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Brot und Spiele der Unmenschlichkeit

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Von Yavuz Özoguz am 28. Juni 2010 10:00:41:

Nein, ich möchte wirklich niemandem seine Fußballweltmeisterschaft vermiesen, aber da “wir“ jetzt im Viertelfinale stehen, lohnt ein menschlicher Blick ohne Stolz-Beflaggung.

Bei der Fußballweltmeisterschaft geht es zunächst einmal um mehrere Milliarden Euro (Nein, nicht Millionen), von denen die FIFA einen gehörigen Anteil kassiert. Und daher ist es auch sehr wichtig, dass die Werbeeinnahmen fließen! Und Werbeeinnahmen fließen, wenn die Nationen weiterkommen, die mehr Einwohner und die größer Kaufkraft haben. Ist es da wirklich verwunderlich, wenn der noch vor zwei Jahren weltbeste Schiedsrichter Argentinien ein Tor “schenkt“, das abseitzer gar nicht sein kann! Aber wen wird das stören außer einigen Mexikanern? Und wenn Deutschland endlich die “Revanche“ für das Wembley-Tor vor über vier Jahrzehnten gelungen ist – bzw. dem Schiedsrichtergespann, die als Einzige im ganzen Stadion nicht gesehen haben, dass der Ball hinter der Torlinie war – dann kann das auch nur einige Inselbriten stören, nicht aber uns Deutsche, denn wir spielen jetzt gegen Argentinien und wollen eine der Mannschaften stellen beim geplanten Endspiel Adidas gegen Nike.

Die Tatsache, dass es eigentlich bei so gut wie jedem entscheidenden Spiel dieser modernen Gladiatoren-Festspiele einige äußerst “merkwürdige“ Entscheidungen gab, wen interessiert es? Wir wollen doch gar nicht wissen, dass das Ganze mit Fußball nichts zu tun hat! Und dass da sogar ein brasilianischer Schiedsrichter mitpfeift, der schon wegen einiger Schiebereien suspendiert wurde und von seinem eigenen brasilianischen Verband gar nicht aufgestellt wurde, brauch uns auch nicht weiter zu interessieren. Wie lieben die WM, wir orientieren unseren Tagesablauf danach und die ganze Woche, wir fahren deutsche Flaggen spazieren, integrieren Uwe-Selas auf deutschen Straßen in das Hupkonzert und sind allesamt glücklich! Geht es nicht allein darum?

Und ist das nicht die absoluten Integrationsveranstaltung überhaupt? Keine Sorge, heute wird nicht wieder die Integrationsleistung von Özils Freundin analysiert werden. Ist es aber nicht zumindest eine Schlagzeile wert, dass Özil sich öffentlich dafür entschuldigt, dass er nicht so oft die Zeit zum Beten findet und zugibt nur selten Alkohol zu konsumieren? Das ist doch gelebt “Integration“; das ist der Muslim, den sich Deutschland wünscht, selbst wenn er den Kassler Braten nicht mitisst. Und der Querpass auf Müller war doch wirklich sehr integrativ, zumindest für die Integration des Balls in das englische Tor.

Es soll tatsächlich Leute geben, die während eines Deutschland-Spiels arbeiten, wie Polizisten, Krankenschwestern in der Notaufnahme, Hospitzangestellte, denen gerade ein Patient stirbt, Flughafenbedienstete, Omnibusfahrer usw.. Wie schade! Aber sie können in der ARD-Tagesschau oder im heute-Journal des ZDF eine ausführliche Zusammenfassung erhalten. Die Hälfte der Nachrichtenzeit wird dem so wichtigen Thema Fußball gewidmet, mit allen Analysen und Kommentaren! Und das Bier, das der praktizierende Muslim nicht trinkt und der in die deutsche Nationalmannschaft integrierte Muslim nur manchmal, schmeckt dann auch noch “kühlend“, selbst wenn das Getränk für den praktizierenden Muslim die Getränkeeinstufung von Urin hat (beides gilt als unrein).

Aber es ist wirklich nicht das Ziel dieses Artikels, die Ballsportart zu kritisieren, bei der 22 Leute hinter einem Ball herlaufen und das Priestergespann entscheidet, wer gewinnt, während Zehntausende der Zeremonie direkt beiwohnen und Millionen weltweit über die Bildschirme. Und des Deutschen Lieblingsgetränk soll hier auch nicht angetastet werden. Sollen sie doch all das Bier über die Köpfe der Funktionäre gießen. Welchen verhungernden Afrikaner wird das schon stören?!

Ach ja, es gab während der WM – zur Überraschung aller – auch einige andere Nachrichten. Manche wurden verkürzt gebracht, andere verschwiegen, weil die so wichtige Nachrichtenzeit nicht ausreicht; man muss sich schließlich auf die wichtigen Nachrichten konzentrieren wie die Grüße von Thomas Müller an seine zwei Omas.

Da haben sich also – trotz WM – die so genannten G20-Staaten irgendwo in der Welt getroffen. Es war aber nicht in Südafrika. Einige “Extremisten“ sollen sogar dagegen protestiert haben, aber ohne Uwe-Selas. G20 ist kein Kürzel für eine Freistoßvariante (hätte mit diesem neuen Ball ohnehin kaum Sinn), sondern eine Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Die G20 besteht gemäß Wikipeadia aus 23 Ländern (und nicht aus 20, wie Fußballunkundige vermutet hätten), denn es gibt zwei Mal 11 Spieler und einen Hauptschiedsrichter (die anderen werden nicht mitgezählt).

