Muslim-Forum
Willkommen im Forum der Muslime für deutschsprachige Gottesehrfürchtige

Alle Autoren des Forums zeichnen mit ihrem realen Namen


Ist die Wirklichkeit im Monat Ramadan zu verstehen?

Neues Thema eröffnen

Neuste Beiträge

Einzelansicht

Themenansicht

Archiv

Registrieren

Foren-Links

Kontakt

Muslim-Markt

Von Yavuz Özoguz am 13. August 2010 10:53:42:

Ist die Wirklichkeit im Monat Ramadan zu verstehen?

Im Islam stellt das Diesseits eher eine unwirkliche Welt dar und das Jenseits die eigentliche Wirklichkeit, wobei Aspekte davon im Diesseits wahrnehmbar sind. So gesehen ist die Wirklichkeit die Erscheinungsform der Wahrheit und besteht aus Zeichen; Zeichen Gottes. Auch die Verse im Heiligen Qur´an heißen „Zeichen“ und insbesondere diejenigen „Zeichen“ zum Monat Ramadan sind dieser Tage voller Faszination.

Das Thema Wirklichkeit hat Generationen von Philosophen beschäftigt, ohne dass diese jemals auch nur Ansatzweise an die philosophische Eloquenz herankam, wie sie Imam Ali (a.) als idealer Schüler des Propheten Muhammad (s.) einstmals in einem Dialog mit seinem Gefährten Kumail ibn Ziyad ausgedrückt hat. Der Dialog über die Wirklichkeit gilt als die höchste Stufe der Philosophie im Islam:

„Bei einem gemeinsamen Ritt auf einem Kamel fragte Kumail Imam Ali (a.): „Was ist Wirklichkeit“. Imam Ali (a.) entgegnete: „Was möchtest du von der Wirklichkeit?“ Darauf Kumail: „Bin ich denn nicht Gefährte deines Geheimnisses?“ Imam Ali (a.): „Was möchtest Du von der Wirklichkeit?“ Kumail: „Bin ich denn nicht der Vertraute deines Geheimnisses?“ Imam Ali (a.): „Durchaus, aber zu dir tropft, was bei mir überfließt.“ Kumail: „Kann deinesgleichen einen Frager enttäuschen?“ Imam Ali (a.): „Die Wirklichkeit ist die Enthüllung der Glanzlichter der Erhabenheit ohne Anzeichen.“ Kumail: „Mache es mir noch klarer!“ Imam Ali (a.): „Das Verwischen des Gedachten beim Klarwerden des Gewussten.“ Kumail: „Mache es mir noch klarer!“ Imam Ali (a.): „Das Zerreißen des Schleiers in der Übermacht des Geheimnisses.“ Kumail: „Mache es mir noch klarer!“ Imam Ali (a.): „Ein Licht, das aus dem Morgen der Urewigkeit aufleuchtet, so dass seine Spuren auf den Gestalten des Einheitsbekenntnisses erscheinen.“ Kumail: „Mache es mir noch klarer!“ Imam Ali (a.): „Lösche die Kerze, denn die Morgendämmerung ist heraufgezogen.“

Es wird deutlich, dass die Wirklichkeit offensichtlich nur in “Bildern“ vermittelt werden kann, da die rationale Darstellung dazu nicht hinreichend ist. Solch eine Bildersprache ist auch die Sprache umfangreicher Passagen des Heiligen Qur´ans. Im obigen Dialog ist zu sehen, wie Kumail zunächst einmal hartnäckig nachfragt. Ja, er versucht sogar die geliebte Quelle des Wissens liebevoll dazu zu bewegen, etwas Unmögliches möglich zu machen. Die Tropfen, nach denen er sich so gesehnt hat, erhält er, und er möchte immer mehr davon. Und er bekommt immer mehr! Immer tiefer gerät er in den Strudel des hell erstrahlenden Lichtes, bis er das Licht selber erblicken kann, so dass jegliche Kerze hinfällig wird. Denn die Wirklichkeit steht direkt vor ihm.

Doch wen oder was spricht solch eine Bildersprache an. Es ist die Ansprache an das Herz; vom Herzen zum Herzen. In der Nacht der Macht wurde in das Herz des Heiligen Propheten (s.) in nur einer einzigen Nacht der Heilige Qur´an offenbart. Die Bildersprache ist die Sprache aus einer anderen Welt. Der Embryo gedeiht im Mutterleib und entwickelt sich prächtig. Es hört stimmen seiner Mutter. Es ist eine Sprache von Klängen, mal herzlich, mal ärgerlich, mal vergnügt, mal freudig. Der Embryo kann die Klänge durchaus unterscheiden, aber er versteht die Sprache noch nicht! So ähnliche ist es mit unserer Bildersprache. Stück für Stück können wir die Nuancen unterscheiden und nähern uns der Wirklichkeit und damit auch dessen Ursprung, der Wahrheit an. Aber wir sind nicht in der Lage, in der gleichen Sprache zu antworten, selbst wenn wir einiges verstehen.

