen Außergewöhnliches. Und nur Wenige erkennen der Zusammenhang! Ein Erdebeben erreicht eine Stärke, wie sie von Menschen noch nie in der Region gemessen wurde. Ein Tsunami zerstört große Teile der drittgrößten Volkswirtschaft der Erde und eine weit über die größten anzunehmenden Unfälle hinausragende Atomkatastrophe bedroht nicht nur ganz Japan! Die Nachrichten über die Kriegsvorbereitungen geraten ins Hintertreffen. Es geschieht genau das, was im obigen Vers des Heiligen Qur’an angedeutet ist.

Unser Beileid gilt allen Japanern und allen betroffenen Familien, die dieser Tage so schwere Prüfungen zu ertragen haben. Möge die allmächtige Quelle der Liebe diese schwere Prüfung zu einer Chance für sie werden lassen, sich Ihm näher anzunähern. Denn nur dafür sind sie erschaffen, um Seine Liebe zu erlangen. Es ist eine Chance nicht nur für Japan, sondern für die gesamte Westliche Welt, ja für die gesamte Welt, endlich zur Besinnung zu kommen. Es ist eine Chance für Deutschland, sich von der falschen Atompolitik abzuwenden, was aber nicht möglich sein wird mit Regierenden, die dem Götzen Kapital gehuldigt haben. Es ist auch eine Chance für die Islamische Republik Iran darüber nachzudenken, ob die Falle, unbedingt Atomenergie in Form eines Atomkraftwerkes bauen zu müssen, um die nationale Souveränität gegen die unverschämte westlichen Unterdrückungspolitik zu verteidigen, nicht doch auch andere Gedanken zulassen könnte.

Bliebe die philosophisch-religiöse Frage, warum Gott solch eine Katastrophe “zulässt“ und nicht verhindert? Diese Frage entstammt einem Gedankengut, das den Sinn des Daseins nie richtig verstanden hat oder verstehen wollte. Der Mensch ist nicht erschaffen für diese begrenzte Welt. Er ist erschaffen, die Liebe Gottes in seiner höchsten und vollkommensten Stufe zu erlangen, die ewige Liebe in Freiheit. Dafür ist er von Gott getrennt und mit so vielen göttlichen Potentialen ausgestattet. Er ist Träger des Geistes Gottes in seinem Herzen und hat die freie Fähigkeit in der irdischen Entfernung von Gott, sich Ihm zuzuwenden oder sich von Ihm abzuwenden. Alles, was auf Erden geschieht, sind Maßnahmen, die dem Menschen zusätzliche Chancen zur Zuwendung geben, bis wir ohnehin zu Ihm zurückkehren, in Dankbarkeit oder Unglück.

So ist die Katastrophe von Japan einmal mehr eine Chance der Liebe! Es ist die Chance für alle direkt Betroffenen wie auch weniger Betroffenen, sich Gott zuzuwenden. Es ist die Chance zur Nächstenliebe Vorort und in der ganzen Welt. Es ist die Chance darüber nachzudenken, wohin Gottlosigkeit führen kann und zu welchem Wahn der Mensch fähig ist; einem Wahn, der seine eigene Lebensgrundlage zerstört. Aber genau jene Fähigkeit kann ungewandelt in Menschlichkeit und Nächstenliebe Berge versetzen, viel mehr als jenes Erdbeben die Erdachsen versetzt hat.

Es wird für uns in unserer deutschen Heimat Zeit, dass wir lauter über eine gerechtere Welt nachdenken, eine Welt, in der Deutschland nicht an der Seite von Besatzern, Unterdrückern, Mördern und Folterern steht; eine Welt, in der Deutschland nicht an der Seite des finanziellen Ruins und der Ausbeutung der Menschheit steht, sondern eine Welt, in der Deutschland an der Seite derjenigen steht, die vernünftige Alternativen anzubieten haben, Alternativen der Gerechtigkeit. Die Bevölkerung in Deutschland hat das Potential dazu, wenn sie sich nicht spalten lässt von jenen, die so viel Unheil auf Erden anrichten.

Gottes Hände sind nie gefesselt gewesen. Aber ein Mensch, der gottlos denkt und lebt, ist nicht nur an seinen Händen gefesselt. Er ist gefangen im Gestrüpp seines Selbst, und das ist wahrlich das größte Gefängnis. Die Ereignisse in Japan sind eine Chance für die Menschen, aus jenem Gefängnis einmal mehr auszubrechen. Wohl denen, die diese Chance nutzen.



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