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Die neue deutsche Identität der Bildungsferne

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Von Yavuz Özoguz am 10. November 2010 09:56:35:

Die neue deutsche Identität der Bildungsferne

Wenn ein ehemaliger Bundestagspräsident die deutsche Identität definiert, dann profitiert er vor allem von der Bildungsferne großer Teile der Bevölkerung; vor allem auch unter Muslimen.

Die Bildungsferne ist ein grundsätzliches Problem, insbesondere bei den Angehörigen einer Religion, dessen Buch Gottes mit dem Wort “Lies“ eingeleitet wurde. Würde man einen Ahmed-Normal-Muslim fragen, wer Abu Quhafa war, so würden wohl die meisten passen. Dabei war es kein Geringerer, als der Vater des ersten Kalifen der Muslime nach dem Propheten Muhammad, und eine ganz besondere Geschichte, die sich unmittelbar nach der Annahme des Kalifats seines Sohnes abspielte, steht in zahlreichen muslimischen Geschichtsbüchern.

Abu Quhafa war in der Stadt Taif, als Prophet Muhammad (s.) dahingeschieden ist und Abu Quhafas Sohn Abu Bakr das Kalifat angenommen hat. Abu Bakr hat seinem Vater Abu Quhafa einen Brief geschickt mit dem Titel: Von dem Kalifen des Gottesgesandten zu Abu Quhafa mit dem Inhalt: „Nunmehr haben sich die Leute geeinigt auf mich und heute bin ich der Kalif Allahs auf Erden. Wenn du also auf uns zukommen würdest, würden wir deine Augen beglücken.“ Die Geschichtswerke vermelden weiter, dass als Abu Quhafa den Brief las, er zu dem Briefüberbringer sprach: „Was hat euch von Ali abgehalten?“ Der Briefträger antwortete: „Er ist vom jungen Alter, hat viele der Quraisch und andere getötet und Abu Bakr ist älter als er.“ Abu Quhafa sprach: „Wenn die Angelegenheit bei dieser (Sache) nach dem Alter geht, dann steht es mir eher zu als Abu Bakr. Wahrlich sie haben Ali sein Recht entzogen, obwohl der Prophet (s.) für ihn den Treueid angenommen hat und uns befohlen hat, ihm dem Treueid zu geben.“ Daraufhin schrieb er dann an Abu Bakr den – zumindest in den Geschichtswerken – berühmt gewordenen Brief: „Von Abu Quhafa an seinem Sohn Abu Bakr: Nunmehr habe ich deinen Brief erhalten und empfand es als idiotischen [ahmaq] Brief, in dem Teile daraus anderen Teilen widersprechen. Zum einen sagst Du, Du seiest der Kalif des Gesandten Gottes (s.) und zum anderen sagst Du, Du seiest der Kalif von ALLAH. Des Weiteren sagst Du: "Die Leute haben sich geeinigt auf mich". Dies ist eine zweifelhafte Angelegenheit. Darum trete nicht in eine Angelegenheit ein, aus der du später nicht heraus kommst, und wegen der du Hölle, Reue und das Tadeln der tadelnden Seele [nafs lawama] bei der Rechenschaft am Tag der Auferstehung erntest. Denn Angelegenheiten haben Eingänge und Ausgänge, und Du weißt, wem das eher zusteht als dir hierbei! Darum wende Dich ALLAH zu Allah, als würdest Du ihn sehen, und stoße den Eigner dessen nicht weg. Denn wahrlich dieses heute zu unterlassen ist leichter und schonender für dich, und Frieden (sie mit Dir).“

Bis heute streiten sich sunnitische und schiitische Gelehrte über die Echtheit jenes Briefes, obwohl er auch in zahlreichen sunnitischen Quellen zu finden ist; eine Diskussion, die logischerweise aus dem Inhalt des Briefes folgt. Doch das Problem steckt nicht in diesem Disput. Das Problem steckt darin, dass es zumeist ein Disput von “Gelehrten“ ist. Der “normal“ gebildete Muslim weiß nicht nur gar nichts von jenem Disput, er kann auch nicht so ohne Weiteres den Namen Abu Quhafa zuordnen! Und auch “Islamexperten“ und “Islamwissenschaftler“ in Deutschland dürften bei dem Namen überfordert sein.

