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Libyen und die Vorstellungen des Westens

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Von Brigitte Queck am 22. Februar 2011 20:40:19:

Was wird aus Libyen? Dass dort ein Volksaufstand gegen einen „grausamen Diktator“ stattfindet, der im Namen der Demokratie gestürzt werden muss, ist als Antwort zu einfach

Aus Libyen gibt es unterschiedliche, teils sich widersprechende Informationen, über den Ablauf der gegenwärtigen Ereignisse. Anfänglich war von Demonstrationen gegen Gaddafi die Rede, gegen die die Polizei und das Militär mit harten Maßnahmen vorgegangen sein sollen und weiter vorgehen würden. Das scheint aber die Regierung in Tripolis nach den aus Libyen derzeit vorliegenden Meldungen in den Griff zu bekommen. Wichtig wird es aber sein, wie sich Regierungen von Nachbarstaaten wie von Algerien, Ägypten, dem Sudan, Niger, des Tschads, auch die arabische Liga, zu Libyen verhalten.
Der Schwerpunkt eines sog. Aufstandes lag zunächst in Bengasi in Ostlibyen. Dann wurden Demonstrationen auch in der Hauptstadt Tripolis und anderen Städten gemeldet. Die westlichen Medien haben dann am 21. Februar bewusst die Lage für die Gaddafi-Regierung als schon verloren hingestellt. Ganze Militärverbände seien zu den Aufständischen übergelaufen, hieß es. Einen Tag später, am 22. Februar, musste man dann einräumen, dass der Kampf der Gaddafi-Anhänger und der Gaddafi-Gegner noch unentschieden sei. Man sprach aber weiter von der exzessiven Gewalt der Sicherheitskräfte und des Gaddafi-treuen Militärs. Das Regime ginge mit äußerster Brutalität gegen das Volk vor. Militärs hätten mit Maschinengewehren in demonstrierende Mengen geschossen, sogar die Luftwaffe habe man gegen unbewaffnete Demonstranten eingesetzt, vermeldeten westliche Medien.

Eine über Radio und Fernsehen übertragene Rede des Sohns von Gaddafi, Saif al–Islam, stellte den Sachverhalt dann am 21. Februar differenzierter dar. Er sagte, dass das libysche Revolutionsführer Muammar al- Gaddafi und das libysche Volk bis zum Ende kämpfen, um die Sicherheit und Souveränität Libyens auch künftig zu gewährleisten und sich nicht ergeben werden. Libyen sei nicht Tunesien oder Ägypten. Saif al–Islam sagte, dass sein Vater weiter im Lande ist und die Unterstützung der Armee hat, die ihn weiter als den „Führer der Schlachten“ sieht. In Tripolis hätten sich Zehntausende von Libyern versammelt, die Gaddafi und das Land verteidigen. Saif al–Islam gab zu, dass die Polizei und das Militär auf die Ereignisse zunächst unvorbereitet gewesen seien, sie seien auch nicht für einen Kampf mit Demonstranten ausgebildet, erklärte er. Er gab ferner zu, dass Aufständische die Kontrolle über einige Militärbasen im Osten des Landes im Raum Bengasi übernommen und sogar Waffen und auch Panzern erbeutet hätten. Die in Westmedien angegebenen Opferzahlen seien jedoch weit übertrieben, sagte er.
Für die Unruhen machte er ausländische Dienste verantwortlich. Die libyschen Sicherheitskräfte hätten zahlreiche Personen gefangen genommen, die aus dem Ausland nach Libyen eingedrungen wären, darunter auch Leute aus afrikanischen Nachbarländern, die im Auftrag reicher Geschäftsleute Unruhen stiften sollten. Das rufe den Verdacht hervor, dass hier eine Militärintervention oder sogar ausländische Aggression unter dem Deckmantel eines Volksaufstands getarnt werden soll. Der Interventionscharakter könne bald noch klarer werden. Falls das so wäre, hätte es natürlich auch der deutsche Außenminister Westerwelle am liebsten, wenn das libysche Militär auf jede Gewalt verzichtet, dass heißt, gleich kapituliert. So haben es Aggressoren in der Geschichte immer schon gerne gesehen, wenn man sich selbst die Hände nicht schmutzig zu machen braucht.

Saif al–Islam räumte ein, dass sich das Land gegenwärtig in einem großen Chaos befindet und auch separatistische Bewegungen die Einheit des Landes bedrohen. Libyen solle in einige kleinere Staaten aufgespalten werden, sagte er. Nun, in punkto Spaltung Rohstoff reicher Länder haben die Imperialisten ja bereits Erfahrung. Man denke nur an Jugoslawien bzw. den Sudan. Aus diesem Grunde wäre es auch nachvollziehbar, dass die Westmächte, allen voran die USA und Großbritannien, sich auch von einer Spaltung Libyens eine bessere Ausgangsposition für die Ausbeutungsmöglichkeiten der reichen Erdöl- und Erdgasvorräte erhoffen. Wie im Sudan will man offensichtlich auch aus den erdöl- und erdgasreichen Gebieten Libyens eigene Staaten machen. Offenbar erwarten die Monopole die Übertragung des Eigentums an den Erdöl- und Erdgasquellen sowie der Erdölindustrie (es gibt auf diesem Gebiet zahlreiche Rückübertragungsansprüche) vor allem an britische und US-amerikanische Konzerne. Libyen gehört zu den größten Erdölförderländern der Welt.
95 % der libyschen Staatseinnahmen stammen aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft. Da möchte man sich natürlich im Interesse des Westens allzu gerne des auf die Souveränität seines Landes bedachten Revolutionsführers, als der Gaddafi in der arabischen Welt nach wie vor gilt, entledigen. Unter der Führung von Gaddafi wurde im Jahre 1969 Libyen von der neokolonialen Herrschaft des Statthalter-Königs Idris befreit.

