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Belarus vormalige Umsturzpläne des Westens

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Von Brigitte Queck am 30. Januar 2011 18:03:07:

Präsidentenwahl in Weißrussland und westliche Umsturzpläne

Die Belorussische Telegraphenagentur „Novosti Belarus“ hat am 21. Januar 2011 unter dem Titel „Hinter den Kulissen einer Verschwörung. Einige Materialien zu den Ereignissen des 19. Dezembers 2010“ Details eines aufgedeckten Umsturzplanes, genannt „Strategie des Sieges“ veröffentlicht (s http://www.belta.by/ru/all_news/news-press/Za-kulisami-odnogo-zagovora-Nekotorye-materialy-o-sob....). Die in Belarus ansässigen Verfasser des Umsturzplanes waren Andrej Sannikow und Frau I. Chalip. Der Plan wurde ins Ausland mit Schwerpunkt Polen und Deutschland weitergeleitet, wo nach Beratung, Prüfung und Einarbeitung zusätzlicher Maßnahmen angeforderte Geldmittel und Organisationsmittel zur Verfügung gestellt wurden. Er umfasst den Zeitraum von August 2009 bis Februar 2011 mit 4 Teiletappen und sah exakt getimte Aktionen (Wahlversammlungen, soziale und politische Protestversammlungen und andere Manifestationen bis zu politischen Massenprotestaktionen, Meetings von Aktivisten, Unterschriftensammlungen für Gegenkandidaten zu Lukaschenko, Meinungsumfragen, Konzerte und andere Musikveranstaltungen, Dichterlesungen, Schulungen u.ä. mit klaren Anti-Lukaschenko-Aussagen, Wahlplakataktionen mit sozialen und politischen Losungen sowie den Einsatz von verschiedenen Medienmitteln gegen Lukaschenko vor. Vor dem Termin der Präsidentschaftswahlen sollte die Bildung von bis zu 450 Aktivistenstäben erfolgen. Dann sollten bei einem Wahlsieg von Lukaschenko verstärkte soziale und politische Proteste der Bevölkerung, usw. organisiert werden, die dann in gewaltsame politische Massendemonstrationen umschlagen sollten. Vorgesehen wurden des Weiteren eine spezielle Studentenbewegung, Bewegungen der Arbeiterklasse, der Staatsangestellten und Soldaten, die spezielle politische und soziale Forderungen geltend machen sollten. Es sollten Streiks in verschiedenen Formen bis zur Form eines Generalstreiks organisiert werden.
Die Bewegung von Sannikow sollte sich auf ein freiwilliges nationales Netz von Unterstützern in den 17 größten Städten von Belarus stützen. Vorgegeben wurden Mindestzahlen von Teilnehmern. An die gebildeten zentralen und regionalen Arbeitstäbe und Helfergruppen wurden klare Orientierungen vorgegeben. Vorgegeben waren u.a. auch Zahlen für das Anwachsen der Bewegung „Europäisches Belarus“ In der 4. Etappe war geplant, dass sie mindestens 100 000 aktive Mitglieder aufweist. Diese Bewegung “Europäisches Belarus“ sollte mindestens 450 Stäbe bilden. Jeder Stab sollte mindestens 10 Wahlabschnitte betreuen. (insgesamt wurden in Belarus für die Präsidentenwahl 4500 Wahlabschnitte gebildet).
Anführer waren an vorderer Stelle der Kandidat der Präsidentschaftswahlen Andrej Sannikow und Alexander Milinkewitsch, der bei früheren Wahlen kandidierte, 2010 aber dann auf die Teilnahme an der Präsidentschaftswahl verzichtete. Ein weiterer Rädelsführer soll der ehemalige Rektor der Belorussischen Staatsuniversität, Alexander Kozulin, gewesen sein.
Wesentliches Element des Plans war, dass unter der Führung von Sannikow die pro-europäische Bewegung „Europäisches Belarus“ mit dem Ziel geschaffen werden sollte, das Regime von Lukaschenko unabhängig vom Wahlergebnis der Präsidentenwahlen am 19. Dezember 2010 zu beseitigen, erforderlichenfalls mit Gewalt, wobei für die Beseitigung von Lukaschenko ein Termin bis 25. März 2011 gesetzt war. (der genaue Wahltermin für die Präsidentschaftswahlen stand nämlich zunächst noch nicht fest).
Festgelegt waren die einzelnen Etappenziele der Kampagnen gegen Lukaschenko und die Finanzmittel, die Sponsoren aus westlichen Staaten, insbesondere Polen und Deutschland, bereitzustellen hatten.
Es gab ein spezielles Budget mit aus westlichen Staaten bereit gestellten Devisenmitteln in US-Dollar und Euro. Allein für die von Andrej Sannikow und Frau Chalip zu organisierende Bewegung waren 20 Millionen US-Dollar vorgesehen, die auch größtenteils ausgezahlt wurden. Für das Sannikow-Chalip-Gespann allein sind 7,730 Mio. US-Dollar und deren Stäbe 4,8 Mio. US-Dollar ausgegeben worden. Im veröffentlichten Plan werden des Weiteren u. a. folgende Zahlen an veranschlagten Mitteln aufgeführt: für Informationsmaterialien und Symbole 800 000 $, die Unterstützung von Partnern (Organisationen, Parteien, SMI) 300 000 $, Protestaktionen 400 000 $, Sammlung von Unterschriften 250 000 $, Bildungsprogramme 180 000 $, Verhandlungen 200 000 $, Fonds zur Hilfe für sog. Repressierte (das waren z. B. Leute, die wegen der Teilnahme an der Bewegung irgendwelche Nachteile erlitten) 300 000 $, Organisierung von sozialen Protesten und Streiks 1 380 000 $, Stäbe (20) 180 000 $, neue Medien 400 000 $, Schaffung und Unterstützung von Internetprogrammen 300 000 $, sog. Negativ-Kampagnen 250 000 $,, Informationsmittel 190 000 $.
Auffällig ist, dass sich die beiden Hauptdrahtzieher des Umsturzes, nämlich Sannikow und Frau Chalip den größten Teil der aus westlichen Ländern gesponserten Gelder in ihre Privatschatullen abzweigten.
Das Ziel der westlichen Sponsoren war, Belarus schnell in die EU und dann in die NATO zu führen.
Die damit im Zusammenhang geplante Gewaltanwendung sollte außer durch Großdemonstrationen u. a. durch große Unterschriftensammlungen eine demokratische Fassade erhalten. Der Öffentlichkeit sollte z. B. für Sannikow in Ratings (Umfragewerten vor allem westlicher Agenturen !) eine Zustimmungsrate der belorussischen Bevölkerung von 60 % vorgegaukelt werden.

Eine wesentliche Komponente des Umsturzplanes war die Anwendung von Waffengewalt. Dazu sollen sich einige Militärs bereit erklärt haben, voran der belorussische Luftwaffenchef Igor Azarenok, der inzwischen seiner Funktion entbunden und verhaftet wurde. Er soll bereit gewesen sein, Einheiten der belorussischen Luftwaffe und Luftlandetruppen für die militärische Absicherung eines Umsturzes einzusetzen. Es wurden geheime Waffenlager mit russischen Waffen angelegt. Sie sollten bewusst keine Waffen aus NATO-Länder enthalten.

Überraschend war bei der Aufdeckung der Verschwörung gegen den rechtsmäßig und mit fast 80 % der abgegebenen Stimmen bei über 90 prozentiger Wahlbeteiligung, gewählten Präsidenten, dass der Hauptanführer der Verschwörer ein Präsidentschaftskandidat, nämlich Sannikow war, der im Wahlkampf scheinbar mehr auf Russland als auf den Westen setzte. Er war parteilos und fungierte zunächst nur als politischer Beobachter einer Zeitung. An seiner Seite befand sich auch der Präsidentschaftskandidat Neklajew, ein Poet, der im Wahlkampf als ein eher auf Russland orientierter Politiker auftrat. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Letztere gegen das Wahlergebnis in Belarus auftraten, während vorher prononciert auf den Westen orientierte Kandidaten wie Romanschuk das Wahlergebnis sofort akzeptierten.

