Westliche Ansichten zum zweiten Brief
Imam Chamene'is
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Michael
Widmann – katholischer Theologe und Autor
siehe auch Interview
Wenn sich ein großer Religionsführer aus dem Nahen Osten an die Jugend des
Westens wendet, so wäre ihm viel Aufmerksamkeit zu wünschen. Dafür gibt es
anfanghafte Voraussetzungen: Die Jugend des Westens beginnt sich von den
vorgestanzten Meinungen und selektiven Sichtweisen zu lösen, die ihnen seitens
der etablierten Medien und politischen Stimmungsmacher geboten werden. Sie sucht
sich ihre eigenen Kanäle und Quellen im Internet. Doch das World Wide Web ist
ein Gestrüpp, durch das selbst das Licht des großen Religionsführers des Westens
nur spärlich hindurchscheint. Papst Franziskus genießt eine hohe Publicity in
eben jenen etablierten Medien, aber ihr Fokus bildet nur ein reichlich
inadäquates Bild des katholischen Anliegens ab. Iman Chamene'i scheint durch ein
noch größeres Gestrüpp von der Jugend des Westens entfernt.
In der Tat, während eine Medientechnik, von der vor dreißig Jahren kein
Mensch zu träumen wagte, unsere Jugend umgibt wie das Wasser die Fische, bleiben
die bedeutsamen Stimmen der religiösen Führer ein leises Flüstern und kaum
verständliches Raunen, als lebten wir nicht im „globalen Dorf“, sondern in einer
Zeit, in der es Jahre dauert, bis ein paar Gelehrte mitbekommen, was ein paar
hundert oder ein paar tausend Kilometer weiter publik gemacht wird. Dabei
enthält Chamene’is Brief Elemente, die dem Westen näher sind als noch vor zehn
Jahren, etwa die Kritik an Israels Umgang mit den Palästinensern. Es kann zwar
keine Rede davon sein, dass der explizite Antizionismus den westlichen
Mainstream erreicht hätte und für die derzeit politisch Verantwortlichen in
Europa akzeptabel wäre, aber es gibt erste Signale dafür, dass Israel Grenzen
aufgezeigt und den Palästinensern Rechte zugestanden werden. Es war die EU, die
vierzehn Tage vor der Veröffentlichung des Briefes eine Kennzeichnungspflicht
für Produkte aus jüdischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen
Gebieten beschloss, und zwar gegen Druck aus USA und Israel. Zu Beginn des
Jahres hat der Vatikan Palästina offiziell als Staat anerkannt, wie es mehr als
130 Länder zuvor getan haben. Im Juli 2015 hat sich die internationale
Gemeinschaft auf ein Atomabkommen mit Iran geeinigt, ebenfalls gegen den Willen
der israelischen Regierung.
Diese partielle Anschlussfähigkeit sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass
der Westen nach wie vor unter der Ägide der USA jene doppelzüngige und letztlich
aggressive Politik in der islamischen Welt verfolgt, die Chamene’i in seinem
Brief an die Jugend des Westens so vehement kritisiert. Die massive Durchsetzung
amerikanischer Interessen unter dem Deckmantel von Demokratie und
Menschenrechten wäre - nach der israelischen Politik - ein weiterer gemeinsamer
Kritikpunkt des Imams und der westlichen Jugend.
Papst Franziskus hat wiederholt gesagt, wir befänden uns im Dritten
Weltkrieg, der, auch wenn er phasenweise und stellenweise geführt werde, sich
durch zweierlei auszeichne: durch kommerzielle Interessen und eine
außerordentliche Brutalität. Auch hier wäre ein Gespräch mit der Jugend des
Westens möglich, denn Anschlüsse gibt es genug. Der Idealismus und der sich
befreiende Blick der Jugend begegnen der Weisheit und analytischen Klarsicht
religiöser Führer. Vorläufig bleibt diese Begegnung theoretisch, doch angesichts
politischer Gärungsprozesse darf man hoffen, dass es irgendwann zu einem
wirklichen Gespräch kommt. Die Ergebnisse könnten revolutionär sein.
Konrad
Fischer - Architekt
siehe auch Interview
Imam Chamene'i hat unserer Jugend geschrieben. Er ist das Oberhaupt
des Iranischen Staates sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft. Als
solcher bittet er unsere Jugend um den Willen zum ehrenhaften Austausch
mit seiner, der islamischen Welt und wirbt um Anerkenntnis des Grauens,
den westlich gesteuerter Staatsterror auch unter der Maske des IS den
Völkern Syriens, Afghanistans, des Libanon, Iraks, Jemens, Kurdistans
und Palästinas angetan hat. Er spricht von Hassgefühlen und
Minderwertigkeitskomplexen in unseren Herzen, die Mörder und Totschläger
aus dem Westen zu den Fahnen des IS strömen lassen. Aber auch für die
konfrontative Blockbildung West gegen Ost benutzt werden können. Von
wem? Von unseren Oberhäuptern, die die Welt im vergangenen Jahrhundert
schon zweimal in den Abgrund stürzen ließen. Wird dieser von Sorge
getragene Brief hierzulande seine Zielgruppe erreichen? In einer Jugend,
der seit Generationen die Liebe zum eigenen Volk und Vaterland und zu
den traditionellen menschlichen Werten unserer Vorfahren dank höchst
erfolgreicher Umerziehung ausgetrieben wird? Die sich vom Komatrinken,
Schischarauchen und McChillen emanzipieren muss, um im kapitalistischen
Wettbewerb ihr Heil letztendlich im verschärften Mülltrennen und
Ökoaberglauben der vergenderten Geschlechtsbeliebigkeit suchen soll? Es
wäre ihm sehr zu wünschen.
Prof.
Malcolm Sylvers
-
Professor für Geschichte der USA
siehe auch
Interview
Der vor kurzem erschienene Brief von Imam Chamene’i verdient auch von
Nichtmuslimen Aufmerksamkeit. Es sind nichts weniger als vernünftige
weltpolitische Überlegungen, wie man sie heute von einflussreichen religiösen
Oberhäuptern leider fast nie hört. Zwei davon möchte ich hervorheben. Zwar
glauben inzwischen viele, dass die USA eine weitreichende Kontrolle über die
Welt anstrebt, aber Imam Chamene‘i bringt auch den grundlegenden
kulturpolitischen Aspekt dieses Versuchs zur Sprache. Militärische Mittel und
politischer Druck wurden in Washington immer schon mit der Strategie
verflochten, die - wie man zu Zeiten des Vietnamkriegs sagte - „Herzen und Köpfe
der Leute zu gewinnen“. Darüber hinaus erinnert der iranische oberste Geistliche
zu einem Zeitpunkt an die Rechte der Palästinenser, als diese der israelischen
Gewalt immer einsamer gegenüberstehen. Auch dass er jenen Terrorismus als
„zionistisch“, nicht etwa als „jüdisch“ klassifiziert, scheint mir besonders
wichtig, zumal dies in der Mentalität anderer muslimischer Länder leider
keineswegs selbstverständlich ist.
Peter
Vonnahme - ehemaliger Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof
siehe
auch Interview
Nach meinem Verständnis ist Chamene's Brief kein großer Text, der die Welt
dem Frieden näher bringt. Er enthält an einigen Stellen problematische Bilder
und Vergleiche. Aber ich kann Chamene'i zumindest in seiner Kritik an der
westlichen Interventionspolitik und ihrer bedrückenden Scheinheiligkeit folgen.
Beizupflichten ist ihm auch darin, dass hierdurch für die muslimische Welt
ungleich größeres Leid entstanden ist als es der westlichen Welt durch verirrte
Muslime zugefügt worden ist. Bedauernswert ist, dass Chamene'i die nach wie vor
bedrückende Menschenrechtssituation und die demokratischen Defizite in großen
Teilen der islamischen Welt nicht anspricht. Das wäre für einen wirklich
glaubwürdigen Brief an die Jugend des Westens unverzichtbar. Ungeachtet dieser
Vorbehalte bin ich für die Publikation des Briefes in unseren Medien, nicht
zuletzt deshalb, weil wesentlich banalere Texte westlicher Staatsführer
kritiklose Verbreitung finden."
Gerard
Menuhin - Schweizer Publizist, Filmproduzent und Sohn des Violinisten Yehudi Menuhin
siehe auch
Interview
In seinem Brief an die Jugend im Westen beschreibt Imam Chamene'i die
Grausamkeiten, denen der normale Palästinenser tagtäglich ausgesetzt ist.
Eingesperrt in seinen Konzentrationslagern der West Bank und der Gazastreifen,
die Bruchteile, die ihm übrig geblieben sind von dem Land, das ihm ursprünglich
gehörte, kann er sich kaum wehren. Wir im Westen merken aber nicht, dass wir
allmählich ähnliche Verhältnisse zu spüren bekommen werden, wenn die
Weltgeschehnisse wie bisher ihren Lauf nehmen. Wer immer für die Anschläge am
13. November in Paris verantwortlich ist, haben viele den Eindruck, dass es
nicht so gelaufen ist, wie es uns in den gleichgeschalteten Medien geliefert
wird. Die Art und Weise, wie die heuchlerische Bande der Regierungsmarionetten
kurz danach aufgetreten ist "als Zeichen der Solidarität", wobei sie einzig und
allein die Solidarität unter sich bewiesen haben - führt auch zum Schluss, dass
das ganze nur noch einen Versuch war, Christen gegen Moslems aufzuwühlen.
Möglicherweise ist die Kohäsion unter Moslems trotz verschiedener
Glaubensgemeinschaften, größer geblieben als die unter Christen. Die christliche
Glaubensgemeinschaft ist seit langem dermaßen politisch unterwandert und
zerrüttet, dass sie kaum Gelegenheit hat, sich an seine Wurzeln zu erinnern. Aus
diesen Grund ist es für die bösen Mächte besonders wichtig, auch durch die
moslemische Welt auf eine existierende Glaubensspaltung zu bauen, um die
bestehende Kluft zu vergrößern, und Mensch gegen Mensch aufzuhetzen, wie diese
Macht es über Jahrhunderten in allen Bereichen erfolgreich im Westen getan hat.
Wie hat sie das getan? Durch Verwirrung, falsche Medienberichte und nach unten
nivellierte Bildung, die als Endergebnis junge Menschen in Richtung Spaß,
Konsum, Schuld, Sucht und Arbeitslosigkeit treibt. So gehen die Energie, die
Vitalität, der Optimismus der Jugend zugrunde. Wie kann ein solches Leben
erfüllend sein?
Wo er sich auch immer auf der Welt befindet, ist der Durchschnittsmensch
gleich. Er hat die gleiche Hoffnungen und Wünsche: in Frieden zu leben, das Dach
über den Kopf zu sichern, genug zu essen zu bekommen, Bildung für seine Kinder
in einer sicheren Zukunft gewährleistet zu wissen. Überstrapazierte Begriffe wie
"Toleranz"; (vermeintlich positiv) oder "Nationalismus"; (vermeintlich negativ)
sind bedeutungslos, sowie "Links"; oder "Rechts"; nur mit Bedacht benutzt
werden, um Völker zu spalten. Die einzige bedeutungsvolle Frage ist: wodurch ist
die größte Anzahl von Menschen unter sich zufrieden gewesen? Die Antwort: durch
eine gleich gesinnte Gesellschaft. Solche Gesellschaften existieren nur unter
bodenständigen, indigenen Kulturvölkern.
Der Mensch soll als Individuum denken können und fähig sein, sich als
Individuum zu entwickeln. Jedoch um erfolgreich funktionieren zu können, müsste
er sich auch in eine kohäsive Gesellschaft einfügen können und sich durch eine
solche Gesellschaft getragen fühlen. Ohne das Ruder herumzureißen und auf
Gemeinwohl vor Eigenwohl zu setzen, ist in einer Gesellschaft, die sich dermaßen
abgewertet hat wie die heutige keine Rettung mehr möglich. Die Jugend ist die
allgemeine Zukunft der Menschheit. Unsere Kinder sollen durch ihre eigene
Selbsterfüllung stolz auf sich werden, was eine ganz andere Sache ist, als im
weltlichen Sinne erfolgreich zu sein. Ich wünsche der muslimischen Welt alles
Gute!
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