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Botschafterin Lenkait zu Militärinterventionen in Libyen

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Von Brigitte Queck am 05. März 2011 19:34:48:

Türöffner für Militärintervention in Libyen international gescheitert - aber deutsche Gerechtigkeit immer noch Lynchjustiz?
Die NATO-Sondersitzung zu Libyen in Brüssel, einberufen vom Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, fiel völlig ins Vakuum (25.2.). Das verhängnisvolle Vorhaben einiger europäischen Länder, eine militärische Intervention in Libyen vorzubereiten, blieb ergebnislos. Die USA hatten die sonderbare NATO-Sitzung nicht einberufen, keinen Antrag an die NATO gestellt und weder ihren Verteidigungs- noch ihren Außenminister dorthin entsandt. Deutsche Medien wie die SZ wagten sich nicht einmal, darüber zu berichten. So peinlich war das eklatante Scheitern der „dringlichen“ NATO-Sondersitzung, ein Scheitern, das sie in allen wichtigen deutschen Medien verschwiegen wurde. Der unheimliche Zweck eines solchen Unternehmens, eine militärische Intervention, hätte keine Rechtsgrundlage, schon gar nicht in einem Land, wo offensichtlich Bürgerkrieg stattfindet. Nicht nur die UN-Charta sondern auch der normale gesunde Menschenverstand gebietet, sich aus einem Bürgerkrieg herauszuhalten und auf weitere Anwendung von Gewalt zu verzichten.
Ehrenhaft und zutreffend erklärt die libysche Opposition, sie wolle keine Einmischung des Westens, auch keine westliche Unterstützung, weil die Sache Libyens nur Libyen betreffe, wie es in der ZDF-Nachrichtensendung „heute“ am 28.2. um 19 Uhr verlautete. Die Opposition steht auch für die Einheit, nicht für eine Spaltung des Landes. Deshalb ist die Übergangsregierung in Bengasi keine anerkannte, keine legitime Übergangsregierung.
Die deutsche Öffentlichkeit weicht aus, sich unbefangen mit der Frage zu beschäftigen, warum und wie ein Bürgerkrieg in Libyen entfesselt wurde. Wer wird die Folgen tragen? Die wichtigsten Führungskräfte der NATO sind in Aufregung. Tomas Avenarius von der SZ (Leitartikel „Es ist ihre Revolution“ vom 28.2.11) darf sich nicht in ein billiges Sprachrohr solcher unsinnigen NATO-Aufregung verwandeln und seine Ratlosigkeit in Mob-Beschimpfung manifestieren. Vielmehr gilt für seriöse und anständige Journalisten, grundsätzlich und ehrlich zu überlegen, wie die arabische und moslemische Welt reagieren wird, wenn in Libyen mit einem neuen NATO-Abenteuer Blutvergießen und menschliche Vernichtung verursacht wird. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat die NATO mehrmals im Irak, in Serbien und in Afghanistan bis zum Extrem begangen. Ergreift der Westen wieder die barbarische Brutalität der Waffentechnik wird der Wahnsinn zerstörerischer Kräfte triumphieren. So sieht die Welt keine Hoffnung auf einen wirklichen Aufbruch in eine neue Epoche: Sie bleibt verhaftet in dem Geist bloßer Machtpolitik, der alle Mittel und Schrecken in Kauf nimmt, um weiter in der Welt zu herrschen.
Die unverbesserlichen Militaristen in Deutschland und Europa sind im vollen Gang. Sie brauchen für ihren verheerenden Größenwahn, dass die Öffentlichkeit das Staatsoberhaupt Libyens dämonisiert. Diese Ewiggestrigen bringen „Menschenrechte“ ins Spiel, als ob sie sie jemals verstanden hätten und achten würden, und das auch noch nach ihren Angriffskriegen gegen den Irak, gegen Jugoslawien und gegen Afghanistan, die nach demselben verlogenen Muster eingefädelt wurden. Manipulation, Lügen und Falschheit sind die verheerenden wiederholten Instrumente der Nahost-Politik skrupelloser Cliquen, die sich zur Schande der ganzen Welt in Europa weiter an der Macht halten können.
Auch in der ARD-Sendung „Anne Will“ am Sonntag 27.2. um 21.45 Uhr wurde der Kriegswahn, der diese Kreise beherrscht, deutlich, als ein CDU-Mitglied in der Talk-Runde verzweifelt und perfid versuchte, dem Publikum die „Menschenrechte“ als rechtliche Basis für die gewünschte militärische Intervention in Libyen zu verkaufen. Die Moderatorin hätte ihn mit der Gegenfrage konfrontieren müssen, wie man einem Übel entgegentreten kann, indem man ein noch größeres Übel provoziert, sogar eine Gewalteskalation. Irak, Belgrad und Afghanistan sind abschreckende Beweise genug. Aber in Deutschland wird aus der Geschichte nicht gelernt und auf dier Vernunft nicht gehört.
Deutschland und Europa offenbaren eine selektive Wahrnehmung, wenn es darum geht, einige Despoten und Autokraten zu akzeptieren und andere ungelegene zurückzuweisen. Diese Doppelzüngigkeit schafft Unglaubwürdigkeit und Misskredit. Warum Libyen und nicht Saudi-Arabien, nicht die Emirate, nicht Bahrain, Oman und Katar, wo Despotismus seit langem mit aller Missachtung von Menschenrechten herrscht, wie weltweit bekannt ist? In allen diesen Ländern demonstrieren die Menschen gegen die Autokraten, die ihre Sicherheitskräfte gegen sie einsetzen, um die Demonstrationen niederzuschlagen. Vor allem in Bahrain wurde auf die Demonstranten mit großer Brutalität geschossen. Aber Monarchen und Despoten sitzen unbeirrt immer noch in ihren Satteln, ohne dass irgendeine Kritik aus dem Westen laut wird. Sogar Bundespräsident Christian Wolff gestattet ihnen ein offiziellen Besuch ab, ohne sich über die getöteten Menschen beunruhigt zu zeigen. Während David Cameron im britischen Parlament offen für einen Bombenangriff gegen Libyen plädiert, bezeichnen die Hilfsorganisationen die humanitäre Lage der Flüchtlinge am Grenzgebiet mit Tunesien als besorgniserregend. Das einzige europäische Land, das sich beeilte, konkrete humanitäre Hilfe zu leisten, ist Italien.
Italien sandte ein Flugzeug voller Güter und Medizin für die Menschen in Not. (ARD-Mittagsmagazin, 1.3.11 um 13 Uhr). Das ist wahrhaftig humanitäre Hilfe. Nicht das, was in der seltsamen Orwell'sche Sprache „humanitärer Hilfe“ heißt, wenn sie militärische Intervention meint. Die Menschen in Libyen wollen sie nicht. Anführer der libyschen Opposition bestehen vor der Presse darauf, dass sie bisher weder mit ausländischen Regierungen Kontakt aufgenommen, noch diese um Hilfe gebeten haben. Eine Einmischung von außen sei „höchst unwillkommen.“ (Meldung von 1.3.11). Stefan Kornelius identifiziert zu recht eindeutig diese klare Ablehnung der Opposition als ernstes Hindernis für eine militärische Einmischung: „Die sogenannte Übergangsregierung in Bengasi wünscht keine ausländischen Soldaten im Land.“ („SZ-Kommentar: „Virtuelles Lufthoheit“-1.3.11). Umso desinformativer wirkt die lange Chronik von Tomas Avenarius: „Schwache Krieger“ vom 2.3.11, in der sich der Journalist in einer inkorrekten Darstellung verliert, um den kriegerischen Verfechtern der „Menschenrechte“ den Boden zu bereiten, denselben Neokonservativen, die den israelischen Krieg gegen die Palästinenser in Gaza 2008/2009 unterstützten.
Zuvor hatte bereits Russlands Ministerpräsident Vladimir Putin den Westen vor der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der arabischen Länder gewarnt und davor, ihnen jene westliche Version von „Democracy“ überzustülpen. „Es ist noch nicht lange her, als unsere Partner demokratische Wahlen in Palästina unterstützten. Und die Hamas gewann. Sofort erklärten sie die Hamas zu einer terroristischen Organisation, um sie seither zu bekämpfen. Wir müssen den Menschen eine Chance geben, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, sie müssen ihren Weg gehen, ohne ausländische Einmischung.“ So Putin nach Gesprächen mit der EU am 25.Februar. Aber darüber ist von Tomas Avenarius kein Gedanke zu lesen.
Sind Bomben und menschliche Vernichtung alles, was Europa, was Deutschland zu bieten hat? Wer sind die Psychopathen? Kein ZDF-Spezial oder ARD-Spezial über die menschliche Not und die dringliche Hilfe, um die Regierung unter Druck zu setzen, damit umgehend den Flüchtlingen in Not richtig geholfen wird. Taub und blind verschieben die Bundesregierung und Europa bis auf Italien jede menschliche Reaktion auf später.
Die EU sollte sofort dafür eintreten, dass endlich mehr Flüchtlinge aufgenommen werden und endlich Waffenexporte, nicht nur nach Libyen, sondern in den gesamten Nahen Osten nicht mehr stattfinden. Menschen in Not brauchen keine Waffen, sondern Unterkunft, Nahrungsmittel und Medizin.
Deutschland entdeckt plötzlich das Völkerstrafrecht und plädiert einseitig und selektiv dafür, das libysche Staatsoberhaupt vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen. Grundsätze des Strafrechts bleiben auf der Strecke und die Doppelzüngigkeit Deutschlands wird offenkundig. Gegen Libyen gibt es bisher keine Untersuchung, keinen institutionellen Report, keinen institutionellen Bericht, wie im Fall Israels. Demokratien, nicht Diktaturen, haben in den letzten Jahrzehnten die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Verbrecher sind allgemein ohne Unterschied vor Gericht zu stellen, auch wenn sie aus angeblich demokratischen Ländern stammen, wie George W. Bush, Cheney, Rumsfeld, Netanjahu und andere.
Wie hat Berlin seine Verpflichtung in Bezug auf den Goldstone-Report der Vereinten Nationen erfüllt, der Israel für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza stark verurteilt und aufgrund dessen empfiehlt, die israelischen Verbrechen vor dem Strafgerichtshof in den Haag zu behandeln? Wieso fällt Europa über Nacht über Gaddafi her, nachdem es ihn jahrelang hofierte? Ein Schweizer Journalist hat diese Frage am 27.2. bei Anne Will auf den Punkt eindeutig und seriös gestellt. Diese Frage steht weiterhin unbeantwortet im Raum.
Gravierende Defizite bei Menschenrechtsverständnis und Völkerstrafrecht sind bei der Bundesrepublik Deutschland offenkundig. Durch eine Entschließung des Europäischen Parlaments (10.3.2010) wurde die Bundesregierung aufgefordert, unabhängige Ermittlungen über mögliche Verletzungen des humanitären Völkerrechts bzw. internationaler Menschenrechtsvorschriften ebenso nachdrücklich zu unterstützen. Die Bundesregierung solle dafür sorgen, dass der Weltsicherheits-rat zwei entsprechende Resolutionen der UN-Vollversammlung implementiert. Wenn innerhalb der gesetzten Fristen keine unabhängigen, effektiven, glaubwürdigen und internationalen Standards entsprechenden Untersuchungen in Israel und im palästi-nensischen Gebiet durchgeführt werden, ist die Angelegenheit dem Ankläger des Internationalen Strafgerichts vorzulegen. So die Empfehlungen der Goldstone-Untersuchungskommission der Vereinten Nationen an den Sicherheitsrat. Ihr Report liegt inzwischen auch in deutsche Sprache vor.
Israels Besatzung in Gaza hält faktisch an – nicht nur mit der aufrecht erhaltenen Blockade des Gebiets, sondern auch mit einer systematischen Politik der fortschreitenden Isolierung und Abriegelung des Gaza-Streifen. Israels hat jede Kooperation für die Untersuchung der Kriegshandlungen abgelehnt. Es tat bisher alles, um die Untersuchungen zu behindern und sein militärisches wie sein politisches Vorgehen zu rechtfertigen. Die Goldstone-Kommission wurde von keinem israelischen Regierungsvertreter empfangen, wichtige Dokumente wurden nicht bereitgestellt, notwendige Befragungen scheiterten am verwehrten Zugang zu einer israelischen Nicht-Regierungsorganisation wie zu den palästinensischen Behörden in der Westbank. Zudem verbietet es ein nachträglich verabschiedetes Gesetz, dass Soldaten über die begangenen Verbrechen reden. Soweit zur einzigen „Demokratie“ im Nahen Osten: Israel. Kein Land ist dazu legitimiert, Verbrechen zu begehen, indem es sich anmaßt, straflos davon zu kommen. Der UN-Sicherheitsrat kann internationale Haftbefehle für alle Kriegsverbrecher ausstellen und die Überstellung an das Internationale Strafgericht veranlassen, wenn Untersuchungen und Beweise dafür vorliegen, wie im Fall Israels. Dagegen haben im Fall Libyen keine Untersuchungen stattgefunden, kein Bericht, kein Report liegt vor.
Die Bundesregierung entdeckt aber erst jetzt das Weltstrafgesetzbuch. Selektiv und tendenziös in Bezug auf Libyen scheint sie bereit, es anzuwenden, ohne Report und ohne Untersuchung. Was für eine Gerechtigkeit ist die deutsche Gerechtigkeit? Immer noch eine Lynchjustiz? Nicht einmal ist die eigene deutsche Bundesanwaltschaft veranlasst worden, tätig zu werden, und wenn es der Bundesregierung unbequem ist, erdreißt sie sich, sie zu torpedieren und zu bremsen, wie beim Massaker am Kundus (4.9.2009) und bei der menschlichen Katastrophe in Duisburg (Juli 2010). Diese Straftaten aufklären zu lassen, ist die Bundesregierung allerdings politisch prinzipiell ebenso wenig bereit wie die Regierung in Tel Aviv zur Aufklärung der eigenen Kriegsverbrechen. Soweit der Rechtsstaat Deutschland.
Russland hat der Resolution für Sanktionen gegen Libyen im Sicherheitsrat (26/27.2.) zugestimmt, nachdem es gelang, die ominöse Phrase „notwendige Maßnahmen zu ergreifen“, um sie umzusetzen, zu streichen. Die Erfahrung mit früheren Resolutionen wie zum Irak als die „notwendigen Mittel“ zur militärischen Gewalttätigkeit führten, also die Resolution mit einer derartigen Phrase völkerrechtswidrig gegen Geist und Buchstaben der UN-Charta ausgelegt wurde, ist eine Warnung für die Weltstaatengemeinschaft. Zu viele Medien und Politiker identifizieren sich noch immer mit dem alten Denken im Westen, den Krieg und militärische Interventionen zu rechtfertigen. Insofern hat sich Deutschland trotz aller seiner jüngsten Grausamkeit nicht verändert.
Botschafterin Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait



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