Der Plan, in Belarus einen Staatsstreich zu organisieren, erscheint extrem abenteuerlich und von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn er nicht auch in Russland Unterstützung gefunden hätte. Das nährt die Spekulation, dass ein Teil der russischen Führung, insbesondere Staatspräsident Dimitrij Medwedjew, daran interessiert gewesen waren, dass Lukaschenko nicht die Wahlen gewinnt, bzw. dann, als sich der Wahlsieg Lukaschenkos abzeichnete, auf seinen gewaltsamen Sturz hinarbeiteten. Stimmt diese Hypothese und wurden die Mittel und Gelder für den Umsturz aus Polen und Deutschland tatsächlich bereitgestellt, so müsste es zu einer Absprache zwischen westlichen Politikern und eben diesen Kreisen um Medwedjew gegeben haben, Lukaschenko erforderlichenfalls gewaltsam zu stürzen, wobei organisierte und zum Teil bezahlte Demonstranten nur als Fassade zu dienen hatten, um der Sache den Charakter einer Neuauflage der „orange Revolution“ in Kiew 2004 zu verleihen.
Andere meinen, dass die Orientierung auf Russland in den Wahlaussagen oder eine Haltung (hin zu Europa und zu Russland als Teil Europas) nur eine raffinierte Täuschung gewesen seien. Das kann durchaus wahr sein. Aber warum brach dann die Verschwörung schnell in sich zusammen? Warum kamen die Militärs um Generalmajor Igor Azarenok, dem inzwischen abgesetzten und verhafteten belorussischen Luftwaffnchef, nicht zum Zuge ? Mit westlicher und zugleich russischer Unterstützung wäre ihnen der Sieg quasi in den Schoss gefallen. Warum kam es aber anders? Natürlich, hat Lukaschenko recht. Für eine Volksrevolution gegen ihn gab und gibt es keine Basis im belorussischen Volk. Aber für das Gelingen eines Militärputsches braucht eine Massenbasis im Volk nicht zwingend notwendig zu sein, wie Chile beim gelungenen Militärputsch gegen Allende gezeigt hat. Richtig ist auch, dass die Lukaschenko-Leute getäuscht werden sollten, aber sich sicherlich nicht täuschen ließen und das Ränkespiel rasch durchschauten. Aber auch das hätte nicht ausgereicht, um den Militärputsch zu vereiteln. Auch Sanktionen gegen Weißrussland wären politisch und wirtschaftlich ein reines Eigentor für die EU, wenn man da nicht von einer Unterstützung durch Russland hätte ausgehen können oder nach wie vor ausgeht..

Das nährt die Hypothese, dass auch russische Militärs um Medwedjew den Sturz von Lukaschenko zeitweilig unterstützten und dazu auch ihre verlängerten Arme in Minsk wie durch den Generalmajor Igor Azarenok einsetzten. Fakt ist auch, dass der russische Präsident Dimitrij Medwedjew schon lange vor dem 19. Dezember 2010 aus seiner Antipathie gegen Lukaschenko keinen Hehl gemacht hat. Es gab seitens Dimitrij Medwedjews mehrere Affronts gegen Lukaschenko, die auch über die Massenmedien vermittelt wurden. So nahm Dmitrij Medwedjew an der Inaugurationsfeier zur Amtseinführung Lukaschenkos am 21. Januar 2011 nicht teil, obwohl sich das eigentlich als Freundschaftsgeste an seinen Präsidenten-Partner in der russisch-belorussischen Union so gehört hätte.
Die oben genannte Hypothese wird auch durch den Fakt untermauert, dass große Teile der russischen Medien zeitweilig auf Anti-Lukaschenko-Kurs gegangen sind.

