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Re: Verfassung der Islamische Bundesrepublik Deutschland?

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Von Willi Übelherr am 25. Januar 2011 17:16:25:

Als Antwort auf: Verfassung der Islamische Bundesrepublik Deutschland? von Yavuz Özoguz am 21. Januar 2011 18:25:42:

liebe leserInnen,

nach etwas zögern will ich nun doch den text von herrn özogus diskutieren. auch mit der gefahr, mich etwas in die nesseln zu setzen, da meine herangehensweise in manchen ausprägungen anders gelagert ist.

zunächst unterstütze ich das ansinnen von herrn özogus, sich der frage, wie eine verfassung der BRD aussehen könnte, sich konkret zu nähern. es ist für mich eine selbstverständlichkeit, daß jede person im geltungsbereich der brd-verfasstheit sich auch konstruktiv damit beschäftigen kann und entwürfe generiert. insofern ist das entsetzen von muhammad krüger mit "Nein nein, das geht nicht" völlig unbegründet und entspringt nur seiner begrenzten betrachtung.

bevor ich mich inhaltlich zu einer skizze für eine verfassung äußere, will ich die frage aufwerfen, wofür eine verfassung existiert und vielleicht notwendig bzw. hilfreich sein könnte. hier sehe ich 2 polaritäten oder extremas.

die verfassung ist eine wert- und regelbeschreibung an die bürger gerichtet, um ihnen ihre grenzen aufzuzeigen. also grundsätzlich ist erst mal alles verboten, was aus der menschlichen existenzform entsteht und sukzessive werden nun handlungsräume definiert. vorgärten mit tendenz zum hochsicherheitstrakt. dabei ist immer wesentlich, daß sich eine instanz herausgebildet hat, die für sich den anspruch erhebt, über den verhältnissen zu schweben und den akt der bestimmung ausführen zu können. die legitimationen sind meist tautologisch, also auf sich selbst beziehend und mit sich selbst begründend.

die andere polarität begreift sich als beschreibung der eigenen innerlichkeit an die außenwelt, um jenen außerhalb des geltungsbereichs dieser verfassung deutlich zu machen, nach welchen prinzipien und auf welcher wertgrundlage die menschen im geltungsbereich ihr zusammenleben organisieren. ein derartiger text entsteht aus der manigfaltigkeit der mitglieder, ihrer erfahrungen, visionen und träume, ihres verständnisses von ethisch/moralischen prinzipien und wird dann im gemeinsamen prozess konzentriert und in form gebracht.

daneben haben wir die palette der grautöne, also auf der verbindungslinie zwischen diesen polen. vielleicht habe ich noch einiges übersehen und es bildet sich tatsächlich eine fläche oder räume aus, in dem sich die zwischenlösungen aufhalten.

die meisten verfassungen, die ich kenne, ordne ich dem ersten typ bzw. seiner nähe zu. sind konstrukte der reglementierung und bevormundung und ausdruck einer elitären strukturierung. zwischenorte richtung deomkratischer gestaltung sind die verfassungen der ALBA-staaten wie venezuela, bolivien und ecuador. nur die verfassung von vanuatu und anderen pazifischen kleinststaaten, die ich in auszügen kenne, tendieren in die nähe des demokratischen ausdrucks über ihre innere verfasstheit.

der entwurf von herrn özogus tendiert zum elitenmodell. er setzt auf der konstruktion auf, daß es eine instanz gibt, die über den menschen, ihren beziehungs-mustern und -mechanismen wacht und diese bewertet. daran ändert auch nicht der hinweis auf allgemeine abstimmung, weil die entstehung selbst kein kollektiver akt ist.

diese zuordnung hat auch nichts mit religiöser orientierung zu tun, weil sie in quasi säkularen umgebungen ähnlich anzutreffen ist. nur die begrifflichkeiten ändern sich dann. deshalb nochmals konzentriert: unabhängig, aus welchen philosophischen quellen wir unsere werthaltungen ableiten und ihre theoretische legitimation herleiten. entscheidend sind unsere aussagen zu den verhältnissen der menschen untereinander und zur natur als ganzem.

wie in vielen verfassungen üblich wird von herrn özogus auf den einleitenden kern, auf den zentralen gegenstand gewissermaßen, verwiesen. leider verbleibt er dabei einem ähnlichen missverständnis. es gibt keine absolute würde von menschen. sie entsteht in der interaktion, ist bestandteil eines verhältnisses.

diesem konstrukt stelle ich das konstrukt der gleichwertigkeit entgegen, aus dem auch die gleichrechtigkeit (oder gleichberechtigung) entsteht. es ist das zentrale axiom.

ähnlich wird es von walter dargelegt.
"Deshalb, wie ich im vorigen Schreiben eindringlich erwähnte, ist der Respekt gegenüber dem Anderen, unabhängig zu seiner Konfession, der einzige Garant für eine fried- und liebevolle Nachbarschaft."

ähnlich auch die zentrale aussage jüdischer kultur: tue deinem nächsten nicht an, was dir selbst verhasst ist. ich bin sicher, daß dies auch eine der ethischen grundlagen des islam ist wie dies auch für die wurzeln christlich/jüdischer kultur gilt. in der eurupäischen aufklärung taucht es wieder als der kategorische imperativ auf, den kant als grundlage jeder vernunftgeführten rechtsquelle anwandte.

so wie das verhältnis der menschen untereinander eine zentrale aussage ist, sie den kern unserer beziehungen darstellt, so gilt dies auch für unser verhältnis zur natur. im besonderen zu den anderen tierarten als teil der lebewesen. aus alten dokumenten des arabisch/jüdischen kulturraums vor christlicher zeitrechnung, vcZ, ist der satz bekannt: solange es schlachthöfe gibt, gibt es auch schlachtfelder.

in diesem passus begründet sich eine radikale abkehr von der christlichen legitimation der vernutzung und plünderung der natur. 'mache dir die natur untertan', heißt es da. allerdings entspricht dies nicht den prinzipien der frühen christen und, soweit ich dies sagen kann, auch nicht dem denken früher philosophen des islam.

auch der erste grundsatz bricht mit dem organisierten christentum, notwendig, weil es sich immer als ideologische absicherung elitärer strukturen und damit privater aneignung allgemeiner güter verstanden hat. weil wir so massive brüche in den verschiedenen religionen sehen, ist selbst der versuch, verfassungsgrundsätze aus dem theologischen denkraum abzuleiten, von vornherein zum scheitern verurteilt.

aus dem ersten grundsatz können wir alle konkreten detailaussagen ableiten und wären damit eigentlich nicht weiter notwendig. ebenso gilt dies für ein weiteres verhältnis, dem nach außen, zu unseren nachbarn. nationalstaaten sind nicht legitimierbar; schaden auch nicht, sofern wir die genannten grundsätze für uns anerkennen. wir können sie auch als überbleibsel einer schlimmen phase der menschengeschichte behandeln.

es steht zu erwarten, daß die menschen gerne die deklarationen weiter detailieren möchten. wesentlich hierbei sind immer die grundlagen, über die wir uns orientieren. solange hier keine brüche entstehen, ist jede detailierung möglich. die sinnhaftigkeit ist eine andere frage.

mit lieben grüßen, willi



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