Das mit den 23 habe ich dennoch nicht so richtig verstanden, denn beim Gruppenfoto, dass in der Tageschau gezeigt wurde, war auch der Saudische König mit von der Partie, der gar nicht zu den 23 gehört. Was hat diese Symbolfigur für Musterdemokratie, wie ihn die Westliche Welt für Muslime vorgesehen hat, dort zu suchen gehabt? Waren die bei der WM? Ach ja, sie waren als Schiedrichter dort und haben den Schweizern gezeigt, was es bedeutet, Minarette zu verbieten. Jedenfalls haben die Nachrichtensprecher uns mit diesem unbedeutenden Detail nicht weiter belastet.

Und so ganz nebenbei zwischen den Fußballspielen haben die G20 oder G23 auch etwas besch(l)ossen, nämlich dass die demokratisch von niemandem legitimierten Spekulanten der Welt, die Bänker und Finanzimperien, weiterhin völlig frei die gesamte Menschheit ausbeuten dürfen. Sie haben beschlossen, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden sollen. Sie haben beschlossen, dass die jeden Tag an Hunger sterbenden Zehntausenden auch weiterhin sterben sollen und dass einzelne “Akteure“ ganze Staaten zum straucheln bringen können. Sie haben auch beschlossen, dass sich Europa unkritisch dem Westlichen Imperium zu unterwerfen hat und einiges mehr. Nur, wen interessiert das? “Wir“ sind im Viertelfinale mit dieser jungen Mannschaft, und das Wetter war super geeignet für das Grillen. Was wollen wir mehr?

Ach ja, da war auch noch ein US-Amerikanischer Flottenverband – der größte seit Jahrzehnten – der zusammen mit einem israelischen Kriegsschiff den Suez-Kanal passiert hat in Richtung Iran. Na und? Iran und Israel haben es ohnehin nicht in die WM geschafft und die USA sind ausgeschieden.

War da nicht noch irgendwo ein Bohrloch, aus dem die Rekordmenge von Öl fließt, womit die größte Umweltkatastrophe unserer Epoche, die durch Menschenhand erzeugt wurde, unaufhaltsam immer grausamere Züge annimmt. Jetzt sollen auch noch Wirbelstürme kommen und das Öl über die Menschen regnen lassen. Einer bildet sich schon über der Karibik, aber die haben ja genug Zeit, sich darauf einzustellen, ist doch auch Mexiko inzwischen ausgeschieden.

Zu jeder Zeit haben die Menschen das Brot und die Spiele erhalten, die ihnen zustehen. Wenn Spanier in barbarischer Art öffentlich Stiere zum Spaß ermorden, dann ist zwar der Torero der Vollstrecker, aber Zehntausende jubeln ihm zu. Der Torero erhält Geld für seine Barbarei; zu zujubelnden zahlen freiwillig, um das zu sehen. Ist es da verwunderlich, wenn spanische Fußballspieler genau jene Gesten auch nach jedem “vollstreckten“ Tor vorführen?

Aber ist diese Art von Fußball wirklich das Spiel, das wir alle wollen? Wollten wir uns wirklich für ein Wembley-Tor vor 44 Jahren revanchieren? Wie wäre es, wenn der deutsche Kapitän oder andere deutsche Spieler zum Schiedsrichter gehen und zugeben, dass der Ball im Tor war? Wir wäre es, wenn der Brasilianer, der gleich zwei Mal den Ball mit der Hand mitgenommen hat auf die Frage des Schiedsrichters, zugibt, nicht regulär gehandelt zu haben und das Tor aberkannt wird? Zugegeben, möglicherweise hätte dann Brasilien Probleme bekommen, und zugegeben, möglicherweise wäre dann Deutschland ins Schwimmen geraten gegen England, aber wäre das nicht das glücklichere, das unbeschwertere, das gerechtere Leben? Doch wollen wir überhaupt ein gerechteres Leben? Uns geht es doch gut, und ob einige Delphine im Pazifik sterben, einige Iraner von Raketen bedroht werden und einige Afrikaner tagtäglich verhungern, interessiert uns das wirklich?

Ja, das alles kann nur denjenigen wirklich nachhaltig und ohne nachzulassen interessieren, der sein kurzes irdisches Dasein nicht als das Optimum der Glückseligkeit betrachtet, sondern im Menschen mehr sieht, als eine körperliche Hülle, die hinter einem Ball herläuft. Aber wollen wir das?

Die Fußball-WM ist kaum anders, als die kapitalistische Finanzwelt und ihr Geldsystem, das, was in der westlichen Welt “Demokratie“ genannt wird, das, was man Menschenrechte nennt, das sogenannte Selbstbestimmungsrecht der Völker (außer den Palästinensern), und all die hohlen Begriffe wie “Freiheit“ und “Frieden“. Sie alle sind ein großer Betrug! Sie alle werden zur Perversion von Menschlichkeit missbraucht. Denn ohne ein Minimum an Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden, keine Freiheit, keine Demokratie.

Wer aber diese WM bisher verfolgt hat, der weiß, was die jeweils spielende Nation von Gerechtigkeit hält, wenn sie gewinnt. Und wer fragt schon den Verlierer?! Ja, wir haben wohl eine WM, die uns zusteht. Es gibt keine Gerechtigkeit im Fußball, warum also sollte es sie im sonstigen Leben geben?

Einfältige Seelen könnten jetzt antworten: „Weil wir menschlich sein wollen“. Aber wer fragt schon nach Menschlichkeit, wenn er gewinnt? Eben nur die, die wirklich menschlich sein wollen, selbst wenn sie scheinbar verlieren.



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