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Versuch zu verstehen am Friedhof in Delmenhorst

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Von Yavuz Özoguz am 17. August 2010 09:20:17:

Versuch zu verstehen am Friedhof in Delmenhorst

Es ist Monat Ramadan, und es ist empfohlen in diesem Monat die Gräber der Verstorbenen aufzusuchen und für sie zu beten. Am Sonntagnachmittag ließ meine Arbeitskonzentration merklich nach und ich wollte frische Luft schnappen und dabei die wenigen Muslime auf dem Delmenhorster Friedhof besuchen.

Wie traurig war doch die Situation der Muslime in Delmenhorst. Die ersten verstorbenen Muslime in den 70er Jahren wurden gemeinsam auf einem Seitenfeld des Friedhofs an der Friedensstraße beigesetzt. Dabei wurde noch nicht einmal auf die Gebetsrichtung geachtet. Für nichtmuslimische Leser sei daran erinnert, das ein Muslim im Grab rechts auf der Seite liegend in Richtung Mekka schaut – zumindest idealerweise. Ein Dutzend Muslime in Delmenhorst tun es nicht. Ihre Gräber sind kaum gepflegt, die Grabsteine eher Provisorien, aber auf einigen steht zumindest die Basmala (Im Namen Gottes). Kaum jemand betet mehr für sie hier, daher wollte ich es zumindest tun. Das kleine Grabfeld wird auch nicht mehr erweitert.

Knappe 50 Meter davon entfernt gibt es ein modernes größeres Feld, welches in Kooperation mit der hiesigen Gemeinde für Muslime eingerichtet wurde. Dort wird die Gebetsrichtung eingehalten. Zuerst stößt man auf eine Reihe von Kindern, die zwischen Neugeboren, wenige Tage und bis zu wenigen Jahren alt geworden sind. Die Gräber sind nicht einmal halb so groß, wie diejenigen, der Erwachsenen und rühren allein schon wegen der Größe zu Tränen. Dahinter aber gibt es nunmehr auch immer mehr alt gewordene, die hier gestorben sind, hier bleiben, hier begraben werden. Einige Familien haben ihre Grabstätte hier schon eingerichtet, obwohl sie noch gar nicht gestorben sind. Noch sind es ebenfalls nur ein Dutzend, aber es ist Platz für sehr viel mehr.

Auf einigen Gräber steht die Bitte an den Besucher eine “Al-Fatiha“ für den Verstorbenen zu lesen. Das ist die erste Sure des Heiligen Qur´an, eine faszinierendes Zwiegespräch zwischen Schöpfer und Geschöpf. Es ist Gott, der sich selbst preist mit der Zunge des Menschen, bis zu der wunderbaren Stelle, in der es heißt “dir dienen wir“ mit einer besonderen grammatikalischen Betonung auf “dir“. Doch wer spricht da zu wem? Ist es wirklich das Kollektiv der Menschen, das Gott dient, oder zumindest Ihm dienen will? Was könnten wir dem Schöpfer allen Seins denn dienen? Oder ist es die Allmacht der Pracht, die hier in der majestätischen Wir-Form dem Menschen mitteilt, dass er aus Liebe erschaffen wurde und Liebe empfangen soll? Die vor mir Liegenden wissen es sicher besser.

Es fängt an heftig zu regnen. Ich setze mich auf eine Bank unter einem dichten Baum, der keinen Regen durchlässt, und beobachte die Gräber. Da kommt gerade ein jüngeres Paar, unbeeindruckt vom Regen, und hockt vor einem der kleinen Gräber, sie beten, zünden ein Räucherstäbchen an. Der Duft scheint die Tropfen des Regens zu durchdringen. Sie hocken vor dem Grab eine ganze Weile, stehen dann mit Tränen in den Augen auf und gehen wieder. Diese Tränen der Liebe beeindrucken mich. Wie viele solche Tränen fließen im gleichen Moment in dieser Welt. Und wie viele Eltern haben noch nicht einmal die Gelegenheit zu solch einer Liebesandacht?

