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Das Burka-Verbot entblößt nur die Westliche Welt

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Von Yavuz Özoguz am 30. April 2010 09:52:33:

In Belgien ist gestern als erstes Europäisches Land ein Verbot des Gesichtsschleiers in der Öffentlichkeit erlassen worden. Und die armseligen Bürger merken gar nicht, wer da eigentlich ausgezogen werden soll.

Eines vorweg: Der Schreiber dieser Zeilen ist absolut kein Anhänger von Burka oder Gesichtsschleier. Ausgehend von dem in diesem Forum vertretenen Islamverständnis bin ich sogar der Meinung, dass solch eine Kleidung für eine Muslima im westlichen Europa ungeeignet ist und zudem schädlich für die Vertretung des Islam, da zwangläufig jede Muslima – auch unfreiwillig – als Vertreterin des Islam wahrgenommen wird. Aber zwischen der persönlichen Einschätzung “ungeeignet“ und einem gesetzlichen Verbot liegen Welten. Und das gesetzliche Verbot erachte ich schlichtweg als skandalös!

Zunächst einmal ist die praktische Bedeutung zu berücksichtigen. Wie viele Frauen haben denn in Belgien überhaupt in der Öffentlichkeit die Burka getragen? Waren es zwei oder zwanzig? Wie viele Belgier haben jemals eine Burka “live“ gesehen? Tatsache ist, dass solch eine Bekleidung eine derartige Ausnahme ist, dass es schon sehr verwundert, warum dafür extra ein Gesetz erlassen wird, noch dazu in einem Land, dass keine funktionierende Regierung hat und dessen Bürger von ganz anderen Problemen geplagt sind! Vor allem: Wem hat jene Burka denn geschadet? War das “ästhetische“ Empfinden beeinträchtigt? Mag sein, aber da gibt es sicherlich andere ästhetische Probleme. Schließlich wird man auch kein Gesetz erlassen, das jeder Frau und jedem Mann über 100 Kilo Körpergewicht verbietet, bauchfrei herumzulaufen.

Das Tragen der Burka in der Öffentlichkeit soll unter Strafe gestellt werden. Für die Missachtung des Verbots ist nach Medienangaben eine Geldbuße von bis zu 25 Euro vorgesehen oder ersatzweise bis zu sieben Tage Haft. Erstaunlich dass kein einziger Hofjournalist nachfragt, wie es zu dieser merkwürdigen Relation kommen und wie denn ein Tagessatz Haft in Belgien mit 3,60 EUR berechnet werden kann. Handelt es sich um das Gehalt, dass eine Frau mit Burka in Belgien am Tag höchstens verdienen kann?

Diejenigen, die das Gesetz einbrachten, begründeten das Verbot damit, dass Schleier die Identifikation der Person unmöglich machten und damit ein Sicherheitsrisiko darstellten. Das wird aber sicherlich eine spannende Entwicklung nach sich ziehen. Was wollen die belgischen Behörden eigentlich machen, wenn diese Frauen in Zukunft keine Burka, sondern einen Motorradhelm mit der dazugehörigen Sturmhaube (Balaclava) tragen?

Das Entsetzen der meisten Muslime richtet sich gar nicht so sehr gegen das Burka-Verbot (ohnehin ist kaum jemand betroffen), sondern gegen den Weg der hier eingeschlagen wird und die extreme Heuchelei, die dahintersteckt. Teile der Bevölkerungen in Europa wollen nicht nur die Burka verbieten, sondern den ganzen Islam! Im Nachbarland Belgiens erhält ein Politiker, der den Koran verbieten will, viele Wählerstimmen! Und Zentimeter für Zentimeter kommen sie ihrem Anliegen näher, ohne dass eine Mehrheit, die schweigt, den rassistischen Herrenmenschencharakter hinter dem Anliegen erkennt oder erkennen will. Das Minarett-Verbot in der Schweiz, das Verbot von Kopftüchern für Lehrerinnen an deutschen Schulen und für Schülerinnen an französischen Schulen, die Diskriminierung bei der Arbeitssuche und vieles andere mehr schaffen ein Klima, bei der jede Kopftuch tragende Muslime, die selbst den Geschichtsschleier ablehnt, sich mit der Burka tragenden Frau solidarisieren wird!

Europa schlingert ist in eine bedrohliche Krise in allen Lebensbereichen. Und in solch einer Bedrohungslage – das zeigt die Geschichte – bedarf es “Sündenböcke“, damit von den eigentlichen mächtigen Schuldigen der Krise abgelenkt werden kann. In einer globalisierten Welt funktionieren die alten Hassmechanismen aber nicht mehr so uneingeschränkt wie früher!

Es bedarf gemeinsamer Werte und festgeschriebener Gesetze, die für alle gleichermaßen gelten. Das aber ist schon seit langem nicht mehr der Fall. Jede Großbank beispielsweise, die das Geld ihrer Anleger verprasst oder verzockt, erhält staatliche Zuwendungen, während der Mittelständler, der unverschuldet in Probleme gerät, weil ein Gläubiger nicht zahlt, in die Insolvenz getrieben wird. Und dass weder das Grundgesetz noch die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes gleichermaßen für Muslime und Christen gelten, durften die Muslime in diesem Land dieser Tage in Niedersachsen am Verhalten der CDU miterleben.

