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Re: Tunesien und sein weiterer Entwicklungsweg

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Von Willi Übelherr am 24. Januar 2011 05:09:52:

Als Antwort auf: Tunesien und sein weiterer Entwicklungsweg von Brigitte Queck am 23. Januar 2011 19:33:59:

liebe brigitte,

ich glaube nicht, daß sie mit dieser antwort dem text von herrn özogus gerecht werden, weil er historische verläufe betrachtet und brüche in diesen kontinuitäten als kristallisationspunkte behandelt, wo sich entwickelte gestaltungskräfte ihre räume betreten können. dies ist eine allgemeine heangehensweise an historien, die wir in allen phasen unserer entwicklungsgechichten dank überlieferter einblicke nachvollziehen können und sind allen menschen vertraut, die sich mit der dialektik von individuum und gesellschaft befasst haben.

ich will aber jetzt nicht den text von herrn özogus diskutieren, sondern ihre verteidigungsrede der sogenannten real existierenden, sozialistischen staaten. schon diese begrifflichkeit 'real existierent' verweist auf einen widerspruch von theorie, idee und vision zur realität. es wird dem begriff sozialismus, sofern er das soziale zu seinem wesen erklärt, durchaus mit freundlichkeit begegnet, während die reale existenz mit ablehnung behandelt wird.

es gibt sicherlich viele sich widersprechenden interessensgruppen auf dem weg ins elend. und ich bin weit entfernt, all die einzelnen phasen der entwicklung, insbesondere der DDR, würdig behandeln zu können. aber es kristallieren sich doch für mich deutliche prinzipien und prämissen.

sozialistische, an der allgemeinheit sich orientierende strukturen können nur dort entstehen, wo sich die menschen mehrheitlich dafür entscheiden. sie müssen die träger des geschehens sein, andernfalls mutiert es zum arbeitslager.

die ökonomie ruht auf den bedürfnissen der menschen, ist sphäre der realisierung der materiellen lebensbedingungen aller. formale, auf pragmatik reduzierte, zentralisierend organisierte hierarchien von entscheidungsprozessen und deren durchsetzungszwängen haben dort keinen platz.

monetäre instanzen werden auf reine tauschprozesse reduziert. das geld darf nicht zum zweck des tätigsein werden. sozialistische ökonomien sind immer räume kooperativer und gleichwertiger akteure.

im jahr 1953 schon, also nur 4 jahre nach staatsgründung, entbrannte die diskussion um die frage der betrieblichen selbstverwaltung durch räte und vollversammlungen. 1956 begann der prozess gegen wolfgang harich und walter janka, vertreter der damals 'utopischen sozialisten' in der DDR, die im aufbau-verlag ihre schriften veröffentlichten. dies war der zeitpunkt, wo sich in der DDR die bürokraten mit offener gewalt durchsetzten und die entwicklung einer offenen, experimentierfreudigen gesellschaft zum wohle aller stoppten. alles weitere war folge der stetigen entmündigung und orientierung der ökonomie auf formale quantitäten, welches sich dann in allen lebensbereichen breit machte.

die these, die sogenannten sozialistischen staaten waren zerstörungsobjekt des monopolkapitalismus, ist zur erklärung des versagens nicht geeignet. in bezug auf entmenschlichte produktionsergebnisse waren sie tatsächlich unterlegen, weil sie den individuellen bereicherungsorgien auf kosten der allgemeinheit nicht den selben hndlungsspielraum geben konnten, da ihre ethische und moralische klammer sie band. das wesentliche aber war, daß die zielvorstellungen letztlich immer näher rückten und die elitäre strukturierung sich nicht mehr unterschied.

die methoden der kapitalistischen produktionsorganisation sind simpel, weil sie auf sklaverei aufsetzt. weniger im eigenen umfeld, sondern international. nicht offen, sondern verstrickt über geldbeziehungen. hier waren die 'realen sozialistischen' staaten eindeutig im nachteil, weil sie letztlich sich auf dem gleichen feld tummelten.

das verschuldungsargument zeugt vom missverständnis von geldökonomie. staatsanleihen als finanzgrundlage staatlicher instanzen sind reines buchgeld, frei erfunden, ohne gegenwert. staaten als zwangskörperschaften von natur, also erdkruste, flora und fauna, sind letztlich die einzigen realisationsmöglichkeiten für virtuelle finanzen und dies geschieht über den zins. im vollzug einer geldgetriebenen ökonomie sind natürlich ihre verfechter eindeutig im vorteil.

was nun das geschehen in tunesien mit sozialismus und seinen entstehungsbedingungen zu tun hat, ist mir nicht nachvollziehbar. weil herr özogus sich in seinem text nirgends darauf bezieht. nur in bezug auf zielvorstellungen warnt er vor konzepten, die nicht durchdacht sind und den realen bedingungen nicht entsprechen.

schon zu viele haben sich den argumentationsmustern sozialer verantwortung bedient, um individuelle bevorteilung und elitäre privilegisierung durchzusetzen. wir sollten die ebene formaler begriffsmuster verlassen und uns den inhalter menschlicher sozietäten zuwenden.

mit lieben grüßen, willi



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