Meine Gedanken schweifen nach Pakistan. Was für eine Katastrophe; was für ein Unheil für die Menschen? Manche Menschen, die keine Ahnung von Gott und seiner Liebesreligion haben, beschuldigen Satan für die Naturkatastrophe. Sie glauben, dass Satan die Fähigkeit besitzt, solche Naturereignisse hervorzurufen. Warum denken diese Menschen denn nicht weiter? Wenn Satan solch eine Fähigkeit hätte, dann würde die ganze Welt doch durchgehen in Naturkatastrophen versinken. Nein, solch eine Überschwemmung nennen wir “Naturkatastrophe“, weil sie katastrophal auf die Menschen wirkt, die nicht vorbereitet sind. Aber liegt es an der Natur oder am Menschen? In unserer direkten Nachbarschaft haben wir ein Land, das in großen Teilen unter dem Meeresspiegel liegt. Aber die haben nicht so oft solche Katastrophen. Doch wenn dort nur eine auch erheblich geringere Katastrophe gewesen wäre, dann hätte der Regierungschef nicht seelenruhig seinen Urlaub fortsetzen können.

Und was sind das für herzergreifende Bilder, die uns die Medien auftischen? Da spricht ein Waisenkind davon, dass es bei den ohnehin schwierigen Verteilungen von Nahrungsmitteln von den großen und starken Männern beiseite geschubst wird und eine Art “Schlacht“ um das Essen beginnt. Was macht der Hunger aus Menschen? Ja, ja, ich beschwichtige mich sofort mit dem Hinweis, dass solche Aufnahmen von westlichen Journalisten viel zu oft gestellt werden. Sie bieten einem Kind eine Mahlzeit an, damit er so etwas in die Kamera sagt! Diese Journalisten sind in meinen Augen ohnehin die schlimmsten Verbrecher. Einerseits beklagen sie sich, das Pakistan solch eine schlechtes Image hätte und daher die Spendenbereitschaft für Pakistan so gering sei und andererseits sind sie die Geier, die jede nur vorstellbare und unvorstellbare Gelegenheit fleddern, um Hass gegen den Islam und die Muslime in der ganzen Welt zu schüren. Sie geben an, dass für Haiti 200 Millionen gespendet worden sei und für Pakistan noch keine 20 Millionen. Bei Haiti waren das immerhin mehr als 2 EUR pro Bundesbürger; welch eine Glanzleistung für eines der angeblich reichsten Länder der Welt. Diese Menschen kennen nicht die Opferbereitschaft in armen Ländern! Die spenden gemessen an ihren Möglichkeiten das Zigfache! Doch das hungernde Kind bleibt mir vor Augen.

Regen soll ein Segen sein, sagt man in Ost und West. Aber in Pakistan ist daraus eine Katastrophe geworden. Doch war die Katastrophe nicht schon viel früher da? Welches Land hat sich den zum Spielball des weltweiten US-Terrorismus gemacht? Welcher Geheimdienst der Welt hat sich denn vom CIA ausbilden lassen, um die Taliban zu “erschaffen“, die seit ihrer Existenz ausschließlich Muslime bekämpft und massenweise ermordet haben! Davon wollen westliche Journalisten nichts wissen und nicht berichten. Welches Land hat denn seine Basen den USA zur Verfügung gestellt, um Angriffe auf die Islamische Republik Iran vorzubereiten? Zugegeben, das war nicht Pakistan allein, aber den anderen Marionetten geht es ja kaum anders. Welches Land nennt sich denn “Islamische Republik“ und erschwert den eigenen Frauen einen Pass mit Kopftuchfoto? Ja, Pakistan heißt tatsächlich auch “Islamische Republik“, aber was hat das mit Islam zu tun, wenn eine reiche Clique im Auftrag der USA eines der größten Bevölkerungen der Erde dermaßen ausbeutet? Das ist doch nicht die erste Überschwemmung, welches das Land aufsucht. Welche Bauweise wurde angedacht, um dagegen gewappnet zu sein? Wo gibt es Dämme? Wo gibt es Regenrückhaltebecken? Gibt es überhaupt ein pakistanisches Wort dafür? Wo gibt es eine Bauweise (z.B. auf Stelzen), bei denen die Häuser überstehen können? Wo sind die Katastrophenschutzpläne, die Nahrungsmittelbunker, um im Notfall eingreifen zu können? Was kann das Militär des Landes, außer Atomwaffen zu schützen?