Gaddafi ist dem Westen wegen seiner antiimperialistischen Haltung ein Dorn im Auge, eine Haltung, die er beibehalten hat, obwohl er in letzter Zeit westlichen Regierungen große Zugeständnisse bezüglich Erdöl- und Erdgaskonzessionen, in der Frage des Verzichts auf Atomwaffen, von chemischen und biologischen Waffen, aber auch in der Frage der sog. Terrorismusbekämpfung, gemacht hat.
Sicherlich ist er dem Westen hier zu weit entgegengekommen, denn er hätte wissen müssen, wenn man diesen Staaten den kleinen Finger reicht, dann nehmen sie gerne gleich die ganze Hand. Schließlich begnügt sich das Geld- und Finanz-Kapital nie mit Halbheiten.

Saif al–Islam sagte in seiner Rede auch, dass man in den nächsten Tagen einen Reformplan für das Land vorstellen will, den er „historische Initiative des Volkes“ nannte. Vorgesehen seien auch Verfassungsänderungen. Schon am Montag, denn 21. Februar 2011, diskutierte der Große Volkskongress ein Reformprogramm. Die Regierung erhöhte die Löhne, Renten und andere Sozialeistungen.
Zu bemerken ist, dass in Libyen schon jetzt ein großer Teil der Einnahmen aus den Erdöl- und Erdgasexporten für relativ sehr hohe Lohn- und Rentenzahlungen sowie Sozialleistungen ausgegeben wird. Medizinische Leistungen werden sogar unentgeltlich gewährt. So erhalten auch Arbeitslose reichliche staatliche Unterstützungen, wenn sie libysche Staatsbürger und - bürgerinnen sind.
Sollte es - wenn es nach den Wünschen des Westens, vor allem den USA ginge- Libyen von ihnen vereinnahmt werden, würde Libyen, wie der Irak nach der NATO-Aggression 2003, in ein Land armer Leute verwandelt werden.
Die Bevölkerungszahl Libyens wird mit etwa 6,5 Mio. angegeben.
Die starken illegalen Immigrationswellen aus dem südlichen Afrika und Ägypten zielen nicht alle auf Transitmöglichkeiten nach Europa ab. Viele der Migranten erhofften sich bislang, in den Genuss der relativ hohen Löhne in Libyen zu gelangen oder an den üppigen Sozialeistungen des libyschen Staates partizipieren zu können.

Wenn erst einmal westliche Firmen die Vollkontrolle über die Erdöl- und Erdgasindustrie übernähmen, würde eine Verwendung dieser Einnahmen für den Volkswohlstand natürlich entfallen. Die Profite würden in Gänze den Erdölmagnaten und den Finanzoligarchen zufließen. Finanzoligarchen sind grundsätzlich gegen Sozialsysteme, weil das den Maximalprofit schmälert. Über diese Konsequenz einer eventuellen Entwicklung der Ereignisse im eigenen Lande ( mit anderen Worten einer Unterwerfung des libyschen Volkes unter die Wertevorstellungen westlicher Demokratie, von Clinton, Westerwelle und Merkel bereits angeboten !!) muss sich das libysche Volk natürlich auch im Klaren sein.
Im Klaren müssen sich auch Länder wie Italien, Deutschland, Frankreich und Spanien über die Folgen eines politischen Umsturzes in Libyen sein, das ihnen bis jetzt zu günstigen Konditionen Erdöl und Erdgas lieferte.

Es geht also bei Weitem nicht nur um eine drohende Flüchtlingsschwemme aus Afrika. Derzeit gehen 40 % der Erdöl- und Ergasexporte Libyens nach Italien, 13 % gehen nach Deutschland, 8 % nach Frankreich und 7 % nach Spanien. Geriete die Erdöl- und Erdgasindustrie in die Verfügungsgewalt vorwiegend US-amerikanischer und britischer Erdölmonopole, wie das geplant ist, würden die günstigen Lieferkonditionen für diese Länder entfallen.
Der lachende Dritte wäre im Falle einer so genannten „Übernahme westlicher Demokratievorstellungen“ in Libyen, wie so oft, die USA, was im Folgenden auch auf eine Schwächung Europas als Ganzes hinausliefe.
Darauf wird auch seitens der libyschen Regierung hingewiesen.

Politischer Wandel im Namen „westlicher Demokratie“ entspricht in Wirklichkeit immer den Maximalprofitinteressen der großen Erdöl- und Erdgasmonopole, den Finanzoligarchen des Westens und wäre auch für Libyen sicherlich keine dem Volke dienende Alternative.
22. Februar 2011
Hans-Jürgen Falkenhagen/Brigitte Queck

Quellen u.a.:
http://wyborcza.pl/1,75248,9139407,Syn_Gadafiego__Libia_to_nie_Tunezja_czy_Egypt__Wladzy.html



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