Es muss aber auch die andere Hypothese stimmen, dass dann letztlich russische Politiker um Ministerpräsident Putin die Organisierung des Umsturzes in Belarus rechtzeitig verhinderten. Putin und seine Leute sollen es dann gewesen sein, die das Gelingen des Umsturzes zum Scheitern brachten, denn an Putin führt auch im russischen Militär und Geheimdienst kein Weg vorbei. Dimitrij Medwedjew ist nur formal der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte. Er steht nur formal über den russischen Geheimdiensten. Putin als Regierungschef hält hier allein die Fäden in der Hand.
Mit dem Machterhalt von Lukaschenko gewann das Putin-Lager in Russland einen wichtigen Punktesieg, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der belorussische Präsident einer den beiden gleichberechtigten Co-Präsidenten der russisch-belorussischen Union ist. Lukaschenko ist ein Mann Putins und würde diesen auch 2012 unterstützen, wenn er sich erneut um das Amt des russischen Präsidenten bewirbt. Putin erklärte auch demonstrativ, dass Russland Belarus weiter als einen strategischen Hauptpartner ansieht und fest entschlossen ist, es politisch und wirtschaftlich zu unterstützen u. a. durch gewaltige Preisnachlässe bei Erdöl- und Erdgaslieferungen.
Lukaschenko hat auch von der VR China eine enorme Aufstockung der Wirtschaftshilfe an sein Land erfahren. Belarus baut zudem seine Zusammenarbeit mit Ländern wie der Ukraine, den Iran und Venezuela weiter aus. Aber auch weitere Staaten drängen in das Vakuum, das durch eventuelle verschärfte EU-Sanktionen gegen Belarus entstehen könnte. Sanktionen des Westens gegen Belarus werden sich deswegen, sollten sie ergriffen werden, als Schlag ins Leere erweisen. Sie würden, falls sie, wie angedroht, in Kraft träten, der EU gewaltigen ökonomischen Schaden zufügen, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass Belarus auch ein wichtiges Transitland zu Russland und weitere Länder des Ostens ist und auch die Ukraine unter Janukowitsch Lukaschenko unterstützt, sogar mehr als es die EU-Ländern und die USA vermuten. War nicht Janukowitsch selbst 2004 das Opfer einer vom Westen inszenierten bunten Revolution, der so genannten „orange Revolution“?