Der Vorwurf trifft nicht die arme, ausgebeutete, ahnungslose Bevölkerung. Der Vorwurf trifft die extrem Reichen, die Korrupten, die Ausbeuter im Land, die mit westlichen Geheimdiensten gewaltsam an der Macht gehalten werden. War nicht schon die Gründung diese “Pak“istans (Reines Land) eine Katastrophe? Hat nicht der Hindu Mahatma Gandhi (die große Seele) sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dass Indien aufgespalten wird? Hat nicht jener großartige Mensch sich gegen das hinduistische Kastensystem gewehrt, Imam Husain zum Vorbild genommen und wurde er nicht deshalb von einem fanatischen Hindu umgebracht (wer weiß im Auftrag welches Geheimdienstes?). Im hinduistischen Indien ist das Gedenken an Imam Husain offizieller Trauertag mit geschlossenen Läden, während in vielen muslimischen Regionen der Welt das nicht der Fall ist! Indien wurde aufgeteilt in Pakistan und Indien. Pakistan selbst bestand auf zwei zusammenhanglosen Teilen Ost- und Westpakistan. Dann wurde noch einmal geteilt in Bangladesch und Pakistan. Die Folge war das ärmste Land der Erde und ein weiteres armes land mit Rekordbevölkerungen; teile und herrsche in westlicher Unterdrückungsperfektion! An die Spitze wurden westliche Marionetten installiert. Nur Indien konnte sich (zumindest teilweise) befreien und gegen den Imperialismus der westlichen Welt stellen. Pakistan dient aber der westlichen Welt als ständige Drohkulisse gegen Indien und neuerdings auch gegen Iran. Sicher, das hören wir Muslime nicht gern, aber woher stammt wohl jene pakistanische (angeblich muslimische) Atombombe? Atombomben sind doch ein Verbrechen gegenüber der Menschheit!? Beim vom CIA beherrschten Pakistan stellte es aber nie ein Problem für die Imperialisten dar; warum wohl nicht?! Haben doch die erfahrenen britischen Imperialisten mit Kaschmir eine Region hinterlassen, in der sie einen Dauerkonflikt schüren können. Und die USA habe schlicht und einfach die britischen Imperialisten beerbt.

Jetzt sind Tausende Menschen ertrunken, tausende liegen im Sterben. Die „Internationale Staatengemeinschaft“, dieser westliche Abschaumbegriff für die Unterdrückungsmechanismen des Imperialismus, war schon vor 65 Jahren in der Lage innerhalb von Minuten Millionenstädte dem Erboden gleich zu machen – und hat es auch getan. Aber in solch einer Not gibt es nicht genug Hubschrauber, um den Menschen nach Wochen zu helfen. An welch einer Verkommenheit ist die Menschheit nur erkrankt? Und wir Deutsche geben in den Nachrichten an, dass jeder deutsche Bürger (einschließlich Multimilliardäre und Bankboni-Empfänger), jeder sage und schreibe 30 Cent gespendet habe im Schnitt; welche eine Leistung angesichts der Not!

Um die Toten brauchen wir uns nicht zu sorgen. Sie sind zurück in ihrer Heimat. Sie sind zurück bei ihrem Herrn, wie die wenigen Menschen, die vor mir liegen. Es sind die Lebenden, um die wir uns sorgen machen müssen. Es ist unsere eigene Seele, die in diese Abgründe geraten kann. Im Monat Ramadan lernen wir Beherrschung! Im Monat Ramadan können wir uns besinnen. Aber nicht, wenn wir uns abends den Bauch so vollhauen, dass wir danach die Augen nicht mehr aufhalten können. Fasten heißt auch Hungern; bewusstes Hungern. Fasten heißt auch für Menschen mit “Reserven“ am Leib ein echtes Entschlacken, wenn wir es richtig machen? Aber machen wir es richtig? Wie kann es sein, dass wir in diesem Monat mehr Nahrungsmittel konsumieren, mehr Fleisch einkaufen, als in anderen Monaten? Lasst uns temporär wirklich hungern, damit wir an dem Tag, an dem wir wirklich hungrig sein werden, unsere Seele nicht verkaufen!

Der Regen lässt nach. Ich lese eine Fatiha für die Verstorbenen in den Gräbern und dann noch eine und noch eine, damit jeder etwas abbekommt. Aber schon gleich ertappe ich mich bei der Lächerlichkeit meines Gedankens! Gott braucht doch nicht meine Zunge, um diesen Toten erquickendes Wasser zu spenden. Ich, meine Wenigkeit, ist es, der diese Fatiha braucht, um mich mit der Liebe zu verbünden, die Gott verteilt! Er braucht uns nicht, wir aber Ihn umso mehr! Nun auch eine Fatiha für die Verstorbenen in Pakistan. Vielleicht hat ihr unfreiwilliges Opfer die Welt vor einer größeren Katastrophe bewahrt, welche die USA von Pakistan aus vor hatten und jetzt nicht einmal mit ihren korruptesten Dienern zustande bringen. Vielleicht ist der Regen wirklich ein Segen, wenn die Menschen dadurch aufwachen und eine friedvolle Zukunft planen in einer Welt, in der nicht der Besitz der Atomwaffe zur Ehre gereicht, sondern die Entwicklung von Gottesehrfurcht im Herzen. Hat nicht gestern irgend solch ein Journalist vom Atomwaffeneinsatz gegen die Islamische Republik Iran gefaselt als einzige denkbare Kriegsoption mit Erfolgsaussicht? Und haben US-Generäle das nicht schon längt “durchgespielt“. Wann wird die Internationale Bürgergemeinschaft merken, dass sie von Menschen regiert wird, die in geschlossene Anstalten gehören und dort bis zu ihrem Ableben in Sicherheitsverwahrung eingesperrt bleiben müssten; denn sie sind viel gefährlicher für die Menschheit, als die freigelassenen Sexualstraftäter, die jetzt an den Pranger gestellt werden.

Langsam verlasse ich das Gräberfeld, gehe an den schönen geordnet aufgereihten Gräbern der Christen vorbei. Ich bete auch eine Fatiha für die Aufrichtigen und Wahrhaftigen unter ihnen, wohl wissend, dass die US-Wahabiten mich dafür als “Ungläubigen“ erklären werden. Aber “Ungläubige“ gibt es im Islam gar nicht, denn jeder glaubt an irgendetwas. Das war ein Begriff aus der dunklen Zeit des Christentums. Doch ist die heutige Zeit in der Westlichen Welt nicht noch dunkler?

Ein Friedhof gibt ein wenig Licht. Denn hier wird jeder eines Tages landen, ob arm oder reich, ob Unterdrücker oder Unterdrückter, ob anständiger Bürger, Politiker oder Hofjournalist. Alle werden sie hier liegen; auch ich. Und darauf kann ich mich auch im Monat Ramadan vorbereiten, indem ich nicht von der Frucht des Baumes esse, von der ich nicht essen soll. Vielleicht werde ich dann verstehen.



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