Solch eine Bildersprache verwendet auch der Heilige Qur´an, selbst wenn es um so etwas, wie den Monat Ramadan, geht. Die wohl ausführlichste Stelle befindet sich gleich in der zweiten Sure, Verse 183-187. Es beginnt mit der Fastenvorschrift für bestimmte Tage und den Voraussetzungen zum Fasten, dass man nicht krank oder auf Reisen ist. Es folgt die Erläuterung der Fastenersatzleistung. Dann aber folgt etwas Ungewöhnliches. Nachdem bereits die Fastenregeln erläutert wurden, setzt plötzlich ein Teilvers ein, bei dem man das Gefühl hat, dass er eigentlich an den Anfang gehört hätte und nicht so “zwischendurch“:

„Der Monat Ramadan ist derjenige, in dem der Qur´an als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist und als Deutliche unter der Rechtleitung und der Unterscheidung.“ (Heiliger Qur´an 2:185)

Unmittelbar danach folgt wieder der Hinweis, dass Reisende und Fastende Ersatztage nachzuholen haben. Warum dieser doppelte Hinweis, sind wir doch erst im Vers zuvor darauf hingewiesen worden? Und was ist da für ein “Einschub“ der wiederum selbst in sich eine “Dopplung“ des Begriff “Rechtleitung“ (Huda) in verschiedenen Formen hat.

Erfahrene Qur’an-Kundige wissen, dass solche “Einschübe“ einer Bildsprache in einen deutlichen Gesetzestext stets einen besonderen Betonungscharakter haben, um auf etwas sehr Wichtiges hinzuweisen. Wir wissen, dass der Heilige Qur´an in der Nacht der Macht vollständig in das Herz des Heiligen Propheten Muhammad (s.) eingegeben wurde als „Rechtleitung für die Menschen“. Bedeutsam an dieser Stelle ist, dass nicht das körperliche Menschenwesen “Baschar“ hier erwähnt wird, sondern der tatsächliche Mensch “Nas“ mit seinen materiellen und spirituellen Dimensionen. Es wird deutlich, dass der Heilige Qur´an sich an die ganze Menschheit richtet; zumindest an den Teil, der sich seines besonderen Menschseins bewusst ist. Und dieser Qur´an ist etwas „Deutliches“ (Bayyina)! Daran gibt es keinen Zweifel für Muslime. Doch jetzt kommt ein Teil, der die ganze Faszination des Heiligen Qur´ans veranschaulicht! Jenes “Deutliche“ befindet sich unter zwei bestimmten Begriffen, deren Bestimmtheit mit dem arabischen “al“ angekündigt wird: „der Rechtleitung (al huda) und der Unterscheidung (al-furqan).“ Noch deutlicher wird der Bestimmtheitscharakter der Begriffe, wenn man berücksichtigt, dass eine „Rechtleitung für die Menschheit“ sich „als Deutliche unter der Rechtleitung“ befindet. Während erste Rechtleitung jene ist, die für die Menschen angeboten wird, ist “die“ Rechtleitung kein geringerer als Prophet Muhammad (s.)! Denn die „Deutliche“ befindet sich nach der Herabsendung bei ihm, in seinem Herzen, und wird im Laufe von zwei Jahrzehnten auf seine edle Zunge gebracht werden. Aber „die Deutliche“ befindet sich sowohl unter „der Rechtleitung“ als auch unter „der Unterscheidung“! Die Unterscheidung ist eine Person, über den man den wahren Propheten (s.) von den vielen Falschdarstellungen unterscheiden kann. Er (a.) ist das Tor zur Stadt des Wissens.

Und so eröffnet dieser wunderbare Monat Ramadan uns die Dimension der Vereinigung unserer Herzen mit dem Propheten (s.) und demjenigen (a.), der uns den Zugang zum wahren Propheten ermöglicht. Der wahre Prophet (s.) aber ist es, der uns den Zugang zum wahren Gott ermöglicht!

Welch eine Gnade hat begonnen und welchem wunderbaren Geist in uns dürfen wir dieser Tage näher kommen mit Seiner Erlaubnis! Möge unser Fasten uns der Unterscheidung, der Rechtleitung, dem Deutlichen und der Quelle aller dieser lebendigen Offenbarungen näher bringen Inschaallah (so Gott will).



Antworten: