>An dieser Stelle einige ergänzende Überlegungen über die beiden Menschen, die Ziel der letzten erfolgreichen Hasskampagne der Israel-Lobby geworden sind. In der Politik ist man an seltsame Verbindungen zwischen sehr unterschiedlichen Personen gewöhnt. Dabei ist es in diesem Fall ganz einfach, was einen muslimischen Geistlichen und ein US-Politikwissenschafler jüdischer Herkunft verbindet: Opposition gegen die Überheblichkeit der israelischen Politik und ein tiefes Gefühl für Gerechtigkeit am palästinensischen Volk. Aus diesem Grund ist die zunächst merkwürdig erscheinende Zusammenstellung der zwei Personlichkeiten, nämlich Imam Hudschat-ul-Islam Sebahattin Türkyilmaz und Professor Norman Finkelstein, so verschieden ihre philosophischen Ausgangspunkte sind, überhaupt nicht paradox. Beide sind Opfer der gleichen Verleumdung: angegriffen wegen ihres vermeintlichen Antisemitismus—in Wirklichkeit geht es um Antizionismus. Der Geistliche wurde gezwungen, seine religiöse Position aufzugeben, damit das Ansehen seiner Gemeinde nicht Schaden nimmt. Der Politikwissenschaftler sah sich gezwungen, seinen geplanten Vortrag in Berlin abzusagen, um zu vermeiden, dass die Aufmerksamkeit sich auf seine Person statt auf seinen Gegenstand, die Palästinenser, konzentriert. Im Muslim-Markt Forum hat Yavuz Özoguz (Beiträge vom 16. und 18. Februar) über den Geistlichen berichtet. Dem könnte man etwas über Finkelstein hinzufügen.
>Dieser wurde verjagt von der Heinrich-Böll-Stiftung (die parteinahe Stiftung der Grünen), von der evangelischen Kirche Trinitatis in Berlin-Charlottenburg und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (parteinahe Stiftung der Linken) –alle zu feige, um die Redefreiheit über das Thema Nahost zu verteidigen. Was haben sie von ihm zu befürchten? In einem viel diskutierten Interview von 2006 für das libanesische Fernsehen hat Finkelstein eine Reihe von Thesen geäußert: Es ging ihm nicht, wie die Lobby behauptet, um die genaue Anzahl der Holocaust-Opfer, sondern darum, wie der Holocaust politisch missbraucht wurde. Dann die Sache mit den schweizerischen Banken und dem dort gehorteten jüdischen Eigentum von KZ-Opfern: Israel hat durch politischen Druck in verschiedenen Ländern viel mehr Geld erhalten, als eigentlich der Sache nach möglich war. Und schließlich über die vermeintliche Einzigartigkeit des Holocaust: Von Finkelstein wird er auf eine Stufe gestellt mit anderen Ereignissen in der Geschichte, zB. die Ausrottung der Indianer in den USA. Es scheint so, dass man über all diese Dinge nicht diskutieren darf.
>Ihm wird außerdem zur Last gelegt, die Hizbollah und Hamas zu rechtfertigen. Sicher betrachtet Finkelstein diese Organisationen als legitimen Ausdruck sozialer Kräfte, die für die Rechte der Palästinenser kämpfen. Ohne Zweifel akzeptiert er Widerstand gegen Ungerechtigkeit als einen wichtigen Teil der Menschenrechte: Dieses Recht ist nicht nur Teil des islamischen Glaubens, sondern auch der politischen Philosophie Englands und der USA im 17. und 18. Jahrhundert. Ein solches Widerstandsrecht floss durch die Ideen Tom Paines und Thomas Jeffersons in die US-Amerikanische Revolution ein –auch wenn die heutige US-Regierung bei ihrem Versuch, die Welt zu beherrschen, dies in Vergessenheit bringen möchte. Für einen linksorientierten US-Amerikaner wie Finkelstein ist dies ein positives Erbe der US-Vergangenheit.
Sehr geehrter Hr. Sylvers
>Die Israel-Lobby ist in allen westlichen sogenannten entwickelten Ländern präsent. Zusammengesetzt aus Hofjournalisten, aus opportunistischen Politiker fast aller Parteien, die eine Gelegenheit suchen, sich auf wohlfeile Art zu profilieren, aus Professoren und Experten des mainstream, die fast immer auf der Seite der stärkeren Bataillone zu finden sind, aus den meisten jüdischen Verbänden und aus vielen jüdischen Bürgern, die glauben, —vielleicht ehrlich—, einem Land, mit dem sie sich identifizieren, zu helfen. Völlig verschluckt von der Lobby sind die Regierungen: in den USA durch Geld, das im politischen System dort recht schrankenlos zirkuliert und von der Lobby strategisch eingesetzt wird, in Deutschland meist durch die gängige Überzeugung, dass nach der tragischen Nationalgeschichte nur eine totale Identifizierung mit Israel Deutschland erlauben könnte, einen Platz in der internationalen Arena einnehmen zu können, der seinem Gewicht in der europäischen Wirtschaft entspricht.
>Kurz zusammengefasst, operiert die Israel-Lobby nach drei leitenden Grundsätzen: Erstens, dass Israel alles darf, zweitens, dass man Israel nicht kritisieren darf, und drittens, dass jeder Kritik an Israel als antisemitisch gewertert wird. Diese Grundsätze galten auch für die Beurteilung solch blutiger Ereignisse wie die Massaker von Gaza oder die kriminellen Tätigkeiten des Mossad in Orten wie Dubai. Der Antisemitismusvorwurf ist derart schädlich für Karriere, Ruf und persönliches Leben eines Individuums, dass man oft nicht unterscheiden kann zwischen den wahren Mitgliedern der Lobby und anderen, die aus Angst schweigen. Es ist nicht zu polemisch zu behaupten, dass die Lobby nicht weniger als die Gedankenpolizei des Staates Israel im Ausland ist: Vollkommen im Dienst eines fremden Landes sind ihre Mitglieder zu ihrem Befehlhaber viel ergebener, als es in der Zeit des Kalten Krieges die Kommunistischen Parteien außerhalb der UdSSR waren.
>Das Schweigen der Mehrheit, —von Özoguz in den obengennanten Beiträgen auf muslimische Verbände bezogen—, stellt, abgesehen von dem Problem Israel, generell eine Gefahr für die Demokratie dar. Wo bleiben die Tausende von Protestunterschriften, z.B. von Jura-Professoren, über die barbarische Lage in Guantanamo, oder von christlichen Geistlichen über das KZ/Ghetto Gaza, das, völlig der Willkür Israels ausgeliefert, jederzeit in ein Vernichtungslager umgewandelt werden kann? Wo sind die Demonstrationen gegen die anhaltende Ermordung von Zivilisten in Afghanistan, obwohl gemäß Umfragen 70% der Bevölkerung gegen diesen Krieg sind? Wo bleiben die Proteste dagegen, dass die Deutschen kein Recht haben, Finkelstein zu hören, den UNO-Goldstone- oder den Amnesty-International- Bericht über Gaza zu diskutieren? Ist Redefreiheit noch ein wichtiger Teil von Demokratie oder nur noch ein Werbeeinfall von Handyfirmen? Die Israel-Lobby und ihre Gepflogenheiten ist ein Teil des Verfalls der Demokratie in Deutschland.
>Vielleicht sollte man nicht so überrascht sein. Alles im allem herrscht das Schweigen auch unter den Hartz IV-Empfängern, unter den Opel- Beschäftigten und den meisten anderen, deren Arbeitsplätze bedroht sind, und das ist die Mehrheit. Kann die deutsche Demokratie an die gelegentliche Benutzung eines Wahlzettels durch einen Teil der Bevölkerung reduziert werden?
>Man kann jedenfalls nicht die Redefreiheit von Imam Türkyilmaz oder Professor Finkelstein verteidigen, ohne die Verbindung dieser Fälle aufzuzeigen. Die Israel-Lobby, die beide an den Rand der Gesellschaft gedrängt hat, hat so ihre Schicksale verbunden, mindestens bezüglich der deutschen Demokratie. Jede Diskussion über israelische Politik, die einen gerechten Frieden in Nahost anstrebt, muss akzeptieren, dass die Israel-Lobby, zusammen mit Israel als Staat es ist, was verhindert, dass ein solcher Frieden möglich ist.