Ohne ein Mindestmaß an Bildung ist aber weder ein Verständnis noch eine Integration möglich. Auch kann so kaum eine gesicherte Identität entstehen, denn bei der geringsten Anfechtung wird der Gläubige zweifeln. Wüsste z.B. der sunnitische Muslim, dass jener Brief für den Schiiten authentisch ist, dann hätte er mehr Verständnis dafür, dass sein Glaubensbruder eine andere Ansicht zur Nachfolgefrage nach dem Propheten hat. Und wüsste der schiitische Muslime, dass sein sunnitischer Bruder auf einer gravierenden Unterscheidung zwischen den Begriffen “Kalif“ (Stellvertreter) und “Wali“ (Statthalter, Schutzfreund) besteht, könnte er verstehen, warum jene Überlieferung auch in sunnitischen Werken zu finden ist. Man weiß aber zu wenig voneinander und so können Aufhetzer auf der einen Seite sunnitische Muslime dazu animieren, ihre schiitischen Geschwister als (fast) Nichtmuslime zu betrachten und Aufhetzer auf der anderen Seite (zu) viele ihrer sunnitischen Geschwister als Wahhabiten und Zöglinge der US-Saudis. Die Bildungsferne der Gutherzigen wird von gebildeten Herrschsüchtigen ausgenutzt, um zu spalten und zu herrschen.

So weit so schlecht an einem Beispiel aus der islamischen Welt und der Wirkung bzw. Wirkungslosigkeit heute. Doch was für die islamischen Quellen und die Bildungsferne von Muslimen gilt, ist ein globales Problem, das stets von allen Herrschsüchtigen missbraucht wurde, um zu teilen und zu herrschen. Jage eine Bevölkerungsgruppe auf die andere, und so sind sie miteinander beschäftigt und die Reichen können immer Reicher werden, während die Armen immer Ärmer werden. Die Helfershelfer und wahren Hassprediger jener Herrschsüchtigen sind die Massenmedien, die Hofberichterstatter, die das perfide Spiel potenzieren. Der Ansatzpunkt dabei ist die Bildungsferne der Leserschaft.

Wenn wir aus der islamischen Geschichte in das heutige Deutschland springen, so ließen sich dafür unzählige Beispiele nennen. Seit nunmehr Jahren wird immer wieder darüber diskutiert, ob ein Deutscher “stolz“ sein darf oder nicht. Schließlich sei auch der der Türke “stolz“. Dabei spielt es meist keine Rolle, worauf man stolz ist. Ob es ein offensichtlich unlogischer “Stolz“, wie die Geburt in eine bestimmte Nationalität oder der logischer erscheinende aber genau so unsinnige “Stolz“ auf die eigene Geschichte; es wird diskutiert und diskutiert. Bis vor Kurzem durften Deutsche nur stolz auf ihre Nationalmannschaft sein, nicht aber auf die eigene Geschichte. Türken hingegen durften stolz auf die eigene Geschichte, nicht aber auf die Nationalmannschaft sein usw... In allen diesen Fällen wird die Bildungsferne der Menschen ausgenutzt; ja geradezu infam missbraucht, um seine Gefühle in eine falsche Richtung zu lenken, und diese dann zur Spaltung der Menschheit zu missbrauchen! Den Höhepunkt der Pervertierung bildet dann die Erfindung einer “christlich-jüdischen“ Identität, auf die man dann auch stolz ist. Kein einziger dieser Stolzen, sei er Jude, Christ oder Muslim, erklärt den Menschen, dass “Stolz“ sowohl im Judentum als auch im Christentum als auch im Islam eine schwere Sünde ist! Dankbarkeit hingegen; und zwar Dankbarkeit auf die Quelle aller Dankpreisung, lehrt keiner all der Stolzen!

Manchen Menschen wird eingetrichtert, sie seien Muslime, aber sie kennen nicht einmal ihren Gott und seine allumfassende Liebe! Manchen Menschen wird eingetrichtert, sie seien Christen, um ihnen dann im missbrauchten Namen des Christentums die “Dankbarkeit“ zu stehlen und ihnen eine Identität zuzuschreiben, die mit dem Christentum nichts zu tun hat!

In einem Interview vom 7.11.2010 mit der österreichischen Zeitung “Die Presse“ sagte kein geringerer als der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse: „Wer als Bürger türkischer oder arabischer Herkunft und islamischen Glaubens in diesem Land dauerhaft leben will, muss akzeptieren, dass zur deutschen Identität die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus gehört. Daher sollten sie selbstverständlich auch das Tagebuch der Anne Frank lesen.“