In dem Moment aber, in dem ein Rechtsstaat zweierlei Maß für den gleichen Rechtsbruch ansetzt und dieses auch noch abhängig von der Hautfarbe oder Religion des Betroffenen macht, in dem Moment ist der Rechtsstaat kein Rechtsstaat mehr! Belgien hat es vorgemacht! Das “Vermummungsverbot“ betrifft ausschließlich die Muslima! Alle anderen dürfen sich weiterhin beliebig vermummen! Damit verlässt Europa ihre zumindest scheinbare Vorreiterrolle in Rechtsstaatlichkeit und begibt sich auf einen Weg der staatlichen Unterdrückung, die in Europa überwunden schien.

Es wäre aber ein Fehler zu glauben, dass dieser Weg mit dem neuen belgischen Gesetz begonnen hätte. Er hat vor fast zahn Jahren begonnen und wird konsequent, Stück für Stück vorangetrieben! Auch einige Muslime haben das immer noch nicht bemerkt und glauben, durch faule Kompromisse eine Art Daseinsberechtigung zu erhalten. Aber die Realität sieht anders aus!

So lange ein Mensch sich zum Islam bekennt, so lange wird er von den Dienern und Anbetern des Kapitalismus bekämpft werden! Es ist eine glatte Lüge zu behaupten, dass Demokratie im wahren Sinn und Islam nicht miteinander vereinbaren wären. Zwar geht der Islam nicht von der Herrschaft des Volkes, sondern von der Herrschaft Gottes aus, aber diese zu interpretieren und vernünftig und zeitgemäß umzusetzen, ist die Aufgabe des Volkes und liegt in dessen Verantwortung mit allen Konsequenzen! Ein wahres islamisches System wird niemals gegen das Volk funktionieren! Daher ist es schändlich und feindselig, stets eine Gegnerschaft von Demokratie und Islam aufzubauschen! Hingegen ist der Islam absolut nicht vereinbar mit dem Raubtierkapitalismus, der zurzeit in der Westlichen Welt vorherrscht! Diese Art von Wirtschaftssystem verdinglicht den Menschen und vergöttert Dinge. Diese Art von Wirtschaftssystem unterdrückt die Menschen und versklavt sie zu Dienern des Kapitals. Und jeder Muslim ist verpflichtet im Rahmen seiner Möglichkeiten und im Rahmen des Erlaubten gegen diese Unmenschlichkeit einstehen! Es ist nicht der Islam, der nicht mit der Demokratie vereinbar wäre, sondern der Kapitalismus. Und es ist kein Zufall, dass die Vertreter des Kapitalismus die lautesten Hassprediger gegen den Islam sind, während sie die Demokratie für ihre Unmenschlichkeit missbrauchen!

Völlig unbemerkt von all diesen Islamhassern findet derzeit in Shanghai die Expo 2010 satt, die weltgrößte Ausstellung! Und ebenfalls völlig unbemerkt von den Islamhassern, den dazugehörigen Politikern und deren Hofjournalisten haben sich Iran und Türkei zu den Ländern mit der größten wissenschaftlichen Entwicklung (und damit auch wirtschaftlichem Fortschritt) der letzten Jahre aufgeschwungen. Während in Europa das Burka-Verbot diskutiert wird, werden im türkischen Antalya bei deutschen Rentnersiedlungen Friedhöfe und dazugehörige Kapellen errichtet.

Es ist schon erstaunlich, dass die schweigende Mehrheit in diesem Land nicht erkennt, dass ihre eigene wirtschaftliche Zukunft, ihr eigenes Wohlbefinden in der Zukunft von einem friedlichen Miteinander und einem gerechten menschlichen Umgang untereinander abhängt! Wer Muslime heute ausgrenzt, wird sich morgen wundern, warum Hyundai und Toyota so viel erfolgreicher auf dem Weltmarkt sind als die deutschen Marken, von denen die deutsche Wirtschaft abhängt!

Das Burka-Verbot in Belgien schadet nur wenigen Muslimen! Die Wenigen, die aus ihrem eigenen religiösen Verständnis heraus auf der Burka bestehen, werden entweder überhaupt nicht mehr auf die Straße gehen oder das Land verlassen. Aber Belgien verliert sehr viel Ansehen, die eigene Menschlichkeit und Toleranz. Und das wird sich früher oder später auch gegen andere Bevölkerungsgruppen niederschlagen. Das Gleiche gilt für jedes andere europäische Land. Der wirtschaftliche Schaden, den z.B. die Schweiz im letzten Jahr erzielt hat, dürfte so groß sein, dass es als Staatsgeheimnis gehütet wird.

So lange die Menschen nicht verstehen, dass das “Gegeneinander“ der Kleinen stets auf Kosten der Gerechtigkeit geht, so lange die Bürger nicht verstehen, dass nicht der “kleine“ religiöse Nachbar, sondern die großen Kapitalismusanbeter die größte Gefahr für ihre eigene Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder darstellen, so lange werden sie alle unterdrückt werden, ob mit Burka oder ohne. Insofern betrifft das neuerliche Verbot nicht allein die Burkaträgerin, sondern die Unmenschlichkeit, in welche die westlichen Gesellschaften sich selbst manövriert haben.

Um es in krassen Worten zu verdeutlichen: In Afghanistan schießen sie auf die Burka-tragende Zivilistin, und wenn sie nach Belgien flieht, dann zwingen sie sie, sich auszuziehen. Wer wird durch solch ein Gesetz eigentlich entblößt?



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