Warum aber hat das Lukaschenko in seinen Reden im Zusammenhang mit seiner Amtseinführung als neu gewählter belorussischer Präsident nicht expressis verbis so dargestellt? Er hat im Wesentlichen nur Polen und Deutschland als die westlichen Hauptorganisatoren und Hauptfinanziers des Umsturzes genannt. Er hat Sannikow einen Umstürzler im westlichen Interesse genannt. Nun, er wollte damit wahrscheinlich den Konflikt zwischen Putin und Medwedjew, der angespannt genug ist, nicht weiter hochpeitschen, weil Medwedjew seine Amtszeit als russischer Präsident 2012 regulär beenden soll. Man will in Russland wegen des dadurch ausgelösten internationalen Aufsehens kein Impeachmentverfahren der russischen Staatsduma gegen Medwedjew, provozieren und das Ansehen Russlands nicht unnötig belasten.
Die oben dargestellte Hypothese kann natürlich auch als Spekulation bezeichnet werden. Sicher aber ist, dass Dimitrij Medwedjew den besonders im letzten Jahr gewonnenen Machtgewinn wieder verloren hat.
Sein Ansehen hatte schon durch sein Versagen zu Beginn des Georgienkrieges schwer gelitten, als er am Tage des Überfalls der georgischen Streitkräfte auf Südossetien im Urlaub in Sotschi verblieb, und es Putin war, der im Sonderflugzeug von Peking aus, wo er sich zur Eröffnung der Olympischen Spiele befand, an die nordossetische Front flog, um dort den Gegenangriff der russischen Streitkräfte zu organisieren, durch den dann Georgien schnell eine schwere militärische Niederlage erlitten hatte und in ein Debakel getrieben wurde, aus dem es erst Dimitrij Medwedjew wieder rausriss, indem er schließlich den auf Tiflis unaufhaltsam vorstoßenden russischen Streitkräften den Rückzugsbefehl erteilte.
Dimitrij Medwedjew hat sich, obwohl er einen Großteil der russischen Presse hinter sich hat, auch durch seine unbedachten Attacken gegen die Partei der Zwei Drittel Mehrheit in der Staatsduma, der Partei „Einheitliches Russland“ und gegen die Kommunisten selbst, schwer geschadet. Er ging zu früh aus seiner Deckung und zeigte zu früh sein neoliberales und antinationales Antlitz. Medwedjew steht auch nicht für die Hauptreligion der Russen, das orthodoxe Christentum, ein.
Auch die Attacken von Präsident Dimitrij Medwedjew gegen die russischen Sicherheitskräfte nach dem Bombenattentat am Moskauer Flughafen Domodedowo am 24. Januar 2011 und die gegen sie erhobenen Beschuldigungen, sie hätten Russlands Sicherheitsinteressen sträflich vernachlässigt und ungenügende Kontrollen verschuldet, machten dem russischen Volk die Widersprüchlichkeit der Person Dimitrij Medwedjew erneut deutlich.
Dimitrij Medwedjew hatte nämlich vorher über lange Zeit in umgekehrter Weise die Sicherheitskräfte, insbesondere das Innenministerium, beschuldigt, sie würden ihre Kompetenzen nicht entsprechend den Regeln der demokratischen Rechtsstaatlichkeit ausüben. Sicherheitskontrollen hatte Dmitrij Medwedjew als Schikanemaßnahmen bezeichnet. Er forderte mehr Transparenz und Liberalität bei Kontrollen und Überwachungen sowie generell den Abbau von Bürokratie im Sicherheitsapparat. Vor allem verunsicherte er die Mitarbeiter der Sicherheitsorgane mit seinen kontinuierlichen Ankündigungen von drastischem Personalabbau. Teilweise sind solche Personalabbaumaßnahmen auch schon eingeleitet worden, obwohl es dagegen erheblichen Widerstand in der Putin-Regierung gegeben hat und gibt.

Durch die konträre Haltung zu seinem belorussischen Partner-Amtskollegen Lukaschenko handelte Dimitrij Medwedjew genau genommen den Interessen Russlands zuwider.

Allerdings wirkte und wirkt die Anti-Lukaschenko-Kampagne auch wie eine kurzzeitige Kampagne. Während bis zum 22/23./24. Januar 2011 in den westlichen Medien die Schmähungen gegen Lukaschenko noch überschwollen, hörte und las man ab dem 25. Januar kaum noch etwas über Belarus und Lukaschenko. War es also nur ein Strohfeuer? Nun muss der 31. Januar 2011 abgewartet werden. An diesem Tag sollen nämlich die EU-Außenminister über Sanktionen gegen Belarus beraten und entscheiden. Die Macht von Lukaschenko erscheint aber in Minsk jetzt endgültig gesichert, nachdem der Putschversuch gegen ihn gescheitert ist. Die westliche Kampagne gegen ihn gibt deswegen derzeit nur noch unter dem Aspekt einen Sinn, dass man Dimitrij Medwedjew Rückendeckung geben will, in der Hoffnung, dass sich dieser in der russischen Politik doch noch als die Nummer Eins durchsetzt.

Er ergeben sich in diesem Zusammenhang noch weitere Fragen:
-Warum hat man sich derzeit im Westen gerade Weißrussland (Belarus) für einen Umsturz ausgesucht?
-Glaubte man wirklich, dass sich dort neben Moldawien das schwache Glied der GUS befindet?
-Warum hat man zunächst die Kampagne gegen Janukowitsch in der Ukraine und auch Putin in Russland zurückgestellt, um sie dann umso wirkungsvoller gegen den weißrussischen Präsidenten Lukaschenko entfalten zu können?

Die richtige Antwort ist sicherlich: Man will ein wesentliches Glied aus der GUS herausreißen und den Gliedstaat, der sich westlich vor Moskau befindet, zum NATO-Land machen.

Hier drängt sich ein historischer Vergleich auf.
Die falschen Dimitrijs in der russischen Geschichte

Moskau und damit Russland waren in ihrer Geschichte als Großmacht dreimal von belorussischem Boden aus tödlich bedroht, nachdem Russland unter Zar Iwan IV., genannt Iwan Grosny, (genau übersetzt Iwan der Ehrfurcht, Hochachtung und Respekt Einflößende und Gebietende), zur europäischen und asiatischen Großmacht geworden war. Das erste Mal war es, als das Königreich Polen-Litauen sich nach dem Tode von Zar Iwan IV. im Jahre 1584 daran machte, dem Moskauer Zarenreich den Todesstoß zu versetzen. Damals war der heutige weißrussische Raum, der zum polnisch-litauischen Königstreich gehörte, das unmittelbare Aufmarschgebiet, um Moskau einzunehmen und Russland zu Fall zu bringen. Man begann während der Zeit der Wirren ab 1598 mit der erst verdeckten, dann offenen Aggression gegen das Reich der Moskowiter. Der zweite Versuch wurde bekanntlich von Napoleon I. Bonaparte 1812, der dritte Versuch von Adolf Hitler 1941 unternommen. Wie die beiden Letztgenannten kläglich scheiterten, soll hier nicht weiter ausgeführt werden.
Noch bedrohlicher war aber für Russland die Situation, als die Polen im beginnenden 17. Jahrhundert sich daran machten, Russland zu zerschlagen und in Gänze zu annektieren.
Der polnische König versuchte in dieser Zeit Russland zunächst durch politische Einflussnahme, dann mit Hilfe von politischen Marionetten, untertan zu machen, das aber schon mit starker militärischer Rückendeckung. Und als solche Marionetten erwiesen sich die beiden Dimitrijs, die als falsche Dimitrijs (Pseudo-Dimitrijs) bezeichnet werden

Die beiden auf den russischen Zaren Thron gehievten Pseudo-Dimitrijs (Demetrius oder Demetrii) scheiterten aber.
Wie kam es dazu? Nach dem mysteriösen Tode von Boris Godunow am 23. April 1605 (er soll Opfer eines Giftmordanschlags gewesen sein) wurde zunächst sein Sohn als Fjodor II. von der russischen Bojarenschaft zum Zarennachfolger gewählt. Dieser litt aber, wie schon sein Vater, unter Legitimationsproblemen, zumal immer noch Gerüchte kursierten, dass der 1591 verstorbene Sohn des immer noch hoch angesehenen Zaren Iwan IV., Dimitrij Iwanowitsch, noch lebte. Dimitrij Iwanowitsch war zum Zeitpunkt des Todes von Iwan Grosny noch minderjährig gewesen.
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Doch wie verhielt es sich mit Dimitrij Iwanowitsch, dem echten Sohn Iwans des IV., in Bezug auf die Zarenkrone?
Offiziell war 1584 der Sohn Iwans IV., Fjodor als Fjodor I., Zar von Russland geworden. Er war aber geistig zurückgeblieben, somit regierungsunfähig und auch schon von Iwan IV. nur als vorübergehender Zar vorgesehen. Der richtige legitime Nachfolger sollte dann der jüngste Sohn von Iwan IV., Dimitrij Iwanowitsch, werden. Bis zu seiner Thronbesteigung sollte der bisherige Zarenberater, Boris Godunow, als Thronverweser (Regent) fungieren. Er war damit auch der Thronverweser für Fjodor I., der regierungsunfähig war und nur formal den Zarentitel bis zur Volljährigkeit von Dimitrij Iwanowitsch tragen sollte. Das entsprach so dem Willen von Iwan IV. Mit dem unerwarteten frühzeitigen Tode beider Söhne Iwan Grosnys kam es aber anders. Da es keinen weiteren legitimen Thronfolger gab, wurde Boris Godunow nach dem Tode von Fjodor I., dem formal fungierenden, aber regierungsunfähigen und kranken Zaren, am 21. Februar 1598 auf dem Semskij Sobor zum neuen Zaren gewählt. Am 1. September 1598 erfolgte dann seine offizielle Krönung zum russischen Zaren. Er war erster Herrscher nach dem Ende des Hauses Rurik. Das nutzten damals die polnischen Pans und die Katholische Kirche geschickt aus. Sie organisierten Kampagnen, dass Boris Godunow illegitimer Zar, Usurpator der Macht und zudem noch der Mörder des jungen Dimitrij Iwanowitsch sei. Sie ließen Gerüchte kursieren, dass Dimitrij Iwanowitsch noch am Leben sei. Das fand zeitweilig auch unter Teilen der russischen Bojaren Anklang.
Boris Godunow verstarb, wie gesagt, unerwartet im April 1605. Todesursache soll Gift gewesen sein, das von Polen an den russischen Zarenhof geschmuggelt worden war. Sein Sohn Fjodor Borissowitsch scheiterte an Legitimationsproblemen. Die Bojaren verweigerten Fjodor Borissowitsch als Fjodor II.. die Krönungszeremonie. Am 1. Juni 1605 trafen Gesandte des Pseudo-Dimitrijs in Moskau ein, die die Beseitigung von Fjodor Borissowitsch forderten. Fjodor II. wurde daraufhin von unzufriedenen Bojaren verhaftet und kurze Zeit später am 10. Juni 1605 erdrosselt.
So gelangten unter dem Vorwand des angeblich noch lebenden Dimitrij Iwanowitschs , der behauptete, der legitime Sohn Iwans IV. zu sein, nacheinander zwei Pseudo-Dimitrijs (falsche Dimitrijs) auf den russischen Thron, die in Wirklichkeit von Polen geschickte und eingesetzte Satrapen waren. Sie waren nicht einmal echte Russen, sondern eingebürgerte Polen, auch wenn sie auf russischem Boden geboren worden sind, und auch keine orthodoxen Christen, sondern Katholiken. Sie konnten sich aber tarnen, da beide gut Russisch sprachen und ihnen auch russische Rituale gut beigebracht worden waren.
Die Geschichtsbücher weisen die beiden falschen Dimitrijs als Pseudo-Dimitrij I und Pseudo-Dimitrij II aus.
Unterstützt von polnisch-litauischen Truppen und der katholischen Kirche gelange der falsche Dimitrij I im Auftrag des polnischen Königs Sigismund III. am 21. Juli 1605 auf den Zarenthron in Moskau. Relevante Adelskreise Russlands kamen aber schnell hinter den Betrug. Durch eine durch den russischen Fürsten Wassili Schuiski angezettelte Revolte wurde Dmitrij I am 17. Mai 1606 anlässlich seiner Hochzeit mit Marina getötet. Seine Leiche wurde verbrannt und die Asche soll mit einer Kanone in Richtung Polen verschossen worden sein. Wassili Schuiski wurde nun russischer Zar.
Als Schuiski als Wassili IV. noch als Zar amtierte, wurde auf Betreiben des polnischen Königs und der Katholischen Kirche der Pseudo-Dimitrij II Herrscher über weite Teile Russlands. Er betitelte sich als legitimer russischer Zar, obwohl es ihm nur gelang, in Tuschino, einem Vorort von Moskau, Hof zu halten.
Schuiski - Wassili IV. rief als in Moskau amtierender russischer Zar nach einer offenen militärischen Intervention Polens die Schweden zur Hilfe. Zar Schuiski-Wassili IV konnte die Polen aber nur zeitweilig zurückdrängen und den Peudo-Dimitrij II entmachten, der nach Kaluga floh, wo er am 11. Dezember 1610 getötet wurde.
Schuiski regierte als Wassili IV. noch bis 1610 weiter, das aber unter schweren Bedingungen. Er musste sich der massiv militärisch angreifenden Polen erwehren und hatte noch mit dem Bauernaufstand Bolotnikows zu tun. Zar Schuiski war letztlich zu schwach, wozu auch der Bauernaufstand im eigenen Land beitrug. Auch der militärische Beistand der Schweden erwies sich als nicht ausreichend und letztlich trügerisch. 1610 wurde das russische Heer von polnischen Truppen geschlagen. Schuiski-Wassili IV. wurde gefangen genommen.
So konnte der polnische König seine Macht unmittelbar in Moskau etablieren. Russland drohte der Untergang und es befand sich de facto schon im Untergangsprozess.

Das Wunder der Rettung des russischen Reiches bestand darin, dass zwei Männer, die in der russischen Gesellschaft bis heute hoch verehrt werden, (eins der zahlreichen Denkmäler für sie befindet sich in Moskau auf dem Roten Platz vor der Basilius-Kathedrale ) den russischen Abwehrkampf organisierten. Es waren der Großfürst Dimitrij Michailowitsch Poscharski und der Kaufmann Kusma Minin. Sie stellten mit starker Unterstützung des Volkes ein neues modern ausgerüstetes Heer auf. Dieses Herr wurde mit Fug und Recht Volksheer genannt, welches erfolgreich nunmehr den Kampf mit Polen aufnahm. Im August 1612 erlitt das auf Moskau vorrückende polnische Hauptheer eine vernichtende Niederlage und die polnische Besetzung Moskaus wurde durch einen Volksaufstand beseitigt. Die polnische Garnison in Moskau musste sich im Oktober 1612 ergeben.

Damit wurde der Wiederaufstieg Russlands zur Großmacht eingeleitet.
1613 wählten die russischen Bojaren Michail Romanow zum neuen russischen Zaren und es begann die Herrschaft des Adelsgeschlechts der Romanows.
Der Gegenangriff der von Kusma Minin und Dimitrij Michailowitsch Poscharski organisierten Truppen rettete damals Russland vor dem Untergang. Die seit 1599 anhaltende Zeit der Wirren (der Smuta) wurde beendet. Russland eroberte oder gewann mittels Verträgen auch schrittweise die westlichen urrussischen Gebiete bis Ende des 18. Jahrhunderts zurück, die von den Polen annektiert waren.. Das soll aber an dieser Stelle nicht mehr Gegenstand der historischen Betrachtungen sein.

Die Zeit der Wirren (Smuta) hat sich tief in das historische Gedächtnis der Russen eingeprägt.
Interessant ist, dass man derzeit die Zeit der russischen Wirren von damals zu einem Hauptgegenstand historischer Betrachtungen und Vergleiche macht, und das nicht nur in Moskau, sondern auch in Minsk.
Die Zeit der oben dargestellten damaligen Wirren in Russland ähnelt nämlich fatal der Zeit von Gorbatschow und Jelzin. 1985 begann mit der Wahl von Michail Gorbatschow zum Generalsekretär des ZK der KPdSU eine neue Verfallsära nicht nur der Sowjetunion, sondern eben auch Russlands.
Putin erwies sich ab 1999 als der erste Retter Russlands, obwohl dies damals schon seine Supermachtrolle eingebüßt hatte. Dennoch ist das Schicksal Russlands, auch als vorerst gerettete Großmacht, noch nicht entschieden.
Der Westen führt den Kampf zur endgültigen Zerschlagung Russlands offen oder hinter den Kulissen verdeckt unerbittlich weiter. Das beweisen auch die jüngsten Ereignisse in Belarus.

Hans-Jürgen Falkenhagen/Brigitte Queck
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