Einmal abgesehen davon, das wohl noch weniger “echte“ Deutsche Anne Frankes Tagebücher kennen werden, als Muslime Abu Quhafa, baut auch der erste Teil des Satzes auf der Bildungsferne der Menschen auf. Was ist das für eine merkwürdige Identität, bei der Menschen, die keine Schuld tragen, sich darauf beziehen müssen? Und warum soll ein Deutscher aus einer tausende Jahre alten Geschichte ausgerechnet den Teil herauspicken, der den Tiefpunkt darstellt, und diesen höher werten als alle anderen Teile? Und warum soll er aus diesem Tiefpunkt auch nur eine einzige Seite herauspicken? Wo ist die angeblich “christlich-jüdische“ Identität, die hier tagtäglich beschworen wird? Die Nazis waren doch keine Christen! Große Christen wurden in die Konzentrationslager gesteckt. Warum soll jemand, der sich auf seine “christlich-jüdische“ Identität berufen soll, sich nicht auf Dietrich Bonhoeffer berufen, sondern auf Rudolf Höß? Und schon stecken wir in dem Dilemma der Bildungsferne. Wer waren die beiden? Doch darf es in der Zeit des Internet noch eine Ausrede geben, wenn man nicht liest; zumindest nachliest, wenn man etwas wissen will?

Hatte Thierse nicht auch im gleichen Interview gesagt: „Unser Identitätskern ist schließlich, dass soziale und natürliche Herkunft nicht zum unentrinnbaren Schicksal werden.“ Wenn soziale und “natürliche“ Herkunft (was immer das ist) nicht zum unentrinnbaren Schicksal werden sollen, warum sollte dann die geschichtliche Herkunft zu einem unentrinnbaren Schicksal werden?

Die wahre Integration von Muslimen in Deutschland wäre eine große Chance, zu erkennen, dass jedes Volk jeweils für das verantwortlich ist, was zu seiner Zeit in der Welt geschieht. Die heutige Bevölkerung in Deutschland ist nicht verantwortlich für Auschwitz! Aber sie ist in einem nicht unerheblichen Maß mitverantwortlich dafür, dass Palästinenser unter Besatzung leben und sterben! Doch genau diese Verantwortung darf Deutschland heute nicht spüren! Und daher soll auch niemand “Deutscher“ werden, der seine Mitbürger auf diese Verantwortung aufmerksam macht. Multi-Kulti wurde für Tod erklärt. Dabei geht es den Totengräbern nicht darum, dass Islam neben Christentum besteht. Das wäre sofort und uneingeschränkt akzeptabel, so lange die westliche Vorherrschaft über die Welt und damit auch die weiteren Verbrechen Israels akzeptiert werden würden. Islamische Gemeinschaften, die sich offen zu Israel bekennen (davon gibt es nur sehr wenige in Deutschland), haben keinen Ärger mehr zu befürchten.

Doch zur deutschen Geschichte gehört auch Goethe. Hatte der nicht einstmals gesagt: „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“ Das ist immerhin zwei Jahrhunderte her. Warum gilt nicht Goethe als geistiger Vorreiter der Globalisierung und von Multi-Kulti? Und warum sollte jene Aussage nicht viel mehr deutsche Identität sein?

Fazit: Es geht bei jener aufgezwungenen Identität weder um “Christlich-Jüdisches“ noch um Geschichte. Es geht weder um Nation noch um Religion. Es geht nicht einmal um die Sprache, obwohl sie sehr wichtig ist! Es geht ausschließlich darum, die Menschen zu teilen und zu herrschen! Heutige Nazis sind die größten Unterstützer jener Teilungsmentalität! Jene Spaltung ist am einfachsten möglich, wenn man die Menschen aufgrund von Bildungsferne aufeinanderhetzen kann. Insofern stellt sich die Frage, ob nicht jene, die heute so lauthals von bildungsfernen Schichten faseln, gleichzeitig diejenigen sind, die ihre Herrschaft auf Bildungsferne aufbauen? Oder kann man sich vorstellen, dass in einem gebildeten Volk die Bild-Zeitung solch einen Erfolg haben könnte, um die Sarrazins und Schwarzers im Kampf gegen den Islam und die Muslime voranzupuschen?

Gegen die Krankheit Stolz hilft Dankbarkeit. Gegen die Krankheit Bildungsferne hilft Bildung! Wenn sie uns von Anderen nicht gegeben wird, dann müssen wir sie uns umso mehr selbst beschaffen! Und dazu sind wir alle verpflichtet. Und nie zuvor war es so leicht wie heute, diesen Missstand zu überwinden! Und wenn dann eines Tages jeder Deutsche unabhängig von seiner Religion weiß, wer Anne Franke und wer Abu Quhafa war, dann wird es für die Bild-Zeitung schwer, die Bürger des Landes gegeneinander aufzuhetzen! Daher muss die neue deutsche Identität auf Bildung aufbauen, bei allen Deutschen!



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