>Es ist beinah überflüssig zu bemerken, dass man im Kampf gegen die Israel-Lobby immer wachsam gegen die alte europäische Krankheit des Antisemitismus sein muss. Eines Tages könnte die Opposition gegen die Lobby wachsen und dies vielleicht nicht, ohne dass Antisemitismus sie begleiten würden—und nicht nur in Deutschland. Das quasi Tabu der israelischen Politik und die Vermischung von Antisemitismus (Ressentiment gegen ein Volk oder eine Glaubensgemeinschaft als solche) und Antizionismus (Opposition gegen einen Staat mit rassistischer Ideologie und kolonialistischer Praxis) kann nur dem Antisemitismus helfen. Kurz gesagt: Die Lobby schafft, was sie glaubt zu verhindern.
>Und letztlich wäre es sehr mangelhaft, sich nicht ins Gedächtnis zu rufen, dass Finkelsteins ausgefallener Vortrag von einem Verein namens „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ organisiert wurde. Der Staat Israel beschreibt sich allerdings ebenfalls als „jüdisch“, und seine Soldatinnen und Soldaten, die Flugzeuge und die Panzer, die die Palästinenser drangsalieren und ermorden, alle tragen sie, sichtbar für alle, das religiöse Symbol des Davidsterns. Ist es da ein Wunder, dass es Muslime und Palästinenser gibt, die den Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus nicht verstehen ? Ist dafür nicht in erster Linie Israel selbst und seine Lobby in Europa und den USA verantwortlich?
>Unter den Verlierern der verschiedenen Hasskampagnen der Lobby sind auch die Israelis selbst. Die Arroganz der Lobby steigert die Arroganz der Politik in Israel und seine Gesetzlosigkeit. Wenn die meisten Israelis annehmen, dass Israel alles erlaubt ist, sind sie verständlicherweise weniger offen für eine alternative Politik.
>Ein abschließendes Wort über das sogenannte „Existenzrecht Israels“. Allein die Tatsache, dass dieses Land in seinen Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 eine Minderheit von 20% Palästinensern mit sehr begrenzten Rechten umfasste, ist ausreichend, um die Idee Israel als jüdischen Staat abzulehnen. Wegen seiner Unterdrückung der Palästinenser in den besetzten Territorien und seines Rassismus gegenüber diesem Volk ist es klar, dass Israel kein Recht besitzen kann zu bleiben, wie es jetzt ist. Auf der anderen Seite kann eine radikale Transformation des Staates Israel natürlich nicht bedeuten, die Menschenrechte für alle dort lebenden Juden zu tilgen. Sie müssen das Recht haben, dort zu bleiben und ihre Religion und Sitten weiterhin ungestört auszuüben. Aber was später kommen wird, ist eine Frage, die nur die Israelis und Palästinenser selbst entscheiden können. Je länger jedoch die israelische Politik blockiert ist, --auch durch die Politik der Israel-Lobby—, desto gefährlicher ist es für Israel. Bedenkenswert und schade ist außerdem, dass ein sich „jüdisch“ nennender Staat das Alte Testament der Bibel, seine eigene heilige Schrift, nicht ernst nimmt. In Hosea Kap. 8, Vers 7 heißt es in der Lutherübersetzung: „Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten“.
Sehr geehrter Hr. Sylvers,
Sie schreiben:
"Ihm wird außerdem zur Last gelegt, die Hizbollah und Hamas zu rechtfertigen. Sicher betrachtet Finkelstein diese Organisationen als legitimen Ausdruck sozialer Kräfte, die für die Rechte der Palästinenser kämpfen. Ohne Zweifel akzeptiert er Widerstand gegen ...."
Ich gehe davon aus, daß Sie der gleichen Ansicht sind wie Hr. Finkelstein?
Sicher gilt diese Aussage für den zivilen Teil dieser Organisationen - aber was ist mit den Milizen, Qassam, alAksa Bri. (Fatah) u. den militanten Splitterguppen?
Wer Wind mit Wind bekämpft, wird Sturm (Armageddon) ernten.
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